Gewolltes Missverständnis

Weil er auf der Bühne einen Nazi parodierte, verfolgen deutsche Behörden den Musiker Roger Waters, als sei er wirklich einer. Offener Brief an die Berliner Polizei.

„We don’t need no thought control“ gehörte zu den prägnantesten Sätzen aus dem 70er-Jahre-Album „The Wall“, dessen geistiger Vater Roger Waters ist. Die Berliner Polizei ist da offenbar anderer Ansicht und meint, etwas Gedankenkontrolle könne nichts schaden. Wen stört da noch, dass das deutsche Grundgesetz die Meinungs- und Kunstfreiheit explizit schützt? Weil Roger Waters bei einem Konzert als Nazi verkleidet auftrat, um den Faschismus zu kritisieren und zu parodieren, ermittelt nun der Staatsschutz wegen Volksverhetzung gegen ihn. Das Kunstverständnis der Behörden scheint somit gegen null zu tendieren, was sie nicht davon abhält, sich als Kunstrichter aufzuspielen. Warum eigentlich war Hitler-Darsteller Bruno Ganz zeitlebens auf freiem Fuß? Eben weil ein Schauspieler das, was er darstellt, nicht wirklich ist. Dass die Berliner Polizei diesen Unterschied nicht begreift, ist kaum vorstellbar. Anzunehmen ist daher, dass es sich um einen erneuten Zensurversuch und um Meinungsterror gegen unbequeme Künstler handelt. Die Autorin schrieb der Polizei ganz direkt, was sicher viele in diesen Tagen empfinden: Die Achtung vor dieser Polizei schwindet.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit der Bitte um Weiterleitung an die engagierten, ermittelnden Kollegen im Fall Roger Waters.

Herzlichen Dank und mit freundlichen Grüßen,
Philine Conrad

„Sehr geehrte Damen und Herren der Berliner Polizei,

Ihr seid wirklich lustig.

Als Beamte des Staates, bezahlt von Steuergeldern arbeitet Ihr in erster Linie zum Schutz des Grundgesetzes. Ich bitte Euch, es zu bestellen, Ihr bekommt es über die Seite der bpb. Sie senden es gratis. Artikel 5 besagt das Recht auf die Freiheit der Kunst.

Roger Waters tritt in einem Nazimantel auf – also eine Parodie – es ist Bühne, es ist Theater.

Es ist der gelebte Artikel 5 des Grundgesetzes. Ich erinnere Sie, das ist das Niedergeschriebene rechtliche Manifest das bis zum Frühjahr 2020 noch Geltung fand. Bis Polizisten, also Ihre Kollegen, auf dem Rosa-Luxemburg-Platz verkündeten, das Grundgesetz der Bundesrepublik sei eine „politische Meinungsäußerung“. Es kratz schwer an Intellekt und Herz, sich vorzustellen, dass diese Auffassung in Berliner Polizeipräsidien geteilt wird.

Zurück zu Roger Waters:

Sein Vater wurde von den Nazis in den 1940er Jahren erschossen. Er starb, Roger Waters war ein Paar Monate alt. Später las er den Brief, auf dem der Tod des Vaters mitgeteilt wurde. Der Song beschäftigt sich mit diesem Ereignis. Mit den Nazis. Er beschäftigt sich damit auf kritische Weise. Und das ist richtig so.

Denn wir hängen immer noch als Opfer in der braunen Suppe des Weltgeschehens. Und nicht als Souverän, daran klug und klar zu arbeiten, uns in unserem Charakter und unserer Persönlichkeit so weit zu entwickeln, dass sich so etwas nicht wiederholt.

Heute sind alle, die der Mehrheitsmeinung widersprechen, Nazi, rechts oder Antisemit.

In den letzten 3 Jahren haben wir eine Dynamik der politisch herbeigeführten Massenpsychose erlebt.

Und wenn ich höre, dass Ihr jetzt entgegen Artikel 5 GG ermittelt, scheint es, dass genau das eine Schwäche der Polizistenausbildung zu sein scheint.

Beschäftigt Euch bitte mit dem Asch-Experiment, dem Stanford Prison und dem Blue Eyes Project.

Und bekommt wieder menschliches Rückgrat, als nur Handlanger der Regierung zu bleiben. Denn dann rutschen wir noch tiefer in eine polizeilich überwachte Enge einer einstmals freien, toleranten Gesellschaft.

In diesem Sinne, seid Beamte im Dienste der Kunstfreiheit. Und im Sinne des Gesetzes.

Also gut, lasst ermitteln. Wir leben und schätzen das demokratische, freie und „beste Deutschland, das wir je hatten“.

Bitte erinnert Euch, dass Ihr Hauptmitgestalter dieses Landes, dieser Gesellschaft, der gelebten Freiheit, und überhaupt des Geistes des friedlichen Miteinanders und des Zusammenlebens seid.

„Der Polizist, dein Freund und Helfer“ – die Zeiten sind lange vorbei. Aber sie könnten wiederkommen. Indem Ihr zurückkehrt zu Eurer eigentlichen Berufung: Den Menschen das Gefühl zu geben, beschützt zu sein.
Und nicht überwacht.

Und das liegt in Eurer Ausrichtung.

Momentan aber verliere ich von Tag zu Tag mehr meine Achtung vor Euch. Aber daran könnt ihr arbeiten. Ich hoffe, dass ihr es tut.

Nein, ich formuliere es klarer: Bitte tut das.
Wir bezahlen Euch dafür.

Herzliche Grüße,
Philine Conrad