Die vergessenen Opfer

Es ist höchste Zeit, über die durch Dokumente von WikiLeaks belegten Verbrechen des US-Militärs in Afghanistan zu sprechen.

Drei Monate nach dem „Collateral Murder“-Video veröffentlichte WikiLeaks mehrere zehntausend geheime US-Dokumente, die unter der Bezeichnung „afghanische Kriegstagebücher“ bekannt werden sollten. Diese Publizierung war in mehrerlei Hinsicht bahnbrechend, wie Elizabeth Vos in einer Artikelreihe zur bedeutenden Arbeit von WikiLeaks schildert. Der Inhalt der Berichte belegte die Geheimhaltung ziviler Opferzahlen, die Existenz eines US-geführten Elite-Tötungskommandos mit dem Namen Task Force 373 sowie die verdeckte Rolle Pakistans in dem Konflikt. Bei der Veröffentlichung arbeitete WikiLeaks zudem erstmals mit Zeitungen und Nachrichtenorganisationen auf der ganzen Welt zusammen, darunter die New York Times, der Guardian und der Spiegel. Schließlich rückte die Enthüllung der Kriegsprotokolle Julian Assange und seine Plattform endgültig ins Visier der US-Regierung, die WikiLeaks fortan als Feind der nationalen Sicherheit verfolgen würde.

von Elizabeth Vos

Die afghanischen Tagebücher lösten einen Aufschrei aus, als sie die Geheimhaltung ziviler Opferzahlen, die Existenz eines US-geführten Elite-Tötungskommandos sowie die verdeckte Rolle Pakistans in dem Konflikt enthüllten. Elizabeth Vos berichtet.

Dies ist der zweite Artikel in einer Reihe zu WikiLeaks, die auf die wichtigsten weltverändernden Veröffentlichungen der Plattform seit ihrer Gründung 2006 zurückblickt. Diese Reihe ist ein Versuch, der Mainstream-Berichterstattung etwas entgegen zu setzen, in der das Wirken von WikiLeaks ignoriert und stattdessen der Fokus auf die Persönlichkeit Julian Assanges gelegt wird. Es sind die WikiLeaks-Enthüllungen von Kriegsverbrechen und Korruption, die die Verfolgung Assanges durch die USA ausgelöst und schließlich zu seiner Verhaftung am 11. April dieses Jahr geführt haben.

Drei Monate nach der Veröffentlichung des „Collateral Murder“-Videos publizierte WikiLeaks am 25. Juli 2010 ein Archiv mit geheimen US-Dokumenten über den Krieg in Afghanistan. Dieser enthüllte unter anderem die Geheimhaltung ziviler Opferzahlen, die Existenz eines US-geführten Elite-Tötungskommandos sowie die verdeckte Rolle Pakistans in dem Konflikt. Die Veröffentlichung der afghanischen Kriegstagebücher trug maßgeblich dazu bei, dass die US-Regierung auf einen Konfrontationskurs mit WikiLeaks-Gründer Julian Assange ging, der schließlich zu seiner Verhaftung im April dieses Jahres führte.

Die Kriegstagebücher wurden von der damaligen Mitarbeiterin des Nachrichtendienstes der US-Armee Chelsea Manning weitergegeben, die durch ihre Top-Secret-Sicherheitsermächtigung legalen Zugriff auf die Protokolle hatte. Manning wandte sich erst an WikiLeaks, nachdem sie die Organisation sorgfältig überprüft hatte und nach dem erfolglosen Versuch, die Dokumente an die New York Times und die Washington Post weiterzugeben.

Signifikante Aktivitäten

Eine der maßgeblichen Kontroversen um die Veröffentlichung der Tagebücher waren Vorwürfe, Einsatzdetails seien zum Kampfvorteil der Taliban öffentlich gemacht und die Leben von Informanten der US-Koalition durch die Bekanntgabe ihrer Namen gefährdet worden.

Trotz der weit verbreiteten Annahme, WikiLeaks hätte sorglos nicht redigierte Dokumente veröffentlicht, wurden letztlich nur 75.000 von insgesamt mehr als 92.201 internen US-Militär-Dokumenten zum Afghanistan-Krieg zwischen 2004 und 2010 publiziert.

WikiLeaks erklärte, sie hätten derart viele Dokumente zurückgehalten, da Manning darauf bestanden habe:

„Wir haben die Herausgabe von etwa 15.000 Berichten aus der Gesamtheit des Archivs zurückgestellt, als Teil eines Prozesses der Schadensminimierung, der von unserer Quelle gefordert wurde.“

Manning bestätigte 2013 in ihrer Aussage vor dem Militärgericht, dass die Dokumente nicht „sehr sensibel“ gewesen seien und nicht von laufenden Militäreinsätzen gehandelt hätten.
„Als Analystin betrachtete ich die SigActs (Signifikante Aktivitäten) als historische Daten. Eine solche Aktivität kann ein Angriff mit einer unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung sein, ein Gefecht mit Kleinfeuerwaffen mit einer feindlichen Kraft, oder jedes andere Ereignis, das eine bestimmte Einheit in Echtzeit dokumentiert und aufzeichnet.

Aus meiner Perspektive sind in einem einzelnen SigAct oder einer Gruppe von SigActs enthaltene Informationen nicht sehr sensibel. Die in den meisten SigActs aufgezeichneten Ereignisse beinhalten entweder Angriffe durch Feinde oder Kausalitäten. Der Großteil dieser Informationen wird über das Public-Affairs-Büro an die Öffentlichkeit weitergegeben. [...] SigActs zeigen, was an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit passiert. Sie werden unmittelbar nach dem Ereignis erstellt und unter Umständen in einem Zeitraum von Stunden aktualisiert, bis eine Endfassung im Computersystem des US-Militärs zum Austausch von taktischen Informationen (Combined Information Data Network Exchange; kurz CIDNE) hochgeladen wird.

Obwohl SigAct-Daten zum Zeitpunkt ihrer Erstellung sensibel sind, wird diese Sensibilität normalerweise innerhalb von 48 bis 72 Stunden aufgehoben, wenn das Ereignis entweder öffentlich bekannt gemacht wird oder sich die beteiligte Einheit nicht länger im Einsatzgebiet und somit außer Gefahr befindet.

Meiner Auffassung nach werden SigAct-Berichte lediglich weiterhin als geheim eingestuft, weil sie als Teil des CIDNE-Systems verwaltet werden. [...] Alles, was in CIDNE-Irak und CIDNE-Afghanistan gespeichert ist, einschließlich der SigAct-Berichte, wurde als Geheiminformation eingestuft.“

Von öffentlicher Relevanz

Manning bezeugte, die von ihr weitergegebenen Daten seien von sensiblen Informationen „gesäubert“ worden. In ihrer Aussage vor dem Militärgericht erklärte sie ihr Motiv für die Weitergabe der Dokumente ausführlicher. Sie sagte:

„Ich glaube, durch den Zugang der allgemeinen Öffentlichkeit, besonders der amerikanischen Öffentlichkeit, zu den Informationen, die in den CIDNE-Irak- und CIDNE-Afghanistan-Systemen gespeichert sind, könnte eine innenpolitische Debatte über die Rolle des Militärs und über unsere Außenpolitik im Allgemeinen sowie im Irak und in Afghanistan ausgelöst werden.
Ebenso glaube ich, dass eine detaillierte Analyse der Daten über einen langen Zeitraum, durchgeführt von verschiedenen Teilen der Gesellschaft, die Gesellschaft dazu anregen könnte, die Notwendigkeit oder gar den Wunsch neu zu bewerten, sich auch nur an Einsätzen zur Terrorismus- und Aufstandsbekämpfung zu beteiligen, die die komplexen Dynamiken der Menschen außer Acht lassen, die jeden Tag in den betroffenen Gebieten leben.“

WikiLeaks erklärte seine Gründe für die Veröffentlichung von Mannings Material wie folgt:

„Die Berichte handeln im Allgemeinen nicht von streng geheimen Einsätzen oder von Einsätzen europäischer und anderer Streitkräfte der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF). Wenn jedoch ein gemeinsamer Einsatz mit regulären Einheiten der US-Armee erfolgte, werden Details von Verbündeten oft bekannt gemacht.

Beispielsweise wird eine Reihe von blutigen Einsätzen der Task Force 373, eines geheimen Tötungskommandos aus US-Spezialkräften, in den Tagebüchern enthüllt – darunter ein Angriff, der zum Tod von sieben Kindern führte. Dieses Archiv zeigt die riesige Bandbreite der kleinen Tragödien, von denen kaum je in der Presse berichtet wird und die doch den überwältigenden Großteil der Tode und Verwundungen ausmachen.“

Die Geheimhaltung ziviler Opferzahlen

Die Tagebücher belegen Vertuschungen und Falschmeldungen ziviler Todeszahlen. Der Guardian berichtete, die Dokumente zeigten mindestens 21 verschiedene Gelegenheiten, in denen britischen Truppen das Erschießen oder Bombardieren von afghanischen Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, zugeschrieben wurde. „Manche der Tode waren durch Luftangriffen verursachte Kollateralschäden, doch von vielen wird auch berichtet, britische Truppen hätten auf unbewaffnete Auto- oder Motorradfahrer geschossen, die den Konvois oder Patrouillen ‚zu nahe‘ gekommen seien“, schrieb die Zeitung.

„Blutige Fehler auf Kosten von Zivilisten, wie sie in den Protokollen verzeichnet sind, wurden unter anderem auch an dem Tag gemacht, an dem französische Truppen 2008 einen Bus voller Kinder beschossen, wobei sie acht von diesen verletzten. Eine US-Patrouille feuerte ebenfalls mit Maschinengewehren auf einen Bus, wobei sie 15 der Passagiere verwundete oder tötete, und 2007 beschossen polnische Truppen in einem scheinbaren Vergeltungsschlag ein Dorf mit Mörsergranaten, wobei sie eine Hochzeitsgesellschaft, darunter eine schwangere Frau, töteten“, berichtete der Guardian.

Die Tagebücher enthüllten geheim gehaltene zivile Opferzahlen und mögliche Hinweise auf Kriegsverbrechen. „Diese detaillierten Aufzeichnungen belegen Angriffe der Koalitionstruppen auf Zivilisten, irrtümlichen Beschuss der eigenen Truppen sowie gegenseitigen Beschuss innerhalb der afghanischen Streitkräfte“, vermeldete der Guardian. Mindestens 20 Fälle von irrtümlichem Beschuss der eigenen Truppen wurden verzeichnet. Assange schrieb 2013 in einer eidesstattlichen Erklärung, das Material dokumentiere „detaillierte Aufzeichnungen über den Tod von fast 20.000 Menschen.“

Die Rolle Pakistans und psychologische Kriegsführung

Zu den bedeutendsten Enthüllungen der afghanischen Kriegstagebücher zählt die US-Einschätzung einer verdeckten Rolle Pakistans in dem Konflikt.

„Mehr als 180 nachrichtendienstliche Dokumente in den Kriegsprotokollen, von denen die meisten nicht bestätigt werden können, beinhalten detaillierte Aussagen, die Pakistans führende Spionagebehörde der Ausstattung, Bewaffnung und des Trainings der Aufständischen mindestens seit dem Jahr 2004 bezichtigen“, so der Guardian.

„Pakistans Militärgeheimdienst ist ein geheimer Strippenzieher der afghanischen Aufständischen, obwohl Pakistan jährlich mehr als eine Milliarde Dollar aus Washington erhält, um bei der Bekämpfung der Rebellen zu helfen“, schrieb die New York Times an dem Tag, an dem die Tagebücher veröffentlicht wurden.

Die afghanischen Kriegstagebücher zeigten die von der US-Koalition unterstützte Anwendung von psychologischer Kriegsführung mittels afghanischer Radiosender.

„Mehrere Berichte der Einheiten zur psychologischen Kriegsführung und der Wiederaufbauteams – eines Zusammenschlusses ziviler und militärischer Kräfte für den Wiederaufbau Afghanistans – zeigen, dass afghanische Radiosender vertraglich verpflichtet waren, von den USA produzierte Inhalte auszustrahlen. In anderen Berichten spricht US-Militärpersonal von afghanischen Reportern offenbar als 'unseren Journalisten' und weißt diese an, wie sie ihre Arbeit zu machen hätten“, wurde am 27. Juli 2015 auf Yahoo News vermeldet.

Ein Dokument aus dem Juni 2007, das als „geheim“ eingestuft worden war, beschreibt zudem die angebliche Selbstzensur pakistanischer Medien:

„Pakistans Kabelfernsehbetreiber berichten, sie befänden sich unter anhaltendem Druck – das heißt, der anhaltenden Erfordernis – die Berichterstattungen dreier Fernseh-Nachrichtennetzwerke zu blockieren. Die meisten Kabelbetreiber halten sich an die Vorgaben der Regierung, die sie am 1. Juni erhalten haben. An diesem Tag stellten alle Kabelbetreiber in Pakistan die Ausstrahlung von ARY News ein, während AAJTV in 70 Prozent des Landes nicht mehr empfangen werden konnte. (Siehe Referenztelegram). Um 17.00 lokaler Zeit am 5. Juni war ARY in ganz Pakistan wieder verfügbar. Wir versuchen zu ermitteln, ob sich der Sender selbst zensiert.“

Task Force 373

In den afghanischen Kriegstagebüchern werden die Handlungen der Task Force 373 beschrieben, einer Einheit, deren Existenz bis zu den Veröffentlichungen auf WikiLeaks im Jahr 2010 unbekannt war. Berichten zufolge seien mindestens 200 Vorfälle, die die Task Force 373 involvierten, in den Kriegsprotokollen verzeichnet.

„Die NATO-Koalition in Afghanistan hat eine verdeckte Spezialeinheit, genannt Task Force 373, eingesetzt, um auf Zielpersonen Jagd zu machen und diese ohne einen Gerichtsprozess zu töten oder zu verhaften. Die Daten von mehr als 2.000 führenden Figuren der Taliban und von al-Qaida befinden sich auf einer 'Töten oder verhaften'-Liste, bekannt unter der Bezeichnung JPEL (Joint Prioritised Effects List – auf Deutsch etwa: Liste der gemeinsamen priorisierten Effekte; Anmerkung der Übersetzerin)“, berichtete der Guardian an dem Tag, an dem die Tagebücher veröffentlicht wurden.

In dem Artikel hieß es weiter: „In vielen Fällen war es das Vorgehen der Einheit, eine Zielperson zu ergreifen und zu verhaften, doch in anderen tötete sie die Zielperson ohne einen vorangegangenen Versuch der Festnahme. Die Protokolle enthüllen, dass Task Force 373 ebenfalls Zivilisten – Männer, Frauen und Kinder – und sogar afghanische Polizisten, die ihr im Weg standen, tötete.“

Die Huffington Post bezog sich in den Wochen nach der WikiLeaks-Veröffentlichung der Dokumente ebenfalls auf die Task Force 373: „Die WikiLeaks-Daten deuten darauf hin, dass bis zu 2.058 Personen in Afghanistan auf einer geheimen Abschussliste, genannt JPEL (Joint Prioritised Effects List), als „Verhaftungs-/Tötungs-“Ziele geführt wurden. Insgesamt 757 Gefangene – höchstwahrscheinlich von dieser Liste – waren Ende Dezember 2009 in der Bagram Theater Internment Facility, dem US-geführten Militärgefängnis innerhalb der Bagram Air Base, inhaftiert.“

Zusammenarbeit zwischen WikiLeaks und der Presse

Ein bahnbrechender Aspekt der WikiLeaks-Veröffentlichung der afghanischen Kriegstagebücher war die Tatsache, dass sie den ersten Fall einer Zusammenarbeit zwischen WikiLeaks und führenden Nachrichtenorganisation wie der New York Times, dem Spiegel und dem Guardian im Vorfeld der Publikation darstellte.

Die Mainstream-Medien, die seit den US-Präsidentschaftswahlen 2016 eine äußert kritische Position gegenüber WikiLeaks und Assange eingenommen haben, waren an der Veröffentlichung der afghanische Kriegstagebücher aktiv beteiligt. WikiLeaks gab die Tagebücher vorab an den Guardian, die New York Times und den Spiegel weiter, wobei geplant war, dass diese Zeitungen Artikel am selben Tag veröffentlichten, an dem WikiLeaks das Archiv publik machte.

Der Guardian beschrieb das Projekt als „eine einzigartige Zusammenarbeit zwischen dem Guardian, der New York Times und dem deutschen Spiegel-Magazin, die dazu diente, die riesige Fundgrube an Daten im Hinblick auf Material von öffentlichem Interesse zu sichten und diese geheimen Aufzeichnungen der weltweit mächtigsten kriegsführenden Nation global zu verbreiten.“

Der Spiegel erläuterte, das Material sei durchleuchtet und die Daten mit unabhängigen Berichten verglichen worden. Auch sprach er vom Konsens zwischen den drei Zeitungen, die mit WikiLeaks zusammenarbeiteten: „Die Verleger waren einstimmig der Überzeugung, dass es ein berechtigtes öffentliches Interesse an dem Material gibt, da es ein tieferes Verständnis eines Krieges erlaubt, der noch immer und seit nunmehr fast neun Jahren im Gange ist.“

Im Jahr 2011 sprach Assange in einem Interview über seine Zusammenarbeiten mit Massenmedien. „Wir haben uns mit etwa zwanzig Zeitungen auf der ganzen Welt zusammengetan, um den Gesamteffekt zu erhöhen, unter anderem auch dadurch, dass wir jede dieser Nachrichtenorganisationen dazu anregten, mutiger zu sein“, sagte er.

„Es hat sie mutiger gemacht, auch wenn es im Falle der New York Times nicht ganz geklappt hat. Eine der Geschichten beispielsweise, die wir in den afghanischen Kriegstagebüchern fanden, handelte von der Task Force 373, einem Tötungskommando aus US-Spezialkräften.

Task Force 373 arbeitet in Afghanistan eine Abschussliste mit etwa 2.000 Namen ab, und die Regierung in Kabul ist über diese außergerichtlichen Ermordungen ziemlich unglücklich – es gibt kein unparteiisches Verfahren, nachdem ein Name der Liste hinzugefügt oder von ihr gestrichen wird. Man wird nicht benachrichtigt, wenn man auf dieser Liste steht, die die Bezeichnung Joint Prioritised Effects List trägt, kurz JPEL. Es ist offenbar eine „Töten oder verhaften“-Liste.

Doch aus dem Material, das wir veröffentlicht haben, geht hervor, dass etwa 50 Prozent der Fälle nur im Töten bestanden – es gibt keine Verhaftungsoption, wenn eine Drohne eine Bombe auf jemanden abwirft. Und in manchen Fällen tötete Task Force 373 auch unschuldige Menschen, etwa in einem Fall, in dem sie eine Schule attackierte und sieben Kinder tötete, aber keine ihrer Zielpersonen, und dann versuchte, das Ganze zu vertuschen.

Diese Entdeckung wurde eine Titelgeschichte im Spiegel. Sie wurde ein Artikel im Guardian. Für die New York Times wurde von Eric Schmitt, dem Korrespondenten über nationale Sicherheit, ebenfalls ein Artikel geschrieben, doch dieser wurde fallen gelassen. Er erschien nicht in der New York Times.“

Reaktion der Medien

Am Tag der Veröffentlichung der Tagebücher sagte Assange in einem Video des Guardian: „Es ist die Rolle von gutem Journalismus, sich mächtige Täter vorzunehmen, und wann immer man sich mächtige Täter vornimmt, gibt es eine heftige Reaktion. Wir sind uns dieser Kontroverse bewusst und wir glauben, es ist gut, an ihr teilzunehmen, und in diesem Fall wird sie die wahre Natur dieses Krieges enthüllen.“

Die Reaktion der Presse auf die Veröffentlichung der Kriegstagebücher war alles andere als durchgehend positiv.

Maximilian Forte beschrieb die Angelegenheit in Counterpunch: „WikiLeaks scheint sich nun auf Einzelne zu verlassen, die sich auf eigene Faust durch tausende Berichte wühlen, und ihre Funde dann mutmaßlich außerhalb von Zeitungen veröffentlichen, Monate in der Zukunft, über Ereignisse, die möglicherweise vor Jahren stattgefunden haben. Davon mögen Historiker profitieren, doch nicht die Antikriegs-Aktivisten, die in der unmittelbaren Gegenwart handeln.“

Eine solche Haltung lässt jedoch die koordinierte Veröffentlichung mit renommierten Zeitungen in drei Ländern außer Acht. Antikriegs-Aktivisten und Künstler zogen in der Tat einen Nutzen aus dem Material, insbesondere durch den Einsatz von Techniken zur Datenvisualisierung.

In einem Fernsehbericht des Senders CBS, der in den Tagen nach der Veröffentlichung ausgestrahlt wurde, wurde WikiLeaks als „undurchsichtige Webseite“ bezeichnet.

Reaktion des Militärs

Der eidesstattlichen Erklärung Assanges zufolge verstärkten das US-Verteidigungsministerium und das FBI nur drei Tage nach Veröffentlichung der afghanischen Kriegstagebücher am 25. Juli ihre bereits bestehenden Anstrengungen, Assange strafrechtlich zu verfolgen und WikiLeaks außer Gefecht zu setzen.

Assange sagte:

„Infolge unserer Veröffentlichung der afghanischen Kriegstagebücher und infolge von Neuigkeiten über die Absichten von WikiLeaks, hunderttausende US-diplomatische Depeschen zu publizieren, haben Mitarbeiter der US-Regierung mit Versuchen begonnen, den rechtlichen Schutz, den WikiLeaks als Verlag genießt, zu delegitimieren, indem sie WikiLeaks als Gegner des nationalen Interesses der USA darstellen.

In einem Artikel des US-Verteidigungsministeriums vom 29. Juli 2010, der seitdem gelöscht, doch inzwischen mithilfe eines Archivdienstes wiederhergestellt wurde, heißt es unter anderem:

„Verteidigungsminister Robert M. Gates ließ verlauten, er hätte das FBI um Hilfe gebeten, damit dieses Pentagon-Angestellte bei der Untersuchung der Veröffentlichung von Geheimdokumenten durch WikiLeaks unterstützt. Gates und Marineoffizier Mike Mullen, Vorsitzender der Vereinigung der Generalstabschefs, verurteilten diese Veröffentlichung von Geheimdokumenten bei einer Pentagonsitzung heute auf das Schärfste.“

In dem Artikel hieß es weiter: „Die Bitte um FBI-Unterstützung stellt sicher, dass das Ministerium über alle zur Untersuchung und Bewertung dieser Verletzung der nationalen Sicherheit nötigen Ressourcen verfügt, so der Minister. Er wies darauf hin, dass der Einsatz des FBIs dem Untersuchungsteam jeglichen Zugriff erlaube, den es brauche.“

In den Tagen nach der Tagebuch-Veröffentlichung bezeichnete Michael Hayden, ein ehemaliger NSA-Direktor und von 2006 bis 2009 CIA-Chef unter George W. Bush, diese Enthüllung als „Tragödie“.

Reaktion der Politik

General James Jones, Nationaler Sicherheitsberater der Obama-Regierung, nannte die Veröffentlichung „eine Bedrohung der nationalen Sicherheit, die die Leben von Amerikanern und unseren Verbündeten gefährden könnte.“

John Kerry, Präsidentschaftskandidat der Demokraten, bewertete die Veröffentlichung der afghanischen Kriegstagebücher als „inakzeptabel und illegal“.

Auf einer Pressekonferenz sagte der Pressesprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, WikiLeaks stelle eine „sehr reale und potenzielle Bedrohung“ dar.

Assange zufolge hätte es in einer Mitteilung, die das Weiße Haus kurz nach der Veröffentlichung der Tagebücher an Reporter sendete, unter anderem geheißen: „Wenn Sie über diese Angelegenheit berichten, lohnt es sich zu erwähnen, dass WikiLeaks kein objektiver Nachrichtenkanal ist, sondern eine Organisation, die sich der US-Politik in Afghanistan entgegenstellt.“

Die Veröffentlichung der afghanischen Kriegstagebücher würde bei der Strafverfolgung Julian Assanges, die das US-Justizministerium im Dezember 2010 offiziell verkündete, eine tragende Rolle spielen und schließlich zu seiner Verhaftung am 11. April dieses Jahres führen.


Elizabeth Vos ist freie Journalistin. Sie schreibt regelmäßig für Consortium News und ist Mitwirkende bei #Unity4J, einer andauernden Online-Mahnwache zur Unterstützung von Julian Assange.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „ The Revelations of WikiLeaks: No. 2 —The Leak That ‘Exposed the True Afghan War’“. Er wurde von Melina Cenicero aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.