Grzimek und Familie Ploppa

Der Fernsehtierfilmer der Nachkriegsära brachte menschliche Wärme in viele Wohnzimmer — aber sein Wirken hatte auch Schattenseiten. Exklusivauszug aus „Bakterienstraße 51“.

Die älteren von uns erinnern sich noch: Professor Bernhard Grzimek und seine possierlichen Tiere, die im Studio herumkrabbelten. Für viele war das — wie für den Autor — ein Stück ihrer Jugend. Die Menschen liebten Prof. Grzimek und verschafften ihm zur besten Sendezeit beachtliche Quoten. Nach Ansicht Vieler steht „Ein Platz für Tiere“ für eine menschlichere Fernsehkultur der guten alten Zeit: mit knorrigen, jedoch warmherzigen Charakteren und handgemachten Inhalten ohne Technik-Schnickschnack. Aber es erhob sich schon früh Kritik gegen das Sendekonzept. Hätte man die Tiere nicht lieber in Ruhe und in ihrer natürlichen Umgebung lassen sollen? Und riefen Grzimeks telegene Safaris nicht zu viele „Nachahmungstäter“ auf den Plan, die damals den Lebensraum der Afrikaner überschwemmten? Exklusivauszug aus „Bakterienstraße 51: Ein vergnüglicher Anekdotenreigen“.

Heute Abend gab es wieder Professor Grzimek mit seiner beliebten Sendung „Ein Platz für Tiere“. Da durfte Hermi nämlich länger aufbleiben. Zwar schon im Schlafanzug, aber immerhin.

Das war schön. Nach der Tagesschau und der Wetterkarte, die wie immer mit dem Pfeil auf einer Himmelsrichtungskoordinate endete — der Pfeil stand heute wieder auf Südwest — sagte Irene Koss (von Krischan Irene Kross genannt) die allseits heiß und innig geliebte Sendung „Ein Platz für Tiere“ an.

Und schon sahen die Ploppas diesen netten älteren Herren mit den imposanten Gesichtsfurchen, die ihm die Würde und Gravität eines gereiften Gorillamannes gaben, auf dem Bildschirm.

Der Blick wie immer um Verständnis werbend durch die Goldrandbrille auf die Zuschauer gerichtet. Seine Stimme in einer gleichmäßigen, um nicht zu sagen monotonen Satzmelodie, das Timbre gaumig-kehlig Tiefe umgreifend, mit einem leichten Überschlag ins Metallische, so wie es Mandelamputierte die ersten Tage nach der Operation zu haben pflegen.

Mutter Fita hatte sich ganz zurückgelehnt, voller wärmster Aufnahmebereitschaft für diese personifizierte Tierliebe. Vater Martin hatte sich nach vorne gebeugt, ein freundliches Lächeln, das in der Dauerhaftigkeit seiner Freundlichkeit ein bisschen grimassierte. Die rechte Hand hatte er als zweite Ohrmuschel über die rechte richtige Ohrmuschel gelegt, um mit seinem intakten Ohr auch jede Silbe des Frankfurter Zoodirektors aufzusaugen.

„Guten Abend, meine lieben Freunde zuhause am Bildschirm. Wie Sie schon sehen, habe ich heute wieder einen besonders possierlichen Kameraden aus dem Frankfurter Zoo mitgebracht...“

Und schon die ganze Zeit fragte man sich bei den Ploppas, was dieser dunkle Balg da auf dem Schreibtisch wohl darstellen sollte.

„... es handelt sich dabei um ein Opossum. Seine Heimat sind eigentlich die dunklen tropischen Regenwälder des östlichen Sumatra. Dieser Freund hier ist allerdings schon im Zoo von Frankfurt geboren worden.“

Da konnte man ja gar nichts sagen. Das war also kein Entführter und Heimatvertriebener hinter deutschen Zookäfigen. Wie human.

Das Opossum watschelte auf dem Schreibtisch herum, schnüffelte am Mikrophon, schmiss einen Bleistift vom Tisch. Erst als das Kleintier Grzimeks Redemanuskript an sich reißen wollte, musste der menschliche Tierfreund milde lächelnd intervenieren.

Wie lustig! Wie niedlich! Die Ploppas glucksten und schmunzelten über diese tierische Unschuld. Wie menschlich, wie menschlich! Und man entkrampfte einige Muskeln bei dieser Idylle.

Grzimek zeigte uns nun einen Film ohne Ton. Er stellte uns neue Wasserbecken für die sensiblen Flusspferde Fredie und Nina vor. Der Tierpfleger spritzte die sich wohlig räkelnden Massivtiere mit Wasser ab.

Besser konnte es doch auch Gästen im Hilton nicht gehen wie den Tieren im Zoo zu Frankfurt am Main unter der Hoteldirektion von Professor Grzimek.

Jetzt begleiten die Ploppas ihren Fernsehfreund in ein Wildreservat in Kenia. Mit einem im Zebramuster getarnten Landrover fährt Professor Grzimek gemeinsam mit dem Leiter des Zoos von Nairobi, Herrn Professor Joshua Ubbadongo durch die Savanne mit ihren verdorrten Bäumen. Grzimek erzählt zunächst, wie prächtig das Reservat noch vor fünf Jahren ausgesehen hat, als er zum letzten Mal hier gewesen sei.

Man sieht jetzt Professor Ubbadongo mit trauriger Miene auf ein vertrocknetes Flussbett zeigen: Leider musste er nunmehr von Professor Ubbadongo erfahren, dass die Regierung vorhat, ihre Zuschüsse für den Unterhalt dieses Reservates ganz zu streichen.

Der Ton des Fernsehmoderators wird beklagend. Wenn das wahr wird, dann sind all diese prächtigen Giraffen, diese hurtigen Hyänen, jene stolzen Löwen, leider in ihrem Bestand gefährdet.

Aber die Ploppas wissen: Es kann etwas dagegen unternommen werden!

„Also an Sie, meine lieben Freunde da draußen am Fernsehgerät wende ich mich mit der herzlichen Bitte, eine Postkarte an die kenianische Botschaft in Bonn zu schreiben mit der Bitte an die kenianische Regierung, doch unter folgender Adresse...“

„Ja, da müsste man was machen.“, sagte Vater Martin.

Aber schon war der nächste Kurzfilm zu sehen. Diesmal gab es einfach nur die urtümlichen Echsen auf den Galapagos-Inseln zu bestaunen.

Die Ploppas waren ganz hin und weg. Hier konnte man nicht nur seltene Tiere bewundern. Hier konnte man Teil sein einer weltweiten Harmonie von Mensch und Tier, konnte sich für den Menschen im Tier und das Tier im Menschen erwärmen und gelegentlich noch die eine oder die andere Mark für die gute Sache spenden.

Dann passierte doch noch was Unerwartetes, Aufrüttelndes als Schlusswort der Sendung: „Und nun, meine lieben Freunde, muss ich Ihnen noch etwas Bedauerliches mitteilen. ‚Ein Platz für Tiere‘ wird im nächsten Monat noch einmal an diesem Sendeplatz um 20 Uhr 15 präsentiert. Dann rückt diese Sendung auf einen erheblich späteren Sendetermin, in zwei Monaten nämlich kommt ‚Ein Platz für Tiere‘ immer nach dem politischen Magazin, also erst um 22 Uhr. Diesen späten Sendeplatz bedaure ich persönlich sehr, denn ich weiß, dass viele sehr junge Zuschauer extra für diese Sendung noch aufbleiben dürfen.“

Hermi fühlte sich angesprochen.

„Aber ich kann auf die Programmplanung keinen Einfluss ausüben ...“

Die Ploppas waren außer sich.

Vater Martin: „Was bilden sich diese Bürohengste, die das Programm machen, eigentlich dabei ein? Ist denen der Wille der Zuschauer eigentlich völlig egal?“

Mutter Fita: „Ungeheuerlich! Diese Stinker sollte man alle mal in so’n Käfig stecken, damit die zur Vernunft kommen, diese Brüder!“

Am folgenden Abend, nachdem im Garten noch Unkraut gejätet worden war, setzten sich Vater Martin und Mutter Fita zusammen und entwarfen einen Brief an den Herrn Professor Doktor Bernhard Grzimek.

Er wurde gebeten, doch auf die Programmgestalter bei der ARD dahingehend einzuwirken, dass sie seine Sendung doch bitte wieder direkt nach der Tagesschau bringen möchten. Ansonsten könne leider der jüngste Sohn, der gerade erst sieben Jahre alt sei, aber trotzdem ganz gebannt der Sendung zuschauen dürfe — als absolute Sonderregelung, denn normalerweise werde er um diese Zeit schon zu Bett geschickt; sonst könne der Sohn die Sendung also nicht mehr sehen, denn den Steppke bis elf Uhr aufbleiben zu lassen, ginge nun ganz gar nicht. Auch für die älteren Söhne sei der Termin angesichts der frühen Schulstunden am nächsten Morgen schon bedenklich.

Übrigens habe Vater Martin auch, genau wie Herr Grzimek — wie er aus der Zeitung wusste — in Neisse die Schule besucht und müsse im Grunde ein Klassenkamerad von Vater Martins Bruder Hermann gewesen sein. Mit freundlichen Grüßen und so weiter.

Vater Martin ging noch spät abends um elf zum Briefkasten an der Ecke Bakterienstraße/Trollseeweg, um den von Mutter Fita und ihm unterzeichneten Brief auf den Weg zu bringen.

Es kam tatsächlich ein Antwortbrief von Herrn Professor Doktor Grzimek.

Die Ploppas versammelten sich mittags in der Küche, und Vater Martin las den Brief des berühmten Zoologen laut vor.

Darin bedankte Grzimek sich recht höflich und zeigte sich angenehm überrascht von der überwältigenden Reaktion, ausgedrückt in Briefen und Anrufen im Frankfurter Zoo auf seine Nachricht bezüglich der geänderten Sendezeiten. Die große Resonanz habe die Intendanz der ARD dazu veranlasst, ,Ein Platz für Tiere’ an dem alten Sendeplatz zu belassen.

Großer Jubel in der Bakterienstraße.

Im Übrigen freue er sich, einen schlesischen Landsmann aus Neisse in Herrn Ploppa begrüßen zu können. Der Bruder von Herrn Ploppa sei ihm allerdings persönlich nicht bekannt. Mit freundlichen Grüßen.

„Da sieht man doch wieder“, meinte Mutter Fita, „wer nicht wagt, der nicht gewinnt; wer nicht liebt, der kriegt kein Kind.“

Professor Grzimek — eine kritische Nachbetrachtung

So wie Familie Ploppa den Fernseh-Tierschützer Professor Doktor Bernhard Grzimek erlebte, genau so erlebten Millionen von Bundesbürgern in den 1960er Jahren den faltigen Tier-Guru. Die Sendungen von Grzimek verzeichneten traumhafte Einschaltquoten von 70 Prozent und galten somit als sogenannte „Straßenfeger“: Die Straßen waren leer gefegt, weil alle Leute gebannt zu hause vor dem Bildschirm saßen, um zu sehen, was für putzige exotische Tiere der Frankfurter Zoodirektor wieder ins Studio mitgebracht hatte. Grzimek galt als personifizierter Tier- und Artenschutz.

Doch der Frankfurter Veterinärmediziner und Zoologe war eine ambivalente Gestalt. Es hätte meine Eltern vermutlich schon schwerstens irritiert, hätten sie erfahren, dass Grzimek sich im fortgeschrittenen Mannesalter noch von seiner Frau scheiden ließ, um dann zur Witwe seines 1959 tödlich verunglückten Sohnes Michael zu ziehen und sie sodann zu heiraten. Das hätte in den sittenstrengen 1960er Jahren Grzimeks Ansehen extrem geschadet.

Doch da sind vor allen Dingen Grzimeks extravagante Methoden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Und man fragt sich:

Hat er Aufmerksamkeit auf die gute Sache des Naturschutzes lenken wollen, oder war er nur ein gerissener Selbstdarsteller? Die Kameras waren immer dabei, wenn Grzimek mit einem Geparden an der Hundeleine durch seinen Frankfurter Zoo stolzierte. Oder wenn er zu Hause exotische Wildtiere mit am Essenstisch hatte.

Bonobo-Schimpansen aßen im Scheinwerferlicht genüsslich Erdbeersahnetorten oder rauchten sogar Zigaretten. Ein Gepard, den er vom Essenstisch aus füttern wollte, zog ihm mal seine Pranke zornig durchs Gesicht. Das sind Effekte, die die Leute damals äußerst putzig oder possierlich fanden — und die bei uns heutzutage doch eher Befremden hervorrufen. Das ist pure Show und kein respektvoller Umgang mit unseren tierischen Freunden.

Unbestritten hat Grzimek Verdienste erworben. Er hat ein Millionenpublikum mit schockierenden Filmsequenzen konfrontiert: Im nördlichen Polareis erschlagen brutale Killer Robbenbabies und ziehen ihnen bei lebendigem Leib das Fell ab. Oder Filmaufnahmen vom unendlichen Leiden der Hühner in den Legebatterien. Das hatte unmittelbare Wirkung. Aber das waren doch immer nur kurze Blitzlichter der menschlichen Verbrechen an der Tierwelt. So richtig systematisch hat erst der Tierfilmer Horst Stern diese Übel angepackt und bekämpft.

Aber es liegt ein richtig großer Fettfleck auf der scheinbar so blütenweißen Weste von Professor Grzimek. Schon seit den frühen 1950er Jahren war Grzimek mit seinem Sohn Michael regelmäßig auf Reisen in Afrika. Er erwarb dort Wildtiere für seinen Frankfurter Zoo. Zudem machten Vater und Sohn Grzimek spektakuläre Farbfilme aus der afrikanischen Wildnis. Dabei entstand 1956 der Film „Kein Platz für wilde Tiere“. Thema: Auch in Afrika vermehrt sich die Bevölkerung rasant, und der Lebensraum für wilde Tiere wird immer kleiner. Das ist zweifelsohne ein Problem. Eine Region hatte es den beiden Grzimeks besonders angetan: das große Wildgebiet Serengeti in der damaligen britischen Kolonie Tanganjika.

Tatsächlich war schon damals die Serengeti — immerhin so groß wie die Schweiz — das einzige Gebiet auf der Erde, wo noch richtig große Tiere, Großwild, ungestört weite Flächen durchwandern konnten. Es ging dabei vornehmlich um Elefanten, Zebras, Nashörner oder Gnus. Die britische Kolonialverwaltung konnte sonst nichts anfangen mit der Serengeti. Bodenschätze gibt es dort nicht. Also wiesen sie das Gebiet als Naturschutzreservat aus. Wobei die Serengeti in eine Hälfte aufgeteilt werden sollte, die nur Tieren und Park-Rangern vorbehalten blieb. Sowie eine andere Hälfte, in der die Massai lebten.

Auftritt Professor Doktor Bernhard Grzimek. Mit seinem Sohn fliegt er in einer Propellermaschine das Territorium ab. Beide inventarisieren den Bestand an Wildtieren und verfolgen die Wanderwege des Großwilds. Dabei stellen sie fest, dass die Tiere jedes Jahr genau durch das Gebiet der Massai ziehen. Grzimek schlägt weltweit Alarm: Massai und Großwild können auf Dauer nicht koexistieren. Grzimek produziert den Film „Die Serengeti darf nicht sterben“. Dieser Film wird 1960 sogar mit einem Oscar als bester Dokumentarfilm des Jahres prämiert. Zweifelsohne eine handwerkliche Meisterleistung. Aber inhaltlich perfide: Denn Grzimek ignoriert unerbittlich, dass das Naturvolk der Massai seit Jahrhunderten, wenn nicht schon länger, in friedlicher Symbiose mit den Großwildherden lebten. Die Massai ernähren sich aus ihren eigenen domestizierten Rinderherden. Wildtiere zu verspeisen ist bei den Massai tabu. Grzimek geht aber davon aus, dass sich die Massai explosionsartig vermehren würden und damit auch auf die Wildtiere zurückgreifen. Damit befand sich Grzimek exakt im damaligen Mainstream: Die Menschheit vermehrt sich dramatisch. Eine nicht zu leugnende Tatsache. Aber Grzimek und seine Mitstreiter aus der amerikanischen und britischen Eugenik-Szene sahen dabei vor allem ein explosionsartiges Bevölkerungswachstum von Afrikanern und Chinesen. Aus diesem eugenischen Milieu ging der mittlerweile eher kritisch beäugte World Wildlife Fund (WWF) hervor.

Es gelang Grzimek und seinen Mitstreitern, die Weltmeinung gegen die Massai zu wenden. Grzimek verhandelte mehrmals mit dem Präsidenten des gerade unabhängig gewordenen Staates Tanganjika, Dr. Julius Nyerere. Daraus geht folgender Deal hervor:

Tanganjika deportiert die Massai aus ihren angestammten Gebieten im Serengeti. Das Reservat Serengeti finanziert sich sodann selber durch Touristen, die im Reservat übernachten und Safaris unternehmen. Der Tourismus generiert Einnahmen für den Staat Tanganjika. Dass das Großwild gar nicht auf dem Speiseplan der Massai steht, wurde weiterhin großräumig ignoriert.

Grzimek hatte Nyerere versprochen, seine ganze Power als Werbemann einzusetzen, damit das Erwerbsmodell des Reservats Serengeti möglichst rasch Fahrt aufnimmt. In einer seiner beliebten „Ein Platz für Tiere“-Sendungen flunkerte Grzimek unbekümmert, deutsche Touristen könnten ab sofort für nur 1.500 Deutsche Mark eine dreiwöchige Safari in der Serengeti unternehmen. Die von diesen Fake-News völlig überraschten Reisebüros mussten den unerwarteten Ansturm von Interessenten möglichst schnell bedienen, indem sie entsprechende Safaris zusammenstoppelten. Jenes Modell: die rechtmäßigen Einwohner zu deportieren, um dann gut betuchte Herrenmenschen aus Europa oder USA als Touristen zu bespaßen, machte seitdem weltweit Schule.

Von diesen Hintergründen ahnte Familie Ploppa derweil noch gar nichts …


Hier können Sie das Buch bestellen:Bakterienstraße 51: Ein vergnüglicher Anedotenreigen

Das Buch „Bakterienstraße 51 – Ein vergnüglicher Anekdotenreigen“ kann unter der Adresse liepsenverlag@gmail.com bestellt werden, auf Wunsch mit Signatur des Autors.