Friedenstaube im Tiefflug

Beim 10-Jahre-Jubiläum von „Stopp Ramstein“ wurde wie unter dem Brennglas sichtbar, dass die Friedensbewegung angeschlagen ist — obwohl sie angesichts der derzeitigen Eskalationsspirale einen Höhenflug erleben müsste.

„Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin … zur Friedensbewegung.“ Mit diesem leicht abgeänderten Slogan der Friedensbewegung lässt sich der gegenwärtige Zustand derselbigen sehr trefflich umschreiben. Die Kriegseskalationskaskaden, vor denen jahrelang gewarnt wurde, haben sich nun hinlänglich verwirklicht. Doch statt Aufwind gibt es lediglich Flaute unter den Flügeln der Friedenstaube. Das ist die deprimierende Zustandsbeschreibung dessen, was von der Friedensbewegung von 2014 und der 1980er-Jahre übrig geblieben ist. Alles andere wäre Schönfärberei. Das diesjährige Protestwochenende von „Stopp Ramstein“ – welches zugleich das 10-Jahre-Jubiläum darstellte – war hierfür der ideale Gradmesser. So engagiert und aufopferungsvoll die Organisatoren das Friedenscamp und den Protest in Kaiserslautern ermöglichten, so schwach wurde beides besucht. Wo klaffen in der Bewegung die Löcher, aus denen die Luft entwichen ist? Ein Vor-Ort-Bericht.

Airbase-Mitarbeiter und Anwohner haben sich im Laufe der vergangenen Dekade wohl schon daran gewöhnt: Alle Jahre wieder versammeln sich für rund eine Woche ein paar Hände voll Menschen – schwankend zwischen dreistelliger und vierstelliger Teilnehmerzahl –, um durch Proteste eine Schließung der US-Relaisstation Ramstein zu erwirken. Den guten, menschlichen Gründen und Argumenten der Protestler stehen wirtschaftliche und teils existenzielle Abhängigkeiten und Interessen der Anwohner entgegen. Mit der unpopulären Forderung nach einer Schließung der Airbase gewinnt man im Landkreis Ramstein-Miesenbach keinen Blumentopf, allerhöchstens die Antipathie der Anwohner. Und vielleicht verspürt der eine oder andere sogar Genugtuung, wenn er oder sie bemerkt, dass der Kreis der Protestierenden kleiner wird.

Klein war, gemessen an der Teilnehmerzahl, das diesjährige Protestcamp wahrlich. Abgesehen vom Auftaktjahr 2015 sowie der Unterbrechung durch die Militäroperation Corona war die Teilnehmerzahl noch nie so niedrig. Im Friedenscamp belief sich die Zahl auf wenige hundert Teilnehmer. Bei der Protestkundgebung mit anschließendem Protestzug durch Kaiserslautern verhielt es sich nicht sonderlich viel anders. Das war kein Vergleich zu Demonstrationen der 2010er Jahre, als zum Protestgipfel zusätzlich über tausend Menschen mit Bussen anreisten.

Bild

Foto: Nicolas Riedl

Bild

Foto: Nicolas Riedl

Bild

Foto: Nicolas Riedl

Woran liegt das genau, war der Anlass doch nie drängender als diesjährig? Vielleicht weil einige Friedensbewegte sich schon an genau die Feststellung gewöhnt haben, dass es Jahr für Jahr so drängend ist wie nie zuvor? Hat man sich an das kontinuierliche Ansteigen der Kriegsgefahr gewöhnt? Verbunden mit der „Erkenntnis“, dass trotz aller Schwarzmalerei am Ende doch nichts passiert? Zumindest hierzulande?

Ist es vielleicht auch die Resignation, die erwächst aus genau diesem Abgleiten in ein „Immer-Schlimmer“, ohne Aussicht darauf, dass der Protest irgendetwas bewirkt hat?

Jedes Mal, wenn hinter den Hügeln des Protestcamps eine der schweren, dunklen Militärmaschinen laut brummend emporhebt, um Tötungsgerät in die entferntesten Winkel der Welt zu verfrachten, wirkt es wie eine Verhöhnung. Es scheint, als würde der dicke Brummer sagen: „Ihr könnt so viel protestieren, wie ihr wollt – wir machen dennoch weiter.“

Mit dem oben Genannten allein lässt sich das Schrumpfen der Bewegung nicht erklären. Im Rahmen der Jubiläumsansprache wurde unter anderem eine verstorbene Mitstreiterin beklagt. Ohne Zynismus, sondern ganz nüchtern kann man an dieser Stelle das demographische Problem erkennen: Die Bewegung ist dabei, auf lange Sicht auszusterben. Menschen unter 50 waren eine Minderheit, Jugendliche und Menschen in ihren 20ern musste man schon mit der Lupe suchen. Zugleich fehlen derzeitig Anreize und Angebote für Menschen unter 25. Das ist den Veranstaltern nicht als Vorwurf zu machen. TikTok zeigt, dass zahlreiche junge Menschen bezüglich des drohenden – oder gar schon ausgebrochenen? – Dritten Weltkrieges eine ganz eigene Bewältigungsstrategie im Galgenhumor gefunden haben, der sich in zynischen Memes ausdrückt. Die Möglichkeit, sich in der analogen Welt zu engagieren oder wenigstens ein Zeichen zu setzen, scheint als Option in den jungen Köpfen nicht mehr existent zu sein. Zumindest waren kaum Menschen der Generation Z anwesend.

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender „Pullfaktor“ sind Publikumsmagnete. Bleiben die aus, bleiben viele fern.

Die Mobilisierung krankt offenkundig immer noch am Personenkult, daran, dass es manchen Menschen wohl mehr darum geht, „wer spricht“, und weniger um die Sache selbst. Selbstredend rückt damit jedes Veränderungspotenzial in weite Ferne, wenn ein nicht unerheblicher Anteil der Friedensbestrebten die Erreichung des Friedens auf die Heldentat bestimmter Idole projizieren.

Trotz der traurig niedrigen Teilnehmerzahl kann es durchaus als Erfolg verbucht werden, dass Strukturen wie die von „Stopp Ramstein“ überhaupt noch bestehen, dass immer noch freiwillige Helfer in mühevoller Arbeit das riesige Camp errichten, dass Konzerte technisch professionell aufgeführt werden und dass ein Landwirt immer noch bereit ist, seine Wiesenfläche für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. Was vielleicht als selbstverständlich erscheinen mag, ist es nicht. In gewendeten Zeiten, da ein kriegsrhetorischer Dammbruch den nächsten jagt, der Militärmoloch gieriger denn je nach frischem Blut lechzt und bereits damit begonnen wird, jede noch so zaghaft vorgetragenen Friedensbestrebung zu kriminalisieren – in solchen stürmischen Zeiten darf eine ehrenamtliche, freiwillig realisierte und finanzierte Institution wie „Stopp Ramstein“ nicht als natürlich gegeben betrachtet werden. Es wäre unter der derzeitigen BlackRock-Regierung nicht weiter verwunderlich, würden derartige Aktionen für illegal erklärt werden.

Und so beklagenswert die niedrige Teilnehmerzahl auch gewesen sein mag: Am Ende waren es allemal ausreichend Menschen, um gemeinsam ein Peace-Zeichen zu formen – ein Peace-Zeichen, das vielleicht sogar groß genug gewesen ist, dass man es von einer der aufsteigenden Militärmaschinen aus hätte sehen können.

Bild

Drohnenaufnahme: (c) Lichtblicke Fotografie