Ein Grund zu töten

Wer als Zivilist im Gazastreifen stirbt, ist in den Augen so mancher deutscher Medienvertreter nicht einfach unschuldig, sondern kollektiv mitverantwortlich für die Taten der Hamas.

In Deutschland gibt es die „Jüdische Allgemeine“. Als dezidiert jüdische Stimme ist sie wichtig. Sie findet Gehör, wird politisch und finanziell stark unterstützt und sehr prominent in den Leitmedien zitiert. Darüber hinaus gibt es das Onlineportal „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Sie erfährt das genaue Gegenteil. Ihre Mitglieder werden bei passender Gelegenheit festgenommen und müssen sich mit Strafanzeigen herumschlagen. Man sperrt das Vereinskonto, um sie finanziell auszutrocknen, und sie erfahren tagtäglich eine Welle der Denunziation, die sie mundtot machen soll. Geht es hierbei ums Jüdischsein? Diese einfache Gegenüberstellung sollte ausreichen, um zu erklären, dass das nicht der Fall ist. Es geht vielmehr um sehr unterschiedliche politische Standpunkte, die hier mit diesen beiden Projekten aufeinanderstoßen. Die Jüdische Allgemeine und ihre eloquenten Rechtfertigungen für Genozid und Kriegsverbrechen, für Besatzung und Annexion ist die Sänfte all derer, die im Namen des Holocaust gerne Krieg führen — wie den Jugoslawienkrieg 1999 — und den Genozid in Gaza für eine antisemitische Erscheinung halten. Sie streichelt das Gewissen derer, die sich immer „schwertun“.

Im Vernichtungskrieg in Gaza sind die Ermordeten entweder Hamas-Mitglieder oder … nicht unschuldig.

Der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen Philipp Peyman Engel ist entsetzt, nicht über die Mordserie, über die 200 Journalisten, die in knapp zwei Jahren in Gaza ums Leben gebracht wurden, sondern über die Vorwürfe, die gegen diese israelische Mordpraxis erhoben werden. Dass auch die deutsche Bundesregierung vorsichtig bis windelweich die Berechtigung, Journalisten zu ermorden, infrage stellt, bringt den Chefredakteur aus dem Häuschen.

Denn er weiß genau, dass er dem Kriegskabinett von Benjamin Netanjahu, der Pressestelle der israelischen Armee (IDF) und dem israelischen Geheimdienst voll vertrauen kann. Sie haben zwar zusammen mehr Lügen verbreitet als das Alphabet Buchstaben hat, aber das ficht ihn nicht an.

Für ihn ist der in Gaza und in der arabischen Welt bekannte Journalist Anas al-Sharif ein Hamas-Kämpfer, der als „Nebenjob“ für Al-Jazeera aus Gaza berichtet (hat).

Als Beweis wird ein Foto mit einem Hamas-Führer angeführt und ein Mitgliedsausweis. Lassen wir das mit dem Mitgliedsausweis beiseite, den der israelische Geheimdienst besser fälschen, als Hamas ihn ausstellen kann.

Bemerkenswert an dem Kommentar des Chefredakteurs ist, dass die anderen Ermordeten in dem Zelt keine Zeile, nicht einmal ein Wort wert sind. Ist das militärischer „Beifang“? Allein dies qualifiziert diesen Chefredakteur am aller wenigstens dazu, etwas „gerecht“ zu finden.

Kommen wir zum Eingemachten: Wer entscheidet darüber, wer ein echter Journalist ist? Wer entscheidet, wer ein Terrorist ist?

Selbstverständlich der gesuchte Kriegsverbrecher Netanjahu und sein deutscher Komplize Friedrich Merz, der breitbeinig erklärte, dass man Netanjahu in den Arm nehmen und dafür „Mittel und Wege“ finden werde. Also ein Kriegsverbrecher-Ring, der tatsächlich darüber entscheiden will, wer in Gaza gegen die israelische Besatzung kämpfen darf und welcher „Glaube“ dabei erlaubt ist.

Alleine diese imperiale Anmaßung ist den Terrorfreunden in Fleisch in Blut übergangen. Denn nicht das Kriegskabinett Netanjahus entscheidet darüber, wer und wie gegen die Besatzung gekämpft werden darf, sondern ausschließlich jene, die unter der Besatzung leiden und das UN-verbriefte Recht haben, diese zu bekämpfen — auch bewaffnet.

Kommen wir zu einem anderen Grund, jemanden zu ermorden. Im Aufmacher des Chefredakteurs ist ganz groß das Foto von Anas al-Sharif und dem ermordeten Hamas-Chef Yayha Sinwar zu sehen — mit der Unterschrift versehen:

„Der Journalist Anwar al-Sharif lässt sich vom mittlerweile getöteten Hamas-Chef Yayha Sinwar in den Arm nehmen.“

Sein journalistisches Todesurteil lautet:

„Die Beweise sind erdrückend. Trotzdem wird so getan, als würde Israel, ohne jeglichen Grund, unschuldige Menschen hinrichten.“

Apropos Journalismus als Tarnung

Wenn wir schon einmal bei „de… investigativen“ Enttarnungen sind, wäre doch die vollumfängliche Frage, die sich dem anschließen würde und müsste, die folgende:

Wie viele (Chef-)Redakteure und Journalisten, die für Medienkonzerne tätig sind, sind eigentlich Mitarbeiter des BND oder anderer „fremder Mächte“, die den Beruf des Journalismus vor allem als Tarnung benutzen?

Da auch die Jüdische Allgemeine ganz sicher an einem transparenten Umgang mit diesem Thema interessiert ist, möchte ich ein paar Hinweise geben, die sich auch im eigenen Umfeld verifizieren und vor allem konkretisieren lassen:

„Der BND setzt auf Journalisten als Informanten“ — womöglich entgegen einer Weisung des Kanzleramts. Der Deutsche Journalistenverband spricht von einem Skandal, die Linke will das Thema im Kontrollgremium des Bundestages zur Sprache bringen.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) setzt im Rahmen seines Auftrags, Erkenntnisse über das Ausland zu gewinnen, die für die Bundesrepublik von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind, auch auf Journalisten als nachrichtendienstliche Quellen beziehungsweise auf „nachrichtendienstliche Verbindungen (NDV)“, wie es im BND-Fachjargon heißt.

Das geht aus einem Schriftsatz des BND vom 26. April 2022 an das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hervor, der Legal Tribune Online vorliegt. In dem Schreiben an das Gericht, das im Zusammenhang mit einem presserechtlichen Auskunftsersuchen der BILD-Zeitung steht (Az. BVerwG 20 F 5.22), stellt der BND klar:

„Eine Heranziehung von Vertretern der Medienbranche als NDVen ist auch heute noch möglich.“ (Legal Tribune Online/LTO vom 23. Januar 2023)

Herr Engel, Sie sind sicher besser darüber informiert als ich, wer in Deutschland Journalist ist und im Haupt- oder Nebenberuf als BND-Spitzel arbeitet. Soweit ich das ersehen kann, haben Sie damit kein Problem oder können jetzt mit dem nächsten Aufmacher aufwarten: „BND-Spitzel mit Presse-Weste.“

Die schuldig Unschuldigen

Zurück zu Ihrem Kommentar Herr Engel. Ich danke Ihnen ausdrücklich für dieses klare Bekenntnis. Sie machen das Wort „Beweise“ in dem aberwitzigen Zusammenhang von „erdrückend“ zu einem postmodernen Hexengerichtsverfahren — ohne Möglichkeit zur Verteidigung. Wozu auch?

Auch das Wort „Hinrichtung“ aus Ihrem Munde … lässt Sie das nicht mehr schaudern?!

Sie machen sich vor viel Publikum und dank „erdrückender Beweise“ zum Selfmadehenker — als Nebenberuf, versteht sich.

Dabei ist Ihnen eine kleine und doch aufklärerische Kleinigkeit unterlaufen: Sie halten dezidiert die Hinrichtung von unschuldigen Menschen für richtig, wenn es dafür einen Grund gibt.

Danke, Herr Engel, da hat Ihnen das Unterbewusstsein einen wertvollen Streich gespielt: Es geht nicht darum, ob jemand unschuldig ist, sondern ob es einen Grund gibt, ihn hinzurichten. Alles klar: Wer sich von einem Hamas-Chef in den Arm nehmen lässt und dabei auch noch lächelt, den darf man umlegen.

Herr Engel, Sie sind ein belesener Mann und kennen das mit der Kontaktschuld. Sie ist ein herausragendes Instrument in faschistischen Systemen, in denen man schuld ist, wenn man zu nahe oder nicht weit genug weg von etwas ist, was dem faschistischen Glauben widerspricht. Das nennt man „Willensstrafrecht“. Aber wem sage ich das?

Herr Engel, ich kann Sie aber auch beruhigen: Die Methode, mit Kontaktschuld zu operieren, ist mittlerweile ins bürgerliche Grundwasser eingedrungen. Sie wissen schon: Wer nicht dabei mitmachen will, Russland zu ruinieren ist ein Putinfreund und steht diesem also verdammt nahe. Und wer mit den falschen Leuten zusammensteht oder auf einem Podium sitzt, der geht mit ihnen „Hand in Hand“.

Aber Herr Engel, macht Ihnen diese Hinrichtungslogik nicht Angst? Stellen Sie sich einmal für ein paar Augenblicke vor, diese Hinrichtungslogik geriete in „falsche/andere“ Hände und diese würden zu dem Schluss kommen, dass Sie Herr Engel mit dem gesuchten Kriegsverbrecher Netanjahu auf einem Foto zu sehen sind und dass Sie einen Krieg in Gaza unterstützen, indem Sie eine Besatzungsmacht in den wahrlich irren Zustand eines „Selbstverteidigungsrechts“ versetzen und dabei Hinrichtungen rechtfertigen, weil es auch für unschuldige Menschen einen Grund gibt, sie zu ermorden. Haben Sie keine Sekunde Angst, dass Ihre Logik Sie selbst treffen könnte?

Herr Engel, immerhin verheddern Sie sich gewaltig und entblößen ihre ansonsten liberal-gehaltene Einstellung. Ihr sicherlich geschätzter Kollege, Tobias Huch, war da bereits einen Schritt weiter und wollte Ihnen und Ihrem Anhang den Weg weisen. Seinen Beitrag vom 18. Januar 2024 hatte er mit dem Titel überschrieben:

„Die Zivilisten in Gaza sind nicht unschuldig.“

Im Text findet man auch sein genozidal-taugliches Fazit:

„Wenn es so etwas wie kollektive Verantwortung für Verbrechen gibt, dann trifft dies auf Gazas Bevölkerung zu.“

Herr Engel, wenn dieses Fazit nach wie vor Ihr Wohlwollen und Ihre Zustimmung findet, dann müssten Sie doch für diese Frage aufgeschlossen sein. Wenn weit über 50 Prozent der (befragten) Israelis die Besatzung unterstützen, die Angriffskriege gegen den Iran, gegen Syrien und Libanon gutheißen, dann stellt sich doch, Herr Engel, die Frage: Sind die Israelis ebenfalls keine Unschuldigen?

Das würde ein ganz anderes Licht auf die Ermordeten und Entführten werfen, die es am 7. Oktober 2023 auf israelischer Seite gab?

Können Sie mir folgen?