Ein lauter Tod

Die palästinensische Foto-Journalistin Fatima Hassouna porträtierte die Schrecken im Gazastreifen und bezahlte dafür mit ihrem Leben.

Fatima Houssana wird die Premiere des Dokumentarfilms, der über sie gedreht wurde, nicht mehr miterleben. Ohnehin hätte die Foto-Journalistin aus Gaza wohl kaum eine Möglichkeit gehabt, zur Weltpremiere beim diesjährigen Filmfestival in Cannes anzureisen, wo die iranische Regisseurin Sepideh Farsi ihr Werk vorstellt. All die mediale Aufmerksamkeit spielt nun keine Rolle mehr für die junge Palästinenserin. Am Vorabend ihrer Hochzeit und wenige Tage vor Beginn des Festivals wird sie bei einem gezielten Angriff der israelischen Luftwaffe getötet. Sie ist eine von zahlreichen Medienschaffenden im Gazastreifen, denen ihr Beruf nicht besonderen Schutz, sondern den Tod einbrachte. Was bleibt, sind ihre Aufnahmen, in denen Houssana unablässig die Grauen des Krieges, die Zerstörung ihrer Heimat aber, auch die Hoffnung der kleinen Momente abbildete.

„Wenn ich sterbe, will ich einen lauten Tod … Ich will einen Tod, den die Welt hört.“
— Fatima Hassouna

In einer Welt, in der die Wahrheit selbst zur Bedrohung wird, stehen diejenigen, die sie bezeugen, an vorderster Front — oft ohne Schutz, oft ohne Anerkennung, allzu oft ohne Überlebenschance. Die palästinensische Fotojournalistin Fatima Hassouna war eine von ihnen. Am Vorabend ihrer Hochzeit wurde sie bei einem gezielten israelischen Luftangriff im Norden des Gazastreifens ermordet. Mit ihr starben zehn Familienmitglieder, darunter ihre schwangere Schwester.

Als Absolventin der Gaza University School of Applied Sciences und begabte Dokumentarfotografin dokumentierte sie in den vergangenen 18 Monaten unermüdlich die Zerstörung ihrer Heimat, die Vertreibung ihrer Nachbarn und das tägliche Sterben im israelischen Bombenhagel. Ihre Aufnahmen waren keine bloßen Bilder — sie waren stumme Schreie, Zeugnisse in Licht und Schatten.

„Wenn ich sterbe, will ich einen lauten Tod“, schrieb sie einmal. Und tatsächlich: Ihr Tod hallt laut durch die Weltöffentlichkeit — als mahnender Beweis für ein systematisches Vorgehen gegen jene, die als Hüter der palästinensischen Identität gelten. Israel nimmt längst nicht mehr nur militärische Einrichtungen ins Visier, sondern auch das kulturelle Rückgrat der Gesellschaft: Dichter, Künstler, Journalisten.

Mit ihrem Tod verliert Gaza eine junge Frau voller Leben, Hoffnung und Mut. Ihre letzte Botschaft: ein Foto des Sonnenuntergangs, das sie mit den Worten kommentierte: „Das ist der erste Sonnenuntergang seit langer Zeit.“ Wenige Stunden später verstummte ihre Stimme für immer.

Doch ihr Vermächtnis lebt weiter — in ihren Bildern, in ihren Worten und in einem Film, der sie unsterblich macht.

Fatima Hassouna riskierte ihr Leben, um die Wahrheit zu zeigen. Ihre Ermordung ist nicht nur ein Kriegsverbrechen, sondern der bewusste Versuch, die Realität auszulöschen.

Es ist ein Angriff auf die Wahrheit selbst, auf das Recht, Zeugnis abzulegen, und auf das kulturelle Gedächtnis eines unter Belagerung stehenden Volkes.

Journalisten sind keine Zielscheiben

Der Tod von Fatima ist kein Einzelfall. Er ist Teil einer systematischen Auslöschung jener Stimmen, die das Unaussprechliche dokumentieren: die Zerstörung, das Leid, die Hoffnung. Seit Beginn der Eskalation im Oktober 2023 wurden mindestens 166 Journalistinnen und Journalisten im Gazastreifen getötet. Viele von ihnen trugen kugelsichere Westen mit der Aufschrift Presse. Doch in Gaza, so heißt es treffend in einem Bericht des Guardian, „macht dich eine Presseweste zur Zielscheibe“. Und das, obwohl Journalisten nach den Genfer Konventionen ausdrücklich als Zivilisten gelten und damit unter besonderem Schutz stehen.

Journalisten zahlen in Gaza einen Preis für ihre Berichterstattung — mit ihrem Leben, mit ihrer körperlichen Unversehrtheit, mit ihrem Schweigen.

Eine Linse gegen das Vergessen

Fatima Hassouna war erst 25 Jahre alt, als ihr Leben ausgelöscht wurde. Eine junge Frau, eine Künstlerin, eine Chronistin. Mit ihrer Kamera hielt sie die Verwüstung fest, aber auch das Lächeln der Kinder, die Stärke der Mütter, das Durchhaltevermögen eines Volkes. Ihre Arbeit war ein Akt des Widerstands — friedlich, mutig, kompromisslos.

Der Zeitpunkt ihrer Ermordung hat eine grausame Symbolik. Wenige Stunden zuvor war bekannt geworden, dass ein Dokumentarfilm über sie — Put Your Soul on Your Hand and Walk der iranischen Regisseurin Sepideh Farsi — für die Filmfestspiele in Cannes ausgewählt worden war. Es hätte ein Moment der internationalen Anerkennung für ihr Werk, für ihre Stimme, für ihre Geschichte sein sollen. Stattdessen wurde ihr Schweigen gewaltsam erzwungen — ihre Geschichte brutal beendet.

Schweigen ist eine Bankrotterklärung

Angriffe auf die freie Presse sind keine Kollateralschäden. Sie sind Teil einer bewussten Strategie der Einschüchterung, der Informationskontrolle und der Auslöschung dessen, was man nicht kontrollieren kann: die Wahrheit.

Die internationale Gemeinschaft darf sich in dieser Angelegenheit nicht der Passivität hingeben. Die Tötung von Journalistinnen wie Fatima Hassouna stellt einen Akt der Gewalt gegen die Freiheit der Presse, den Verlust von Hoffnung und die Missachtung der Menschenrechte dar. Diese Tat ist mit äußerster Entschlossenheit zu verurteilen — politisch, juristisch und moralisch. Ein Angriff auf die Wahrheit ist ein Angriff auf die gesamte Gesellschaft.

Die Toleranz gegenüber der systematischen Eliminierung von Journalisten kann als moralische Bankrotterklärung interpretiert werden.

Es ist nicht länger hinnehmbar, lediglich Rechenschaft einzufordern, vielmehr ist es geboten, unverzüglich Schutz zu gewähren. Ein Angriff auf die Pressefreiheit ist demnach als ein Angriff auf die Menschlichkeit selbst zu betrachten.

Ein kollektives Gedächtnis gegen das Verstummen

Fatima Hassouna steht symbolisch für Hunderte. Für Shireen Abu Akleh. Für Yasser Murtaja. Für Abu Elouf. Für die Namenlosen, deren Kameras zerschmettert wurden, deren Bilder nie das Licht der Welt erblickten. Dieses Requiem ist nicht nur ein Nachruf. Es ist ein Aufschrei. Es ist ein Schwur.

Wir werden ihre Namen nennen.
Wir werden ihre Bilder weitertragen.
Wir werden ihre Geschichten erzählen.

Solange wir das tun, hat der Versuch, die Wahrheit zu töten, nicht gesiegt.

Für Fatima Hassouna. Für die Pressefreiheit. Für das Leben.