Gegen das Vergessen

Auch an seinem 50. Geburtstag bleibt Julian Assange in Haft und wird vor aller Augen als abschreckendes Beispiel zu Tode gequält.

Schon viele Jahre konnten wir in den alternativen Medien solche Appelle lesen: Der Fall Julian Assange geht uns alle an. Die Art, wie er behandelt wird, ist ein Anschlag auf die freie Presse als Ganzes. Journalisten, die aus Bequemlichkeit über Assange schweigen, tragen mit dazu bei, dass man ihnen ihre geistige Existenzgrundlage entzieht: die Freiheit, die Wahrheit zu sagen — auch und speziell, wenn sie für Mächtige unbequem ist. Jetzt, seit der Corona-Krise, sehen wir, wie kritischer Journalismus massiv behindert oder unmöglich gemacht wird, wie man versucht, Journalisten durch Jobverlust und Rufmord abzustrafen, wie sich eine luftdichte Decke des Schweigens über die Medienlandschaft legt. Julian Assange lebt noch, auch wenn er vorsätzlich vergessen wird. Er wird noch immer gequält und schikaniert. Er braucht noch immer unsere Hilfe und Solidarität — auch damit der freie Journalismus nicht ganz ausstirbt.

In Zeiten, in denen nichts sicher zu sein scheint, in denen Angst geschürt wird und die Menschen einseitig informiert werden, schwinden Empathie, Solidarität und die „Fähigkeit, Ungerechtigkeit auf das Tiefste zu empfinden“, erschreckend schnell. Sie weichen der Bequemlichkeit und dem Wunsch nach vermeintlicher Sicherheit.

Ich musste in den letzten 18 Monaten oft an Julian Assange denken. Jetzt erst verstehe ich, wie es passieren konnte, dass jemand, der sich der Suche nach der Wahrheit verpflichtet hatte, eingesperrt, gedemütigt, gefoltert und einem schleichenden Tod überlassen wird.

Zugegeben, wir sind in Deutschland noch nicht an dem Punkt. Wenn ich aber an all die mutigen Journalisten denke, die sich in solch unsicheren Zeiten, in denen jede nicht regierungskonforme Meinung schnell zum Todesstoß für die eigene Karriere werden kann, trotzdem kritisch äußern und als Folge diffamiert werden, Ihren Job verlieren, oder deren Konten gekündigt werden, rate ich zu äußerster Vorsicht. Wehret den Anfängen! Einige haben das Land schon verlassen oder sind dabei, sich auf unbestimmte Zeit zu verabschieden.

Immer wieder gibt es mutige, aufrechte Kollegen ihrer Zunft, die sich für Julian einsetzen und sich um seine sofortige Freilassung bemühen. Aber es sind zu wenige. Der Druck der Bundesregierung auf die Verantwortlichen ist praktisch nicht existent. Der Einsatz von Journalisten der Öffentlich–Rechtlichen für seine Freilassung ist überschaubar. Zu wichtig scheinen die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den Staatenlenkern der verantwortlichen Regierungen zu sein, zu unwichtig ist das Einzelschicksal eines Mannes, der uns die grausame Wahrheit völkerrechtswidriger Kriegseinsätze vor Augen geführt und dabei alles auf eine Karte gesetzt hat.

Er war gut genug dafür, die Schlagzeilen zu füllen, die Auflage der Zeitungen zu steigern und deren Sensationsgier zu befriedigen. Jetzt ist er für viele, die sich selbst in Szene setzten, sich an der Brisanz seiner Informationen aufgeilten und bereicherten, keinen Cent mehr wert.

Wir sind angetreten um zu zeigen, dass es sich wieder einmal um eines der schlimmsten Menschheitsverbrechen handelt — das Vergessen.

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Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst auf Hinter den Schlagzeilen.