Erklärt’s mir!

Die ständige Umdeutung des Demokratiebegriffs kann für Verwirrung sorgen.

Gewählte Volksvertreter hebeln drei Jahre lang einige der wichtigsten Werte des deutschen Grundgesetzes aus. Statt Gewaltenteilung wird Gewaltenzusammenführung praktiziert. Ein kleines, elitäres Gremium übt über das Land eine Schreckensherrschaft aus, jede institutionelle oder intellektuelle Opposition wird einverleibt oder ausgegrenzt ... Als Folge erheben sich Klagen über demokratiezersetzende Umtriebe. Diese richten sich jedoch nicht, wie man erwarten könnte, gegen die Täter, sondern gegen die Kritiker jenes Großangriffs auf die Bürgerrechte, wenn diese sich auf Demonstrationen oder in unabhängigen Medien zu Wort melden. Von was für einer Demokratie also sprechen wir, die von einem Lauterbach oder einer Faeser repräsentiert, von einem Ballweg oder Bhakdi jedoch angeblich geschändet wird? Ein Schweizer Nachbar wundert sich.

Liebe deutsche Nachbarn,

Bitte erklärt mir das mit der Demokratie bei euch — ich blicke da immer weniger durch. Also, ihr findet Demokratie prinzipiell gut, ja? Okay, immerhin etwas... Sogar so gut, dass man sie gegen ihre „Feinde“ verteidigen muss, ja? Noch ein Volltreffer, supi. Läuft.

So, jetzt aber der Teil, der mir Mühe bereitet: Wer sind denn nun die Freunde der Demokratie und wer ihre Feinde? Wie bitte? Nein, tut mir leid, ich find’s nicht so offensichtlich. Aber vielleicht hilft’s, wenn ich mein Verständnisproblem etwas genauer umreiße: In der Corona-Zeit hat eure „demokratische“ Regierung ja überzeugt verkündet:

„So, jetzt erstmal fertig mit Demokratie, sonst wird das hier nie etwas, schlieβlich drängt die Zeit. Also hop hop, Bude dicht, Maske auf, Spritze rein, Klappe zu!“

Dann gab es nicht wenige, die daraufhin meinten: „Moment mal, ganz so krass muss das ja nicht abgehen, vor allem nicht drei Jahre lang, oder?“ Ein entschiedenes „Doch!“ war die Antwort, worauf all die, die ihre Demokratie gerne wiedergehabt hätten, auf die Straße gingen und riefen: „Wir hätten gerne unsere Demokratie wieder!“

Nun hieß es: „Hey, weg von der Straße!“, und als die Spaziergänger verblüfft fragten: „Wieso denn das?“, bekamen sie zu hören: „Weil wir uns von euch die Demokratie nicht kaputtmachen lassen!“ Das war dann doch etwas verwirrend, vor allem, als auch noch die böse Nazi-Partei auftauchte und sagte: „Hey, lasst die Spaziergänger in Ruhe, die haben ein Recht auf Demokratie-Rückgabe!“

„Hä?“, wunderten sich die Lustwandler, „wieso eilt ihr uns zu Hilfe?“ Daraufhin die Nazis: „Kennt ihr eigentlich unser Parteiprogramm? Nö? Dann schaut doch mal rein!“
Haben sie getan, und — na, da schau her — die Nazis waren ja richtige Demokratie-Fans, sogar aufrichtige Bewunderer der Schweizer, welche ja nun weiβ Gott nicht sonderlich dafür bekannt sind, dass sie Hakenkreuze in ihren Käse ritzen und so, und da haben die Flaneure ihre Stimme halt den Möchtegern-Helvetiern gegeben, woraufhin die Magufis, also die Maßnahmen-Gutfinder, in wildes Gebrüll ausgebrochen sind:

„Ha! Wussten wir’s doch! Gleich und gleich und so! Jetzt liegen die Karten aber auf’m Tisch! Haben wir’s nicht gesagt? Von Anfang an haben wir’s gesagt! Zuerst wehleidig aufheulen, wenn es heiβt: ‚Wer nicht maskiert, ist überführt‘, um dann bei der erstbesten Gelegenheit die Maske so richtig fallenzulassen, indem man zu den Demokratiehassern überläuft, was ja von Anfang an der Plan war, nicht wahr? Die haben wir gerne! Wisst ihr was? Wisst ihr, was wir jetzt tun? Jetzt fabrizieren wir ein paar wirklich gute Demokratieschutzgesetze, und dann war’s das in diesem Land mit all den demokratiezersetzenden Untaten, diesem Demonstrieren, diesem Meinung sagen, Rechte in Anspruch nehmen, Widerspruch üben, die Stimme erheben und all dem Kram. Jetzt zeigen wir euch, was 'ne Demokratie ist, und zwar so, dass euch Hören, Sehen und Wählen vergeht!“

Ich fasse zusammen: Die Repräsentanten der Demokratie setzten von einem Tag auf den anderen die Demokratie außer Kraft, woraufhin die Inhaber der Demokratie um den Erhalt der Demokratie kämpften, was sie zu Feinden der Demokratie machte, erst recht, als sie sich einer Partei zuwandten, die zwar demokratisch ist, aber durch ihr Einstehen für mehr Demokratie in Wirklichkeit die Demokratie beschädigt, woraufhin sich die eingangs erwähnten Repräsentanten der Demokratie veranlasst sahen, die Demokratie zu stärken, indem sie die Voraussetzungen der Demokratie umdeuteten zum Einfallstor für die Feinde der Demokratie, denen man das Wasser nun abgrub, indem man ebendiese Grundbedingungen der Demokratie abschaffte, womit am Ende die Demokratie gerettet war.

Habe ich etwas vergessen?

Ich hoffe, liebe Brüder und Schwestern, dass euch meine Verunsicherung
nun etwas verständlicher sein möge.

Also bitte: Erklärt’s mir!