Glaubenskrieg gegen Globuli

Viele Argumente, die Homöopathie-Gegner vorbringen, lassen sich mit etwas Überlegung entkräften. Teil 4/4.

In den auf Rubikon bereits veröffentlichten drei Beiträgen zur Homöopathie war von den Argumenten der Homöopathie-Gegner die Rede, über die man diskutieren könnte — wenn eine solche Diskussion denn stattfände. Im vierten und abschließenden Teil soll über Vorwürfe berichtet werden, die die „Qualitätspresse“ gebraucht, an deren Berechtigung man aber Zweifel haben kann.

An erster Stelle steht die Behauptung der Homöopathie-Gegner, Homöopathie könne schaden. Das erscheint zunächst paradox, denn wenn der Homöopathie jede Wirkung abgesprochen wird, muss das selbstverständlich auch die Schadwirkung betreffen. Auf den zweiten Blick muss man über die mögliche Schadwirkung doch ein wenig detaillierter nachdenken:

Viele Leserinnen und Leser dürfte die Meinung der Homöopathen verwundern, dass von Homöopathie durchaus Schaden ausgehen kann. Da möchte ich Kent zitieren, einen der alten Meister der Homöopathie:

„Wenn Sie eine große Anzahl von Patienten behandelt haben, werden Sie auch wissen, dass Sie einige von ihnen umgebracht haben. Wenn unsere Arzneien nicht die Macht hätten zu töten, dann hätten sie auch nicht die Macht zu heilen. Beim Umgang mit Hochpotenzen sollten Sie immer bedenken, dass Sie es mit Rasiermessern zu tun haben. Ich würde mich lieber in einem Raum mit einem Dutzend messerschwingender Halunken aufhalten, als mich in die Hände eines ignoranten Verschreibers von Hochpotenzen zu begeben. Im gleichen Maße, wie man mit ihnen Gutes bewirken kann, kann man mit ihnen auch ungeheuer schaden“ (1).

Das hat Kent zwar extrem formuliert, aber spricht er aus Homöopathensicht etwas Wahres an. Schon die sogenannte Erstverschlimmerung ist ein Schaden, wenn auch ein vorübergehender, der allerdings manchmal ein paar Wochen oder sogar Monate anhalten kann. Und ich habe auch Patienten erlebt, bei denen sich nach der Erstverschlimmerung einfach nur der vorherige Zustand eingestellt hat.

Eine Patientin mit Neurodermitis reagierte so stark auf das homöopathische Arzneimittel, dass sie den Zustand ihrer Haut wirklich kaum noch aushalten konnte und daher mit Cortison behandelt werden musste. In drei Therapieversuchen haben wir unterschiedliche Potenzen des Arzneimittels eingesetzt. Schließlich musste die homöopathische Therapie einvernehmlich abgebrochen werden.

Und ich bin mir nicht sicher, wie viele meiner Patienten nach der ersten Gabe des Arzneimittels nicht wiederkamen, weil sie geheilt waren, wie viele, weil sich ihr Zustand verschlimmert hatte, und wie viele, weil sie keine Wirkung bemerkten.

Das Argument der direkten Schadwirkung von homöopathischen Arzneimitteln gebrauchen Homöopathie-Gegner allerdings selten, denn dafür müssten sie ja zugeben, dass homöopathische Arzneimittel überhaupt eine Wirkung haben.

Vor einiger Zeit berichteten die Medien, dass Kinder gestorben seien, die ein homöopathisches Mittel gegen Zahnungsbeschwerden eingenommen hatten (2). In diesem homöopathischen Arzneimittel wurden tatsächlich Spuren der Ausgangssubstanz nachgewiesen. Zwar lagen diese Konzentrationen weit jenseits der tödlichen Dosis, aber eigentlich hätte nichts nachgewiesen werden dürfen. Es kann sich also (wahrscheinlich!) nur um einen Produktionsfehler handeln, sofern wir von der Ehrlichkeit der Berichterstattung ausgehen und Sabotage ausschließen. Der Homöopathie insgesamt einen Produktionsfehler anzulasten, ist aber an dieser Stelle falsch.

Homöopathie-Gegner behaupten, die von der Homöopathie ausgehende größte Gefahr bestehe darin, dass durch die Anwendung der Homöopathie andere, im jeweiligen Fall wirksamere Methoden vernachlässigt würden. Dieses Argument ist richtig. Wäre ich auf der Autobahn nach einem Unfall im Auto eingeklemmt, benötigte ich dringend die Feuerwehr, den Notarzt und die Intensivstation und nicht einen Homöopathen, der mir ein paar Kügelchen Arnica durch das zersplitterte Fenster reicht.

Aber eine solche Situation ist nicht spezifisch für die Homöopathie. Jeder Arzt hat immer zu entscheiden beziehungsweise mit dem Patienten gemeinsam zu überlegen, was im speziellen Fall die beste Therapie ist. Bekanntlich geschehen dabei auch Fehler, sowohl in der naturwissenschaftlich fundierten Medizin, in der Homöopathie und in der Naturheilkunde. Ich persönlich kenne keinen Arzt, der meint, Homöopathie sei generell überlegen, und wenn es einen solchen gäbe, sollte ihm die Approbation entzogen werden. Fehlentscheidungen sind leider nirgendwo zu verhindern, doch man sollte versuchen, sie zu minimieren. Der Wert Null lässt sich allerdings durch keine Maßnahme erzielen, so lange Menschen Entscheidungen treffen.

Wer allerdings die Homöopathie für wirkungslos hält, für den wird immer eine andere, wirksamere Methode versäumt. Das hieße dann in der Konsequenz, dass Homöopathie prinzipiell immer Schaden anrichtet, außer bei eingebildeten Krankheiten oder solchen, gegen die es keine wirksame Therapie gibt.

Dubiose Fallsammlung

Homöopathie-Gegner führen gern eine Webseite namens „whatstheharm.net“ (3) an, wo unter anderem Fälle gesammelt wurden, in denen Homöopathie angeblich Schaden angerichtet habe. Nach Durchsicht der dort verzeichneten ersten zehn Fälle habe ich wirklich einen Fall gefunden, wo es sich um eine Fehlentscheidung des Homöopathen handelte und dadurch ein Mensch gestorben ist (4). Das ist schlimm. In einem zweiten Fall entstand nur ein geringfügiger Schaden.

Der Rest der ersten zehn aufgelisteten Fälle kann nicht der Homöopathie angelastet werden. Extrem ist ein Fall, in dem eine Fettabsaugung tödlich endete. Der Operateur sei Homöopath gewesen. Nun ja, vermutlich war er Homöopath und Schönheitschirurg. Dann ist dieser unglückliche Ausgang seinem Können als Schönheitschirurg anzurechnen und nicht der Homöopathie, denn Fettabsaugung ist keine homöopathische Methode. Hat hingegen „nur“ ein Homöopath den Eingriff vorgenommen, dann liegt das tödliche Ende nicht an dessen Qualifikation als Homöopath, sondern an seiner mangelnden Qualifikation als Chirurg.

Auf der genannten Webseite sind 437 Fälle aufgeführt, in denen Homöopathie geschadet haben soll. Nachweisbar hat ein Teil dieser Fälle gar nichts mit Homöopathie zu tun. Die Sammlung beginnt mit einem Fall aus dem Jahr 1923, umfasst also einen Zeitraum von fast 100 Jahren. Sicherlich ist in mehr Fällen durch Homöopathie tatsächlich indirekt Schaden entstanden, denn 437 Fälle in 100 Jahren wären doch recht wenig, wenn man bedenkt, dass nach Schätzungen der WHO weltweit jede Minute 5 Menschen durch falsche medizinische Behandlung sterben, wie kürzlich im SPIEGEL zu lesen war (5).

Ganz augenscheinlich besteht eine gewisse Asymmetrie in der Argumentation: Die Gegner der Homöopathie zitieren Einzelfälle, in denen angeblich durch die Homöopathie direkter oder indirekter Schaden entstanden sei. Auf der anderen Seite werden die von Homöopathen vorgestellten Einzelfälle, in denen eine Besserung oder Heilung eingetreten ist, mit den zwei Standardargumenten ignoriert, dass es entweder von selbst besser geworden wäre oder dass es sich um einen Placebo-Effekt handelte.

Tatsächlich kann aber kein Vertreter der beiden „Lager“ die Frage gültig beantworten: „Was wäre wenn...?“

Die Argumentation der Homöopathie-Gegner kann man folgendermaßen zusammenfassen:

„Erstens kann Homöopathie nicht wirken. Zweitens können daher die Besserungen, die Homöopathen als Erfolge feiern, nicht durch die Homöopathie bedingt sein. Drittens werden durch die Homöopathie wirksame Methoden vernachlässigt. Homöopathie ist also schädlich. Ergo: Homöopathie wirkt nicht, ist aber schädlich.“

Dass diese scheinbar logische Argumentation nicht schlüssig ist, weil sie vor allem auf unbewiesenen Annahmen beruht, liegt auf der Hand.

Die Frage, ob Homöopathie schaden kann, beantworte ich so: Ja, sie kann schaden — so wie Medizin insgesamt schaden kann — und wir sollten alles tun, um diesen Schaden so gering wie möglich zu halten.

Zudem nähme die Wahrscheinlichkeit problematischer Einnahmen zu, wenn homöopathische Arzneimittel — wie von den Gegnern gelegentlich gefordert — nicht mehr apothekenpflichtig wären und entsprechende Kontrollen laxer ausfallen würden.

Ausgangsstoffe im Fokus

Als zweites möchte ich auf ein Argument der Homöopathie-Gegner eingehen, das sich auf die Ausgangsstoffe der homöopathischen Arzneimittel bezieht. Dieses Argument zerfällt in zwei Teile mit den Titeln „Igitt!“ und „Blödsinn!“ Und es handelt sich hier nicht wirklich um ein Argument, sondern um Polemik.

Das Ekel-Argument wird gern von der „Qualitätspresse“ gebraucht. Da ist beispielsweise von Kakerlaken, von Pottwal-Exkrementen sowie von Hundekot die Rede (6). Vergessen werden dabei in der Regel solche „leckeren Sachen“ wie Gonokken-Eiter, der Abstrich von einem syphilitischen Primäraffekt oder tuberkulöses Lungengewebe. Den Grund für dieses Vergessen kenne ich nicht, habe aber einen Verdacht: Dem Leser könnte möglicherweise auffallen, dass ja auch bei Impfungen ähnlich leckere Sachen verwendet werden.

Aber zurück zu Kakerlaken, Hundekot und Pottwal-Exkrementen: Die ersten beiden Mittel habe ich noch nie verordnet und kenne sie nicht einmal. Eine Art Pottwal-Exkrement ist unter dem Namen „Ambra grisea“ bekannt und durchaus nicht eklig. Es wird auch gern als Parfümbestandteil verwendet, sofern das Parfüm nicht vollsynthetisch ist. Das Ekel-Argument können wir also entkräften — vor allem, weil es gar kein Argument ist. Selbst wenn der Ausgangsstoff eklig ist: Es ist ja im homöopathischen Arzneimittel nichts mehr davon enthalten!

Bei dem „Blödsinn!“-Argument sieht es etwas anders aus. Hier müssen wir zum Beispiel über homöopathische Arzneimittel sprechen, die aus einem Krümel der Berliner Mauer, aus einem Tausendmarkschein oder aus einem schwarzen Loch hergestellt werden. In diesen Fällen ist auch meine Toleranzgrenze überschritten. Die Berliner Mauer bestand aus Beton mit ein wenig Farbe daran — wobei an dieser Stelle natürlich zwei verschiedene Mittel möglich wären: Berliner Mauer Ostseite (ohne Farbe) und Berliner Mauer Westseite (mit Farbe).

Bei dem potenzierten Tausendmarkschein wäre zu fragen, wie und ob sich seine Wirkung von einem potenzierten 500-Euro-Schein unterscheidet.

Und beim schwarzen Loch? Da kommt bekanntlich nichts mehr raus! Man richte also sein Teleskop auf jene Stelle am Himmel, wo es ein schwarzes Loch gibt und bündele das, was nicht mehr raus kommt, auf ein paar Globuli. „Einfangen“ könnte man so allenfalls die Strahlung des Ereignishorizonts, weshalb das Mittel auch besser so heißen sollte. Ober man könnte das absolute Nichts einfangen. Nebenher bemerkt warte ich sehnsüchtig auf ein Arzneimittel mit dem Namen „dunkle Materie“.

Bei aller Ironie existieren tatsächlich Berichte, dass auch solche Mittel helfen, etwa das Arzneimittel „Sol“, hergestellt aus einer „Urtinktur“, die man einfach eine Weile in der Sonne stehen lässt und dann potenziert. Das Mittel soll gegen Sonnenbrand helfen. Einerseits erinnert mich das Vorgehen an die Schildbürger, die Sonnenstrahlen einfangen wollten. Andererseits zeigt das meine vorgefasste Meinung auf Grund dessen, was ich zu wissen glaube, nicht auf Grund dessen, was ich alles nicht weiß. Aber wenn es hilft...? Und an dieser Stelle sind wir dann wieder bei der Frage, wie man wissen kann, ob ein homöopathisches Mittel hilft.

Wenden wir uns dem dritten Thema zu: der „Scientabilität“. Diesen Begriff haben Dr. Christian Weymayr und Nicole Heißmann (7) eingeführt. Man könnte vermuten, er beinhalte, dass man mit wissenschaftlichen Methoden nur das untersuchen kann und sollte, wofür sich wissenschaftliche Methoden eignen. Das wäre in Ordnung so, denn es gibt im Leben tatsächlich ein paar Sachen, die der wissenschaftlichen Methode nur dann zugänglich sind, wenn sie eine arge Reduktion erfahren, zum Beispiel Liebe und Freundschaft. Diese Reduktion wird aber dann der Lebenswirklichkeit nicht gerecht.

Doch das meinen die genannten Autoren nicht. Vielmehr fordern sie, dass Gegebenheiten, die nicht mit dem gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaft (formuliert als „mit den Naturgesetzen“ — siehe Teil 2 dieser Reihe) übereinstimmen, von weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen ausgeschlossen werden sollten. Die Homöopathie zählt zu dieser Gruppe der Nichtübereinstimmung, was ich durchaus bestätigen mag.

Und ich sehe tatsächlich eine gewisse Berechtigung, Scientabilität zu fordern:
Auch mir erscheint es nicht sehr sinnvoll, erneut zu untersuchen, ob die Erde denn nun eine Scheibe oder eine Kugel ist oder ob der Mond aus grünem Käse besteht — wobei man bemerken muss, dass es zu letzterer Frage durchaus verschiedene Meinungen gibt: Die Antwort der Nasa ist eindeutig: „Nein, der Mond besteht aus Mineralien.“ Die britische Antwort bevorzugt mit den grandiosen Fantasyfiguren „Wallace and Gromit“ die Käse-Hypothese (8). Verschwörungstheoretiker behaupten womöglich, die Frage könne nicht entschieden werden, da noch nie ein Mensch auf dem Mond war.

Aber im Ernst: Wo ist die Grenze? Bei der Scheibenwelt-Hypothese ist die Beweislage so klar, dass wir sie getrost verwerfen können. Ist das bei der Homöopathie auch so? Ich denke, nein. Aber leider kann ich jene Grenze nicht eindeutig definieren.

Wenn wir jedoch generell alle Fragestellungen, die den gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaften bezweifeln, von weiteren Untersuchungen ausschlössen, gäbe es keine wissenschaftliche Entwicklung mehr. Und schon gar keine wissenschaftlichen Revolutionen. Das nenne ich trübe Aussichten: nicht einmal so sehr für die Homöopathie, aber für die Wissenschaft.

Reine Geldschneiderei

Ein vierter, sehr ernsthafter Vorwurf der Homöopathie-Gegner lautet: Homöopathen, die Hersteller der homöopathischen Arzneimittel und die Apotheken, die sie verkaufen, verdienen damit doch tatsächlich Geld! Wie unmoralisch!

Reden wir also über Geld. Zweifelsohne ist der Preis der homöopathischen Arzneimittel so gering, dass er einen Vergleich mit den preiswertesten allopathischen Arzneimitteln jederzeit gewinnen würde.

Die Basis dafür mag die Tagesdosis sein. Man könnte den Preis noch weiter reduzieren, wenn es Ärzten erlaubt wäre, diese Arzneimittel in der Praxis in der wirklich erforderlichen Menge abzugeben. Es wird gemunkelt, dass manche Homöopathen das tatsächlich gesetzeswidrig tun. Oder Apotheker könnten nur die Menge abgeben, die der Patient wirklich benötigt. Allerdings fiele dann natürlich wieder eine Gebühr für das Abfüllen und ein Preis für die Verpackung an, was aber überschaubar wäre.

Ich will jetzt nicht darüber diskutieren, um welche Summen es geht, zumal die meisten homöopathischen Arzneimittel privat gekauft und nicht auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen und damit der Allgemeinheit verordnet werden. Es dürfte aber klar sein, dass diese Summe marginal ist. Das Geld geht — abzüglich der Mehrwertsteuer — an die Apotheker und die Hersteller. Bezüglich der Apotheker behauptet die „Qualitätspresse“ gelegentlich, dass die Gewinnmarge der Apotheken bei homöopathischen Arzneimitteln wesentlich höher sei als bei allopathischen. Das stimmt zwar, aber dabei geht es nicht um die homöopathischen Arzneimittel als solche.

Wenn ein Apotheker ein Arzneimittel abgibt, das 10 Euro pro Packung kostet, und eines, das 1000 Euro pro Packung kostet, so sind die Ausgaben des Apothekers für Lagerhaltung, Beratung des Patienten, Angestellte und so weiter wahrscheinlich in beiden Fällen ungefähr die gleichen. Gäbe es einen festen Margen-Prozentsatz, würde er oder sie an der Abgabe des teureren Medikaments deutlich mehr verdienen. Daher wurde eingeführt, dass der prozentuale Anteil, den der Apotheker als Verkaufsmarge verbuchen kann, bei preiswerteren Arzneimitteln größer ist als bei teuren.

Da nun die Verkaufspreise für Homöopathika durchweg — bezogen auf die Tages- oder noch eher Jahresdosis — durchweg im untersten Preissegment liegen, bewegt sich die Marge der Apotheker beim Verkauf zwar prozentual, aber nicht absolut im oberen Bereich. Das ist aber keine Sonderregelung für Homöopathika. Ich beziehe mich an dieser Stelle auf homöopathische Einzelmittel. Bei Komplexmitteln kann es durchaus gewisse Aufschläge seitens des Herstellers geben.

Und nun zur Frage, was Ärzte an der Homöopathie verdienen: Ja, auch sie verdienen Geld damit. Seit Hippokrates ist festgelegt, dass Ärzte für ihre Tätigkeit ein Honorar nehmen müssen, nur wenige Ausnahmen sind gestattet — so dürfen mittellose Patienten umsonst behandelt werden.

Als die Kosten für Homöopathie noch von keiner Krankenkasse übernommen wurden, haben sich Homöopathen bei ihren Honoraren an denen der Psychotherapeuten orientiert, die in Deutschland nicht gerade zu den am besten verdienenden Ärzten gehörten und noch gehören. Auch die Sätze, die manche gesetzliche Krankenkasse gegenwärtig den Homöopathen zahlt, orientieren sich an diesem Betrag.

Das Argument, dass mit Homöopathie auf verbrecherische Weise Geld verdient wird, trifft also nur dann, wenn Homöopathie nicht wirkt und wenn das die Hersteller, Apotheker und Ärzte auch wissen.

Denn dann würde das Geld der Solidargemeinschaft sinnlos heraus geworfen und diente der Bereicherung gewisser Betrüger.

Fünftens behaupten die Gegner der Homöopathie gern, Homöopathie sei „Esoterik“, „Magie“, ganz besonders gern „Voodoo“, sei Ideologie, Religion oder überhaupt ein Glaubenssystem. An dieser Stelle gelangt die Argumentation der Homöopathie-Gegner fast an ihr Ende, denn das ist keine Argumentation mehr, sondern eine unbewiesene Behauptung: „Homöopathie ist Esoterik ... und das alles.“ Die Begründung für diese Aussage bleiben die entsprechenden Autoren allerdings schuldig. Sie nehmen sich nicht die Zeit, erst einmal die Definition der verwendeten Begriffe zu recherchieren und dann versuchen zu ermitteln, ob und welche Gemeinsamkeiten mit der Homöopathie bestehen. Daher ist das „Esoterik-Argument“ zu verwerfen, weil es kein Argument, sondern ein Postulat ist.

Sechstens möchte ich auf den absoluten Bodensatz der „Argumentation“ eingehen: Homöopathen seien Betrüger. Sicherlich mag es auch unter Homöopathen Betrüger geben — genauso wie unter Allopathen, Bankern, Grundstücksmaklern, Bauern, Studenten, Wissenschaftlern, Priestern, Politikern, Polizisten und Menschen überhaupt. Aber alle Homöopathen, die ich kenne, verhalten sich als Ärzte korrekt, indem sie das Wohl ihrer Patienten an erste Stelle setzen. Das gilt übrigens auch für die Heilpraktiker unter den Homöopathen, die ich kenne. Da bin ich mir ziemlich sicher. Eine Doppelblindstudie über Betrug unter Homöopathen exisitiert allerdings meines Wissens nicht und ich weiß auch nicht, wie deren Studiendesign aussehen sollte. So steht Aussage gegen Aussage, Herr Professor Edzard Ernst, der Sie diesen Betrugsvorwurf in die Welt gesetzt haben (9)!

Siebtens fordern Homöopathie-Gegner unterschiedliche Dinge. Die bekannteste Forderung ist, dass die Kosten für homöopathische Arzneimittel nicht länger von den Krankenkassen übernommen werden sollen. Das könnten wahrscheinlich auf Grund des geringen Preises alle Beteiligten aushalten- jedenfalls was die Einzelmittelhomöopathie anbelangt.

Das Problem ist, dass sich daran andere Forderungen anschließen. Hinsichtlich der Zulassung der homöopathischen Arzneimittel gilt bisher die Regelung, dass sie nicht den normalen Zulassungsprozess durchlaufen müssen. Die Homöopathie-Gegner wollen das aber ändern. An einer solchen Forderung ist primär nichts auszusetzen, denn Gleichbehandlung ist eigentlich eine gute Idee. Das Problem liegt darin, dass die Erfüllung dieser Forderung zur Vernichtung der Homöopathie führen würde.

Es müsste für jedes einzelne homöopathische Arzneimittel bei jeder möglichen klinischen Kondition oder Krankheit eine Studie erstellt werden. Das ist nicht zu leisten, denn es könnten durchaus mehr als 100.000 Studien werden. Darüber hinaus ist eine solche Forderung dem Prinzip der Homöopathie nicht angemessen.

Weiterhin fordern die Gegner, dass die gesetzlichen Krankenkassen auch nicht mehr die ärztliche Leistung der Homöopathen erstatten. Auch das könnten die Homöopathen wahrscheinlich aushalten. Für die Patienten würde das in Bezug auf die Homöopathie eine Zwei-Klassen-Medizin bedeuten.

Die nächste Forderung ist die Abschaffung der ärztlichen Zusatzbezeichnung „Homöopathie“. Dann dürfte ein Arzt, der Homöopathie betreibt, darüber nicht mehr informieren, zum Beispiel nicht mehr „Homöopathie“ auf sein Praxisschild schreiben. Auch das wäre womöglich noch aushaltbar, wenn auch problematisch, besonders für junge Homöopathen, die noch nicht durch Mundpropaganda bekannt geworden sind.

Bisher nur gelegentlich wird gefordert, Ärzten, die Homöopathie betreiben, die Approbation zu entziehen, oder sogar die Homöopathie ganz zu verbieten. Diese beiden Forderungen werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl nicht erfüllt werden, aber wer weiß schon, was in der Zukunft geschieht. Man kann auch mal wieder Bücher verbrennen...

Thesen als Fazit

  1. Es ist keineswegs erwiesen, dass Homöopathie nicht wirkt. Man kann allenfalls von einer nicht eindeutigen Studienlage reden, wobei sich die Waage mehr der Seite der Wirksamkeit zuneigt.
  2. Die Wirkungsweise findet hingegen bis heute keine naturwissenschaftlich befriedigende Erklärung. Das schließt aber prinzipiell nicht aus, dass eine solche gefunden werden könnte.
  3. Die Frage, ob Homöopathie wirkt, und die Frage, wie sie wirkt, sind voneinander unabhängig, wenn man davon absieht, dass sich die zweite Frage gar nicht stellen würde, wenn die erste sicher verneint werden müsste.
  4. Von journalistischer Seite werden in den meisten „Qualitätsmedien“ nur die Argumente der Gegner der Homöopathie abgebildet — auch wenn es sich nicht um Argumente, sondern um Polemik handelt.
  5. In diesem Rahmen werden unsachliche Behauptungen aufgestellt und den Homöopathen erhalten nur äußerst selten die Gelegenheit, öffentlich dazu Stellung zu beziehen.
  6. Wünschenswert wäre eine öffentliche Diskussion auf Augenhöhe. Diese findet zur Zeit nicht statt. Das bedeutet, dass die „Qualitätsmedien“ ihrer Aufgabe, Informationen zur Meinungsbildung zu liefern, nicht gerecht werden, sondern statt dieser Informationen bereits fertige Meinungen anbieten — jedenfalls in Bezug auf die Homöopathie.
  7. Wer heilt, tut recht (nicht: „wer heilt, hat Recht“!), auch wenn er nicht weiß, was er eigentlich tut. Eine zugegebenermaßen extreme Formulierung legt Camus in „Die Pest“ dem Arzt Bernard Rieux in den Mund: „Man kann nicht gleichzeitig heilen und wissen“. Es lohnt sich dennoch, darüber nachzudenken (10).

Quellen und Anmerkungen:

(1) Kent, James Tyler: Homöopathische Arzneimittelbilder. Vorlesungen zur homöopathischen Materia medica, Band 2, Kapitel „Hepar Sulphuris“ , Heidelberg 1999
(2) zum Beispiel: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2017-02/homoeopathie-usa-arzneimittel-fda-warnung-todesfaelle
Interessanterweise wurde nicht weiter über diese Vorfälle berichtet.
(3) http://whatstheharm.net/homeopathy.html
(4) Es handelt sich um den ersten dort aufgeführten Fall: Jaqueline Alderslade. Der angegebene Weblink zum Original-Bericht führt allerdings ins Leere.
(5) https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/gesundheit-jede-minute-fuenf-tote-durch-falsche-medizinische-behandlung-who-a-1286800.html
(6) zum Beispiel: https://www.spiegel.de/plus/homoeopathie-bach-blueten-ayurveda-hokuspokus-geld-weg-a-00000000-0002-0001-0000-000158955198
(7) Weymayr, C. und Heißmann, N.: „Die Homöopathie-Lüge. So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen“, München 2012
(8) Film: Nick Park et al: „Wallace & Gromit: A Grand Day Out“, U.K. 1989 (deutsch „Alles Käse“)
(9) https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-71558786.html
(10) Albert Camus: „La Peste“, 1947, deutsche Erstveröffentlichung 1949