Die Sterbebett-Mythen

Der Arzt Gerd Reuther stellt in seinem neuen Buch eine medizinhistorische Untersuchung der Todesursachen berühmter Persönlichkeiten an.

Der Tod wirft manchmal mehr Rätsel auf als das Leben. Wenn berühmte Persönlichkeiten dahinscheiden, vererben sie der Nachwelt nicht selten ungelöste Fragen zu ihrem Ableben. Die offiziell verlautbarten Todesursachen halten einer genaueren Prüfung der historischen Quellen des Öfteren nicht stand. Selten ändert dies jedoch etwas daran, dass diese Darstellungen unangetastet in den Geschichtsbüchern stehen bleiben. Der Facharzt für Radiologie und Medizinkritiker Gerd Reuther hat sich einiger dieser Fälle angenommen, sie nachträglich unter die medizinhistorische Lupe genommen und in seinem neuen Buch zusammengetragen. „Letzte Tage: Verkannte und vertusche Todesursachen berühmter Personen“ lautet das 200-seitige Buch aus der Feder des Mediziners, der es schon immer meisterhaft verstand, Medizinkritik und Geschichte miteinander zu verknüpfen. Und so nimmt er uns mit an die Sterbebettkante berühmter Persönlichkeiten wie Ludwig van Beethoven, Georg Hegel oder Heinrich Heine. Eine Rezension.

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Das gilt auch für den Bereich der Medizin. So ist vieles von den Skandalen in der Medizin, die wir heute erleben und beobachten, nicht gänzlich neu, sondern nur in der Dramatik und Häufigkeit hochskaliert.

Gerd Reuther lädt uns auf eine medizingeschichtliche Reise ein, die uns viel über die Gegenwart lehrt. Schon vor Jahrhunderten gab es die Diagnose „plötzlich und unerwartet“. Missliebige Menschen — in den Augen Mächtiger — gingen in ebendieser plötzlichen und unerwarteten Weise über den Jordan. Auch zeigten Mediziner sich beim Feststellen der Todesursache entweder sehr kreativ, oder auch einfallslos und wenig ambitioniert.

Wenn die medizinische Autorität die Deutungshoheit über die Todesursache hat, können die wahren Gründe, die zum Tode eines Menschen führten, gut vertuscht werden. Zu diesen Gründen zählt mitunter die allzeit bestehende Scharlatanerie in der Medizin, die etwa in der Verabreichung schädlicher bis hin zu tödlichen Formen der Medikation ihren Ausdruck fand. Viele Menschen versterben, so zeigt es Reuther ausführlich, trotz oder sogar wegen der ärztlichen Behandlung. Ebenso war nicht selten die Deutung von Todesursachen eine Verdunkelungsmethode, um in Auftrag gegebene Vergiftungen samt ihrer mächtigen Auftraggeber zu verschleiern. Darüber hinaus wurde nicht selten der Freitod — da bis heute tabuisiert — als Todesursache mit Hife des Totenscheins vertuscht.

Während nun so manche Todesursachen verfälscht wurden, wurden wiederum andere, vermeintliche Todesursachen — die in Wahrheit gar keine waren — zu todbringenden Bedrohungen hochstilisiert. Damals wie heute diente diese Methode der Angsterzeugung dazu, die Bevölkerung gefügig zu machen.

Am Sterbebett

Nach einer kurzen wie erhellenden Einleitung geht Reuther in dem Buch dazu über, die titelgebenden letzten Tage zahlreicher Berühmtheiten durchzudeklinieren. Auf der Zeitachse reicht die illustre Runde von René Descartes (1596 bis 1650) bis Rudolf Diesel (1858 bis 1913).

Schonungslos und unter Einbeziehung sämtlicher Einzelheiten des leidvollen Ablebens skizziert er die Chroniken des Sterbens und bettet diese zudem in den jeweiligen historischen Hintergrund ein. So bekommen wir für das Verständnis hilfreiche Kontexte geliefert: Welche Krankheiten grassierten zu jener Zeit an welchem Ort? Wie war es um die Hygiene-Bedingungen bestellt? Welche machtpolitischen Interessen herrschten vor, und wie standen diese in Verbindung zu dem Sterbenden, an dessen Tod so mancher Machthaber interessiert sein könnte?

Mit der ausführlichen Beschreibung des Leidens stehen wir als Leser im Grunde genommen direkt neben dem Sterbebett. Da wir in allen symptomatischen Einzelheiten das Siechtum aufgezeigt bekommen, ist die Lektüre wahrlich nichts für schwache Nerven. Wir erfahren etwa, welche Flüssigkeiten in welcher Form und Farbe aus welchen Körperöffnungen — nicht — ausdringen. Das aufeinanderfolgende Organversagen wird in allen Einzelheiten beschrieben. Während des Lesens kommt uns das Morbide regelrecht aus den Seiten entgegen.

Zugleich werden wir uns dessen gewahr, dass Ruhm und Bekanntheit keinen Menschen von seiner biologischen Conditio humana befreien können und wir ungeachtet unseres gesellschaftlichen Status verletzliche und damit sterbliche Wesen bleiben.

Tod und Krankheit machen auch vor keinem Georg Büchner, keinem Ludwig van Beethoven und keinem Kaiser halt. Der Memento-Mori-Moment ereilt einen jeden früher oder später.

Damals und heute

Es ist ein beklemmendes Leseerlebnis, das einen verstört und gleichzeitig einigermaßen dankbar zurücklässt ob der unstrittig besseren Lebensqualität in vielen Bereichen, die wir heute — zumindest im globalen Norden — genießen dürfen. Freilich hat auch diese Lebensweise zahlreiche, dramatische Tücken für die Gesundheit, wie Reuther sie in seinem früheren Buch „Die Kunst, möglichst lange zu leben“ detailliert beschrieben hat. Doch würde wohl kaum jemand die heutigen Umstände mit jenen des 17., 18. oder 19. Jahrhunderts tauschen wollen. Kälte, miserable Hygienebedingungen, mangelhafte Nahrung und allgegenwärtige Tristesse ziehen sich wie ein roter Faden durch die Beschreibungen der Lebens- und Sterbeumstände der genannten Persönlichkeiten.

Und dennoch liefert uns das Buch keinen Grund dazu, vollends erleichtert aufzuatmen, dass wir glücklicherweise im „richtigen“ Jahrhundert geboren wurden. Woran wir heute sterben, schwelt unter einer sterilen Oberfläche und ist nicht so unmittelbar sichtbar wie in den vergangenen Jahrhunderten. Doch die todbringenden Mechanismen in der (Schul-)Medizin haben nach wie vor Bestand.

Medizinische Fehlbehandlungen sind bis heute ein dramatisch wie sträflich unterschätzter Todesfaktor. Dem widmete Reuther bereits in der Vergangenheit zwei Werke: „Der betrogene Patient“ und „Heilung Nebensache“. Und auch die Verdrehung von Todesursachen ist im 21. Jahrhundert nicht aus der Welt. Man denke nur daran, wie die letzten Jahre jeder verstorbene Mensch mit einem positiven PCR-Test zu den Corona-Toten gezählt wurde, selbst wenn eine offenkundig andere Ursache dessen Ableben zeitigte. Und umgekehrt wird heute, in einer Zeit, in der seit Monaten die Sterberaten im Rekordbereich liegen, die alleroffensichtlichste Todesursache in Gestalt der massenhaft verabreichten mRNA-Genspritze so gut wie kategorisch ausgeschlossen.

In diesem Zusammenhang erweist sich ein am Anfang des Buches aufgeführtes Friedrich-Nietzsche-Zitat als äußerst treffend: „Die größte Krankheit der Menschen ist aus der Bekämpfung ihrer Krankheiten entstanden.“

So gesehen ist auch das neueste Buch von Gerd Reuther als ein weiterer Warnruf zu verstehen: vor einem paradoxerweise krankmachenden Gesundheitssystem. Gleichermaßen ist es ein implizites Plädoyer für die Selbstheilungskräfte, die in jedem Menschen vorhanden sind. Bei all den Bemühungen, nicht krank zu werden, dürfen wir nicht vergessen, dass es ein Leben vor dem Tod gibt. Und wir wären gut damit beraten, dieses Leben so zu gestalten, dass wir an unseren letzten Tagen mit einem Lächeln auf dieses zurückblicken können.


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