Gestatten, Elite...

Die Jacobs University Bremen darf auf Staatskosten weiter Misswirtschaft betreiben.

Eine private Universität in Bremen schreibt, obwohl mit massenhaft Steuergeld gepäppelt, seit bald 20 Jahren rote Zahlen. Im gleichen Zeitraum wurden die Landeshochschulen auf Magerkost gesetzt. Geld, das ihnen an allen Ecken und Enden fehlt, verpulvert die Politik für ein gescheitertes Geschäftsmodell. Eigentlich sollte 2017 Schluss damit sein. Tatsächlich will die Koalition jetzt noch eine Schippe drauflegen und dem Investor die Last eines 50-Millionen-Euro-Kredits abnehmen. Dann könnte man den Laden auch gleich verstaatlichen, widersprechen Kritiker der behaupteten „Alternativlosigkeit“. Entschieden wird der Fall anderswo, in Zürich, am Sitz der Jacobs Foundation. Sie diktiert — die Regierung gehorcht.

Wer an der Jacobs University Bremen (JUB) studieren will, sollte es dicke haben. Für einen Bachelor in „Global Economics and Management“ muss Student mal eben 20.000 Euro berappen – jährlich, versteht sich. Bis zum Abschluss nach drei Jahren werden mindestens 60.000 Euro fällig. Man könnte annehmen, dass das Geschäft bei solchen Summen brummt. Dem ist nicht so, im Gegenteil: Die im Bremer Stadtteil Grohn ansässige Privathochschule ist ein Fass ohne Boden. Alles Geld, was oben reinkommt, versickert am Ende in irgendeinem Haushaltsloch.

Wobei: Ein Ende gibt es nicht, beziehungsweise soll oder darf es nicht geben und das obwohl der Stadtstaat das Bundesland mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung ist. Na und, mag man fragen. Was hat ein Normalbürger mit einer Privatuni zu schaffen? Das lässt sich beziffern. Seit Gründung der 1999 als „International University Bremen“ (IUB) gestarteten Einrichtung haben Bund und Land weit über 200 Millionen Euro an Direktsubventionen zugeschossen. Den Löwenanteil steuerten die Hansestädter bei, angefangen mit einer „Starthilfe“ zur Inbetriebnahme im Jahr 2001 in Höhe von damals 200 Millionen D-Mark über einen mit Landesbürgschaft besicherten Kredit der Bremer Aufbau-Bank von 50 Millionen Euro bis hin zu wiederholten Zuwendungen im zweistelligen Millionenbereich.

Fehlende Kundschaft

Aber nichts von all dem hat nachhaltige Wirkung gezeitigt. Der größte Haken am Geschäftsmodell ist der Mangel an Kundschaft. Bei jährlich zwischen 10.000 und 30.000 Euro Gebühren fehlt es an zahlungswilligen Studenten. Der Anteil der Vollzahler bewegte sich von der ersten Stunde an auf sehr niedrigem Niveau. Ihrer „Attraktivität“ hilft die Hochschulleitung maßgeblich damit auf die Sprünge, Interessenten mit Stipendien, Studiendarlehen oder Rabatten zu locken. Auf dieser Basis sollen im Jahr 2014 rund 90 Prozent der Studierenden an der JUB eingeschrieben gewesen sein. An ihnen verdient die JUB nicht, sie zahlt drauf. In ihren ganz schlechten Zeiten hat die Uni pro Jahr ein Minus von 20 Millionen Euro „erwirtschaftet“. Aber ganz gleich, wie tief ihre Macher sie in die roten Zahlen trieben, die Politik legte verlässlich immer wieder neue Steuermittel nach.

So soll es weitergehen. Unlängst hat sich der von SPD und Grünen geführte Senat darauf verständigt, besagten 50-Millionen-Kredit, von dem seit 2003 lediglich vier Millionen Euro getilgt wurden, zu übernehmen und auf Staatskosten bis 2023 abzustottern. Bis zuletzt hat die JUB das Darlehen selbst bedient, mit rund drei Millionen Euro jährlich, die aber einzig für die Zinsen draufgingen. Und eigentlich stammte nicht einmal dieses Geld aus eigener Kasse. 2013, als es ganz düster aussah um die Zukunft der Uni, hatte der Bremer Senat, seinerzeit unter Führung von Jens Böhrnsen (SPD), einen weiteren Direktzuschuss in Höhe von 15 Millionen Euro gewährt, verteilt auf fünf Jahre. Faktisch sind diese Mittel eins zu eins aus dem Landeshaushalt über Umwege bei den Banken gelandet.

Immerhin war die Rettungsmission den Verantwortlichen peinlich. Nach einem Jahrzehnt leerer Versprechungen wird jedes neue Steuergeschenk schwerer vermittelbar. Deshalb markierte die Regierung den Harten und machte die Ansage, dass danach, also 2017, ein für alle Mal Schluss wäre mit den Staatshilfen. Vorneweg tönte Bürgermeister Böhrnsen: „Das ist die allerletzte Tranche!“

Augenwischerei

Rien ne va plus? Von wegen! Demnächst wird der Einsatz sogar kräftig erhöht. Um die Restschuld von 46 Millionen abzulösen, müsse Bremen bis 2023 knapp „acht Millionen Euro jährlich für Zins und Tilgung“ aufbringen, hat die Bürgerschaftsfraktion der Partei Die Linke vorgerechnet. Im Ergebnis stellt das die bisherigen Steuerzuschüsse, genannte drei Millionen Euro jährlich, noch einmal deutlich in den Schatten. Die Regierung kalkuliert freilich anders. Mit der Maßnahme werde der Uni Luft verschafft, den eingeschlagen „Wachstumskurs“ weiterzuverfolgen, heißt es. Und natürlich zeigt sich Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD) – wie davor all seine Vorgänger – überzeugt, dass sich die Universität „am Ende dieses Weges aus eigener Kraft finanzieren kann“. Einen nützlichen Nebeneffekt hat die Lösung dazu: Mit der Umstellung von einer direkten auf eine indirekte Beihilfe – gesparte Zinsen statt eines Schecks aus dem Finanzressort – würde die Koalition formal sogar das frühere Versprechen einhalten, die JUB nicht länger unmittelbar zu fördern.

Ob die Wählerinnen und Wähler das abkaufen, muss man abwarten, und bis zum nächsten Urnengang im Frühjahr 2019 könnte auch allerhand Gras über die Sache gewachsen sein. Einstweilen begegnet Rot-Grün Zweiflern und Gegnern mit einer satten Ladung Augenwischerei. So habe sich das Defizit der Jacobs-Uni im Vorjahr auf nur noch 1,7 Millionen Euro belaufen. Dazu soll das Minus zwischen 2013 bis 2016 um 16,6 Millionen Euro abgebaut worden sein. Außerdem habe die JUB mit ihren wissenschaftlichen Renommee und ihren 400 Beschäftigten eine „hohe wirtschaftliche Bedeutung“ für die Stadt und Region, meint Senator Günthner. Selbst Chinesen kämen nach Bremen Grohn, um sich Knowhow für Unternehmensführung und IT anzueignen.

Das alles glaube, wer will. Feststeht hingegen, dass die Bremer Privathochschule neben der Politik einen zweiten Gönner zum Überleben braucht, namentlich die Schweizer Jacobs Foundation. Die vom einstigen, 2008 verstorbenen Kaffee-König Klaus Johann Jacobs ins Leben gerufene Stiftung hatte der damals schon in argen Nöten befindlichen IUB im Jahr 2006 mit einer 200-Millionen-Euro-Spende aus der Patsche geholfen. Im Gegenzug übernahm sie zwei Drittel der Gesellschafteranteile, also das Zepter über die Uni, die fortan unter ihrem Namen firmierte. Selbstredend verband sich ihr Engagement mit der Bewilligung einer zusätzlichen staatlichen Geldspritze in Höhe von 23 Millionen Euro. Hinzu kamen in der Folge weitere 40 Millionen Euro vom Bund aus dem Fördertopf für den Hochschulbau.

Stiftung diktiert

Ohne die in Zürich ansässige Stiftung im Rücken und ohne ihren offensichtlich guten Draht zu Regierung und Parlament wäre die JUB längst abgewickelt. Ursprünglich war einmal der Plan, eine Reihe großer deutscher Konzerne als Förderer zu gewinnen. Doch Interessenten wie die Telekom, Allianz, Bosch und die Post wendeten sich wieder ab, als Anfang der 2000er Jahre die New-Economy-Blase platzte. So wurde die Abhängigkeit von den Schweizer Stiftern chronisch. Noch 2012 hing die Uni mit rund der Hälfte ihres Etats am Tropf der Foundation. Das konnte nicht ewig gutgehen. Mittlerweile sind die ganzen 200 Millionen Euro Startkapital aufgebraucht, so dass dringend Nachschub her muss.

Der Stiftungsrat will dem Vernehmen nach in Kürze darüber entscheiden, ob die JUB eine Anschlussförderung in Höhe von 100 Millionen Franken bis 2027 erhalten soll. Dabei hätten die Verantwortlichen „offenbar signalisiert, dass vor einer endgültigen Zusage (…) Klarheit darüber bestehen müsse, ob sich die Stadt weiterhin finanziell engagiert oder nicht“.

Was lässt sich daraus schließen? Der Sinneswandel beim Senat, nach dem Motto: „es hat sich doch nicht ausgefördert“, dürfte viel eher der Einsicht in die eigene Erpressbarkeit geschuldet sein als einem plötzlich erwachsenen Vertrauen, dass die Privatuni irgendwann doch die Kurve kriegt. Tatsächlich sieht der sogenannte trilaterale Vertrag, den die JUB, das Land und die Stiftung 2013 geschlossen haben, die Möglichkeit der Foundation vor, ihre Zahlungen jederzeit einzustellen. Dazu hielt der Bremer Weserkurier fest: „Unausgesprochen steht seither im Raum: Die Stiftung könnte sich auch komplett aus der Finanzierung der Jacobs-Uni zurückziehen, falls Bremen aussteigt. Das wäre gleichbedeutend mit dem Aus für die Privathochschule.“

In einer Medienmitteilung legte Kristina Vogt, Vorsitzende der Linksfraktion in der Bremischen Bürgerschaft, den Finger in die Wunde. „Der Senat hat sich vom Züricher Unternehmer Christian Jacobs abermals auf ganzer Linie über den Tisch ziehen lassen – ein absolutes Versagen und ein erneuter Bruch des Koalitionsvertrages.“ Auch in dem steht geschrieben, dass es kein neues Geld für die JUB geben darf. Darin wörtlich: „Die JUB muss ab 2018 ohne Finanzmittel des Landes auskommen.“ Im Ergebnis, so die Linkspolitikerin, sei dies „auch ein Schlag ins Gesicht aller Studierenden der öffentlichen Hochschulen im Land Bremen, die um jeden Cent und jede Stelle kämpfen müssen und wo während der laufenden JUB-Subventionierung diverse Studiengänge geschlossen oder zusammengestrichen worden sind“.

Verstaatlichung gefordert

Widerspruch erntet der Senat auch in einem weiteren Punkt. Während er die „Alternativlosigkeit“ seiner Pläne betont und ein haushaltspolitisches Desaster für den Fall beschwört, dass die Uni pleitegeht, liebäugeln andere ganz offen mit einer Verstaatlichung. Dazu zählt selbst der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Matthias Kleiner, der Anfang April vorschlug, die JUB als Internationale Filiale unter dem Dach der Universität Bremen fortzuführen und gegebenenfalls in öffentliche Trägerschaft zu stellen. Zuspruch erhielt er dafür vom Rektor der Bremer Uni, Bernd Scholz-Reiter, wie auch vom renommierten Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. „Bevor der Senat seine bisherige Teilfinanzierung fortschreibt, muss ein öffentlich verantwortbares Zukunftsmodell gefunden werden“, sagte er und lobte Kleiner dafür, „das ideologische Tabu von der Privatuniversität mit einer bisher unkontrollierten öffentlichen Teilfinanzierung mutig gebrochen“ zu haben.

Der Senat will von Tabubrüchen nichts wissen. Damit sorgen SPD und Grüne nicht nur dafür, dass auch in Zukunft massenhaft Steuergeld verschleudert wird, sondern betätigen sich obendrein als Bewahrer eines hierzulande faktisch gescheiterten Modells. So jedenfalls lautet das Urteil des emeritierten Soziologen und Elitenforschers Michael Hartmann, der einer der profiliertesten Kenner der Materie ist. Er konstatiert in großer Klarheit: „Ein normaler Unibetrieb, mit einem einigermaßen breiten Fächerangebot, geschweige denn mit vernünftiger Forschung, ist in Deutschland privat nicht zu organisieren.“

Wie er gegenüber dem Rubikon ausführte, existierten mit der Jacobs-Uni, der Universität Witten/Herdecke (NRW) und der Zeppelin Universität in Friedrichshafen (Baden-Württemberg) lediglich drei Einrichtungen, die sich an dem Konzept mehr schlecht als recht versuchen. „Ohne ihre finanzkräftigen Förderer wären alle drei wahrscheinlich längst den Bach runtergegangen und wenigstens die JUB und Witten-Herdecke existieren nur noch, weil die öffentliche Hand regelmäßig Geld reinbuttert.“ Unter den Privathochschulen behaupten sich laut Hartmann dagegen nur diejenigen, die sich auf wenige, gebührenträchtige Fächer, etwa in den Bereichen Wirtschaft und Recht, spezialisieren.

„Für private Vollunis fehlt es dagegen einfach an der nötigen Bereitschaft in der breiten Bevölkerung und selbst in der Oberschicht, Zehntausende Euro an Studiengebühren hinzulegen.“

Gespaltene Hochschullandschaft

Eine von Hartmanns Thesen ist ohnehin die, dass sich die Spaltung in Spitzen- und Massenunis in Deutschland längst im Rahmen der öffentlichen Hochschullandschaft vollzieht, insbesondere auf dem Wege von Drittmittelzuwendungen durch Staat und Industrie. „Warum also Geld in Privatunis stecken, wenn die Sprösslinge aus betuchtem Elternhaus auch an öffentlichen Unis bestens ausgebildet werden?“ Der frühere Professor der TU Darmstadt hat vor drei Jahren in einer Studie nachgezählt, wie viele der Topmanager in Deutschlands Chefetagen an einer Privatuni studiert haben. Von 529 waren es ganze zwei, woraus Hartmann schloss: „Eigentlich haben diese Privathochschulen keine echte Bedeutung – wenn es um die Produktion der Wirtschaftselite geht.“

Zurück zur Jacobs-Uni. Für die Linkspartei ist diese nur noch eine „sogenannte Privatuni“, und ihre „Eingliederung ins öffentliche Hochschulsystem“ müsse Ziel der kommenden fünf Jahre sein. So ließe sich die „Raumnot an Uni und Hochschule Bremen entschärfen und die inhaltliche Schwerpunktsetzung der JUB könnte in Teilen das Wissenschaftssystem in Bremen ergänzen“, befand Fraktionschefin Vogt. „Nun weitere 46 Millionen Euro zu versenken ist nicht alternativlos“, ergänzte der wirtschaftspolitische Fraktionssprecher Klaus-Rainer Rupp. Das Land stehe im Fall einer Insolvenz im Grundbuch und könne die Liegenschaften für einen Euro übernehmen. „Der Gegenwert des Anlagevermögens liegt weit über den Ausfallrisiken der Bürgschaft und sonstigen Rückforderungen.“

Erneuerung?

Das fehlte noch: Auch die Jungsozialisten (Jusos) in der SPD wollen nicht länger Millionensummen in einen löchrigen Kaffeesack stopfen und verlangen, eine Überführung der JUB in öffentliche Hand zu prüfen. Gefordert haben sie das auf dem SPD-Landesparteitag. Oder irgendwie auch nicht: Ihren Antrag haben sie im Gegenzug für das Versprechen des Parteivorstands, den Verwaltungskostenbeitrag für Studierende an öffentlichen Hochschulen ab 2020 zu streichen, zurückgezogen. So viel zur Erneuerung der Sozialdemokratie.