Ein Tag der Gewalt
Der Bildband „Widerstand beginnt auf dem Asphalt“ erinnert an die Demonstrationen in der Corona-Zeit und das teilweise rigorose Vorgehen der Polizei.
„Widerstand beginnt auf dem Asphalt.“ So heißt der neue Bildband des Fotografen Hannes Henkelmann. Er zeigt die Demokratiebewegung der Coronajahre in 99 Bildern. So auch die Demonstration gegen das Infektionsschutzgesetz vom 18. November 2020, die sich dieses Jahr zum fünften Mal jährt. Es war ein Tag, der den Teilnehmern wahrscheinlich für immer im Gedächtnis bleiben wird und der doch irgendwie in den Ereignissen der vergangenen Jahre untergegangen ist. Die Polizei in Berlin setzte bei trüb-grauem Novemberwetter Wasserwerfer gegen friedliche Demonstranten ein. Das Infektionsschutzgesetz wurde dennoch beschlossen, und auch die folgenden Jahre waren von Einschränkungen des öffentlichen Lebens geprägt. An diesen Tag zu erinnern, ist unangenehm, aber notwendig.
Eigentlich war an diesem Tag alles wie immer — und dennoch war alles anders. Die üblichen Diffamierungen in den Medien, die Schikane der Polizei auf dem Weg zum Versammlungsort, das obligatorische, mickrige Klübchen an vermummten, lärmenden und kognitiv nur suboptimierten Gegendemonstranten, das war nicht neu — aber plötzlich kursierten Gerüchte, dass ein kritischer Parlamentarier auf dem Weg zum Reichstag von der Polizei weggegrätscht worden sei. Ein Abgeordneter sei daran gehindert worden, gegen das Infektionsschutzgesetz zu stimmen. Das war doch ein Schock. Das war neu. Dem Coronaregime waren anscheinend alle Mittel recht, seine Ziele durchzusetzen. Heute wurde es ernst, so viel stand fest.
Am Brandenburger Tor hatten sich dann circa 30.000 Demonstranten eingefunden, für einen Werktag im November eine sehr beeindruckende Teilnehmerzahl. Und sie zelebrierten erneut einen friedlichen, bunten, kreativen Widerstand. Junge Menschen musizierten am Piano, Ärzte plädierten für freien Impfentscheid — und ein Meer von roten Pappherzen, wohin das Auge reichte. Mich überkam eine Woge der Erleichterung und der Zuneigung.
Als die Wasserwerfer anrückten, sangen die Menschen „Oh, wie ist das schön“. Ein surrealer Moment für die Ewigkeit. Als die Menge, trotz der Aufforderung zu gehen, standhaft blieb, setzte die Polizei tatsächlich Wasserwerfer ein. Werfen klingt harmlos, in Wirklichkeit schossen die Spezialfahrzeuge unter hohem Druck — 20 bar — das Wasser aus allen Rohren. Der Unglaube in den Gesichtern der Teilnehmer wich schnell einem entschlossenen Trotz. Nur mit Schirmen und Ponchos ausstaffiert, stemmten sie sich gegen die Wassermassen. Zum Glück hatte ich mein Teleobjektiv dabei, und mir gelangen gute Aufnahmen. Wasserwerfer versus Gandhi bekommt man nur einmal im Leben vor die Linse. Ich porträtierte auch einen jungen Mann, der sich, da komplett durchnässt, noch einmal einkleidete, um sich dann erneut an die Front zu stürzen. Später hörte ich von einem 80-jährigen pensionierten Arzt, der sich ganz vorne um die verletzten Protestler kümmerte.
Letztlich konnte die Polizei mit einem riesigen Aufgebot die Versammlung auflösen, während im Parlament das Infektionsschutzgesetz mit 415 Ja- zu 238 Neinstimmen durchgebracht und damit etliche Nägel in den Sarg namens Grundgesetz getrieben worden waren. Unseren Widerstand — und das sollten die nächsten zwei Jahre eindringlich zeigen — brachen sie damit aber nicht.
Selten war ich so stolz, Teil der Demokratiebewegung zu sein, wie an diesem Tag.

Freiheit, Berlin

Der Hauptmann von Köpenick

Das Piano

Der Aufmarsch

Ungläubig

Wasserwerfer versus Gandhi

Diktatur oder Demokratie

Widerstand

Wasserwerfer versus Gandhi
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