Die Scheinalternative

Linke wollen „die Welt retten“, Rechte sehen die Prioritäten im eigenen Land — beides geht an der sozialen Realität der Menschen vorbei.

Brüssel, 18. Juni 2025: Ein Sturmtief zieht auf in der europäischen Politik. Der Sevilla-Report, lange als Meilenstein für globale Verantwortung der EU gehandelt, wurde im Europaparlament mit knapper Mehrheit abgelehnt. Dieser Bericht hätte verbindliche Maßnahmen zur Entwicklungsfinanzierung vorgeschlagen: Schuldenerleichterungen für hoch verschuldete Staaten, eine klare 0,7-Prozent-Quote für Development Assistance (ODA) und neue Einnahmemodelle wie Vermögens- oder Finanztransaktionssteuern. Doch das Ergebnis spricht Bände: Die moralisch aufgeladene Linkspolitik, mit der man seit Jahren Milliarden in ferne Regionen pumpte, wird jetzt radikal infrage gestellt. Aber auch der Gegentrend — sozial kalte Abschottungspolitik — führt in die Irre. Wir können Europa entweder als globale Verantwortungsgemeinschaft verstehen oder als Rückzugsfestung ohne Herz. Notwendig ist eine Politik, die der sozialen Realität der Menschen — in Europa und weltweit — gerecht wird.

Das Weltrettungsprojekt der Gutmenschen

Linke, Grüne und Mitte-Fraktionen hatten in Brüssel lange die Oberhand: Sie inszenierten Entwicklungspolitik als globale Mission, nahezu unhinterfragt und mit großem Aktionismus. Der Sevilla-Report war ihr neuestes Prestigeprojekt, ein Programm, das EU-Steuergelder in riesigem Maßstab mobilisieren sollte. Doch der moralische Kosmos, in dem lange die Euros flogen, ob für Brunnen in Mali oder Genderinitiativen in Südostasien, wackelt. Denn während Milliarden flossen, blieben Fragen unbeantwortet: Kommen die Mittel tatsächlich an? Wer kontrolliert korruptionsanfällige Regime? Und wer zahlt letztlich den Preis, die europäischen Steuerzahler?

Die Regierungspolitik in Brüssel wirkte zunehmend losgelöst: Statt sich den sozialen Herausforderungen zu Hause zu stellen, wurde ein idealistisches Bild kreiert: Europa als Retter, Weltgemeinschaft als Ziel.

Doch in Deutschland, Frankreich, Italien oder Spanien stieg die Armut, Engpässe zeichneten sich ab. Trotzdem hielt die politische Elite an ihrer globalen Agenda fest, bis jetzt.

Armut in Europa: Die bittere Realität

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: In der gesamten EU zählten im Jahr 2024 etwa 93,3 Millionen Menschen, das sind 21 Prozent der Bevölkerung, als armuts- oder sozial ausgrenzungsgefährdet. Darunter fallen Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, materiell stark eingeschränkt sind oder in Haushalten mit sehr niedriger Erwerbsintensität leben. Etwa 24,2 Prozent der Kinder unter 18 Jahren sind betroffen. In Deutschland zeigt Human Rights Watch, dass Tafeln bundesweit Engpässe verzeichnen. Gleichzeitig zählen arbeitende Menschen, insbesondere junge Erwachsene und Alleinerziehende, zu den am stärksten gefährdeten Gruppen.

Hinzu kommt die Energiearmut: Rund 80 Prozent der „energy poverty“-Haushalte in Deutschland sind Mieter, die kaum die Mittel haben, ihre Wohnungen im Winter warm zu halten. Die Tafeln verzeichnen inzwischen so lange Warteschlangen, wie man es aus den Krisenjahren nicht kannte — ein scharfes Zeichen, dass Billigversorgung für Bedürftige längst kein Randphänomen mehr ist.

Paukenschlag gegen Brüssels Kurs

Am 18. Juni 2025 kippte das Parlament den Sevilla-Report. Konservative und nationalistische Fraktionen argumentierten, Steuerzahler dürften nicht in intransparente Hilfsprojekte mit fragwürdigen Empfängern Geld pumpen, besonders wenn Rücknahmeabkommen fehlten.

Gleichzeitig gewinnen rückwärtsgewandte Narrative an Boden: „Wir schulden unseren eigenen Menschen Vorrang; statt die ganze Welt zu retten, dulden wir zu Hause zunehmende Armut und soziale Zerklüftung.“

Das Resultat der Abstimmung ist ein Schlag gegen die linke Entwicklungs-Agenda, aber auch ein Bärendienst an einer globalen Verantwortungspolitik, die Europa lange definiert hat. Denn statt Schuldenerlass gibt es jetzt eine Blockade, statt verbindlicher Unterstützung nur Lippenbekenntnisse und Konsultationen. Die EU verliert damit ihre Rolle als verlässlicher Partner, gerade auf der UN-Bühne in Sevilla, wo die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) ohne gemeinsame EU-Linie an Schlagkraft einbüßen könnten.

Gefährliches Entweder-oder

Jetzt droht der Wechsel: von der linken Entwicklungsideologie zum neoliberalen oder populistischen „Europa First“-Reflex. Doch was heißt das konkret?

  • Es bedeutet nicht weniger Staat, sondern eine Verschiebung: Auslands- zu Inlandspolitik klingt logisch, ist aber teuer; sie finanziert sich über Grenzkontrollen, Grenzanlagen, Militär und ignoriert gleichzeitig soziale Not.
  • Es führt zu einer Illusion von Sicherheit: Statt Gemeinwohl schaffen wir ethno-nationale Abschottung, die weder Armut in den Griff bekommt noch Angst vor Billiglöhnen abbaut.
  • Es erzeugt gesellschaftliche Spaltung: Die einen leben weiter globalmissionarisch, die anderen fühlen sich abgehängt, beide Gruppen bleiben einsam, ungehört.

Und beide Lager teilen ein Narrativ, das Inhalte kaschiert: Die einen sind moralische Imperatoren, die anderen nationale Retter — und beide vergessen die wirklichen Menschen unterwegs auf der Strecke: die alleinerziehende Mutter, die in Kälte friert; der Rentner, der überlegt, welche Rechnung er bezahlt; der junge Arbeitslose, der seine Zukunft nicht findet.

Die große politische Lüge

Dieses Entweder-oder ist die zentrale Lüge: Für beide Lager gilt, dass sie sich im Kern vom Existenzschutz ihrer Bürger entfernen, die einen in die Ferne, die anderen in die Distanz. Die Gutmenschen versprechen Heldenhaftigkeit, während sie Eliten mit EU-Geldern versorgen. Die Hardliner versprechen Sicherheit, während sie Europa in Isolation führen.

Der Sevilla-Abbruch ist deshalb kein reiner Lobby-Schlag, er entlarvt Europas politische Diskrepanz. Wir haben einen Apparat aufgebaut, der moralische Ideologie wichtiger genommen hat als soziale Realität.

Doch das Pendel schlägt zurück, diesmal in die andere Richtung. Wir erleben die neue Marionette, die den Soundtrack der Angst spielt, aber keine Zukunft anbietet.

Ein Ausweg?

Europa braucht beides: globale Verantwortung und nachhaltige Binnenpolitik. Doch dafür reicht weder 0,7-Prozent-Quoten-Haltung noch ein Rückzug in den schmalen Schatten militärischer Abschottung. Wir brauchen intelligente Globalstrategien, die Steuerzahler ernst nehmen und Wirkung messen.

Das heißt konkret:

  • Entwicklungspolitik transparent gestalten: nachhaltige Investments, geprüfte Empfänger, Rückwirkung für lokale Gemeinschaften.
  • Soziale Sicherheit stärken: Tafeln, Energieschecks, Bildungschancen, nicht als Alibi, sondern als Grundrecht.
  • Militärausgaben auf das nötige Minimum beschränken, Verständnis für Frieden bewahren.
  • Eine Steuerreform, die Reichtum und Leistung fair verteilt, statt neue Fiskalhebel ohne Rückhalt auszusenden.

Fazit: Bewusst Weichen stellen

Die Debatte um den Sevilla-Report ist mehr als eine Politikentscheidung, sie ist ein Spiegel unserer Werte. Wir können entweder Europa als globale Verantwortungsgemeinschaft verstehen oder als Rückzugsfestung ohne Herz. Wenn Letzteres gewinnt, wird Europa seine Bürger weiter verprellen und seinen Platz in der Welt verlieren.

Europa muss endlich anfangen, wirklich Verantwortung zu übernehmen, nicht nur rhetorisch, sondern konkret: für seine Bürger und für seine globale Glaubwürdigkeit. Nur so lässt sich die soziale Krise zu Hause lösen und ein Europa formen, das nicht idealistisch lohnt, aber erreichbar wirkt.