Die X-tremistin
Seit März 2022 hält sie beim Kurznachrichtendienst X die ukrainischen Farben hoch und jene der NATO, doch wer steckt hinter dem Account namens Lena Berger?
Gleich nachdem der russisch-ukrainische Konflikt in seine heißeste Phase trat, sich in einen Krieg verwandelte, betrat Lena Berger die intransparente Öffentlichkeit von Twitter — damals hieß die Mikroblogging-Plattform noch so, mittlerweile kennt man sie unter dem Namen X. Und um einen richtigen Kurznachrichtendienst handelt es sich dabei auch nicht mehr. Wie dem auch sei: In jenem März las man erstmals von ihr — Lena Berger. Und das regelmäßig, täglich und sogar mehrmals täglich. Sie schoss gegen Russland, beschwor den Durchhaltewillen der Ukrainer, verurteilte Menschen, die Frieden einfordern, und bei erfolgten Waffenlieferungen zeigte sie sich selig. Doch wer verantwortet diesen Account? Können wir sicher sein, dass es überhaupt eine Einzelperson ist? Und warum findet sich nirgendwo anders etwas zu Lena Berger? Fragen, die man sich in Zeiten moderner „Doxing-Kultur“ durchaus stellen darf.
Nichts ist mehr, wie es war, in diesem Ukrainekrieg. Denn nicht mal mehr auf Lena Berger, die in ihrer Profilbeschreibung Hannah Arendt für ihre Trollerei missbraucht, kann man sich verlassen. Seit dem 30. April 2025 wird nicht mehr zurückgeschossen. Das große Schweigen ist ausgebrochen. Geht es ihr vielleicht nicht gut? Hat sie Urlaub? Vielleicht ist sie ja auch neu verliebt und verbringt all ihre Zeit mit ihrem neuen Schatz? Oder aber sie wird nicht mehr gebraucht? Denn wir sollten uns Lena Berger vielleicht nicht als die junge Frau vorstellen, die sie vorgibt zu sein. Und auch ihre Motivation bleibt dabei fraglich — das zunächst mal bewusst zurückhaltend ausgedrückt.
Ein Mensch? Und wenn ja, wie viele?
Lena Berger ist eine gut aussehende Frau um die 30. Vielleicht ist sie auch schon eine Mittdreißigerin. Das verrät ihr Profilfoto bei X nicht ganz genau. Sie wirkt schlank; ihr Gesicht könnte man auch „mit osteuropäischem Einschlag“ beschreiben. Eine wilde Mähne krönt sie, vermutlich hat sie sich Haare hochgesteckt. In Zeiten, in denen man nicht von toxischer Männlichkeit sprach, in denen Komplimente noch nicht als Übergriffigkeit galten, hätte man sie als sexy beschrieben. Sehen wir hier wirklich Lena Berger? Oder hat die künstliche Intelligenz nachgeholfen? Ist das Bild ein Deepfake? Sonst taucht dieses Gesicht nirgends in den Weiten des Internets auf. Nur hier, nur bei X. Zwar wird das Foto mittels Bildsuche bei Google noch zweimal ausgewiesen, auf zwei anderen Plattformen. Aber das sind Sackgassen, vermutlich war Lena Bergers X-Profil dort nur verlinkt.
Zurück zu X: Unter dem Konterfei der Berger liest man — wie schon gesagt — etwas von Hannah Arendt: „The meaning of politics is freedom.“ Übersetzt: „Die Bedeutung von Politik ist die Freiheit.“ Das Zitat stammt wirklich von der jüdischen Philosophin. Es stammt aus der unvollendeten Einleitung ihres Werkes „Was ist Politik?“. Was will Lena Berger zum Ausdruck bringen? Dass die Politik alles tun muss, um die Ukrainer zu befreien? Dass es etwas mit der Ukraine zu tun haben muss, liegt auf der Hand, denn der ganze Account kennt nur dieses eine Thema — und gleich darunter steht „a free Ukraine“, und eine ukrainische Flagge ist zu bestaunen.
Arendts Freiheitsbegriff war selbstverständlich ein anderer. Wie würde sie heute reagieren, wenn sie feststellen müsste, dass sie ziemlich häufig von Leuten zitiert wird, die offenbar gar keinen Bezug zu Arendts Philosophie haben?
Die Philosophin sprach sich für eine radikal öffentliche Freiheit aus — ihre Philosophie wäre heute nicht wegen der Ukraine modern, sondern weil sie den Einschränkungen der Meinungsfreiheit entgegentritt.
So will Lena Berger die Freiheit doch nicht begriffen wissen, oder etwa doch?
Nichts spricht jedenfalls dafür. Wer seine Meinung öffentlich kundtut und nicht dieselbe hat wie sie, den macht sie via X ungeniert rund. Dann können ihre knapp 40.000 Follower applaudieren, weil sie es mal wieder so einem Kreml-Troll und Putinversteher gezeigt hat. Die Frage bleibt aber: Who the fuck is Lena Berger? Ist sie überhaupt eine Frau? Lebt sie in Deutschland? Ist sie ein Mensch oder eine Maschine? Teilen sich unter Umständen vielleicht sogar mehrere Menschen diesen Account? Alles scheint möglich. Tut sie das, weil sie vielleicht aus Osteuropa stammt und eine Betroffene ist? Ist es nur ihr Hobby? Wird sie bezahlt? Und wenn ja, wer entlohnt sie dafür? Fragen über Fragen. Manche nennen sie einen NATO-Troll. Was weitere Fragen generiert: Zahlt die NATO direkt oder schaltet sie Einrichtungen dazwischen? NGOs zum Beispiel — Nichtregierungsorganisationen. Die NATO ist ja auch schließlich keine Regierung.
Wo ist Böhmermann, wenn man ihn wirklich braucht?
Das ist freilich alles nur Spekulation. Erstaunlich ist dennoch, dass sie — oder er; oder sie im Plural — aktuell wie aus dem Spiel genommen scheint. Und dies ausgerechnet jetzt, wo es auch gut passt, nicht zu viel Öl ins Feuer zu gießen. Ihr letzter Post stammt vom 30. April: Lena Berger bezieht sich auf die Ermordung einer ukrainischen Journalistin, für die „politische Entscheidungsträger“ verantwortlich seien, weil sie sich „nicht zu entschlossener Hilfe durchringen konnten“. Sie meint jene Entscheidungsträger, die erst Helme, nachher Gewehre und später Panzer schickten: Das war also nicht genug — was hätte geschickt werden sollen? Soldaten, Söhne und Töchter der hiesigen Bevölkerung also? So wie sie Dinge angeht, wie sie Schuldkomplexe konstruiert: Das klingt verdächtig nach der Worthülsenfabrikation des militärisch-industriellen Komplexes, hört sich an wie Marie-Agnes, wenn sie in Fahrt kommt.
Mit dem Kollegen Tom Wellbrock habe ich neulich einen Podcast zu Lena Berger geplant. Wir wollten herausbekommen, wer sich dahinter verbirgt. Ein schwieriges Unterfangen, nicht nur, weil man natürlich nichts findet, sondern auch, weil das bis neulich als bösartiger Angriff auf die Privatsphäre gewertet wurde. Der Politwissenschaftlicher Johannes Varwick hat im Herbst letzten Jahres schon mal probiert, mehr über den Hintergrund des Accounts herauszufinden. Er hätte gerne sachdienliche Hinweise erhalten — prompt gab es eine Anzeige, denn angeblich habe er ein Kopfgeld ausgelobt. Der Vorwurf war lächerlich, kam aber passend: Denn Varwick sei schließlich zu oft durch prorussische Positionen aufgefallen, wurde daraufhin berichtet.
Jemand erklärte uns während der Recherche, dass Lena Berger für eine kleine Zeitung in der Schweiz tätig sei. Eine Nachfrage bei der Verdächtigten ergab, dass sie wohl schon öfter verdächtigt wurde. Sie sei es aber nicht, teilte sie uns mit.
Dabei lag das im ersten Moment nahe. Das Zitat von Hannah Arendt, das ihren X-Account ziert, steht in Guillemets, einer besonderen Form der Anführungszeichen. Diese werden aber von ihr nicht, wie im literarischen Betrieb hierzulande, nach innen gesetzt benutzt, sondern die Spitzen deuten nach außen. So handhabt man das oft im Schweizer Raum. Ob wohl die Redaktion von Jan Böhmermann auch mit solchen kleinen Beobachtungen angefangen hat, als sie sich fragte, wer hinter dem YouTube-Kanal „Clownswelt“ steckt? Der hat es seinen Häschern aber auch wesentlich einfacher gemacht, als es Lena Berger tut. Was auch für eine Professionalität des Kopfes oder der Köpfe dahinter spricht. Wo steckt eigentlich Jan Böhmermann, wenn man ihn braucht? Passend zum Skandal um jenen Kanalbetreiber, den er und seine Redaktion als rechtsextrem einordnen und dann enttarnt haben, ist die ZDF-Betriebsnudel in den Urlaub gefahren.
NATO-Minions
Bis neulich war Doxing, wie Menschen dazu sagen, die der deutschen Sprache mächtig sind, noch ein unglaublicher Vorgang, der Kritik erntete — jener Johannes Varwick weiß davon zu erzählen. Als Doxing bezeichnet man das Zusammentragen und anschließende Veröffentlichen personenbezogener Daten im Internet. Es kommt von der englischen Kurzform für Dokumente, „dox“. Böhmermann wurde nach seiner Enthüllung auch scharf angegangen, selbst Precht und Lanz sorgten sich in der Folge des Skandals um die Meinungsfreiheit und kritisierten den öffentlich-rechtlichen Kollegen. Aber da das Staatsmedium ZDF zur Causa schweigt, darf man wohl annehmen, dass der Vorgang doch nicht so unglaublich ist, wie mancher das meint. Vielleicht ist es ja auch richtig, dass Menschen mit Klarnamen berichten und propagieren sollten: Das gehört sicher auch zur Seriosität dazu. Nur hätten es dann gewisse Accounts schwer — was tun, wenn nicht etwa eine junge Frau ihre einseitigen und boshaften Statements absetzt, sondern jemand, der indirekt von einem Militärbündnis finanziert wird? Wie nennt man so einen Account dann? NATO-Troll? Oder NATO-Minion?
Ob das nun für Lena Berger zutrifft, ist nicht eindeutig zu sagen — zu perfekt verbirgt sie sich hinter ihrem Account. Und sie scheint von ihrer Spielwiese, der Plattform X, auch gar nicht auszubrechen.
Wer richtiges Sendungsbewusstsein hat, der holt sich noch Telegram, macht was bei YouTube, hat vielleicht sogar eine eigene Webpräsenz — aber nichts dergleichen bei Lena Berger. Sie ist zu perfekt, um wahr zu sein. Und man muss vermuten, dass sie postet, wie bestellt wird; sicher wissen kann man es freilich nicht. Vielleicht ist sie ja wirklich echt und ein „true believer“ …
Aber so zu tun, als sei das alles eine große Verschwörung, wenn man hinter etwaigen Accounts in den Netzwerken — die hierzulande sozial genannt werden, weil man sie im Englischen social nennt, was aber nicht sozial, sondern gesellschaftlich meint — mehr vermutet als jemand mit Schaum vorm Mund, ist schon ziemlich naiv. Die NATO hat längst einen Krieg um die Köpfe begonnen — einen Kognitivkrieg. Und den führt man nicht einfach nur in den Medien oder vielleicht noch auf der Universität: Es ist ein totaler Krieg, der überall hineinwirkt und an allen Orten, an denen sich viele Menschen tummeln, durch Dauerberieselung und stetiger Wiederholung wirkt. Dazu braucht man nicht nur Bots, die nicht authentisch propagieren, sondern eben auch Minions aus Fleisch und Blut. Ob nun Lena Berger so jemand ist, dies sage ich nochmal ganz deutlich: Das weiß ich nicht — das weiß keiner. Nur sie selbst. Aber solche „Dienstleister“ gibt es. Und aus diesem Grund wäre eine Pflicht zum Doxing vielleicht gar nicht so falsch. Es machte der NATO und anderen, die einen Krieg gegen die Bürger führen, das Verdummen der Massen jedenfalls dramatisch schwerer.