Ein Konto, sie zu knechten

Die Digitalisierung wird zunehmend zur Gefahr für das Bargeld und damit unsere Privatsphäre.

Wir kennen es inzwischen zur Genüge: Angeblich, um Schwarzgeldgeschäfte und Geldwäsche zu verhindern, müssen wir alle schon bald in einer Welt des total transparenten Zahlungsverkehrs leben. Jeder unserer Schritte, so er mit Geld zusammenhängt, wird dokumentiert und einsehbar sein. Verhaltensprofile über uns können mühelos erstellt werden. Mit einem Knopfdruck können völlig fremde Menschen uns von einem Moment auf den anderen unser wohlverdientes Geld „sperren“ oder seinen Wert reduzieren — und nicht einmal ein paar hundert Euro im Schrank bleiben für die nächsten Einkäufe. Der Widerstand dagegen bleibt mau und erscheint zwecklos. Es scheint, als werde gnadenlos ein großer Plan realisiert, der längst beschlossene Sache ist. Und die Smartphone-verliebte Mehrheit hat es sogar eilig, an ihrer eigenen Entrechtung mitzuwirken. Und das Bargeld-Thema ist nicht das einzige Feld, auf dem Digitalisierung Probleme bereitet. Der Hochfrequenzhandel, der Geld in Windeseile mit wenigen Mausklicks über den ganzen Globus schiebt, wird zur Bedrohung für die Realwirtschaft und den Wohlstand der Arbeitenden.

„Kartenzahlung übertrifft Bargeld“, meldet die Presse dieser Tage. Dass es dem Bargeld zunehmend an den Kragen geht, ist nichts Neues. Die Gesamtentwicklung in Richtung einer zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche läuft seit Langem und wurde in Deutschland durch die Errichtung eines eigenen Ministeriums für „Digitalisierung und Staatsmodernisierung“ nur bestätigt. Im Grunde ist die Abschaffung des Bargelds zugunsten einer Digitalisierung des Geldes nur konsequent. Wenn sich derzeit Verbraucherzentralen dagegen wenden und Petitionen (1) im Netz Unterschriften zugunsten des Bargelds sammeln, dürfte das den rollenden Zug kaum aufhalten.

Doch immerhin hat Schweden als eigentlich sehr digitalisierungsfreudiges Land schon 2016 einen Kurswechsel eingeleitet, der eine Wertschätzung des Bargelds zum Ausdruck brachte und den die Schwedische Reichsbank in ihrem Jahresbericht 2024 bestätigte. Vor rund einem Jahr wurde zudem in Norwegen ein Gesetz zum Recht auf Barzahlung verabschiedet. In Österreich hat zwar Ex-Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) angestrebt, Euro-Bargeld als Zahlungsmittel in den Verfassungsrang zu erheben. Doch die Realität ist, dass bereits jedes elfte Geschäft dort keine Bargeldzahlung mehr akzeptiert (2). In der Schweiz tobt ein entsprechender Kampf (3).

Und in Deutschland? Wenngleich der Zugang zu Bargeld offiziell weiterhin gewährleistet ist, lässt sich nicht leugnen, dass es als Zahlungsmittel langsam an Beliebtheit abnimmt, was von Digitalisierungsfans gern registriert wird.

Auch ist es zum Teil nicht mehr einfach, an den Bankschaltern noch das gewünschte Bare zu bekommen (4). Die neue Bundesregierung will aber laut Koalitionsvertrag das Bargeld keineswegs abschaffen: „Das Bargeld als gängige Zahlungsform erhalten wir“, heißt es unter dem Punkt 2.1 („Haushalt, Finanzen und Steuern“). Jeder solle weiterhin selbst entscheiden können, wie er bei Geschäften des Alltags bezahlen wolle. Klingt gut. Indes — die an der Abschaffung des Bargelds Interessierten werden garantiert nicht locker lassen. Man denke etwa nur an jene US-basierte, von Finanz- und IT- Konzernen gegründete Lobbygruppe mit dem Projekt Better Than Cash Alliance (BTCA): Deren Zielsetzung besteht nach eigenen Angaben darin, den Übergang von Bargeld zu verantwortlichen digitalen Zahlungen zu beschleunigen (5).

Dass mit alledem unsere bürgerliche Freiheit immer mehr eingeschränkt wird, habe ich schon vor über zehn Jahren in meinem Buch „Die digitalisierte Freiheit“ dargelegt. Seither haben eine Reihe verschiedener Autoren in ihren Büchern die drohende Abschaffung des Bargelds zum Thema gemacht. So veröffentlichte Michael Brückner 2015 den Titel „Achtung! Bargeldverbot! Auf dem Weg zum gläsernen Kontosklaven“.

Es zeichnete sich bereits ab: Das elektronische Geld hinterlässt ständig Spuren, denn jede digitale Zahlung wird dokumentiert, was zu totaler Transparenz und Kontrolle der Bürger führt. Zu Hause einen Geldvorrat anzulegen, sei dann nicht mehr möglich.

Peter Hahne ließ 2016 ein kleines, aber eindringliches Buch folgen, das mehrere Auflagen erlebte: „Finger weg von unserem Bargeld! Wie wir immer weiter entmündigt werden.“ Im selben Jahr erschien von Max Otte „Rettet unser Bargeld!“ 2018 folgten von Norbert Häring gleich zwei einschlägige Bücher, zunächst „Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen. Der Weg in die totale Kontrolle“ und dann „Schönes neues Geld. PayPal, WeChat, Amazon Go: Uns droht eine totalitäre Weltwährung“. Häring machte klar: „Betrieben werden diese Kampagnen von der G20-Gruppe der wichtigsten Industrienationen, angeführt von der US-Regierung und im Konzert mit großen US-Konzernen und deren Stiftungen. Sie alle haben gemeinsam eine Globale Partnerschaft für finanzielle Inklusion gebildet. Deren Ziel ist es, die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs und die biometrisch-digitale Erfassung aller Bürger weltweit durchzusetzen.“ (6)

Einbezogen sei eine ganze Batterie öffentlich-rechtlicher Allianzen, darunter die Besser-als-Bargeld-Allianz mit Kernmitgliedern wie Mastercard und Visa. 2019 kam dann Hansjörg Stützles mahnendes Buch „Das Bargeld-Komplott. Bargeldverbot auf Raten, bezahlt mit unserer Freiheit“. 2023 legte Michael Brückner nach mit dem Buch: „Angriff auf unser Bargeld. Warum ein Bargeldverbot vorbereitet wird, wer davon profitiert und wie Sie Ihr Vermögen davor schützen“. Zusammen mit Jessica Horn ließ er noch im selben Jahr den Band folgen: „Digitale Zentralbankwährung. Wenn E-Euro & Co. zum staatlichen Kontroll- und Überwachungsinstrument werden“. Tatsächlich dürfte es auf diesem Weg ernst werden.

Es geht um den sogenannten „Digitalen Euro“. Bereits im Juli 2021 stellte die Europäische Zentralbank (EZB) ihn offiziell vor — mitten in der Corona-Pandemie und während der Fußball-Europameisterschaft, wohl um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. EZB und EU-Kommission sind seither bemüht, den digitalen Euro eher kleinzureden. Andreas Dripke und Stephanie Stoerk zeigten aber 2021 in ihrem Buch „Der digitale Euro. Computergeld statt Bares“, dass der Vorhang der Verharmlosung durch die offiziellen Stellen einem detaillierten Blick hinter die Kulissen weichen sollte. Dabei decken sie auch die mutmaßlich dahinter steckende Technologie und vor allem mögliche Auswirkungen auf.

Die Abschaffung des Bargelds stehe fest. Mit der Digitalisierung der Währung werde das Finanzgebaren der Bevölkerung bis ins kleinste Detail transparent — ein Riesenschritt hin zum gläsernen Bürger!

Die Beteuerung der EZB, der digitale Euro hätte nichts mit Kryptowährungen wie etwa Bitcoin zu tun, sei purer Hohn. Denn der Bitcoin sei als Inbegriff des Misstrauens gegen staatliche Zentralbanken wie die EZB ins Leben gerufen worden, und im digitalen Euro manifestiere sich der Versuch der Staatsbanken, ihre Vorherrschaft über unser Geld in die digitale Welt zu retten. Der digitale Euro sei das größte Experiment mit unserer Währung seit ihrer Einführung.

Doch faktisch ist der digitale Euro (D€) (7) angelegt als Ergänzung zum Bargeld, nicht zu dessen Abschaffung: „Funktional vergleichbar ist der D€ als digitaler Zwilling des Euro-Bargelds mit digitalen Mobile-Payment-Zahlungssystemen wie Apple Pay, PayPal und Google Pay.“ (8) Sollte er binnen weniger Jahre eingeführt werden, so würde wohl eine beträchtliche Anzahl von Händlern aus Kostengründen keine Bargeldoption mehr anbieten. Das hieße: Im Falle des politischen Wunsches, diese Option aufrechtzuerhalten, müssten hierzulande wie in Schweden und Norwegen gesetzliche Standards für eine Grundversorgung mit Bargeld festgelegt werden. Danach sieht es aber eher nicht aus. Vielmehr hat die Europäische Kommission inzwischen einen Verordnungsvorschlag herausgebracht, wonach der digitale Euro als „E-Euro“ eingeführt und gesetzliches Zahlungsmittel mit Annahmepflicht werden soll, während der entsprechende Verordnungsvorschlag fürs Bargeld keine Annahmepflicht enthält. Künftig müssten Läden also kein Bargeld mehr akzeptieren. Was das fürs Bargeld mittelfristig bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Sein zunehmendes Verschwinden aber dient der wachsenden Überwachungskultur und dementsprechend der Erosion der Privatsphäre (9).

Nicht weniger bedenklich ist im Prinzip die Einführung des Digitalen Dollars als Bargeld-Ersatz (10). Doch inzwischen hat US-Präsident Donald Trump mit einer neuen Krypto-Arbeitsgruppe die Regulierung der Krypto-Branche ins Auge gefasst und zugleich entschieden, dass es keine amerikanische Zentralbank-Digitalwährung geben solle (11). Wohin dieser Weg auf die Dauer führen wird, ist noch nicht abzuschätzen. Aber auch in Europa ist die Abschaffung des Bargelds noch nicht endgültig zementiert.

Ist doch das Bewusstsein vieler Menschen hinsichtlich einer wachsenden Bedrohungslage für ihre Freiheit seit Jahren gewachsen. „Mit der Hoheit über ihr Geld verlieren die Menschen unweigerlich auch noch den letzten Rest ihrer Mündigkeit“, bemerkte Peter Krämer schon vor über einem Jahrzehnt in seinem umfangreichen Buch „Die Entmündigung“ (12). Freiheitsforscher haben allerdings analysiert, dass seit etwa einem Jahrzehnt der Wert „Sicherheit“ den der „Freiheit“ in den Schatten stellt. Mit Rücksicht auf diese Entwicklung wird für die Abschaffung des Bargelds argumentiert mit dem staatlich dann leichteren Vorgehen gegen Terrorfinanzierung, Schwarzgeld und Steuerkriminalität. Ob freilich die realen Effekte am Ende wirklich nennenswert ausfallen und verhältnismäßig sind mit Blick auf die freiheitlichen Risiken dieser Maßnahme, bleibt zweifelhaft. Wenn man von den täglichen Cyberangriffen auf die Infrastruktur leichtfertig absieht, ist digitales Geld auch für Firmen und Konzerne bequemer. So hält die Bargeldabschaffung zunehmend ganz praktisch Einzug in Deutschland, indem herkömmliche Zahlungswege nicht mehr überall selbstverständlich sind. Aber die Gegenargumente wiegen schwer.

So könnten größere Stromausfälle zu täglicher Begrenzung von Bargeldabhebungen führen. Man denke nicht zuletzt an die Gefahr einer schleichenden Enteignung privaten Geldvermögens: Angesichts der sich immer mehr zuspitzenden Schuldenkrise haben Zentralbanken ein Interesse an niedrigen oder gar negativen Zinsen, was ohne Bargeld problemlos durchsetzbar wäre.

Womöglich kommt eines Tages sogar eine Bargeldsteuer? Sodann gilt es, die haptische Gestalt des Geldes angemessen zu würdigen. Der Umstand einer Transformation analogen Bezahlens in digitale Virtualitäten bedeutet zunehmende Abstraktion, die nicht jedermanns Sache ist. Intuitiv verlangen viele Menschen nach wie vor nach Münzen und Scheinen, wenn es um Bezahlen, ums Geben und Nehmen von Geld geht. Solch Handfestes und Anschauliches ist ihnen lieber als der Zugewinn an Tempo und Bequemlichkeit, den sie in den letzten Jahren bereits anhand von sogenannten „mobilen Bezahlverfahren“ kennenlernen konnten.

Bei jenen mobilen Verfahren bekommt man es nicht allein mit der Erosion des Datenschutzes, sondern auch des Strahlenschutzes zu tun. Ohne Bargeld ist der „gläsern“ gewordene Bürger mitunter gezwungen, ein Smartphone oder anderes Funkgerät zu benutzen — und zwar auch dann, wenn er auf deren künstlich gepulste elektromagnetische Emissionen „allergisch“, sprich: elektrosensibel reagiert (13). Near Field Communication (NFC) heißt übrigens auf diesem Gebiet ein niedriger Funkstandard für Smartphones und Chips, der das Mobile Payment längst ins Rollen gebracht hat und die Geldbörse bald vollends vergessen machen soll. Impliziert ist hier auch ein weiteres ökologisches Problem: Stetes Bezahlen auf digitalem Weg hätte teil an den Mehrverbräuchen von Energie und Ressourcen, die das Klima und die Biologie von Mensch und Natur belasten. Nicht zuletzt damit neues Kryptogeld wie etwa Bitcoin entstehen kann, verbrauchen Großrechner immer riesigere Strom-Mengen — ein oft unterschätztes Problem (14)!

Aus alledem resultiert eine Verschiebung traditioneller Werte, was bereits der allzu früh verstorbene Journalist Frank Schirrmacher hat kommen sehen: „Umgeben von einer Welt, in der Informationen nicht nur an Börsen, sondern am Arbeitsplatz, in der Kommunikation und sogar bei Freundschaften von logisch arbeitenden Rechenmaschinen organisiert werden, die nach den Gesetzen der persönlichen Profitmaximierung den menschlichen Charakter kalkulieren, verändern sich gesellschaftliche Wertvorstellungen in staunenswerter Geschwindigkeit.“ (15) Von daher ist wiederum das politische Streben nach der Digitalisierung des Bezahlens kein Wunder: Geht es schon beim Digitalisieren als solchem ums Zählen und Rechnen, so kann es gar nicht anders sein, als dass sich diese „stille Revolution“ zunehmend auch aufs Geld erstreckt.

Findet nicht die digitale Revolution sogar weithin um des Geldes willen statt? Und zwar nicht allein wegen der gesamtwirtschaftlichen Gewinnaussichten auf dem breiten Sektor der Digitalisierung, sondern immer mehr auch wegen algorithmisch betriebener Finanzspekulationen (16)? „Das Monster Finanzkapitalismus“, bemerkt Alexander Cammann, „verhalf der digitalen Revolution zum Durchbruch — iPhone und Investmentbanking sind insofern zwei Seiten einer Medaille. Erst durch die Möglichkeit, kurzfristig immense Investitionen zu bewegen, waren die gigantischen technologischen Schübe möglich.“ (17) Verführt nicht namentlich der Hochfrequenzhandel mit seinem ultraschnellen Kaufen und Verkaufen von Aktienwerten zu verstärkter Entmenschlichung der Ökonomie und zu gewollter Unübersichtlichkeit 18)?

Digitales Geldmachen — irrsinnig beschleunigt nach der Devise „Zeit ist Geld“ — erweckt legitime Skepsis: „Der Börsenhandel wird dominiert von Naturwissenschaftlern, die Handelssysteme entwerfen, denen es gar nicht darum geht, wie gut die betriebswirtschaftlichen Aussichten eines Konzerns sind oder was der Vorstandschef kann. Es geht darum, Preisbewegungen im Sekundentakt zu antizipieren. Es geht ums Zocken — nicht mehr um langfristiges Investieren.“ (19) Wie vernünftig ist das noch? Ist diese Entwicklung noch Ausdruck des homo sapiens oder eher transhumanistischer Ambitionen?

Dem Theologen Gregor Taxacher zufolge „wird nun alles faktische ökonomische Geschehen gerechtfertigt durch seine unumstößliche innere Rationalität, selbst wenn die über Leichen geht.“ (20) Dabei gilt es mit dem Wirtschaftsexperten Tomás Sedlácek zu bedenken: „Ökonomie beruht nicht nur auf Mathematik und Analytik, sondern in hohem Grade auf Glaubensaussagen, Kultur und Normen.“ (21) Mit Schirrmacher bleibt festzuhalten, dass im Kontext der Digitalisierung „jetzt das Immaterielle, die Seele selbst, zum Marktplatz werden sollte.“ (22) In diesem Sinn stellt die Digitalisierung des Bezahlens tatsächlich auch eine seelisch-geistige Herausforderung dar. Wird es noch ein Entkommen aus der digitalen Freiheits- und Fortschrittsfalle (23) geben?