Ein Hoch auf die Endlichkeit!

Sterben werden wir sowieso — folglich sollten wir damit aufhören, auf Kosten der Lebendigkeit unser Lebensende um jeden Preis hinauszuschieben.

Die abstrakte Angst vor dem Tod war selten so präsent wie in den letzten drei Jahren. Wir haben uns die Münder verbunden, uns die Luft nehmen lassen. Uns wurde das Atmen erschwert, damit wir am Leben bleiben — welch ein Irrsinn! Gebracht hat es nichts, das bestätigen unzählige Studien, und trotzdem wurde man nicht selten als verantwortungslos beäugt, wenn man die nutzlosen Lappen, die wohl eher einer Gehorsamsübung dienten, nicht ordnungsgemäß trug. Ich erinnere mich an Szenen, in denen überzeugte Maskenträger andere Menschen so aufgebracht zusammengeschrien haben, dass die Gefahr eines Herzinfarktes wesentlich akuter war als die einer Ansteckung durch ein grippeähnliches Virus. Nichts schien wichtiger und vor allem ehrenhafter als die Solidarität durch Vereinheitlichung. Alle für einen, einer für alle. Dabei wusste man schon früh, dass COVID vor allem die alten Menschen betraf, die man — das versteht sich —, so gut es geht, schützen sollte. Dafür das Kindeswohl über Bord zu werfen, ihre natürliche Entwicklung zu opfern und unzählige Lebensjahre zu verlieren erscheint grotesk, aber genau das ist passiert — weltweit.

Was den Umgang mit dem Tod im allgemeinen angeht, könnte unsere Gesellschaft von anderen Kulturen viel lernen, wo man den Tod als eine Reise, ein Weiterziehen begreift. Aber die abstrakte, unsichtbare Gefahr, die an jeder Türklinke lauert und jede und jeden gefährdet, wurde zum Wahn, sich gegenseitig zu schützen zum kollektiven Erlebnis, das unbedingte Vermeiden der Ansteckung wurde zum Rausch. Es war sexy, sich nicht zu begegnen. All das umzusetzen war ein Leichtes, da wir bereits darauf vorbereitet, ja konditioniert wurden, Dinge digital zu erleben. Netflix statt Kino, Amazon statt Shopping Mall, Gorillas statt Wochenmarkt, Zoomen statt Meetings, Online Dating statt schwitzend in Clubs die Körper aneinander reibend.

Dies hat zur Folge, dass wir immer mehr entmenschlicht werden. Die Endlichkeit wird wieder mal verdrängt, dabei entkommen wir ihr alle nicht. Diejenigen, die versuchen, uns einzureden, dass man das Leben ausdehnen kann, interessieren sich nicht wirklich für uns — es geht ihnen immer um ihre Unsterblichkeit. Dabei gibt es so viel Schönes zu erleben, in der kurzen Zeit, die uns bleibt — denn auch wenn wir 100 werden, ist es dann vorbei.

Sterben bleibt ein analoges Erlebnis, keine App wird uns das abnehmen. Finden wir also schon zu Lebzeiten zurück ins Analoge.

Nutzen wir das Leben, das wir haben, um zu leben, füllen wir es mit Inhalten. Dass wir gut zu unserem Gegenüber sind; fühlen wir mit unseren Mitmenschen, egal wie fern sie uns scheinen; lachen wir, so viel es geht; springen wir ins kalte Wasser; albern wir herum; bleiben wir wachsam und neugierig, seien wir kritisch und hinterfragen alles, was uns präsentiert wird; lösen wir uns von dem Urteil anderer; hören wir auf Bauch und Verstand. Auf dass wir jeden Tag mutiger werden, zu unseren Bedürfnissen zu stehen. Dienen wir denen, die wir lieben, und üben wir uns in Demut vor dem Leben.

Die Endlichkeit ist gewiss, sie sollte uns nicht erschrecken. Fangen wir an zu akzeptieren, dass jedem Sterben ein Neuanfang innewohnt, der an Schönheit nichts einbüßt, nur weil wir ihn nicht miterleben. Das Rad dreht sich immer weiter — und wer weiß, vielleicht sind wir ja irgendwann wieder dabei.

Ein Hoch auf die Endlichkeit (Jens Fischer Rodrian)

Wo soll man anfangen
Da wir alle unterschiedlicher Herkunft sind
Und uns nicht mal auf ein gemeinsames Ziel einigen können

Wir hadern, können uns nicht entscheiden
Ist es die Sicherheit oder die Freiheit?
Die Volksgesundheit oder die Selbstbestimmtheit?

Ist es die Einigkeit durch Geschwisterlichkeit
Die uns die Einheit verleiht
Oder liegt genau hier der Ursprung allen Streits?

Ist es zumindest der Frieden, auf den wir uns einigen können?
Ist der Wunsch danach wirklich verhandelbar?
Ist selbst das keine Selbstverständlichkeit mehr?

Keiner der Begriffe kann sich einer gewissen Erschöpfung entziehen
Alles kaputt, also besser ganz von vorne beginnen?
Auf zu neuen Ufern, zu frischen Utopien?

Welche Idee kann uns wieder zusammenbringen?
Oder sind die Wunden zu frisch, muss es misslingen
Zusammen zu stehen und gemeinsam zu singen?

Die Optionen schier endlos, was fehlt, ist der gemeinsame Strang
Wir könnten uns in den Ängsten begegnen
Das wäre ein Anfang

Nicht weiter spalten
Unsere Sorgen gemeinsam verwalten
Das Gestern vergeben und das Morgen gestalten

Gemeinsam sich an das Minimum halten
Das uns verbinden kann — kommt, Freunde, neue, alte
Wir bleiben dran und fangen gleich damit an

Auch wenn der Zeitgeist nach Unsterblichkeit strebt
Wollen wir das wirklich?
Hat sich der Wunsch nicht längst überlebt?

Wenn Dinge nicht sterben, kann nichts Neues entstehen
Sollten wir uns lieber in Demut üben, lustvoll den Herbst empfangen
Anstatt ihn nur zu überstehen?

Lasst uns wachsam und skeptisch sein
Wenn uns irgendwer die Ewigkeit verspricht
Es wird immer seine bleiben, nie Deine oder meine

Alles zu kontrollieren, den Tod zu überlisten
Ist genau das, was sie für sich wollen
Die „philantropischen“ Transhumanisten

Wenn wir nicht achtsam sind
Den gemeinsamen Nenner nicht selbst bestimmen
Wird uns die Zukunft entgleiten und wie flüssiges Wachs durch die Finger rinnen

Kann der Tod wirklich so schlimm sein
Dass wir uns an das Jetzt und Hier so klammern
Und nicht aufhören die Endlichkeit zu bejammern?

Ich bleib dabei, ich will die Endlichkeit bewahren
Den Moment umarmen
Und an Humor nicht sparen

Bleiben wir wach, gesellig, bescheiden
Fehlbar, selbstbewusst, selbstbestimmt
Und vor allem frei

Frei im Denken
Frei im Handeln
Frei im Lieben und im Sein

Und auch
Darauf möchte ich bestehen
Frei im Sterben