Geplanter Kontrollverlust

Die Wahl zwischen Karten- und Bargeldzahlung wird uns zunehmend genommen — doch es gibt eine Hoffnung für den Erhalt des Bargelds.

Ein Stützpfeiler der freien Gesellschaft wankt. Stellen Sie sich vor, Sie stehen an der Kasse. Die EC-Karte funktioniert nicht, die Kreditkarte streikt. Hinter Ihnen ungeduldige Stimmen. Sie brechen den Kauf ab, probieren es beim Bäcker gegenüber. Die Geldkarten lassen Sie im Stich, auch hier. Ob Sie erwerben oder veräußern können, entscheiden nicht mehr Sie, sondern die Technik, die Bank und der Staat. Unvorstellbar? Mehr und mehr Geschäfte weisen Münze und Papier zurück. Mit Karte, bitte! Ob in der Dresdner Straßenbahn, in Hamburger Bussen oder im Schweizer Postauto — die Barzahlung wird abgeschafft. Überwachung auf Schritt und Tritt: Das ist Freiheit, wirbt JPMorgan Chase auf der Kreditkarte. Die Großbank Nummer eins setzt auf Psychologie. Die Unbill kommt auf Zehenspitzen. Millionen Irrlichter locken in die digitale Welt. Aber die Schweiz sendet einen Hoffnungsstrahl.

„Es ist vorzuziehen, dass der private Sektor die Bargeldabschaffung betreibt und nicht der staatliche Sektor. (...). Letzteres erscheint fragwürdiger und die Leute könnten triftige Einwände dagegen haben.” Die Sätze von Aleksej Kirejew sind erst ein paar Jahre alt. Ehemaliger Berater von Michail Gorbatschow, leitender Ökonom beim Internationalen Währungsfonds: kein Niemand also. Auf Fotoaufnahmen lächelt er mit Christine Lagarde in die Kamera. Seine Vorgesetzte beim IWF damals. Vom Forbes-Magazin zur zweitmächtigsten Frau der Welt gekürt. Inzwischen Präsidentin der Europäischen Zentralbank. Und dort verwirklicht sich Kirejews Dystopie — vor unseren Augen:

Beim „Beck“ in Nürnberg, Ecke Bahnhofsstraße gehen Barzahler leer aus. Der Betreiber: eine Bäckereikette mit 150 Standorten. Ihre erste Filiale dieser Art. MPreis ist auf demselben Weg: Gut 300 Supermärkte zählt das Unternehmen; in Innsbruck steht das Mustermodell der bargeldlosen Einkaufswelt. Mastercard als Projektpartner mit im Boot. Und der Weihnachtsmarkt in Zürich am Bellevue bleibt zum wiederholten Male „cashless“. Letztes Jahr noch mit einer Ausrede: „Unsere Veranstaltung ist aufgrund der Hygienemaßnahmen bargeldlos.“ Heuer schon selbstverständlich. Genauso auf dem „Sternenmarkt“ in der Hauptstadt Bern.

In Skandinavien regieren die Banken längst über den Geldbeutel in der Manteltasche. Die Kreditkarte als Ticket für die Teilnahme am öffentlichen Leben: 900 der 1600 schwedischen Bankfilialen halten kein Bargeld mehr vor, schrieb Aleksej Kirejew 2017. Es ist unmöglich, eine Fahrkarte für die U-Bahn mit Bargeld zu kaufen.

Schweden als Vorreiterland also. Und Mitteleuropa folgt. Bargeldlose Bahnhofstoiletten jetzt auch bei uns. Einen Fahrschein im Schweizer Postauto kaufen? Das führende Busunternehmen will ab 2025 nur Karte oder Handy. Aber es geht noch moderner: „Schwedens Bahn akzeptiert jetzt in die Hand implantierte Chips als Ticket“, berichtete die Berliner Morgenpost.

Eine freie Gesellschaft braucht ein freies Geld

„Digitales Bargeld kann unseren Alltag leichter machen“: die Meldung vom 7. November 2022. Aus der Feder von Finanzminister Christian Lindner, direkt aus Brüssel. Die Politik gefesselt von der Digitalwährung. „Eine weitere Stufe der Entwicklung des staatlichen Geldes — nach Münzen und Banknoten“, sagt Bundesbankpräsident Joachim Nagel. Das Bargeld gerät in Vergessenheit. Kann die Freiheit (über)leben, wenn man sich nicht für sie einsetzt?

Womöglich hätten wir in dieser schönen neuen Welt nie von einem Edward Snowden erfahren. Spezialantenne, Datenträger, Laptops und Flugtickets: Snowdens Einkaufsliste war lang; zum Glück gab es das Bargeld. Der Whistleblower verwischte seine Spuren. Ebenso zwei Journalisten, denen er sich anvertraut hatte: Laura Poitras und Barton Gellman (1). Dass der NSA-Mitarbeiter seine Tage nicht in einer Zelle fristet, ist auch dem Einsatz von Julian Assange zu verdanken. Der WikiLeaks-Gründer und Journalist griff selbst stets zu Banknoten statt Kreditkarten. Heute wird Assange unter Folterbedingungen festgehalten in Belmarsh, London.

Eine Menschenmasse in der Metro. 2019 geht Hongkong auf die Straße. Alle stehen um die Fahrscheinautomaten; Chipkarten bleiben daheim. Die Demonstranten zahlen bar — Angst vor China. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Polizei Ticketbuchungen zu Ermittlungszwecken verwendet. Immerhin, Hongkong kann sich noch Automaten mit Münzeinwurf leisten. Ein Beitrag zu einer freien Gesellschaft. In Deutschland keine Selbstverständlichkeit mehr:

In der Dresdner Straßenbahn mit Bargeld kein Weiterkommen. Wenigstens mit Kindern wollen die Verkehrsbetriebe kulant sein, wenn sie ohne Fahrschein angetroffen werden. Die Jüngsten sollen schon mit Karte zahlen. Schlechte Voraussetzungen dafür, einen guten Umgang mit Geld zu entwickeln. Visa weiß das. Die Karte verleitet zu Mehrausgaben. Und das Kreditkartenunternehmen wirbt mit dieser Tatsache Geschäftskunden. Der Handel will mehr umsetzen. Die Umwelt ist die Leidtragende, die Nachwelt erst recht.

Die Chance

Heute versprochen, morgen gebrochen: Kein EU-Land müsse für die Schulden eines anderen Mitgliedsstaates haften, der Maastrichter Vertrag verbiete das ausdrücklich. Die Urheberin dieser Worte, die CDU, ging als Siegerin aus dem Europa-Wahlkampf hervor. Das war 1999. Zwölf Jahre später verwirklichte sich das Gegenteil, mit den Stimmen derselben Partei. Lang ums Eck; aber der elektronische Euro kommt — als Zahlungsmittel für den Alltagsgebrauch.

Die Digitalwährung soll das Bargeld nicht ersetzen, sondern ergänzen, beschwichtigt die Politik. Garantien? Fehlanzeige.

Auch in der Schweiz verliert das Bargeld an Boden. Doch die Eidgenossen besitzen einen Vorteil: Gegen Gesetzesänderungen kann ein Referendum zustande gebracht werden und Volksinitiativen können eine Verfassungsänderung bewirken. Bürger haben jetzt genau das auf den Weg gebracht. Die Initiative „Bargeld ist Freiheit“ soll dem einzigen etablierten freien Zahlungsmittel Schutz durch die Verfassung geben. Helfe und dir ist geholfen: Hat die Schweiz Erfolg, steht ein Leuchtturm für eine freie Zukunft. Nicht irgendwo, sondern im Herzen Europas.

Und die Schweiz braucht Unterstützung: Engagement und Aufmerksamkeit. 100.000 gültige Unterschriften von Schweizer Staatsangehörigen sind Voraussetzung; sonst kommt es nicht zur Volksabstimmung. Weil die Medien schweigen, ist die Unterschriftensammlung ins Stocken geraten. 40.000 Unterzeichner müssen sich in den nächsten zwei Monaten finden. Im Februar 2023 läuft die Sammelfrist ab. Und das können wir tun:

  1. Verbreiten Sie den vorliegenden Artikel in Ihrem Umkreis. Per E-Mail, in sozialen Medien, in der Druckversion.
  2. Machen Sie Freunde in der Schweiz aufmerksam. Der Unterschriftsbogen in drei Landessprachen kann hier heruntergeladen werden.
  3. Die Initianten wollen jedem Haushalt ein Flugblatt zustellen. Wenn Sie das Vorhaben unterstützen möchten, besuchen Sie die Seite Flyer-ueberall.ch.
  4. Leben Sie in der Schweiz? Dann verteilen Sie diesen Handzettel zum Ausdrucken.
  5. Sie kennen Leute mit Reichweite? Vermitteln Sie der Sache Medienpräsenz.
  6. Auf Bargeldverbot.info und bei Norbert Häring finden Sie Hintergrundinfos zum Thema Bargeld. Erfahren Sie, wie Sie Ihre Argumente untermauern können.

Helfen wir mit. Freiheit kennt keine Ländergrenzen.

Mit dem Ende der Barzahlung wird der Bürger an Staat und Banken gebunden: mit seiner Handlungsfähigkeit, mit seinen Daten, mit seinem Geld. Mit Banknoten und Münzen haben wir Kontrolle über die eigenen Finanzen und damit über das eigene Leben.

Die Initiative soll sicherstellen, dass der Zugang zu Bargeld erhalten bleibt. Ein positives demokratisches Votum in der Schweiz: Das wäre die Initialzündung für den Erhalt des freien Zahlungsmittels in Europa.

Alle Teile der Gesellschaft sind gefragt, denn: Die Barzahlung für die Zukunft zu bewahren ist verbindend und wegweisend, sozial wie konservativ, freiheitlich, ökologisch und christlich in einem. Sie können ganz persönlich dazu beitragen, dass sich das Licht unter Irrlichtern in eine Sonne für die Welt verwandelt.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Barton Gellman in „Der dunkle Spiegel“, Frankfurt 2020, Seite 19f.

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