Du sollst töten!
Geistesgrößen wie Sigmund Freud, Albert Einstein und Hannah Arendt rangen um die Frage „Warum Krieg?“. Heutige Politiker fechten solche Zweifel nicht mehr an.
Das Kommando — die „Richtlinienkompetenz“ — in Deutschland hat gewechselt. Von dem einen Kriegstreiber und Militaristen zum nächsten. Bis vor Kurzem lag sie bei dem in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wohl farblosesten Kanzler überhaupt, „CumEx“ Olaf Scholz von der toten SPD. Deren „Todesursachen“ hatte der Publizist, langjährige Reichstags-Abgeordnete und im vorigen totalitären Deutschland hingerichtete Widerstandskämpfer Julius Leber (1891 bis 1945) bereits 1933 offengelegt (1). Nun liegt das Kommando bei Friedrich Merz von der Anti-Bergpredigt-Partei CDU mit ihrem Gebot: „Du sollst töten!“ — der „2. Wahl“- und BlackRock-Bundeskanzler (2). Mit dem Beginn seiner Amtszeit scheint die Frage erneut überreif: „Warum Krieg?“ Großen Denkern des 20. Jahrhunderts hat diese Frage schmerzliches Kopfzerbrechen bereitet, wie der Autor in seinem kulturhistorischen Rückblick dokumentiert. Es gibt kaum einen schlüssigeren Beweis für den Niedergang unseres Geisteslebens als die Tatsache, dass die Notwendigkeit von Kriegen in aktuellen Debatten fast gar nicht mehr angezweifelt wird.
Mord bleibt Mord, auch wenn man sich vorher andere Kleider anzieht.
Um ihren Aufruf „Du sollst töten!“ der sich selbst als „christlich“ bezeichnenden Parteien Deutschlands CDU und CSU richtig einordnen zu können, sollte ergänzt werden, was Kurt Tucholsky (1890 bis 1935) unter seinem Pseudonym Ignaz Wrobel schon 1925 unmissverständlich klarstellte. Dies hat der Herausgeber von Tucholskys Gesamtwerk, Michael Hepp (1949 bis 2003), in seinem Beitrag „‚Jede Zeit hat ihren Satiriker, den sie verdient‘ oder: Kurt Tucholsky und die beleidigte Reichswehr“ zu den Hintergründen des Prozesses gegen Tucholsky wegen dessen logischer Ableitung „Soldaten sind Mörder!“ als Zitat vorangestellt:
„Sie sind ermordet worden. Denn man soll sich doch ja abgewöhnen, einen Kollektivmord anders als mit den Worten des Strafgesetzbuches und der Bibel zu bezeichnen, die beide die gewaltsame Tötung eines Menschen durch den Menschen verhindern wollen. Mord bleibt Mord, auch wenn man sich vorher andere Kleider anzieht, um ihn zu verüben“ (3).
Genau dieser Frage: „Warum Krieg?“ stellten sich die beiden Pazifisten Albert Einstein (1879 bis 1955) und Sigmund Freud (1856 bis 1939) vor bereits mehr als 90 Jahren (4). Im Nachtrag zu meiner bei Manova ab dem 5. Februar 2025 veröffentlichten, vierteiligen Artikelserie „Lernziel Pazifismus“ mit dem Titel „Nie wieder gegen Russland!“ bin ich bereits auf den Briefwechsel aus dem Jahr 1932 zwischen dem Physik-Nobelpreisträger von 1921 und dem Gründer der Psychoanalyse eingegangen (5). Mit meinem aktuellen Beitrag möchte ich den Gedankenaustausch und die Tiefe des Dialogs der für die Entwicklung ihrer jeweiligen Disziplin und sogar für die Weltsicht der gesamten Menschheit wegweisenden Wissenschaftler näher ausführen.
Einstein wandte sich Anfang 1933 vom zunehmend totalitären, durch Antisemitismus und Antikommunismus bestimmten Nazideutschland ganz ab und siedelt in die USA über. Zu dem Zeitpunkt hatte unter anderem die damals schon im vorauseilenden Gehorsam geübte „Leopoldina“ („Deutsche Akademie der Naturforscher“) „den Juden“ als Mitglied aus ihren Matrikelbüchern gestrichen (6). Der zuvor in Wien praktizierende Psychiater und Autor Sigmund Freud zog 1938, unmittelbar nach dem „Anschluss Österreichs“ an das „Deutsche Reich“ ins Exil nach Großbritannien, wo er 1939 seinem sechzehn Jahre zuvor erstmals diagnostizierten Krebsleiden erlag (7).
Das Internationale Institut für geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes in Paris hatte seinerzeit deren Austausch angeregt, und Einstein eröffnete ihn mit seiner Frage an Freud: „Gibt es einen Weg, die Menschen von dem Verhängnis des Krieges zu befreien?“ Dabei führte der Physiker und Menschenrechtsaktivist zunächst seine Überlegung zu einem übergeordneten Gericht aus, das Konflikte zwischen internationalen Antagonisten lösen könnte, wenn denn dessen Autorität genügend anerkannt wäre und es seine Entscheidungen tatsächlich durchsetzen könnte.
Einem solchen Ausweg, schränkte Einstein selbst ein, stünde jedoch eine in jedem Volk vorhandene, „kleine, aber entschlossene, sozialen Erwägungen und Hemmungen unzugängliche Gruppe“ entgegen. Für diese Gruppe der Kriegstreiber und -profiteure sind, so der Sozialist, „Krieg, Waffenherstellung und -handel nichts als eine Gelegenheit (…), persönliche Vorteile zu erzielen, den persönlichen Machtbereich zu erweitern“. Und diese „Minderheit der jeweils Herrschenden hat vor allem die Schule, die Presse und meistens auch die religiösen Organisationen in ihrer Hand“. Damit „beherrscht und leitet sie die Gefühle der großen Masse und macht diese zu ihrem willenlosen Werkzeuge“ (8).
Die sogenannte Intelligenz ist besonders anfällig für Massensuggestionen
Wie aber lassen sich die Manipulationen der „Elite“, die die Völker ihrer Reichtümer berauben und sie ins Verderben führen, verhindern? Einstein setzt dabei auf die Stärkung der Persönlichkeit jedes Einzelnen. So lautet denn auch, wie er schreibt, „eine letzte Frage“ an Freud: „Gibt es eine Möglichkeit, die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, dass sie den Psychosen des Hasses und des Vernichtens widerstandsfähiger werden?“ Dies ergänzt Einstein mit dem Hinweis auf seine „Lebenserfahrungen“, wonach es „gerade die sogenannte Intelligenz (ist), welche den verhängnisvollen Massensuggestionen am leichtesten unterliegt, weil sie nicht unmittelbar aus dem Erleben zu schöpfen pflegt (… und daher) am bequemsten und vollständigsten zu erfassen ist“.
Hannah Arendt (1906 bis 1975) führt in ihrer Analyse des Totalitarismus die Anfälligkeit für Massensuggestionen und Manipulationen beziehungsweise, auf der anderen Seite, die Resilienz dagegen auf andere zentrale Charaktermerkmale der einzelnen Menschen zurück. In ihrem Essay „Was heißt persönliche Verantwortung in einer Diktatur?“ schreibt die Totalitarismusforscherin, diejenigen, die an dem „neuen Normal“ oder, wie sie es nannte, an der „sogenannten Neuordnung“ in Nazideutschland „nicht teilnahmen und von der Mehrheit als unverantwortlich bezeichnet wurden“, unterschieden sich von diesen dadurch, dass sie die Einzigen waren, „die es wagten, selber zu urteilen“ (9).
Die entscheidende „Trennungslinie zwischen denen, die urteilen, und denen, die sich kein Urteil bilden“, fährt Arendt fort, „verläuft quer zu allen sozialen Unterschieden, quer zu allen Unterschieden in Kultur und Bildung“.
Arendt folgert daraus, dass „uns der totale moralische Zusammenbruch der ehrenwerten Gesellschaft während des Hitler-Regimes lehren (kann), daß es sich bei denen, auf die unter diesen Umständen Verlaß ist, nicht um jene handelt, denen Werte lieb und teuer sind und die an moralischen Normen und Maßstäben festhalten; man weiß jetzt, daß sich all dies über Nacht ändern kann (…). Viel verläßlicher werden die Zweifler und Skeptiker sein, nicht etwa weil Skeptizismus gut und Zweifeln heilsam ist, sondern weil diese Menschen es gewohnt sind, Dinge zu überprüfen und sich ihrer eigene Meinung zu bilden“ (10).
Arendt prognostizierte einen neuen Anlauf des Totalitarismus, der dann bestrebt sein würde, die ganze Welt zu erfassen. Diesen Anlauf sehen viele — darunter auch der Autor dieses Beitrags — der von der Mehrheit als unverantwortlich bezeichneten Zweifler und Skeptiker deutlich in dem synchronisierten Corona-Putsch „von oben“, unter Regie des Finanzkapitals, wie er sich, samt der von Arendt beschriebenen verschiedenen Phasen, seit dem Jahr 2020 immer umfänglicher aufrollt (11), und zwar erneut als „Ein Staatsstreich in gesundheitlichen Gewand“. So lautet auch der Titel der kompakten Analyse von Lucía Hernándes (Erstveröffentlichung in Bogotá, Kolumbien), die der Demokratische Widerstand in seiner siebten Ausgabe am 5. Juni 2020 im Original und in deutscher Übersetzung veröffentlicht hatte. Gekennzeichnet ist dieser Putsch, so die Autorin, durch den „Abbau unserer in Jahrhunderten erkämpften Freiheiten und den Ausbau von noch mehr Überwachung und Kontrolle“ (12).
Eine prägnante Auswertung zu den Ursachen und Motiven des neuen, weltumspannenden Totalitarismus-Anlaufs bietet auch der deutsche Politikwissenschaftler und Künstler Rudolph Bauer mit seiner Veröffentlichung von 2021: „Vernunft in Quarantäne. Der Lockdown als Zivilisationsversagen“. Darin legt er dar, dass in der 2008 begonnenen Dauerkrise die Geldwirtschaft des imperialistischen Kapitalismus als Ausweg „die kriegerische Zerstörung im Außen, das heißt die territoriale Eroberung von Ressourcen und Märkten, sowie Wiederaufbaumaßnahmen im Gefolge der Zerstörungen“ verlangt.
In diesem Zusammenhang nennt der Autor Russland und China, die von der Führung der als Hegemonialmacht strauchelnden USA und ihrer NATO zu Feindbildern stilisiert werden. „Oder/und das kapitalistische System erzwingt im Inneren eine grundlegende Umwälzung der Produktionsweise. Ziel ist es, die Produktivkräfte im Sinn der industriellen Revolution des ‚Great Reset‘ (Schwab/Malleret 2020) grundlegend umzuschichten und von oben nach unten neu auszutarieren. In diesem Kontext wiederum gilt die Staatsordnung der Volksrepublik China den westlichen Eliten als Vorbild“ (13).
Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Frieden
Wobei der allein auf Gier nach Reichtum und Macht einer charakterlich verkrüppelten Minderheit, die Einstein als die Kriegstreiber identifiziert hat, gegründete Kapitalismus immer zu Hochrüstung und Kriegswirtschaft treibt. Und bei diesem Geschäft gewinnt immer die Bank. So werden auch heute in Deutschland wieder Autobahnen auf Pump gebaut beziehungsweise instand gesetzt und die Rüstung erneut von unersättlichen Profiteuren hochgetrieben — mit entsprechend hohen Dividenden für die aus Steuermitteln und Schulden staatlich alimentierten Konzernen und riesigen Zinsgewinnen für die „Hochfinanz“ —, wieder, so der Titel des Beitrags von Volker Rügemer, um „Russland zu erobern, diesmal transatlantisch“ (14).
Bejubelt wird diese „Politik“ mit ihrem alten Feindbild gerade von der sogenannten Intelligenz beziehungsweise denjenigen, die sich kein eigenes Urteil bilden und so, statt sich dem Trauma der Deutschen zu stellen, die 27 Millionen Sowjetbürger im Zweiten Weltkrieg umgebracht haben, nun in völlige Harmonie mit ihren damals mordenden Wehrmachts- und SS-Großvätern verfallen und deren Nazi-Propaganda nachplappern, wonach das „gerechte“ Morde an „bösen“ Russen waren, die mit ihrem gefährlichen Kommunismus noch immer unsere gute kapitalistische Ordnung bedrohen (15).
Der Politikwissenschaftler und Autor Ullrich Mies zitiert in seinem 2023 veröffentlichten Buch „Das 1x1 des Staatsterrors: Der neue Faschismus, der keiner sein will“ aus dem 1977 erschienenen Werk „Jenseits des Kapitalismus“ des Faschismusforschers Richard Löwenthal (1908 bis 1991, Pseudonym Paul Sering), wonach die kapitalistische Planung „ihrer Natur nach zur Rüstung und imperialistischen Expansion“ tendiert. Die monopolkapitalistischen Trusts drängen „bewusst in diese Richtung, die ihren Interessen entspricht.“ Mies komprimierte diese Erkenntnis an einer weiteren Textstelle zu: „Im Kapitalismus ist der Frieden kein Geschäftsmodell. Sein ultimatives Geschäftsmodell ist der Krieg, ein sich selbst erhaltender Kreislauf zum Schaden der Menschheit“ (16).
Diesen Sachverhalt brachte vormals auch schon der Publizist und Friedensnobelpreisträger von 1935 Carl von Ossietzky (1889 bis 1938) auf die Formel: „Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Frieden. Ich habe noch niemanden gekannt, der zur Stillung seiner Geldgier auf Frieden gesetzt hätte. Die beutegierige Canaille hat von eh und je auf Krieg gesetzt“ (17).
Die entscheidende Funktion des Faschismus liegt, so Löwenthal (Sering), „in der Verhinderung jeder selbständigen Regung, im Zurückdrängen des Klassenkampfes unter die gesellschaftliche Oberfläche, seiner Zerspitterung in zahllose winzige Einzelreibungen“. Versagt diese Funktion, so auch die Hoffnung und das Ziel des Widerstands, der Systemkritiker und Oppositionellen heute, „ist die Krise des Systems gegeben“ (18).
Den fulminanten „Fehlstart“ der Bundesrepublik und ihre weitere Fehlentwicklung haben seinerzeit Denkerinnen und Denker wie Karl Jaspers (1883 bis 1969), Hannah Arendt und Rudi Dutschke (1940 bis 1979) klar und kritisch analysiert, um Bewusstsein und damit Wandel für soziale Gerechtigkeit, Emanzipation und Frieden zu schaffen (19). Doch noch immer herrscht Kontinuität und „braunes Erbe“ in Deutschland, wie es unter anderem der Journalist Davis de Jong mit seiner 2022 veröffentlichten Dokumentation „Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmensdynastien“ und der Historiker Ludwig Elm mit seinem 2020 publizierten Titel „Adenauer und die Gründung der BRD — ein Glücksfall für NS-Täter, die deutsche Rechte und die NATO“, nachgewiesen haben (20).
Und so rufen heute wieder junge Autorinnen und Autoren zum nötigen Umsturz, den, wie sie es nennen, Turnaround des Systems, im „ungerechtesten Land der Welt“ (vergleiche Günter Rexilius) auf, weil im „de facto vom amerikanischen Militär besetzt(en)“ Deutschland (David Graeber) mit seiner seit Jahrzehnten „neoliberalen“ Politik, im Kanon mit der EU und dem vor allem US-amerikanischen Großkapital, in sämtlichen wichtigen Politikfeldern vollständig gescheitert ist (21).
Und diese Analyse schrieb und veröffentlichte das Autorenteam des Jugendrates der Generationen Stiftung sogar noch vor der weiteren Zuspitzung der Umverteilung von gesellschaftlich geschaffenen Reichtum — in Billionen-Dollar-Höhe — und politischer Macht von unten nach oben durch den Corona-Putsch und durch Kriegsbeteiligungen wie den in der Ukraine, um wieder einmal „Russland zu ruinieren“ (22).
Erzeugt wird eine ständige Atmosphäre der Furcht und Verzweiflung
Andere haben resigniert oder empfehlen, wie, so der Klappentext, die französische „Politologin, Volkswirtin und geschulte Psychoanalytikerin“ Corinne Maier mit ihrem Buch „Die Entdeckung der Faulheit — Von der Kunst, bei der Arbeit möglichst wenig zu tun“, mit sparsamstem persönlichen Einsatz mitzuschwimmen, um sich im Job von Konzernen oder öffentlichen Verwaltungen „aushalten zu lassen“. Das Glück im Privaten und die lustvolle Freizeitgestaltung stehen dann im Vordergrund (23).
Den Grund für Resignation und Abkehr vom Politischen von vielen liegt darin, dass sich, so die Analyse des US-amerikanischer Anthropologen David Graeber (1961 bis 2020), zuletzt Professor an der London School of Economics, „seit den Erhebungen der Sechziger- und Siebzigerjahre (…) die Regenten unserer Welt (sehr) bemühen, den Menschen jede Hoffnung zu rauben, dass soziale Bewegungen durchaus gedeihen und überzeugende Alternativen hervorbringen könnten. Sie wollen unbedingt verhindern, dass der Eindruck entsteht, an den bestehenden Machtverhältnissen könne tatsächlich etwas geändert werden.“
Um das zu erreichen, so der Mitinitiator der „Occupy Wall Street“-Bewegung, „bedarf es eines riesigen Apparats von Armeen, Gefängnissen, Polizeieinheiten, verschiedensten privaten Sicherheitsfirmen und zivilen und militärischen Nachrichtendiensten sowie vielfältiger Propagandamaschinen, welche die Alternativen zumeist nicht direkt angreifen, sondern eine ständige Atmosphäre der Furcht, des chauvinistischen Konformismus und der Verzweiflung erzeugen, in der jeder Gedanke an eine andere Welt wie ein nutzloses Hirngespenst wirkt“. Graeber folgert daraus, dass „den Verfechtern des freien Markts (…) diesen Überwachungs- und Sicherheitsapparat zu erhalten“ wichtiger zu sein scheint „als die Aufgabe, eine funktionsfähige Marktwirtschaft aufrechtzuerhalten“ (24).
Durch die Gehorsamkeitskonditionierung während der Plandemie ist, so Mies, den „Geofaschisten“ vorerst die Zerspitterung in großen Teilen der Gesellschaft gelungen.
So spricht tiefe Enttäuschung aus seiner Beschreibung des Zustands der sogenannten Linken. Denn diese, so der Autor, krochen unter „den vermeintlichen Schutzschirm des Kapitalstaates (… und ließen) sich ihrer ureigenen kritischen Positionen gegenüber politischen und ökonomischen Machtverhältnissen — den bürgerlichen Staat — selbstverschuldet beraubten. Ihrem eigenen staatsautoritären Charakter treu bleibend“, fährt Mies fort, „schluckte diese Scheinlinke den Propagandaköder, den die internationale Kapital-, Pharma- und Medienmafia in enger Umarmung mit dem kapitalistischen Staat ausgeworfen hatten.“
Entsetzt, aber kaum noch überrascht, zeigt sich der Autor auch über die restlose Streichung der heutigen SPD sämtlicher ihrer früherer Gründungsansprüche: „Die Sozialdemokratie ist sich als Verräterpartei à la Gustav Noske und Kriegsanleihen anno 1914 treu geblieben“, folgert Mies. „Mit ihrer 100.000.000.000-Euro-Kriegsanleihe macht sie sich als US-Anhängsel zum nützlichen Idioten der Globalfaschisten im geopolitischen Ringen um die Weltherrschaft“ (25).
Inzwischen sind aus diesen 100.000.000.000 Euro durch trickreiche Umgehung der parlamentarischen Gepflogenheiten und durch Aushebeln des Grundgesetzes in ihrer neuen Regierungskoalition unter dem „2. Wahl und BlackRock“-Kanzler Friedrich Merz und ganz nach den Vorgaben des neuen Hegemons aus den USA sogar mindestens 1.000.000.000.000 Euro für den „Autobahn-Bau“, für die Hochrüstung und für den Tribut an „America First“ geworden (26).
Die Lethargie der deutschen Linksparteien
Die desillusionierende Bewertung der deutschen Linken durch einen hellsichtigen Chronisten ist allerdings nicht neu. Carl von Ossietzky, der wegen angeblichen militärischen Geheimnisverrats 1932 eine Haftstrafe antrat, hatte in seiner „Rechenschaft. Ich muß sitzen!“, die von der Weltbühne am 10. Mai 1932 veröffentlicht wurde, eine vergleichbare Einschätzung über die vermeintlich politisch bewusste Gruppe vor mehr als 90 Jahren bereits vorweggenommen.
„Im Laufe der letzten Jahre haben die bürgerlichen Gewalten in zunehmenden Maße mit den Militärs teilen müssen, und sie sind dabei zunehmend geschrumpft. Das ist auch in anderen Ländern schon vorgekommen, aber einzigartig ist die Lethargie, mit der die deutschen Linksparteien das hinnehmen. Wenn sich morgen eine Offiziersjunta alleindiktierend aufmachte, so würden gewiß viele brave Liberale und Sozialisten den Nachweis beginnen, aus welchem Grunde dies das kleinere Übel ist“ (27).
Dem Chefredakteur und Herausgeber wurde unmittelbar nach „Hitlers Machtergreifung“ verboten, zu publizieren. Sein letzter Beitrag erschien am 28. Februar 1933. Die Weltbühne durfte nicht mehr veröffentlicht werden. Im Zuge des fingierten, staatsterroristischen Reichstagsbrands „begründeten“ die faschistischen Machthaber die vorbereitete und anschließend systematisch durchgeführte Verfolgung Oppositioneller, darunter, oben auf ihrer Liste, von Ossietzky. Zugleich wurden infolge dieses Anschlages, der als schwerste Bedrohung der politischen Ordnung stilisiert wurde, allen Deutschen ihre verfassungsmäßig verbürgten Freiheitsrechte genommen, „legal“, per Verordnung und Gesetz, die sie im totalitären Deutschland, dem zwölf Jahre währenden „tausendjährigen Reich“, nie mehr zurückerhielten (28).
1936 wurde von Ossietzky der Friedensnobelpreis (von 1935) zugesprochen. Das Terror-Regime ließ den inhaftierten Preisträger aber nicht nach Norwegen reisen, wo er die Auszeichnung persönlich entgegengenommen hätte. Er starb 1938 an den Folgen der in seiner KZ-Gefangenschaft erlittenen Folterungen und Torturen. Für seine Freilassung und für die Vergabe des Friedensnobelpreises an den Pazifisten hatten sich zuvor viele Diplomaten, Politiker und Intellektuelle aus dem Ausland, darunter die Exilanten Thomas und Heinrich Mann, Kurt Tucholsky, Karl Barth sowie Albert Einstein und Sigmund Freund, eingesetzt (29).
Der Friedensnobelpreis für von Ossietzky war ein Sieg über die Barbarei
„Daß sich so viele Europäer, auch Amerikaner, mit Rang und Namen zugunsten eines verfolgten deutschen Demokraten und Antimilitaristen engagierten, war ein Quell der Hoffnung in sehr schwerer Zeit“, führte Willy Brandt (1913 bis 1992) in seinem während der „Ossietzky-Tage zum 50. Todestag“ im Mai 1988 an der Universität Oldenburg gehaltenen Vortrag zu der Nobelpreis-Kampagne für den in Nazideutschland gefangen gehaltenen Publizisten aus. Der frühere Bundeskanzler (1969 bis 1974), der nach von Ossietzky der nächste und seither einzige Deutsche war, der mit dem Friedensnobelpreis — für seine Entspannungspolitik mit der Sowjetunion — geehrt wurde, erinnert daran, dass er diesen Einsatz von Beginn an vor allem als „Friedenspreiskampagne gegen Hitler“ gesehen hatte. Darauf habe er auch bei seiner eigenen Nobelpreisrede 1971 hingewiesen, als er die Ehrung Ossietzkys, fünfunddreißig Jahre zuvor, als „Sieg über die Barbarei“ bezeichnet hatte.
„Als ich“, so Brandt, „mit dem Vorlauf zur Ossietzky-Kampagne zu tun bekam, war ich ein gerade zwanzigjähriger Journalist und Student. (…) Oslo war mein Wohnort, wenn ich auch nicht immer dort war; als abschließend über den Preis entschieden wurde, war ich in Berlin — ‚illegal‘, wie auch unsereins es sinnwidrig nannte. Jedenfalls: Ich kannte das politische und intellektuelle Milieu, die Presselandschaft, die formalen Gegebenheiten; auch hatte ich Zugang zu mindestens zwei der fünf Komiteemitglieder, von denen allein die Entscheidung abhing.“ Getarnt als norwegischer Student, konnte Brandt sich in Berlin „von der Wut überzeugen, mit der man die gelenkten Reaktionen auf den herausfordernden Osloer Entscheid reagieren ließ — bis hin zur lächerlichen Verfügung, derzufolge ein Deutscher nie mehr einen Nobelpreis hätte annehmen dürfen.“
Und so schließt der frühere Friedensnobelpreiträger mit einer Empfehlung, nach der ähnlich und in jedem Fall am Ende erfolgreich auch schon die Kampagne um die Befreiung des Ossietzky-„Nachfolgers“, Julian Assange, verlief und die auch zur Abwehr des neuen Totalitarismus berücksichtigt werden sollte: „Ich meine“, so Brandt, „aus der Methodik der Ossietzky-Kampagne ließe sich auch mancher Nutzen für aktuelle Auseinandersetzungen ableiten, die das Ringen um Menschenrechte zum Gegenstand haben. Nicht auf lautstarke Selbstdarstellung kommt es dabei an, sondern auf gezielte, möglichst konkrete Hilfe — nicht auf gruppenegoistische Sonderinteressen, sondern auf breite, möglichst intelligente Bündnisse gegen die Herausforderer von elementarer Menschlichkeit und simplem Rechtsanspruch“ (30).
Diese „Zeitreise“ mit ihrem Blick auf den ersten Totalitarismus führt nun wieder zurück auf den Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud und ihrer Fragestellung: „Warum Krieg?“
Freud erwidert Einstein, indem er zunächst eine Begriffsdefinition vornimmt, denn, wie er schreibt, möchte er den eingangs von seinem Dialogpartner eingebrachten Begriff der „Macht“ — im Verhältnis zum Recht — „durch das grellere, härtere Wort ‚Gewalt‘ ersetzen“. Daraus abstrahiert er, dass „Interessenkonflikte unter den Menschen (…) prinzipiell durch die Anwendung von Gewalt entschieden“ werden. Doch bald entschied bei einem gewaltsam ausgetragenen Konflikt nicht mehr die Muskelkraft, so Freud, „sondern der Gebrauch der Werkzeuge: wer die besseren Waffen hat oder sie geschickter verwendet“ und damit „die geistige Überlegenheit“.
Dabei hätte das Töten des Gegners für den Überlegenen zwei Vorteile: Der Getötete kann seine Gegnerschaft nicht noch einmal aufnehmen und weiter, „dass sein Schicksal andere abschreckt, seinem Beispiel zu folgen“. Außerdem würde durch „die Tötung des Feindes eine triebhafte Neigung“ befriedigt.
Der Weg „von der Gewalt führt zum Recht“, wenn „die größere Stärke des Einen wettgemacht werden konnte, durch die Vereinigung mehrerer Schwachen“. Das Recht ist somit „die Macht einer Gemeinschaft“. „In der Anerkennung einer solchen Interessengemeinschaft stellen sich unter den Mitgliedern einer geeinigten Menschengruppe Gefühlsbindungen her, Gemeinschaftsgefühle, in denen ihre eigentliche Stärke beruht.“
Der Bolschewismus verspricht die Überwindung von Kriegen
Solange die Gemeinschaft nur aus einer Anzahl gleich starker Individuen besteht, sind die Verhältnisse einfach. „Aber ein solcher Ruhestand ist nur theoretisch denkbar“, schreibt Freud. Hingegen wird in der Gemeinschaft, die in Ungleichheit verfällt, „das Recht (…) zum Ausdruck der ungleichen Machtverhältnisse in ihrer Mitte, die Gesetze werden von und für die Herrschenden gemacht werden und den Unterworfenen wenig Rechte einräumen.“
Da die herrschende Klasse getrieben ist durch ihre grenzenlose Gier nach Reichtum und Macht, ist sie, wie Freud schreibt, nicht bereit, den nötigen „Änderungen Rechnung zu tragen“. So kommt es „zu Auflehnung, Bürgerkrieg, also zur zeitweisen Aufhebung des Rechts und zu neuen Gewaltproben“.
Was hingegen „eine Gemeinschaft zusammenhält, sind zwei Dinge“, fährt der Begründer der Psychoanalyse fort, „der Zwang der Gewalt und die Gefühlsbindungen — Identifizierungen heißt man sie technisch — der Mitglieder.“ Das führt Freud zu seinem Exkurs, dass es „Personen gibt, die vorhersagen, erst das allgemeine Durchdringen der bolschewistischen Denkungsart werde den Kriegen ein Ende machen können, aber“, schränkte er seinerzeit noch ein, „von solchem Ziel sind wir heute jedenfalls weit entfernt, und vielleicht wäre es nur nach schrecklichen Bürgerkriegen erreichbar.“
Freud wendet sich schließlich der Impulsfrage Einsteins zu, wonach „Sie sich darüber verwundern, dass es so leicht ist, die Menschen für den Krieg zu begeistern, und vermuten, dass etwas in ihnen wirksam ist, ein Trieb zum Hassen und Vernichten, der solcher Verhetzung entgegenkommt“. Zur näheren Erklärung fasst der Psychiater deshalb die Grundzüge der Trieblehre zusammen, zu der, so Freud, die „Psychoanalyse nach vielem Tasten und Schwanken gekommen“ ist. Diese geht von zweierlei Trieben der Menschen aus: „Entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen — wir heißen sie erotische, ganz im Sinne des Eros im Symposium Platons, oder sexuelle mit bewusster Überdehnung des populären Begriffs von Sexualität — und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen diese als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen.“
Beide Triebe „legieren“, und ihr Zusammenwirkung ist in unterschiedlicher Ausprägung und Dominanz sogar notwendig für das (Über-)Leben. So würde beispielsweise der „auf Objekte gerichtete Liebestrieb eines Zusatzes vom Bemächtigungstrieb“ bedürfen, um überhaupt Erfüllung finden zu können. „Ganz selten ist die Handlung das Werk einer einzigen Triebregung.“
Der menschlichen Aggression den Eros als Gegenspieler zur Seite stellen
Dabei soll es, führt er an, „in glücklichen Gegenden der Erde, wo die Natur alles, was der Mensch braucht, überreichlich zur Verfügung stellt, Volksstämme geben, deren Leben in Sanftmut verläuft, bei denen Zwang und Aggression unbekannt sind“. Gerne möchte er „mehr über diese Glücklichen erfahren. Auch die Bolschewisten hoffen,“ so Freud, „dass sie die menschliche Aggression zum Verschwinden bringen können dadurch, dass sie die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse verbürgen und sonst Gleichheit unter den Teilnehmern an der Gemeinschaft herstellen.“
Nach dem Gründer der Psychoanalyse ginge es „nicht darum, die menschliche Aggressionsneigung völlig zu beseitigen; man kann (aber) versuchen, sie so weit abzulenken, dass sie nicht ihren Ausdruck im Kriege finden muss“. Und: „Wenn die Bereitwilligkeit zum Krieg ein Ausfluss des Destruktionstriebs ist, so liegt es nahe, gegen sie den Gegenspieler dieses Triebes, den Eros, anzurufen. Alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstellt, muss dem Krieg entgegenwirken. (…) Alles, was bedeutsame Gemeinsamkeiten unter den Menschen herstellt, ruft solche Gemeingefühle, Identifizierungen hervor. Auf ihnen ruht zum guten Teil der Aufbau der menschlichen Gesellschaft.“
Krieg hingegen, stellt Freud klar, bedeute, hoffnungsvolle Menschenleben zu vernichten. Den einzelnen Menschen bringt er in Lagen, „die ihn entwürdigen, ihn zwingen, andere zu morden, was er nicht will, kostbare materielle Werte, Ergebnis von Menschenarbeit, zerstört und anderes mehr“.
Mit der Vervollkommnung der Zerstörungsmittel ist auch das alte heldische Ideal absolet. Stattdessen könnten sich die Gegner zukünftiger Kriege gegenseitig komplett ausrotten. So könne „man sich nur verwundern, wenn das Kriegführen noch nicht durch allgemeine menschliche Übereinkunft verworfen worden ist“.
Warum das bisher noch nicht geschah — und sich offenbar nicht alle in gleicher Weise über den Krieg empörten —, erklärt Freud damit, „dass wir nicht anders können. Wir sind Pazifisten!“ Viele andere waren 1932 — und sind es selbst heute, im Jahr 2025 — noch immer nicht.
Freud sieht den Pazifismus auch als Ergebnis der Kulturentwicklung: „Von den psychologischen Charakteren der Kultur scheinen zwei die wichtigsten zu sein: die Erstarkung des Intellekts, der das Triebleben zu beherrschen beginnt, und die Verinnerlichung der Aggressionsneigung mit all ihren vorteilhaften und gefährlichen Folgen. Den psychischen Einstellungen, die uns der Kulturprozess aufnötigt, widerspricht nun der Krieg in grellster Weise, darum müssen wir uns gegen ihn empören, wir vertragen ihn einfach nicht mehr, es ist nicht bloß eine intellektuelle und affektive Ablehnung, es ist, bei uns Pazifisten, eine konstitutionelle Intoleranz, eine Idiosynkrasie gleichsam in äußerster Vergrößerung.“ Und bei diesem extremen Widerwillen, so Freud, „scheint es, dass die ästhetischen Erniedrigungen des Krieges nicht viel weniger Anteil an unserer Auflehnung haben als seine Grausamkeiten“.
Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg
Das führt Freud zu der von Einstein gestellten Frage: „Wie lange müssen wir nun warten, bis auch die anderen Pazifisten werden?“ Vielleicht, so meint der Psychoanalytiker, „ist es keine utopische Hoffnung, dass der Einfluss dieser beiden Momente, der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskriegs, dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen“. Wir dürfen daher sagen: „Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.“