Die Waffen nieder

Die Verwüstungen, die Kriege anrichten, sind sattsam bekannt — unglaublich, dass viele in diesem Wahnsinn noch immer einen gangbaren Weg sehen.

Die Deutschen sind angeblich kriegsmüde — jetzt schon und ohne dass sie „richtig“ an den Kampfhandlungen zwischen Russland und der Ukraine beteiligt wären. Wenn Politiker so etwas über ihre Untertanen sagen, meinen sie das ernstlich als Vorwurf. Eigentlich sollten wir alle den Krieg mit anhaltender Frische und nie versiegendem Eifer unterstützen! Da fragt man sich, ob diese Staatenlenker auch nur annähernd eine Ahnung davon haben, was Krieg für Betroffene bedeutet, wie viel Leid, wie viele materielle und vor allem auch seelische Verwüstungen er anrichtet. Und wie absurd die Vorstellung ist, daraus könnte irgend ein Segen oder Nutzen erwachsen. Wir Deutschen sollten es besser wissen. Die geschichtlichen Erfahrungen sollten uns jede Idealisierung dieser furchtbaren Verirrung der Menschheit verbieten. Es ist heute möglich, sich aus unzähligen, höchst eindrucksvollen Quellen über Kriege zu informieren. Es muss jetzt endlich Schluss damit sein. Wer „kriegsmüde“ ist oder sich schon vorher nie so richtig für das Sterben und Töten erwärmen konnte, kann stolz auf sich sein. Er verfügt, wie die Autorin, noch über ein gesundes Empfinden. Stellen wir uns den Frieden jetzt nicht nur vor — wie es John Lennons Lied suggeriert! Realisieren wir ihn mit allen unseren Kräften — jetzt!

Ich beginne mit ein paar Zahlen, allerdings werde ich versuchen, diese Zahlen zu veranschaulichen, damit es — wie bei Zahlen sonst leicht üblich — nicht gar so trocken wird.

Immer und ständig ist irgendwo Krieg. 355 Kriege und Konflikte wurden im letzten Jahr allein gezählt, die Ausgaben dafür beliefen sich auf 2,1 Billionen US-Dollar weltweit. Man bedenke: Wenn Geld an einer Stelle ausgegeben wird, wird es an anderer Stelle eingenommen. Krieg ist Big Business. Um 2,1 Billionen Dollar zu zählen, wäre ich 66.591 Jahre pausenlos beschäftigt, jede Sekunde einen Dollar in mein Töpfchen zu legen.

Deutschlands Außenministerin war im September in der Ukraine, um ein Zeichen gegen die „drohende Kriegsmüdigkeit“ in ihrem eigenen Land zu setzen, und um Unterstützung zuzusichern. Nicht auf dringend notwendige diplomatische Friedensverhandlungen, nein — auf Waffenlieferungen und Geld aus Deutschland könne die Ukraine sich verlassen.

Bis zum September hatte Deutschland Waffen im Wert von 734 Millionen Euro in die Ukraine geliefert. 8.441 Tage oder 23 Jahre zählen, Tag und Nacht. Laut der Deutschen Wirtschaftsnachrichten können wir erwarten, dass der Krieg in der Ukraine Deutschland bis 2025 150 bis 200 Milliarden Euro kosten wird. Dafür müsste ich nur schlappe 5000 bis 6500 Jahre zählen, bis in die Jungsteinzeit...

Keine Sorge, dass Deutschland Waffen liefere — egal welcher Art — und die Ukraine finanziell unterstütze, mache es nicht zur Kriegspartei. „Nur eine unmittelbare Teilnahme an den Feindseligkeiten, die Deutschland zurechenbar wäre, würde Deutschland zur Konfliktpartei machen“, so ein Völkerrechtler kürzlich.

In was für einer Welt leben wir denn?! Nach meiner Kenntnis werden Waffen mit dem einzigen Ziel hergestellt, zu zerstören und zu töten. Mir fällt nicht viel ein, was feindseliger wäre, als dabei zu unterstützen, Menschen — ganz egal in welchem Land sie leben, Ukraine, Jemen, Kongo, Afghanistan, Russland oder Iran — ihre Heimat zu zerbomben oder sie zu töten. Es ist ein unerhörter Skandal, dass heute überhaupt noch Krieg geführt wird, wo wir alle wissen, dass die wirtschaftlichen, sozialen und seelischen Folgen dieser grotesken Grausamkeiten, die uns seit Jahrhunderten per Social Engineering Gehirnwäsche als „normal“ und alternativlos verkauft werden, sich folgenschwer noch in den folgenden Generationen auswirken! Opfer werden zu Tätern. Wieder und wieder und wieder.

Wann ist es endlich genug damit? Ich bin kriegsmüde — und zwar für immer!

Mein Vater wurde als 17-Jähriger eingezogen. Ein einziges Mal nur habe ich ihn im Detail über seine Erlebnisse sprechen hören, seine Worte waren unter seinem Schluchzen fast nicht zu verstehen. Er hatte als Einziger seiner Kompanie das grausame Gemetzel überlebt, dem seine Kameraden, alles halbe Kinder noch, in einem Hinterhalt in den Bergen, nicht entkommen konnten. Er betonte immer wieder, wie alle Seiten Opfer einer grausamen und entmenschlichenden Propaganda geworden waren, die jungen Männer aufgehetzt und zum Soldaten gefoltert — man nannte das „Schleifen“.

Mein Vater misstraute nach dieser Erfahrung zurecht allen Autoritäten und wurde ein gebrochener, aber glühender Schützer des Lebens. Der Schrecken des Krieges war allerdings auch 40 Jahre später noch in ihm spürbar und hat meine eigene Kindheit überschattet. Es war fast nicht auszuhalten und doch war es befreiend, ihn zu hören. Endlich hatte das diffuse Grauen einen Namen, die Angst ein Zuhause!

Wie viele unserer Angehörigen, unserer Vorfahren haben nie Worte für ihr Leid gefunden? Konnten sich nicht anvertrauen? Mussten verdrängen, haben Flucht und Erleichterung im Alkohol gesucht, in der Arbeit, in anderen Süchten; waren überfordert, emotional taub, teilnahmslos oder auch aggressiv und missbräuchlich ihren Partnern, Partnerinnen und Kindern gegenüber.

Ich vermute, dass wir Menschen auf dieser schönen Erde inzwischen fast ausnahmslos betroffen sind: Wir alle sind Kinder, Enkel, Urenkel und Nachfahren von traumatisierten Kriegsüberlebenden.

Ich möchte an dieser Stelle einladen, das Leid unserer Vorfahren zu würdigen und auch die Leidtragenden der heutigen Kriege für einen stillen Moment in unsere Herzen zu nehmen. Das schließt unsere geschundene und dennoch unermüdlich Leben spendende Mutter Erde und uns selber mit ein. Wir teilen dieses Erbe und wir alle sehnen uns nach wirklichem, tiefem Frieden, nach Sicherheit, Geborgenheit und Liebe!

Würdigen wir auch die Kraft unserer Vorfahren, ihre Widerstandskraft und Kreativität. Wir sind Ausdruck ihrer Zuversicht, ihrer Lebendigkeit und Liebe zum Leben. Besinnen wir uns auf unsere Kraft, gemeinsam Wirklichkeit zu gestalten, statt bloß zu konsumieren oder passiv auszuhalten. Unsere Zukunft braucht uns, das heißt unsere Nachkommen, Kinder, Enkel und Urenkel brauchen uns hier und heute ganz präsent!

Imagine!

Wie würde unsere Welt wohl aussehen, wenn wir all unser Streben, unser Forschen, unsere Intelligenz für Frieden bündelten? Und ein ganz frecher, ein unmöglicher Gedanke: Wenn all das viele Geld, mit dem unter Zerstörung und Unterdrückung von Mensch, Tier und Erde in der (Rüstungs)industrie Gewinne generiert werden, eingesetzt würde, um herauszufinden, wie Frieden geht?

„Wir müssen als Zivilisation nichts Neues lernen, um in Zukunft zu überleben, sondern uns nur an etwas Vergessenes erinnern.“ Marija Gimbutas

Hinweise dazu, wie es gehen könnte, finden sich nicht nur in der Sehnsucht unserer Herzen, sondern beispielsweise beim jahrhundertelang friedlich koexistierenden Bündnis der Irokesen, der Five Nations in Nordamerika, das zwar vielen unbekannt ist, aber grundlegend bedeutsam für unser europäisches Demokratieverständnis ist. Die Gründerväter der Vereinigten Staaten, Jean-Jaques Russeau und andere einflussreiche Denker haben sich von den Irokesen inspirieren lassen. Die Frauenbefreiung nahm ihren Ursprung dort — Frauen und Männer waren in diesem friedlichen Nationenbündnis absolut gleichwürdig. Und interessanterweise ist die Redefreiheit, die in der friedlichen Gesellschaft der Five Nations jedem zustand, auch als Wiege unserer bisher stark verankerten Meinungsfreiheit zu sehen.

Krieg ist nicht alternativlos. Es gab Zeiten ohne Kriege. Sehr lange Phasen friedlicher Koexistenz. Rutger Bregman hat es in seinem wichtigen Buch dargelegt: Wir Menschen sind im Grunde gut. Es wird höchste Zeit, dass wir einander mehr daran teilhaben lassen.

Legen wir die Waffen nieder. Innen und außen. Steigen wir aus dem Wiederholungszwang der Angstspirale aus, hören wir auf, andere zu dominieren, zu entwürdigen und uns selbst zu unterwerfen und entwürdigend behandeln zu lassen.

Werden wir berührbarer, lieben wir mehr und offensichtlicher, feiern wir einanders Einzigartigkeit, schließen wir Frieden mit uns selbst und werden wir endlich ganz lebendig. Das ist nicht unbedingt einfach, aber es ist möglich, sonst gäbe es in uns kein Sehnen nach Frieden und Freiheit!

Abschließen möchte ich mit Worten, die Etty Hillesum, eine 29-jährige Studentin aus den Niederlanden, aufgeschrieben hat, kurz vor ihrer Ermordung im KZ:

„Unsere einzige moralische Verpflichtung ist, in uns selbst Lichtungen des Friedens zu schaffen und sie immer weiter auszudehnen, von Ort zu Ort, bis dieser Frieden auf andere ausstrahlt. Und je mehr Frieden in den Menschen herrscht, desto mehr Frieden wird es auch in dieser aus den Fugen geratenen Welt geben.“

Lasst uns also nicht nur fordern: Frieden Jetzt! — lasst ihn uns verwirklichen. Wie übende, jeden Tag wieder. In diesem Sinne gilt jedem Einzelnen: Dank für Deinen Beitrag!



Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.


Quellen und Anmerkungen:

Dieser Text wurde von der Autorin am 5. November 2022 auf der Demonstration Frieden Jetzt! in Berlin als Abschlussrede verlesen. Diese Friedensdemo wurde vom Bündnis für Frieden — Berlin veranstaltet; alle weiteren musikalischen und Redebeiträge finden sich unter folgenden Links:

https://www.youtube.com/channel/UCunTyNJQ3n3jsUvbDFDdJgw/videos?view=0&sort=dd&shelf_id=0

Friedenist... Audio Impressionen

https://radio-berliner-morgenroete.de/frieden-ist-die-demo-am-5-november-in-berlin/

https://radio-berliner-morgenroete.de/rbm-hoerer-senden-friedensbotschaft/

Disclaimer: Das Bündnis für Frieden — Berlin positioniert sich gegen jeden Form von Gewalt, Extremismus und Menschenverachtung. Das schließt strukturelle und institutionalisierte Gewalt mit ein, politische Hetze, Ausgrenzung und Verächtlichmachung Andersdenkender. Wir stehen ein für unsere unveräußerlichen Grund- und Menschenrechte. Die Würde aller Menschen ist unantastbar!

Wir fordern konstruktiven, sachlichen Diskurs, in dem alle Stimmen respektvoll zu Wort kommen und umfassende politische Reformen, die einen Ausverkauf unserer Menschenrechte an Konzernglobalisten wirksam verhindern und das langfristige und ganzheitliche Wohl aller Wesen und unseres Planeten Erde sicherstellen.