Ein Akt der Vernunft
Der Ausruf „Afuera“, mit dem Javier Milei dem staatlichen Wasserkopf seines Landes den Kampf erklärte, ist weder Spinnerei noch Ausdruck rechter Staatsverachtung.
Der argentinische Präsident Javier Milei polarisiert. Wobei — wer tut das heute nicht? Polarisierung ist Zeitgeist, und jeder, der an die Öffentlichkeit drängt oder in sie gespült wird, wird augenblicklich taxiert, eingenordet und eingeordnet. Wenn dieser Vorgang abgeschlossen ist, hat sich der Rezipient längst entschieden, wie er sich zu der verhandelten Persönlichkeit verhält. Bei Milei war es recht simpel: Der Mann will den Staat zurückbauen; dass das liberal ist, libertär, um genauer zu sein, war sofort klar. Aber der deutsche Mainstream handelte den Argentinier als rechts. Darunter macht man es hierzulande ohnehin nicht mehr.
Sicher, Milei trat als Vulgärlibertärer auf, was ihn andererseits auch zu einem neuen Säulenheiligen liberaler Quälgeister im Lande werden ließ. Seine Kettensäge fasziniert manchen; sie stand im Laufe des Jahres 2023, als er seinen Wahlkampf betrieb, symbolisch für seinen Eifer, den Staat zurechtzustutzen.
Und ein schwacher Staat, so munkelt es die Linke in Deutschland seit vielen Jahren, sei immer auch ein Angriff auf die kleinen Leute. Da ist ganz sicher etwas dran, das kann man nicht leugnen, nur trieb diesen Javier Milei auch eine Stinkwut auf den Nepotismus, den Klientelismus und den Filz an, die sich in Argentinien verfestigt haben. Besonders die peronistische Politikerklasse hat sich das südamerikanische Land zur Beute gemacht. Diese Strukturen aufzubrechen, die Profiteure vor die Tür zu setzen und dem Volk nicht die Kosten für deren Mitnahmementalität aufzubürden: Das soll falsch sein? Oder gar rechts?
1,2 Milliarden und die große Unbekannte
Natürlich ging mal wieder die Angst vor einem Gespenst in Deutschland um. Was, wenn das Schule macht und jemand formiert hierzulande eine Bewegung, die sich in den Fußstapfen jenes argentinischen Präsidenten wähnt? Die Medien skizzierten den Mann unumwunden als Verrückten, als rechtsoffenen Spinner, der erst keine Chance auf die Wahl und damit auf die Ernennung zum Präsidenten haben sollte — der dann aber, als deutlich wurde, dass man ihm zu rechnen sein wird, als verwegener Vabanque-Spieler in der veröffentlichten Meinung Deutschlands vorkam.
Nun sorgte man sich wegen politischer Nachahmer. Denn verkrustete Strukturen, ein völlig explodierender Politik- und Parteienapparat kosten den Steuerzahler horrende Summen — das aufs Tapet zu bringen, zu beanstanden und auch eine Zurücknahme zu fordern, unterliegt keiner rechten oder linken Agenda, sondern muss als Akt von Vernunft angesehen werden.
Und ja, es geht auch um Gerechtigkeit. Denn dass Demokratie — entschuldigen Sie, gemeint sind hier natürlich demokratische Grundstrukturen, Demokratie ist das aber noch lange keine — nicht für Discounterpreise zu haben ist, ist nachvollziehbar. Sie ist kein Schnäppchen. Dass aus diesem Grundgedanken aber ein Parallelkosmos entstehen konnte, der immer mehr Steuergelder verschlingt und der einen ganzen Stand von Mandataren zu einem gewissen Vermögen verhalf — so ist das nicht vorgesehen; die Geldleistungen sind dabei nur ein Faktor, der ganze Betrieb vertilgt mittlerweile schwindelerregende Summen.
Der Etat des Deutschen Bundestages lässt sich beziffern: 1,2 Milliarden Euro müssen hierfür von den Steuergeldern der Bürger aufgebracht werden, und zwar Jahr für Jahr. Darin enthalten sind etliche Posten: Angefangen von den Diäten und Zuschüssen der Abgeordneten bis zu den Verwaltungskosten summiert sich der Kostenaufwand für das Parlament beträchtlich.
1,2 Milliarden — das betrifft nur den Bundestag, die 16 Landesparlamente sind dort nicht eingerechnet. Über deren Kosten findet man kaum zusammenfassende Zahlen, die Ausgaben der Landtage und Senate gelangen aufgesplittet in verschiedene Posten an die Öffentlichkeit.
Ebenfalls nicht in dieser Summe: die Aufwendungen aus Steuermitteln für die Parteien- und Parteistiftungsfinanzierung, die Kosten für den Bundesrat und für das Bundespräsidialamt. Man kann diesen Kostenkomplex vollumfänglich nur schätzen. Vielleicht hilft dabei folgende Zahl: Insgesamt gibt es im Augenblick 2.521 Abgeordnete und Delegierte in den parlamentarischen Vertretungen in Bund und Ländern. Auf etwa 25.000 Wahlberechtigte kommt also ein Parlamentarier hierzulande.
Anders formuliert: In Deutschland kommt eine Kleinstadt für einen Volksvertreter auf, der im mittleren sechsstelligen Bereich aus Steuermitteln entschädigt werden muss. Nicht eingerechnet: die ehemaligen Volksvertreter, die Pensionen beziehen oder sogar noch Büroräume auf Steuerzahlerkosten unterhalten.
Nicht der Staat wächst — die Politik tut es
Das ist für eine Kleinstadt, zumal in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation und Rückentwicklung, keine Kleinigkeit. Auch wenn die Europäische Union (EU) einen schlechten Vergleich darstellt, weil deren Parlament noch weniger Partizipation und Kompetenzen besitzt als die bundesdeutsche Ausgabe, so dokumentiert der folgende Vergleich doch eindringlich die Schieflage, in der sich Deutschland und sein politisches Paralleluniversum befinden: Während 2.521 Abgeordnete ein Volk von etwa 60,5 Millionen Wahlberechtigten vertreten sollten, hat das EU-Parlament lediglich 720 Abgeordnete vorzuweisen, die aber für etwa 420 Millionen Unionsbürger arbeiten sollen.
Deutschland hat das zweitgrößte Parlament der Welt vorzuweisen, nur China, jenes Land mit über 1,4 Milliarden Einwohnern, hat eine noch größere Vertretung: Dort sind es 2.980 Abgeordnete. Interessant ist hierbei, dass Deutschland zwischen China, Nordkorea und Indonesien unter den ersten vier Nationen zu finden ist: Man befindet sich also in der Gesellschaft von Ländern, die in der deutschen Öffentlichkeit oft schlecht wegkommen, wenn es um deren demokratische Substanz geht.
Die Parteienfinanzierung nimmt sich neben der horrenden Summe, die der Bundestag im Jahr verschlingt, fast schon bescheiden aus: Sie stieg dieses Jahr um 2,8 Prozent auf knapp 225,4 Millionen Euro, die die Parteien unter sich aufteilen dürfen. Auch parteinahe Stiftungen werden aus Steuermitteln finanziert. Im Jahr 2024 wurden hierfür mehr als 687 Millionen Euro aufgebracht. Der Bundesrat ist hingegen ein regelrechtes Sonderangebot: Er ist schon für knapp 40 Millionen Euro im Jahr zu haben. Das Bundespräsidialamt reiht sich da ein: Ein bisschen mehr als 47 Millionen Euro jährlich muss der Steuerzahler für den obersten Mann im Lande bezahlen.
Noch gar nicht beachtet wurden hierbei die personellen Aufstockungen in den Ministerien, in denen nun mehr Beamten und Staatssekretäre einer Arbeit nachgehen als noch Jahre zuvor. Die Ampelkoalition hat um die 10.000 Stellen geschaffen, und obgleich Friedrich Merz versprach, den Apparat auszudünnen, hat auch seine Administration eilends 200 neue Stellen besetzt.
Die Politikblase wächst und wächst, sie schafft sich ständig neue Bedürfnisse, die sie erfüllt wissen will. Nicht ganz korrekt ist es vielleicht, noch einen Posten hinzuzunehmen: die Finanzierung sogenannter Nichtregierungsorganisationen, die man getrost als Vorzimmer zur richtigen Politik betrachten könnte.
Im kommenden Jahr sollen hierfür Steuermittel in Höhe von 191 Millionen Euro aufgebracht werden; in diesem Jahr waren es noch 182 Millionen Euro gewesen.
Afuera!
Reichen eigentlich drei Milliarden Euro aus, um diesen gesamten Komplex und seine Unterhaltskosten zu erfassen? Vermutlich ist das eine stark konservative Rechnung, die noch nicht alles erfasst hat. Deutlich wird aber in jedem Fall, dass sich da eine Struktur parallel zur realen Welt der Bürger etabliert hat, in der man Posten und Ämter erschuf, die der politischen Klasse ein einträgliches Leben erlauben. Die Bundesrepublik hat der Ukraine in den letzten Jahren 44 Milliarden Euro zukommen lassen, teils auch in Form von Sachwerten. Damit gab man Mittel aus der Hand, die dazu geeignet waren, den völlig aufgeblasenen Politapparat in Deutschland zu unterhalten, und zwar für zehn, vielleicht gar zwölf Jahre.
Natürlich war in Berlin schnell klar, dass man jenen Javier Milei umgehend öffentlich ächten sollte. Natürlich würden auch die Bürger erkennen, dass seine vollumfängliche politische Agenda gelinde gesagt kurios ist, aber ein Punkt könnte auch kritische Rezipienten näher an Milei heranrücken lassen, und zwar das Herzstück seiner Agenda: den Filz aufzuweichen und radikal vorzugehen gegen die Aufblähung von Verwaltung und Politik. Und das konnte der Politik und der an ihr klebenden Medienszene der deutschen Bundeshauptstadt selbstverständlich nicht gefallen. Hier ging einer etwas an, was den Bürgern aus dem Herzen spricht: einen derart aufgeblähten politischen Apparat zurechtzustutzen, der zu einem Ärgernis für eine Öffentlichkeit wird, welche zugleich auch noch erklärt bekommt, dass zukünftig schwere Jahre zu ertragen seien.
Ob man nun Mileis politische Agenda teilt oder nicht: Dieser eine Punkt ist für die meisten Bürger ein gemeinsamer Nenner. Sie spüren instinktiv, dass sie für eine Veranstaltung bezahlen, die sich immer mehr von ihnen entfernt, aber gleichzeitig immer mehr von ihnen möchte.
Afuera! Was so viel heißt wie: Hinaus! Das ist die Parole, die man auch unterschreiben kann, wenn man kein Libertärer ist, sondern leidgeplagter Bürger, der nun seit Jahren dabei zusieht, wie sich die politische Klasse ein Feld schuf, in dem sie Sicherheiten erfährt, während sie ihm immer mehr abhandenkommen. Der Bürger weiß nämlich nicht, ob sein Unternehmen die Wirtschaftskrise überlebt, von der keiner spricht, die aber jeder kennt und die verschleiert wird durch Sendeformate wie jenes unsägliche, peinliche und propagandistische „Die 100“, während „sein“ Abgeordneter sicher sein kann, dass es steuerfinanzierte Anschlussverwendungen für ihn gibt, so er nicht in die freie Wirtschaft kooptiert wird.
Diese künstliche Matrix, die sich die politische Klasse erschaffen hat, muss aufgelöst werden. Denn sie ist ein Selbstzweck geworden, ein gefräßiger Koloss, der immer mehr verschlingen möchte und der sich immer neue Wachstumsfelder ersinnt. Würde das Leben der Bürger durch diese Gefräßigkeit besser, so könnte man ja drüber hinwegsehen. Doch das Gegenteil ist der Fall, die Bürger dieses Landes sind unzufrieden und fürchten sich vor der Zukunft. Daher spräche alles für einen Abbau, für ein „Afuera!“. Aber wer soll es umsetzen? Ein Berufspolitiker etwa? Im Grunde wäre das die Aufgabe für eine Linke, die diesen Namen verdient …