Gemeinwohl und Systemversagen

Industrie- und Handelskammern sind ungenutzte Bollwerke gegen den übergriffigen Staat und verkannte Joker der Gesellschaft.

Ihnen obliegt die Aufgabe der Interessensvertretung deutscher Unternehmer. Doch was haben die Industrie- und Handelskammern mit dem „normalen“ gesellschaftlichen Leben zu tun? Die Antwort lautet: alles. Sie ziehen mit ihrem Handeln und Nichthandeln die Fäden. Fänden die IHKs zu ihrer ursprünglichen Rolle zurück, wären sie sowohl Sprengsatz als auch Regulator im politischen und gesellschaftlichen Leben.

Das Bild von dem Konstrukt der Industrie- und Handelskammern (IHK) ist in der deutschen Öffentlichkeit schwammig und mangels Information und Transparenz hin und wieder sogar suspekt; dabei könnten die IHKs heute so emanzipiert sein, wie sie vor 200 Jahren installiert wurden. Gezieltes Ignorieren deren Doppelnatur durch Verantwortliche und fahrlässige Unwissenheit der Betroffenen verzerren das Bild sowohl bei den Mitgliedern als auch in der Öffentlichkeit.

Die 2023 von den IHKs veröffentlichte Übersicht zu den Beteiligungen ihrer Mitglieder, quasi die gesamte gewerbliche Wirtschaft mit circa 3,6 Millionen Betrieben, an den letzten drei Wahlen zur Vollversammlung (1) belegt ein Desaster: In fast allen Kammern feiert die Versagung durch das Kammervolk Erfolge. Den Vogel schießt Hamburg ab mit einem erdrutschartigen Verfall innerhalb von 8 Jahren von 18 Prozent über 11 Prozent auf jetzt 6 Prozent; die Mehrheit der Kammern fiel in den einstelligen Bereich ab bis hinunter zu nur noch 3 Prozent Mitgliederinteresse — ein hausgemachter GAU.

Vor diesem Hintergrund nötigt das ins Auge springende Kammerhandeln und gegebenenfalls — unterlassen seit ‚Corona‘ zu einer Bestandsaufnahme und Klärung.

Wahrnehmung in der Öffentlichkeit — ein Stimmungsbild

Kommt unter Gewerbetreibenden das Gespräch auf die IHK, hält sich die Begeisterung hörbar in Grenzen — erst verstummt die Unterhaltung, dann folgt Meckerei.

Die Mehrheit erkennt keinen Nutzen und ärgert sich über Selbstbedienungsmentalität, Kosten und Zwangsmitgliedschaft (2) — ganz besonders kleinere mittelständische Unternehmer.

Der Unmut mittelständischer Unternehmer ist derart auffällig, dass er im Standardwerk des Kammerrechts Eingang gefunden hat (3). Aus der Unzufriedenheit heraus gründeten sich erfolgreiche kammerkritische Vereine (4).

Aufgrund dieser bundesweiten Situation stelle ich eine, wenn auch unvollständige, Palette an auffälligen Beobachtungen ungeschminkt und ohne zu überzeichnen zur Diskussion.

Unbeeindruckt vom Niedergang der Anerkennung (5) sieht die Selbstdarstellung der Kammern indes ganz anders aus! Und damit liegen die Kammern in der Sache gar nicht so falsch — würden sie den tragenden Teilbereich der Vertretung der Gesamtinteressen der gewerblichen Wirtschaft und der Gemeinwohlbindung (6) ernst nehmen; denn das „Gesamtinteresse der Wirtschaft“ hat noch lange nichts mit den gegebenenfalls widersprüchlichen oder gar unvereinbaren Eigeninteressen unzähliger Wirtschafts- oder Branchenverbände zu tun, denen die IHK ihre Plattform bietet.

Das „Gesamtinteresse“ ist „weder eine Summe oder Potenzierung der Einzelinteressen noch der kleinste gemeinsame Nenner“ (7).

Der Kammer wird also abgefordert, eine Leistung zu erbringen, die über das Materielle des Quantifizierens hinausgeht und durch Qualifizieren auf eine ethisch-humane Ebene des so zu verstehenden Gemeinwohls hebt.

Was heute abgehoben und weltfremd klingt, war dereinst selbstverständlich und wird in aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung nach wie vor unterstellt.

Die wüsten Skandale, die manche Kammern in die Schlagzeilen und immer wieder vor den Kadi brachten und bringen, die unmittelbare politische Einflussnahme zugunsten transatlantischer, anti-europäischer Interessen (8) und deren verbreitet anzutreffende institutionalisierte Arroganz werfen zwar ein schlechtes Bild, sind indes hier nicht das Thema. Es geht in der vorliegenden Betrachtung nicht um das allzu Menschliche der handelnden oder eben nicht handelnden Mandatsträger und Führungskräfte, sondern um das Wesen der staatlich gesetzten Institution, das, dem geblendeten Zeitgeist verfallen, in zentralen Punkten ähnlich gemieden wird wie das Weihwasser seitens des Teufels.

Woher kommt also das Legitimationsdefizit, die enorme Diskrepanz zwischen dem Bild, das die Kammern von sich zeichnen und der zunehmend abstrafenden Wahrnehmung durch das Kammervolk?

Die unbedarfte Öffentlichkeit und selbst auch Pflichtmitglieder sehen die Kammern wie Branchenverbände als eine Vertretung der Wirtschaft mit dem ärgerlichen Unterschied der Zwangsmitgliedschaft bei Ersteren. Trotz des Wissens, dass die Kammern für bestimmte Sachverhalte und Branchen hoheitliche Aufgaben erfüllen, unterbleibt ein näheres Hinschauen auf deren Pflichtenheft und gewährten Freiräume. Die Kammern halten sich bedeckt. Dass dies auch so bleibt, daran hat die Nomenklatura der Kammern vitales Interesse.

Anspruch des Kammerwesens

Historischer Abriss

Zum Verständnis des deutschen Kammerwesens und des aktuellen Kammerhandelns bedarf es eines kurzgefassten historischen Überblicks.

Aus Frankreich kommend hielt das Kammerwesen ab Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland Einzug (9). Die Vorteile lagen auf der Hand: Durch gesetzliche Regelungen baute der Staat die Kammern zur eigenen Entlastung so aus, dass das dort gebündelte gesamte Fachwissen der gewerblichen Wirtschaft zur Beratung der staatlichen Organe auf Abruf zur Verfügung stand (10). Die Qualität deren Auskünfte führte zu einem Ebenensprung: In 1868 gewährte König Ludwig II den Kammern erstmals in Bayern ein vollumfängliches Initiativrecht ‚mit ständiger Wirksamkeit‘ — ein revolutionärer Akt. Ab 1870 wurden Beratungspflichten erweitert und Erstattung von Gutachten gegenüber dem Staat eingeführt unter dem heute noch zentralen Leitmotiv der ‚Vertretung der Gesamtinteressen der Handel- und Gewerbetreibenden’ verbunden mit dem exklusiv eingeräumten Recht unmittelbarer Einflussnahme auf Regierungshandeln (11). In solchem Entwicklungsprozess ist der Mensch als Geistwesen gefordert. Das geistig Geschaffene fand seinen materialisierten Ausdruck im Gesetz.

Solange den Regierungen das Wohl ihres Volks und die Verantwortung für das Volk als Leitlinie diente, erwies sich dieses Privileg der Kammern (auf Neudeutsch) als Win-Win-Situation.

Das IHK-Gesetz

Die gesetzliche Regelung der Kammern als Selbstverwaltungskörperschaft, deren staatlich zugewiesenen und begrenzten Aufgaben stets öffentlich-rechtlicher Natur sind, beeindruckt durch seine auffällige Beschränkung auf die wesentlichen Fragen.

Diese geringe Regelungsdichte und dadurch Eröffnung von Gestaltungsräumen werte ich als einen Vertrauensvorschuss in die Arbeit der Kammern. Sie unterstreicht den Souveränitätsgedanken und gewährt ein hohes Maß an öffentlicher Autonomie (12). Mit einem Satz ist dies „die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch vom Staat dazu berufene öffentlich-rechtliche Körperschaften unter staatlicher Aufsicht, aber mit eigener Verantwortung und eigener Entschlussfreiheit sowie mit eigenen Organen“ (13). Der Wert der Arbeit der Kammern beruht auf ihrer Unabhängigkeit vom Staat (14). Dies würdigend führt der Gesetzgeber in der jüngst erfolgten Novellierung des Industrie- und Handelskammergesetzes (IHKG) den freiheitlichen Duktus der ersten Stunde, vor rund 150 Jahren, tradierend fort.

Das vorliegende Arbeitsanregungspapier geht aufgrund der Themenstellung ausschließlich auf die in §1 Abs. 1 IHKG (15) genannten Aufgaben ein, ohne das Konvolut an Aufgaben und Pflichten aus den weiteren Absätzen, die der IHK seitens des Staates aufgebürdet werden, kleinzureden. Es soll Anlass geben, die Kammern in ihrem Handeln im Geiste des Gesetzes in Richtung Gemeinwohl zu motivieren.

Der hier interessierende Passus des §1 IHKG:

(1) Die Industrie- und Handelskammern haben ... die Aufgaben:
1. das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks, einschließlich der Gesamtverantwortung der gewerblichen Wirtschaft, die auch Ziele einer nachhaltigen Entwicklung umfassen kann, auf regionaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene wahrzunehmen,
2. für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft ihres Bezirks zu wirken,
3. für die Wahrung von Anstand und Sitte der ehrbaren Kaufleute, einschließlich deren sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung, zu wirken
Und dabei stets die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Im Rahmen ihrer Aufgaben haben die Industrie- und Handelskammern insbesondere
1. durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten,
2. das Recht, zu den im Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden liegenden wirtschaftspolitischen Angelegenheiten ihres Bezirks in behördlichen oder gerichtlichen Verfahren sowie gegenüber der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen.
Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben haben die Industrie- und Handelskammern den angemessenen Minderheitenschutz zu gewährleisten,
1. indem im Rahmen der Kommunikation auf abweichende Positionen hingewiesen wird und
2. abweichende Stellungnahmen in zumutbarer Form öffentlich zugänglich gemacht werden.

Von der Wahrnehmung des Gesamtinteresses

Den Industrie- und Handelskammern obliegt primär die Wahrnehmung und vollständige Ermittlung des Gesamtinteresses der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden. Keine zulässige Form der Wahrnehmung des Gesamtinteresses ist die Nicht-Wahrnehmung (16) als Folge von Geringschätzung oder Verweigerung von Erkenntnissen, die von Narrativen abweichen.

Diesen primären Auftrag erfüllen die Kammern durch Bündelung unterschiedlicher Positionen und Wissenskonvolute ihrer Mitglieder. Das Ergebnis ist die bereits dargelegte Vollständigkeit der Information aufgrund der Pflichtmitgliedschaft. Allein sie ermöglicht einzig der Kammer, auf das aktuellste Wissen und die Auffassung aller — vom Betrieb mit Endverbraucherkundschaft über die Produktion bis hinein in die spezialisierteste Forschung von Medizin, IT und Militär zurückzugreifen (17).

Der dahinter wirkende Geist drückt sich aus in der Idee des überindividuellen Interesses, die umzusetzen der Gesetzgeber die Kammer zum Wohle des Gesamten verpflichtet hat.

Wie die Kammern diese Aufgabe erfüllen und diesen Hausverstand in geeigneter Weise zu Gehör zu bringen, lässt ihr der Gesetzgeber freie Hand.

Dieser lebendige, ohne weiteres aktualisierbare Fundus ermöglicht die Erstellung qualifizierter Gutachten.

„Der besondere Wert der durch die Kammern erarbeiteten Gutachten und Vorschläge beruht auf ihrer gleichzeitigen Unabhängigkeit vom Staat und von Einzelinteressen, sowie auf ihrer Spezialkenntnis und dem besonderen Überblick über die Wirtschaft aufgrund ihrer über die gesetzliche Mitgliedschaft garantierten vollständigen Mitgliederstruktur. Die Bedeutung der Gutachten im Gesamtgefüge der IHK-Aufgaben hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in allen Entscheidungen zum IHKG herausgehoben.“ (18)

Der Bezugspunkt des gutachterlichen Kammerhandelns ist folglich das ermittelte und wahrgenommene Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft. Dies fordert ein höchstmögliches Maß an Objektivität und zwingt die Kammern, auch sogenannte Minderheitenpositionen im Sinne des gesetzlich gebotenen Minderheitenschutzes angemessen darzustellen (19, 20).

Doch wie sieht die Praxis aus?

Die gediegene Staatsberatung insbesondere im Bereich der Gesetzgebung, geregelt in §70 GeschOBT (21) und §47 GGO, erfährt zunehmend eine Entmachtung deshalb, weil den Kammern zu kurze Fristen für Stellungnahmen gesetzt werden (22). So hebelt der heutige Gesetzgeber den ursprünglichen staatlichen Antrieb, Kammern überhaupt zu gründen, um den einzig dort gebündelten, neutral zu kommunizierenden Sachverstand der Wirtschaft abrufen zu können, wohl vorsätzlich aus. Was dies an teurem und grobem Unfug für die Öffentlichkeit zur Folge hat, spürt jeder an seinem Geldbeutel.

Die Kammern nehmen diese degradierende Ausbootung hin und fordern ihr exklusives Privileg zum Nachteil der von ihnen vertretenen Pflichtmitglieder nicht ein.

Und dort, wo die Kammer ohne großen Aufwand sofort ihre Stimme erheben könnte, aber das Thema nicht passt, versandet das Anhören kammerseits (23).

In Literatur und den hier da und dort zitierten Kommentaren wird auffällig eine dienende gutachterliche Gesamtinteressenvertretung gegenüber dem Staat betont und eine selbstveranlasste fordernde widersprüchlich bis zögerlich notiert. Immerhin: Der Gesichtspunkt, dass die Kammern per Gesetz aus ‚eigenem‘ Antrieb als „Sprachrohr“ der Gesamtinteressen der Wirtschaft „gegenüber jedermann, das heißt gegenüber dem Staat, anderen öffentlich-rechtlichen Trägern sowie der Öffentlichkeit“ (24) fungieren können/müssen?, spricht für deren weisungsfreie Autonomie.

Bollwerk gegenüber Übergriffigkeit des Staats und des pharmazeutisch-militärischen Industriekomplexes

Die in der Vergangenheit von Höchstgerichten wiederholt gewürdigte Bedeutung der gutachterlichen Tätigkeit der Kammern im öffentlichen Interesse erfuhr in der angesprochenen Novelle den ausdrücklichen Hinweis, dass die Kammern nicht nur auf staatlichen Zuruf oder Einladung tätig werden, sondern aufgrund ihres gesetzlichen Auftrages bei Anlass weisungsfrei selbst tätig werden müssen bei behördlichen oder staatlichen Übergriffen, die das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft oder das Gemeinwohl berühren (25).

Die Kammern sind autonom und unterstehen nur der Rechtsaufsicht, nicht aber irgendeiner Fachaufsicht oder obrigkeitlichen Weisung.

Mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Eigenwert der funktionalen Selbstverwaltung betont das BVerfG:

„Andererseits würden die Prinzipien der Selbstverwaltung und der Autonomie, die ebenfalls im demokratischen Prinzip wurzeln und die dem freiheitlichen Charakter unserer sozialen Ordnung entsprechen, nicht ernst genug genommen, wenn der Selbstgesetzgebung autonomer Körperschaften so starke Fesseln angelegt würden, dass ihr Grundgedanke, die in den gesellschaftlichen Gruppen lebendigen Kräfte in eigener Verantwortung zur Ordnung der sie besonders berührenden Angelegenheiten heranziehen und ihren Sachverstand für die Findung ‚richtigen’ Rechts nutzen, nicht genügend Spielraum fände.“ (26)

Ob dieser Legitimation der Autonomie stellt sich die Frage an die Kammern: Was sind die Gründe, auf ihre Individualität und verbriefte Selbstständigkeit und Autonomie zu verzichten?

Als Lohn der gewisse Grundfreiheiten einschränkenden Pflichtmitgliedschaft streicht das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. Juli 2017 (27) heraus, dass sich die Interessen der Wirtschaft und des Gemeinwohls gegenüber Politik und Verwaltung aufgrund der weisungsfreien autonomen Verantwortung der Kammer den Adressaten besser durch die Kammer zu Gehör bringen lassen, als es eine mit weit weniger Wissen ausgestattete staatliche Behörde das könnte.

Wie oben dargelegt, hat sich der Staat das Kammerwesen als für seine Entscheidungen beratender Partner geschaffen und entsprechend mit Rechten und Pflichten ausgestattet.

Insbesondere müssten die Kammern nach den gesetzlich erfolgten Ergänzungen des Aufgabenkatalogs um Gemeinverantwortung und Gemeinwohl als geborene Berater zwangsläufig mit am Tisch einer Vielzahl staatlicher Entscheider sitzen, ausdrücklich im Krisenmanagement.

Die vergangenen 50 Jahre

Mit dem „Sturz“ Ludwig Erhards als Wirtschaftsminister, dem dessen unumstößliche Maxime „Die Wirtschaft habe dem Menschen zu dienen“ letztlich zum Verhängnis wurde (28), obwohl sie das sogenannte Wirtschaftswunder ermöglichte, wurde ab etwa 1966 die von den USA längst und massiv geforderte Kompatibilität zu deren aggressivem Wirtschafts- und Finanzsystem umgesetzt. Der international anerkannte Qualitätsbegriff „Soziale Marktwirtschaft“ wurde trotz der Entkernung um das Wesentliche als Mogelpackung zu vorsätzlicher Irreführung der Folgegenerationen (29) beibehalten.

Die nächste Zäsur, die handstreichartige und unseriöse kalte Inbesitznahme Ostdeutschlands auf Betreiben Helmut Kohls und Wolfgang Schäubles (30), wurde zur Wirkursache nach und nach inszenierter europaweiter Zerrüttung von Staat und Gesellschaft (31). Während sich die Russen an die Verträge hielten und sich aus Deutschland zurückzogen, betrieben die NATO unter Führung der USA und der Europäischen Union in Schüben eine Osterweiterung. Diesen Vertragsbruch bezeichneten die USA als „Korrektur“. Heute stehen vor allem die Menschen in der EU deshalb angesichts wahnhafter Kriegseuphorie des sogenannten „Werte-Westens“ gar an einem Abgrund der Zivilisation.

Wirklichkeit des Kammerwesens

Die hier mit spitzer Feder an- und aufgerissene, zum Kammeralltag gewordene Entwicklung hat schon nach dem ersten Blick ins Gesetz nichts mit dem dort Gesetzten zu tun. Das zu beackernde und aufzuarbeitende Feld ist ein Vielfältiges. Diese Arbeit erfordert zum gegebenen Zeitpunkt eine gewisse Distanz zur Praxis und einen unverstellten Blick auf die Gesetzgebung und die dahinter liegenden Intentionen.

Zug um Zug und nach und nach spürbar haben sich die Kammern aufgrund ihrer unglaublichen Reichweite bis hinein in jede Familie zu einem willigen und gar hörigen Helfer und Multiplikator der staatlichen Exekutive und des pharmazeutisch-militärischen Industriekomplexes instrumentalisieren lassen. Eine der Folgen dieser Ausrichtung auf Profitmaximierung (32) sind unselige Kostenexplosionen in jedem Segment, Ausdünnung der Krankenversorgung, beispielsweise Schließung von Einrichtungen wie Praxen, Krankenhäuser et cetera, Entmenschlichung von „Gesunden“ zu „latent Kranken“, Streichen von nicht pharmazeutisch basierten Therapiemethoden hin zu einer Destabilisierung des Gesundheitssystems, wie sie sich heute in permanent hohen Krankenständen, insolventen Krankenhäusern und auch überschuldeten Krankenkassen zeigt einerseits und Missbrauch zivilgesellschaftlich nützlicher Technologien wie Digitalisierung und Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens zum unmittelbaren Schaden körperlichen, seelischen und geistigen menschlichen individuellen und gemeinschaftlichen Lebens durch externe, fremdbestimmte, manipulierende, versklavende oder gar Leben und Existenzen zerstörende Einflussnahme unterschiedlicher Art bis hin zu Zwangschemikalisierung (33, 34) und -medikation (35).

Der damalige Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein Dr. Norbert Euba lehnte im Juni 2005 eine Aussprache zur Sinnhaftigkeit der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens ab.

Ludwig Erhard sah den Menschen als Individuum, die heutigen Entscheider sehen den Menschen als beliebig zu dressierendes und ‚optimierendes‘ Nutzvieh.

Das geforderte und schlicht unterstellte Neutralität vermissen lassende Kammerhandeln zeigt sich unter anderem in ihrer Ausrichtung zu industrieller Effizienz (36) zulasten des gewerblichen Mittelstands. Der verantwortliche Unternehmer wird heute mehr denn je gegängelt und unterdrückt durch die Finanzoligarchie, die via supranationalen Organisationen wie Weltgesundheitsorganisation (WHO), Nordatlantikpakt (NATO), Weltwirtschaftsforum (WEF) et cetera in Europa über die EU die Politik und Gesetzgebung der Regierungen bestimmt. Weniger sichtbar, doch nicht weniger folgenschwer ist die seit ‚Corona‘ galoppierende Instrumentalisierung der unabhängig geglaubten Justiz (37). Die ohnehin weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften verweigern Strafverfolgung von Politikern und Ärzten, die vorsätzlich medizinische Versuche an Menschen mit Schäden bis hin zum Tod verursacht haben (38). Strafanträge gegen jene, die wider in mehreren Gesetzeswerken festgeschriebene strafbewehrten Verboten offen für Krieg und Tötung werben, werden eingestellt und Gerichte winken Mord, Totschlag und Schändung durch, Kritik am Staat oder linksgerichteten Politikern bis hin zu Haft geahndet. Dieser durchorganisierte Korporatismus ist nichts anderes als eine andere Bezeichnung für puren Faschismus.

Die Mainstream-Medien sichern durch die narrativdienende Art ihrer Berichterstattung diese Entwicklung; die Kammern durch ihr Schweigen.

Nie wurde es so deutlich wie während des derzeitigen Unterfangens einer Regierungsbildung, dass das Umsetzen ideologisch gesetzter Narrative letztlich nicht davon abhängt, welche der treibenden Parteien aufgrund welcher Charakterlosigkeiten als Regierung gerade am Zug ist oder in Regierungsverantwortung kommen soll. Das Brechen sämtlicher Wahlversprechen des Kanzlerkandidaten Friedrich Merz um des Regierens und einer Umsturzagenda Willen, eine bisher nie dagewesene opportunistische Wendehals-Politik im „Niemandsland“ zwischen zwei Regierungen, verherrlicht Mario Voigt (39) als „moderne Politik“. Wo bleibt die Empörung der Kammer namens des betroffenen ‚Gesamtinteresses‘?

Die Kammern schweigen, obwohl dieses Verhalten der Politiker diametral zum gesetzlich verankerten Kammerauftrag steht, „für die Wahrung von Anstand und Sitte der ehrbaren Kaufleute, einschließlich deren sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung, zu wirken“. Diese Schläge moralisch und charakterlich verkommener Politiker in Entscheiderpositionen ins Gesicht der insbesondere mittelständischen Gewerbetreibenden hätte mindestens einen massiven flächendeckenden Aufschrei der Kammern zur Folge haben müssen. Er unterblieb — frei nach dem Motto „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“? Hat angesichts der heutigen Entscheider in den Kammern der „ehrbare Kaufmann“ gegenüber der Gründerzeit ausgedient und ist billigem Opportunismus anheim gefallen?

Was unmittelbar hinter der für die allgemeine Öffentlichkeit wahrnehmbaren Fassade über Jahrzehnte unbemerkt aufgebaut und vorbereitet wurde, brach anlässlich der staatlichen Coronamaßnahmen seitens der Kammern auf wie eine pralle Eiterbeule erstmals hinaus ins Licht der Öffentlichkeit — scham- und rücksichtslos.

Kammern funktionieren auf Knopfdruck als Sprachrohr und Vollstrecker mit Restriktionen gegen Kritiker unter ihren Mitgliedern.

Deren Meinung jedoch zu achten, ist sie kraft Auftrag gezwungen, um nicht die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage der Kammern in Frage zu stellen (40). Sie betreiben das Spiel gegen den Menschen mit Zuckerbrot und Peitsche durch Befeuerung irrationaler Ängste und Belohnungen durch Erzeugung eines ‚guten Gewissens‘, eine Erfindung des Teufels (41).

Im beeindruckenden Kontext mit Branchen- und Wirtschaftsverbänden setzten sie von jetzt auf gleich — ihren verpflichtenden gesetzlichen Auftrag, sich für das Gesamtinteresse im weitesten Sinne einzusetzen, wie eine heiße Kartoffel fallen lassend — mit Eifer und ohne Not alles daran, sich für jedes gewillkürte, selbst mit geringer Bemühung als groben Unfug zu entlarvende Narrativ des Staats als williger Büttel desselben zu gebärden und zu profilieren und sich durch vorauseilenden Gehorsam eines „roten Röckchens“ würdig zu erweisen — wem gegenüber auch immer. Ein, angesichts der Bedeutung und Zielsetzung der Institution, unwürdiges Verhalten.

Den Beleg dieser bitteren Entwicklung des Kammerwesens vom Partner des Staates auf Augenhöhe zu einem Bittsteller aus der letzten Reihe liefert auch im Namen der Kammern Hochrhein-Bodensee (Thomas Conrady) und Schwarzwald-Baar-Heuberg (Präsidentin Birgit Hackenjos), kein Geringerer als der Präsident der IHK Südlicher Oberrhein Eberhard Liebherr (42): „ … und setze darauf, dass man dafür auf die Wirtschaft und die Kammern zugeht und dort nachfragt, was unsererseits — kurz- und mittelfristig — angesagt ist ... .“ Ob ein Kotau ein größeres Maß an Unterwürfigkeit und Selbstverleugnung bekundet? Der (Ver)Fall eines einst staatstragenden, souveränen Mit- und Gegenspielers des Staats hinab zu einem willfährigen Helfershelfer könnte tiefer nicht sein.

Zwischenfazit

Es greift eine technokratieoffene Philosophie, die dieser Art politischen Handelns zugrunde liegt; Technokratie als Betriebssystem für die von nicht gewählten und demokratierfernen „Eliten“ vorgesehenen und umsetzungsreifen Technates (43), unabhängig davon, wen die Menschen wählen. Derzeit trägt Friedrich Merz deren Fahne, stumm mitgetragen von den Kammern.

Solches verhöhnt nicht nur den in Sonntagsreden gepriesenen Wählerwillen, sondern auch die Demokratie in ihrem Grundanspruch. Zum Urnengang proklamierte politische Zusagen, die an Kurzlebigkeit nicht zu überbieten sind und somit jedes Vertrauen in staatliches Sein und Handeln ad absurdum führen, sind nicht einmal in formal geächteten Diktaturen Praxis! Hier wird etwas Neues an politischem Konstrukt geboren, wofür sich kein Begriff recherchieren ließ.

Von dynamischen Charakterpersönlichkeiten mit gesundem Menschenverstand geführte Kammern tut bitter Not!

Doch es ist wie im echten Leben: So wenig, wie christliche Kirchen (44) mit dem Geiste Christi, anthroposophische Institutionen etwas mit dem Geiste Steiners, das Gesundheitswesen etwas mit Gesundheit zu tun haben, hat das heute gelebte Kammerwesen noch etwas vom Geiste ihrer Gründer.

Ausgeblendete wirkmächtige Realitäten

Die oben zitierte „moderne Politik“, das Wesen des Menschen oder des Mensch-Seins verkennende und ablehnende Haltung des Materialismus, die Ende des 19. Jahrhunderts durch Nietzsche (44) zur ersten vollen Blüte kam, erlebt nun zuvörderst in Deutschland mit Macht ein Comeback. Zeitgleich mit Nietzsche wurden seinerzeit die Thesen Lew Tolstois (45) diskutiert — zwei Welten, wie sie bezüglich Ethik und Humanismus unterschiedlicher nicht hätten sein können.

Während nach dem fürchterlichen und an grausamsten Erfahrungen reichen Ersten Weltkrieg, der nur zwanzig Jahre nach dessen formalem Ende mit dem erwartbaren Zweiten Weltkrieg seine nicht minder entsetzliche Fortführung fand, wurden zumindest in Europa bis in die 1960-er Jahre von breiter Öffentlichkeit dem Menschen und Mensch-Sein zugewandte Persönlichkeiten wie Rudolf Steiner, Albert Einstein und insbesondere Albert Schweitzer gehört, gelesen und wertgeschätzt, knüpften im Hintergrund global materialistisch Gesinnte im Bann eines ungebrochenen, im Geiste Nietzsches „Willens zur Macht“ (46), ihre Netze, die heute offen und das Weltklima — im emotionalen Sinne — und den Menschen selbst — geistig und körperlich — vergiftend vor uns liegen.

Albert Schweitzer (47) schreibt zu seiner Zeit als Student vor 1900:

„Tief beeindruckte mich, daß ich bei so manchen Gelegenheiten feststellen mußte, daß inhumane Gedanken, wenn sie sich öffentlich kundgaben, nicht zurückgewiesen und mißbilligt wurden, sondern einfach hingenommen wurden. Die ‚Realpolitik’ gelangte zu Ansehen. Nietzsches ‚Wille zur Macht’ fing an, seine ‚verhängnisvolle Rolle zu spielen’ und spricht von einer ‚Periode des Niedergangs’, die wenige Jahre später zum Ersten Weltkrieg führte.“

Was würde Schweitzer heute, nach mit Zweitem Weltkrieg und anschließend einer unüberschaubaren Menge an meist von den USA und der NATO entfachten und zu verantwortenden Kriegen gefüllten 125 Jahre sagen, wenn er sähe, dass die Masse der „ziviliserten“ Menschen sich wiederum trotzköpfig und beharrlich als nicht lernfähig, stattdessen „gehorsam“ erwiesen hat? Wie konnte es geschehen, dass die eines mündigen Menschen angemessene ethische Kultur trotz — oder wegen? — aller möglichen technologischen Fortschritte eine größere Inhumanität gegenüber früheren Generationen aufweist und erneut kraftlos zusammenbricht?

Schweitzers rational berechtigte Hoffnung in 1948, „dass durch den Krieg und seine Greuel die Menschen für die Ideen der Ehrfurcht vor dem Leben noch empfänglicher geworden waren“, versinkt 75 Jahre später in der allgemeinen europaweiten Kriegsgeilheit …

Der Elsässer Albert Schweitzer traute den Deutschen Lernfähigkeit zu, während sich zeitgleich der nachbarliche Badener Hans Maier (48) im Jahr 1966 skeptisch äußerte und Recht behalten sollte:

„Dieses Erbe [Obrigkeitsgläubigkeit] darf heute wohl in seiner Wirkungskraft nicht mehr überbewertet, es sollte aber gleichwohl nicht unterschätzt und verharmlost werden. Der Obrigkeitsstaat war nicht Bismarck — er war Bismarcks unfreiwilliger Helfer. Der Obrigkeitsstaat war nicht Hitler — er war Hitlers unzulänglicher Gegenspieler (49). Die obrigkeitsstaatliche Tradition berührt uns heute nicht mehr unmittelbar. (...) Doch Traditionen bleiben resistent. Sie dauern über ihre Zeit hinaus. Und so werden wohl noch Jahre vergehen, bis die Deutschen das lernen, was ihnen in kritischen Zeiten vielleicht geholfen hätte: Ungehorsam zur rechten Zeit.“

Papier ist geduldig

Die kammerseitigen Methoden, den gesetzlichen Kernauftrag zu hintergehen und die Integration und Umsetzung staatlicher Interessen zu forcieren und sich als selbsternanntes Organ der Exekutive zu agieren, sind unterschiedlich.

Hier, Stichwort Klima, ein vor Jahrzehnten eingefädeltes, scheibchenweise offen einer zunehmend sich blind galoppierend realitätsfern berauschender Klima- und Energiepolitik unterwerfendes Mitmachen, dort den auf staatlichen Zuruf in vorgeblicher Katastrophensituation panikhaft umgesetzten und von Mitgliedern wie der Gesellschaft ebenso bedrängend wie nötigend eingeforderten Kadavergehorsam als Disziplinierungsmaßnahmen. Die Rede ist von Corona„schutz“Maßnahmen ab 2020 — eine von Ministerpräsident Winfried Kretschmann freimütig artikulierte, mit allen möglichen Schikanen einschließlich behördlicher und durch Betriebe vom Café über ÖPNV, Deutsche Bahn bis Kirchen und Luftfahrt ziviler Gewaltanwendung und hoch strafbewehrte und dadurch mit Erfolg durchgeschlagene allgemeine Gehorsamsprüfung (50).

Hätten die Kammern ihren Fuß in die Türe gestellt, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, hätte es weder Maskentragen, noch Lockdowns und Impfwahn gegeben.

Die gedemütigten wie hörigen Müßiggänger, besonders scheinheilig die schweigende Masse aus Mitläufern und Mittätern, schimpfen auf die Akteure wie die Kritiker und werfen dem Staat und seinen willigen Schergen in Wirtschaft, Wissenschaft und Klerus flächendeckendes Versagen vor, um die meist erkannte eigene Beschämung (51) der Ursache zu vertuschen; denn haushoch gewonnen hat die konzertierte Aktion des noch nie derart übergriffigen Staats im Verbund mit seinen erfolgreich korrumpierten (52) Schergen, die den bereits in 2012 veröffentlichten Plan (53), mit terroristischen Methoden die Bevölkerung gefügig zu machen, quasi unbehindert durchziehen konnten — und es nach wie vor mit neu gesetzten, erkennbar erlogenen Narrativen erfolgreich tun.

Die zentrale Schlüsselrolle für dieses unsägliche, Betriebe, Infrastruktur und letztlich Menschen schädigende staatliche Husarenstück spielen, es sei noch einmal betont, — in Vernachlässigung ihres gesetzlichen Auftrags — spielen die IHKs.

Wege zur Lösung

In ihrem Tun wird der IHK wiederholt einen ob der heftigst widersprechenden Interessen der ihr ungefragt zugeteilten Pflichtmitglieder ein „Gesamtinteresse“ der Wirtschaft wahrzunehmen und dabei auch Minderheitenmeinungen öffentlich zu Gehör zu bringen sowohl per Gesetz als auch durch höchstrichterliche Entscheidungen abverlangt. Der sich deshalb aufdrängende Gedanke, dieser kaum zu meisternde Spagat würde eine Neustrukturierung des Kammerwesens rechtfertigen, greift zu kurz. Die IHK ist kein Verein, sondern eine mit weitreichenden Rechten und bemerkenswerten Pflichten gegenüber dem Staat ausgestattete Körperschaft öffentlichen Rechts; nicht vergleichbar mit einem Verband oder sonst einer irgendwie bezogenen und einflussreichen Interessenvertretung, denen man je nach Gusto oder Situation ebenso beitreten, wie auch den Rücken kehren kann.

Der zentralen Pflicht der Kammer, nämlich die Ermittlung des Gesamtinteresses der von ihr zu vertretenden Pflichtmitglieder, kommt sie dann nur halbherzig bis gar nicht nach, wenn die Abweichung von herrschender Meinung zu offensichtlich ist (54).

Die verfassungsgerichtlich geforderte „Kultur“ der Binnenpluralität, um des zeitgemäßen Standes des ihr verfügbaren Wissens willen (55) und dieses zu Gehör zu bringen, findet schlicht nicht statt.

Das vom Gesetzgeber benannte „Gesamtinteresse“, 2001 erweitert um „Gesamtverantwortung“ (56), schließt eine Gemeinwohlorientierung und eine Gemeinwohl*bindung* mit ein — im Grunde ein modern formulierter Erhard’scher Imperativ.

Fazit

Es wird höchste Zeit, dass sich die tatsächlich nicht weisungsgebundenen autonomen Kammern in Gänze auf ihren gesetzlichen Auftrag besinnen, ihn ernst nehmen und endlich die Schlüsselrolle gegenüber dem Staat und Gesellschaft durch Wahrnehmung der Interessen der mittelständischen Wirtschaft (57) und somit zum Schutz des Gemeinwohls aufgreifen statt zu leugnen.

Sie sind dann das implizierte Gegengewicht beispielsweise zum Gesetzgeber, um die mittelständische Wirtschaft aktiv gegen die strangulierenden Überregulierungen zu schützen. Das Killerargument, man habe EU-Regelungen umzusetzen, hätte ausgedient.

Was hindert die Kammern, das vernachlässigte Wesensmerkmal zur Blüte zu bringen, nicht nur dienender Berater, sondern auch ein Wehr gegenüber vorsätzlichen oder unbedachten Übergriffigkeiten des Staates zu sein und ihre Schutzfunktion gegenüber ihren Mitgliedern wahrzunehmen? Die Kammer muss aufgrund ihrer Verantwortung wieder lernen, „Nein“ in Liebe gegenüber Fremdbestimmung durch Dritte zu sagen (58).

Das ist keine Rechts-, sondern eine Gesinnungs- und deshalb Personalfrage. Doch steht man, wie nach 1945 und teilweise 1990 vor dem Dilemma, Ersatz für devotes, vielfach ideologisiert-inkompetentes Führungspersonal zu finden — die letztlich gescheiteren Entnazifizierungsverfahren lassen grüßen. Die Irrwege zu beenden, in die sich die Kammern mehr und mehr schuldlos schuldig verstrickt haben, braucht es zum nötigen Befreiungsschlag Gestaltungswillen und kreativen Druck von der Basis her durch Mandatsträger in der Vollversammlung — es braucht Querdenker (59). Die Klammer der Nomenklatura zu durchbrechen, ist kein Selbstläufer.

Das Präsidentenamt ist ein Ehrenamt ohne großen Einfluss und wird von einem Unternehmer in der Regel zusätzlich zu seinem Tagesgeschäft geleistet; der Geschäftsführer arbeitet hauptberuflich und hat das Sagen über die Administration; dieses Konstrukt der Nomenklatura hat ein Eigenleben und neigt eher zum Bremsen oder gar Verhindern (60). Der Souverän ist formal die Vollversammlung, was ihr mundgerecht vorgelegt wird, lenkt die Verwaltung. Der gern ohne Aussprache Fakten schaffende HGF Dr. Norbert Euba drückte dieses Informations- und Entscheidungsgefälle dereinst wie folgt aus: Präsidenten kommen und gehen, die Geschäftsführung bleibt.

Mit rund 80 Kammern in 16 Bundesländern und etwa 3,6 Millionen Pflichtmitglieds-Betrieben sollte es gelingen, durch furchtlose Persönlichkeiten das Angebot des Staates, durch das bewusst regelarme Kammergesetz weite Handlungs- und Wirkungsspielräume zu eröffnen, umzusetzen.

Die Kammern sind ihrem Wesen nach letztlich Bollwerke gegen den übergriffigen Staat und verkannte Joker der Gesellschaft.