Ein nachrangiges Thema

Die Häufigkeit von Femiziden und Gewalt gegen Frauen bewegt sich noch immer auf hohem Niveau — die Politik hat „Besseres“ zu tun, als für deren Schutz zu sorgen.

Man hört nicht viel davon, weil es buchstäblich keinen „Neuigkeitswert“ hat. Dass Frauen beschimpft, belästigt, misshandelt oder sogar getötet werden, ist quasi ein alter Hut. Kaum jemand nimmt sich im öffentlichen Raum des Themas ernsthaft an. Mal sinken die Zahlen etwas, mal steigen sie wieder. Politiker entrüsten sich kurzfristig und gehen zur Tagesordnung über. Für Betroffene bedeutet Gewalt jedoch Traumatisierung, deren Folgen ihr Leben oft für sehr lange Zeit oder für immer überschatten. Die Täter sind oft Partner oder Ex-Partner, der Tatort ist das häusliche Umfeld. In jüngerer Zeit bildet sich in der so genannten Manophere ein zur Gewaltneigung vieler Männer passendes misogynes Narrativ heraus. Sehr häufig wird nicht einfach nur ein Mensch misshandelt, der zufällig weiblichen Geschlechts ist — die Gewalt richtet sich speziell gegen das Frau-Sein der Opfer. Der gesamte öffentliche Diskurs ist, schon wegen seines Fokus auf dem Militärischen, mit Gewalt aufgeladen. Die Mittel für den Schutz von Frauen vor Tötung, die im Bundeshalt zur Verfügung stehen, sind noch immer lächerlich gering, wenn man sie an den Summen misst, die der Vorbereitung auf die Tötung „feindlicher“ Soldaten gewidmet sind.

Am 21. November 2025 war wieder Murmeltiertag: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt und Frauenministerin Karin Prien als neue Gesichter sowie BKA-Chef Holger Münch als alter Bekannter stellten auf ihrer Pressekonferenz die Bundeslagebilder „Häusliche Gewalt 2024“ (1) und „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2024“ (2) vor.

Die gute Nachricht zuerst: „Nur“ 308 Frauen und Mädchen wurden im Jahr 2024 gewaltsam getötet — 32 weniger als im Vorjahr. Die Vorjahreszahl wurde gegenüber dem vor einem Jahr veröffentlichten Wert von 360 aufgrund einer neuen Erfassungsmethode um 20 nach unten korrigiert.

191 dieser Frauen und Mädchen wurden durch ihre Partner, Ex-Partner oder andere Familienmitglieder getötet. Die Schreibweise schließt aufgrund der fehlenden getrennten Erfassung auch die Fälle ein, in denen Partnerinnen für die Tötung verantwortlich waren.

Ja, auch Frauen töten. Von den 286 Todesopfern im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt waren 95 männlich; 71 von ihnen starben allerdings nicht durch Partnerschaftsgewalt, sondern „im Kontext innerfamiliärer Gewalt“. Durch ihre Partner oder Ex-Partner starben 132 Frauen und 24 Männer. Angesichts der Tatsache, dass 24,4 Prozent aller Tatverdächtigen weiblich sind, ist davon auszugehen, dass auch Frauen töten.

Mehr gute Nachrichten gibt es leider nicht, wie folgende Grafik zeigt:

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Grafik: © Ulrike Müller

Ungläubig nimmt man den Anstieg der Hasskriminalität zur Kenntnis. Das Bundeslagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ enthält hierfür Straftaten der „Politisch motivierten Kriminalität — PMK“, „wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Tatverdächtigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (beispielsweise nach Art der Themenfelder) einer entsprechenden ideologischen Orientierung zuzurechnen sind.“ Das Bundeslagebild erfasst hier seit 2022 „vorurteilsgeleitete, gegen Frauen oder das weibliche Geschlecht gerichtete Straftaten der Hasskriminalität“. Gegenüber 2022 stieg diese Zahl sogar um 271 Prozent.

Knapp 40 Prozent der Taten erfolgten im Internet, wo man in bester Andrew-Tate-Manier glaubt, seinen Hass auf Frauen und Mädchen ungehindert ausleben zu können. Nicht neue, aber eben auch nicht in den Griff bekommene Phänomene wie die Manosphere oder Incels tragen einen erheblichen Teil dazu bei.

Mehr als 92 Prozent der Straftäter sind männlich, 7,5 Prozent weiblich, der Rest davon divers.

Wie schön, dass das Bundeskriminalamt in seinem Fazit zur Hasskriminalität zusammenfassend feststellt, „dass gemessen am Gesamtstraftatenaufkommen der PMK frauenfeindliche Straftaten einen kleinen Anteil (0,5 Prozent) ausmachen“.

Ich käme eher zu der Einschätzung, dass frauenfeindliche Hasskriminalität in besorgniserregendem Maße salonfähig wird.

Was mich ebenfalls sorgt:

Fast 86 Prozent der Opfer von Sexualstraftaten sind weiblich, die knappe Hälfte von ihnen ist jünger (!) als 18 Jahre. „Damit liegt der Anteil der weiblichen minderjährigen Opfer deutlich über dem Anteil weiblicher Minderjähriger in der Bevölkerung, der bei 16,1 Prozent liegt. Bei den unter 14-jährigen Opfern macht der sexuelle Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und von Schutzbefohlenen ab 14 Jahren bei den hier betrachteten Delikten den größten Anteil aus (86,6 Prozent).“

„Insgesamt sind auch 18– 30-jährige Frauen überdurchschnittlich häufig von Sexualstraftaten betroffen. Ihr Anteil an allen Opfern liegt bei 29,7 Prozent, während ihr Bevölkerungsanteil bei 12,3 Prozent liegt. Unter ihnen sind die Fallgruppendelikte sexuelle Belästigung (51,2 Prozent) und Vergewaltigungen (48,3 Prozent) nahezu gleich verteilt.“

Ich habe also offensichtlich schlicht Glück, dass ich mit meinen 61 Jahren nicht mehr zur bevorzugten Zielgruppe der überwiegend jungen und teilweise sehr jungen Männer gehöre, denn „über ein Viertel der Tatverdächtigen ist unter 21 Jahren alt.“

Was läuft unverändert schief bei der Erziehung junger Männer? Welches Frauenbild bekommen sie von ihren Müttern und Vätern vermittelt?

Es wird — wie jedes Mal — von einem „großen Dunkelfeld“ ausgegangen, „da Betroffene aus verschiedenen Gründen nur selten Anzeige erstatten“.

Innerhalb der Fallgruppe „Digitale Gewalt“ wird unterschieden zwischen sexuellem Missbrauch von Kindern, Jugendlichen sowie Schutzbefohlenen ab 14 Jahren (Kinder- beziehungsweise Jugendpornografie), Verletzungen des Intimbereichs durch Bildaufnahmen (Upskirting) sowie Nötigung, Bedrohung und Stalking.

95,9 Prozent der Täter im Bereich Jugendpornografie sind männlich, beim Upskirting fast 88 Prozent.

„Die extremste Form der geschlechtsspezifisch gegen Frauen ausgeübten Gewalt sind Tötungsdelikte.“ Zu ihnen gehören die *Femizide, also Tötungsdelikte an Frauen, weil sie Frauen sind. „Diese aufgrund einer von der Annahme geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit gegen Frauen geleiteten Tatmotivation („weil sie Frauen sind“) äußert sich insbesondere in einer ablehnenden Einstellung der tatbegehenden Person zur Gleichberechtigung der Geschlechter und resultiert aus nach wie vor bestehenden patriarchalen Denkmustern und Strukturen.“*

Wie lange und wie oft müssen Frauen sich das noch gefallen lassen — egal in welcher Form ihre Unterdrückung stattfindet?

Wie steht es um „unsere Demokratie“, wenn man in Rekordgeschwindigkeit Rüstungsprojekte, die am Ende des Tages auch nur frauenfeindlich sind, aus dem Boden stampft, aber bis heute die 2014 in Kraft getretene und 2017 von Deutschland ratifizierte Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen im Wesentlichen ein Papiertiger bleibt?

Welche Initiativen braucht es noch, damit dieses spezifische Problem von Frauen von der Politik endlich wirklich ernst genommen wird? Meines Erachtens wird „wirklich ernst genommen“, wenn beim nächsten Bundeslagebild entscheidende Fortschritte in wenigstens der Hälfte der betrachteten „Fallgruppen“ zu verzeichnen sind.

„Wirklich ernst genommen wird“ es, wenn Kampagnen wie

  • #saveXX von Dr. Kristina Wolff (3),
  • #DieNächste beziehungsweise #FemizideAlsStraftat von Iris Brand (4),
  • „Gewaltschutz im Familiengericht JETZT“ von Christina Mundlos (5) oder
  • #WegAusDerGewalt von TERRE DES FEMMES (6)

und andere nicht mehr nötig sind, wenn die Politik nicht einmal im Jahr anlässlich des „Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ ihr Lagebild vor- und Betroffenheitsminen zur Schau stellt.

„Wirklich ernst genommen wird“ das Thema, wenn ihm die gleiche Bedeutung eingeräumt wird wie der inneren Sicherheit, dem Schutz der Grenzen und der Aufrüstung — schließlich sind wir 42 Millionen.

Wie passt es ins Bild, wenn man nur wenige Tage vor der Pressekonferenz am 21. November lesen muss, dass der Haushaltsausschuss für 2026 die Gelder für Missbrauchsopfer streicht (7)?

Welche Wertigkeit genießt das Thema angesichts lächerlicher 2,6 Milliarden Euro, die der Bund bis 2036 für die Finanzierung des notwendigen Ausbaus von Hilfsstrukturen, wie etwa Frauenhäusern, bereitstellen will? 2,6 Milliarden Euro in elf Jahren … (8)

Bis 2036 werden sich die Verteidigungsausgaben auf etwa 1.612.480.000.000 Euro belaufen (9). Diese Zahl ergibt sich grob aus den jährlichen Bundeswehrhaushalten von rund 50–60 Milliarden Euro plus dem geplanten „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro, das über mehrere Jahre verteilt investiert wird. Dies ist das 620-Fache dessen, was der Bund im gleichen Zeitraum für die Prävention von Gewalt gegen Frauen ausgeben möchte. Auf ein Diagramm verzichte ich — dieses Ungleichgewicht lässt sich in keinem Diagramm sinnvoll darstellen.

Für alle, die angesichts der Ernsthaftigkeit des Themas wissen möchten, aus welch niederen Sümpfen wir diesbezüglich kommen: Im Februar 2019 veröffentlichte statista.de (10) die von der Bundesregierung geplanten Ausgaben zum Schutz von Frauen vor Gewalt für die Jahre 2019 und 2020 — 6,1 Millionen beziehungsweise 35 Millionen Euro. Ein klarer Anstieg, ja — doch im Verhältnis zum tatsächlichen Bedarf und erst recht im Vergleich zu den Rüstungsausgaben bleibt es ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die drei stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Wiebke Esdar, Sonja Eichwede und Dagmar Schmidt, ließen uns am 15. November 2025 wissen, dass der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags in seiner Bereinigungssitzung ein „Paket zum besseren Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt“ beschlossen hat. 600.000 Euro werden 2026 in die Initiative „StoP — Stadtteile ohne Partnergewalt“ sowie bis 2029 jährlich 150 Millionen Euro für die Sanierung von Frauenhäusern fließen. 2,4 Millionen Euro sollen 2026 in die Entwicklung einer App fließen, die Tätern das Auffinden ihrer (Ex-)Partnerinnen erschweren soll (11). Geradezu exorbitant im Vergleich zu den 6,5 Millionen von 2019.

Sicherlich ist all dies löblich. Aber die Dimensionen sprechen Bände: Schutz von Frauen bleibt in der deutschen Politik nachrangig. Immer noch ist die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ein Papiertiger.

Der Deutsche Frauenrat forderte am 27. Juni 2025 die Bundestagsparteien und die Bundesregierung auf, einen Aktionsplan gegen Antifeminismus zu entwickeln (12). Neu ist das nicht: Ein erster Aktionsplan wurde von der Bundesregierung bereits 1999 beschlossen (13). Dennoch kennen die Zahlen nur eine Richtung. Spötter könnten meinen, dass wenigstens hier in Deutschland etwas „bergauf“ gehen würde. Nicht-Spötter kommen zu dem Schluss, dass außer immer wiederkehrenden Lippenbekenntnissen nichts die Situation von Frauen in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt verbessert hat.

Es wird sich so schnell auch nichts ändern, wenn man sich zur Hauptaufgabe gemacht hat, unser Land kriegstüchtig zu machen, dafür großzügig die finanziellen Mittel locker macht und zur medialen Dauerbeschallung übergegangen ist. Eine Dauerbeschallung, die längst wirkt – weshalb ich mir wünschte, dass ein Bruchteil davon zur Beschallung gegen Gewalt an Frauen genutzt würde. Zur Abwechslung würde ich dafür sogar mal wieder bei Frau Miosga, Frau Illner oder Frau Maischberger vorbeischauen.