Historische Fehlentscheidung

Das Bündnis Sahra Wagenknecht lehnte im Bundestag eine Friedensinitiative ab — wohl, weil sie von der AfD stammte. Besser hätte die neue Partei der Sache nach entschieden.

Am 18. Januar 2024 legte die AfD-Fraktion dem Deutschen Bundestag einen Beschlussantrag vor, der auf eine „Friedensinitiative mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine und Russland“ abzielt (1). Alle Parteien einschließlich der Linkspartei und den Mitgliedern der neuen Sahra-Wagenknecht-Partei BSW stimmten gegen den Antrag (2). Offensichtlich: Deutschland soll auf Kriegskurs bleiben, bei allem, was es dabei für Europa und die Menschheit riskiert, und bei Fortsetzung des Gemetzels, das wahrscheinlich schon mehr als eine halbe Million Tote gekostet und unfassbares Elend über die Menschen in der Ukraine gebracht hat. Dass die neu gegründete Wagenknecht-Partei gegen den Antrag der AfD gestimmt hat, ist erschütternd.

Oskar Lafontaine begründet die Entscheidung der BSW in einem Artikel in den Nachdenkseiten (3). Seine Argumente sind nachvollziehbar, was aber nichts daran ändert, dass die Schlussfolgerung, deshalb gegen den Antrag zu stimmen, eine schwere, vielleicht historische Fehlentscheidung darstellt. In einem taktischen Bündnis der Kräfte in der AfD und der BSW, die wahrscheinlich mehr Menschen in Deutschland gewinnen können als alle alten Herrschaftsparteien der westlichen Bereicherungsoligarchie zusammen, wäre ein Kurswechsel möglich gewesen und es hätte eine historische Wende bedeuten können. Aber die Sturheit des „aufrichtigen politischen Denkens“, man nennt das auch Ideologie, oder die Starrheit des „Entweder Oder“ Denkens, hat die Sache vorerst vermasselt. Es ist nicht so leicht zu erwarten, dass es da schnell einen Kurswechsel bei der BSW geben wird.

Ich schätze Oskar Lafontaine ungemein. Er hat Großartiges für politische Aufklärung getan, er ist quasi ein Leuchtturm des klaren und aufrichten Denkens. Aber aktuell sind er und Sahra Wagenknecht sowie andere in ein altes Muster ideologischen Denkens gefallen: Entweder ist die AfD in allem „politisch korrekt“ oder sie können nicht punktuell zusammenarbeiten. Nicht unerheblich steht wohl auch die Angst im Hintergrund, sich nicht zu „beschmutzen“. Diese Angst aber ist ein Nachgeben gegen den Druck der von den Herrschaftsmedien noch geprägten Öffentlichkeit und kann deshalb zu keinem Erfolg in einer Sache führen. Vor allem auch nicht in der Frage, in der es um das Überleben der ganzen Menschheit gehen könnte. Die sich wahnsinnig steigernde Eskalation in immer mehr Krieg, des an sein Ende gekommenen westlichen Imperiums, treibt ständig an des Messers Schneide zum Dritten Weltkrieg dahin, sofern er nicht schon begonnen hat (4).

Die ganze Situation mit BSW und AfD erinnert in eigenartiger Verkehrung der Geschichte an die Zwischenkriegszeit, in der sowohl die Kommunisten als auch die Sozialdemokraten in ihrer Sturheit und ihrem Opportunismus eine wirklich breite Einheitsfront gegen den Faschismus torpedierten, um ihrer Linie treu zu bleiben (5).

Und ehrlich, hätte die BSW auch gegen den Antrag gestimmt, wenn er beispielsweise von der SPD gekommen wäre? Ich vermute nein. Aber das ist es, worum es geht: Es macht keinen Sinn inhaltlich Richtiges abzulehnen, weil es von der „falschen“ Seite kommt.

Was hat die AfD gefordert? (6)

  • Militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine, nur wenn sie Verhandlungsbereitschaft zu ernsthaften Friedensgesprächen, auch gegenüber Russland zeigt,
  • Eine privilegierte EU-Partnerschaft für die Ukraine, bei gleichzeitiger Garantie, dass die Ukraine kein Mitglied des NATO-Militärbündnisses und der EU werden könne,
  • Berücksichtigung sowohl der Sicherheitsinteressen Russlands als auch der Ukraine,
  • Entsendung einer internationalen Friedensdelegation unter Leitung eines Repräsentanten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE),
  • Sofortiger Waffenstillstand und weitreichende Waffenstillstands-Verhandlungen,
  • Neue Referenden unter Beobachtung und Kontrolle der OSZE in den Oblasten Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson über die Zugehörigkeit zur Ukraine oder zur Russischen Föderation, nach einer vorherigen Rückkehr der Kriegsflüchtlinge,
  • UN-Mandatsgebiete in den vier Oblasten,
  • Schrittweiser Rückzug der russischen Streitkräfte, bei gleichzeitiger schrittweiser Reduzierung der militärischen Unterstützung für die Ukraine, sowie die schrittweise Aufhebung der gegen die Russische Föderation gerichteten Sanktionen,
  • Regelungen zur Aufklärung und Ahndung aller begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht von beiden Kriegsparteien.

Was führt Oskar Lafontaine ins Treffen? (7)

  • Die AfD befürwortet Aufrüstung und Krieg.
  • Die AfD ist für die NATO, wobei es naiv von der AfD sei, in ihrem Programm zu schreiben, dass das nur insofern gelte, als sich die NATO auf ihre Aufgabe als Verteidigungsbündnis beschränkt.
  • Die AfD ist für die NATO-Erweiterung und stimmte für die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO. Sie zeige damit bedauerlicherweise, dass sie nicht verstanden habe, dass der „Ukraine-Krieg“ eine Folge der NATO-Osterweiterung und ein geostrategischer Krieg der USA ist.
  • Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine bedeutet, dass „ein Land, in dem Verbrecher, die zehntausende von Juden ermordet haben, als Helden verehrt werden“ in die EU käme, weshalb „die Ukraine, in der EU nichts zu suchen hat“. Dies sei auch der Grund gewesen, weshalb die BSW-Abgeordneten den AfD-Antrag im Bundestag abgelehnt haben.
  • Die AfD ist für Aufrüstung. Sie befürwortet das 2-Prozent-Ziel der NATO.
  • Die AfD befürwortet Interventionskriege, wenn sie im Interesse Deutschlands sind.
  • Die AfD unterstützt massiv den Massenmord der rechtsradikalen Netanjahu-Regierung im Gazastreifen sowie Waffenlieferungen an Israel.
  • Es gibt auf dem Globus keine rechte Partei, die gegen Krieg und Aufrüstung ist.

Ich denke, jeder kann unschwer erkennen, dass der AfD-Antrag sich wirklich für Frieden zwischen der Ukraine und Russland einsetzt, also zumindest in diesem Fall — und nur um diesen Fall geht es hier — kein Plädoyer für Aufrüstung und Krieg ist. Im Gegenteil, bis auf die Forderung nach einer privilegierten EU-Partnerschaft scheinen mir alle Forderungen doch mehr oder weniger auf der Linie zu liegen, die Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht selbst vertreten.

Wenn die AfD sagt, sie will die NATO-Mitgliedschaft, so ist das nicht meine Position. Die NATO gehört aufgelöst oder wenigstens aus Europa hinausgejagt. Aber immerhin verlangt die AfD in ihrem Programm, dass sie nur ein Verteidigungsbündnis sein soll.

Das mag naiv sein, ist aber kein kriegstreiberischer Standpunkt, wie ihn uns die Herrschaftsparteien zeigen. Und man kann nicht den Kern ihrer Forderung übersehen: Die Ukraine soll kein NATO-Land werden! Wenn das erreicht ist, ist wahrscheinlich sehr viel gewonnen! Und wie kann man fordern, dass die Ukraine kein NATO-Land werden soll, wenn man die Bedrohung Russlands durch die NATO Osterweiterung nicht verstanden haben soll?

Die Privilegierte EU-Mitgliedschaft der Ukraine lehnt Oskar Lafontaine ab, weil es dort starke und derzeit bestimmende faschistoide Kräfte gibt. Letzteres ist unbestreitbar richtig, allerdings ist diese EU es, zusammen mit dem US-Imperium, die diese faschistischen Kräfte hemmungslos, zur Durchsetzung ihrer imperialistischen Gelüste, groß gezüchtet haben.

Faschistoide Tendenzen gibt es in der EU viele, man kann die EU also nicht als die Guten gegenüber der Ukraine darstellen, auch wenn noch ein quantitativer Unterschied gegeben ist. Außerdem fordert die AfD in dem Antrag, dass die Ukraine keine EU-Mitgliedschaft erhält! Und Verhandlungen über eine privilegierte EU-Mitgliedschaft dauern lange und man könnte auch hoffen, dass die EU wieder auf ihre wirklichen ursprünglichen Werte zurückfindet und damit verlangt, dass es in der Ukraine eine radikale Abkehr von dem gegenwärtigen Kurs geben muss.

Zugegeben, das ist Spekulation, aber gelingt es nicht, das Steuer der EU herumzureißen, wird es mehr oder weniger egal sein, ob das faschistoide Wesen der krisengebeutelten Bereicherungs- und Machtoligarchie des Westens sich so oder so zeigt. Nebenbei, das Zuckerl einer privilegierte EU-Mitgliedschaft an die Ukraine ist, wenn man eine totale Änderung des ukrainischen Kurses erreichen und realistisch Frieden herbeiführen will, eine relativ kleine bittere Pille, aber taktisch vielleicht nicht falsch.

Wenn die AfD für Aufrüstung ist, so ist sie auch in diesem Fall gewiss nicht meine Partei und es ist schädlich, für Aufrüstung zu sein (8). Aber es sind von den bis zu 30 Prozent der Wähler, die für die AfD stimmen würden, sicherlich sehr viele für diese Partei, weil sie den Kriegskurs Deutschlands ablehnen und eine Zusammenarbeit mit Russland wollen.

Unter diesen Menschen sind bestimmt nicht alle für Aufrüstung. Man weiß nicht, wie die Geschichte weitergeht. Hätte die BSW für diesen Antrag gestimmt, so hätte sie auf diese bis zu 30 Prozent jedenfalls viel mehr Einfluss haben können. Damit hat sie eine historische Chance vertan, wenn die Linie nicht sofort korrigiert wird.

Dasselbe gilt für die Unterstützung des Massenmordes im Gaza-Streifen durch die AfD, aus einer erschreckend falschen Haltung heraus, gegenüber den Palästinensern und den Waffenlieferungen der USA an Israel. Beides muss entschieden zurückgewiesen werden. Das sollte uns aber nicht daran hindern, zugleich einem richtigen Vorschlag in einer anderen äußerst wichtigen Frage zuzustimmen!

Auch das Argument, „es gibt auf dem Globus keine rechte Partei, die gegen Krieg und Aufrüstung ist“, ist eindeutig viel zu undifferenziert! Der republikanische ehemalige Präsidentschaftskandidat Ron Paul ist ein entschiedener Kriegsgegner, egal, welche Motive ihn tragen, aber er ist offensichtlich ein aufrechter Mann. Sehen Sie sich dieses Interview auf AcTVism Munich an (9) oder schauen Sie sich den Entwicklungsgang von Willy Wimmer an. Auch er ist heute noch Mitglied einer „rechten“ Partei, der CDU, und wird von Wikipedia als „rechtspopulistischer Verschwörungstheoretiker“ dargestellt, der ungeheuerlicher Weise im, „vom Verfassungsschutz als gesichert extremistisch eingestuften Magazin Compact “ geschrieben hat.

Warum wird er so eingestuft? Wohl, weil er entschieden gegen die Kriegspolitik des US-Imperiums auftritt.

Sorry, die Welt ist nicht nur schwarz und weiß und das Klischee „rechts“ und „links“ bringt uns nicht weiter, wenn man bedenkt, wie nahe beispielsweise „Antifaschisten“ zu durch und durch faschistoiden Methoden stehen!

Und sehen wir uns die SPD an. Sie hat für den Ersten Weltkrieg gestimmt und sie hat fast alle Kriege des US-Imperiums unterstützt. Was soll da das Festhalten am Rechts-Links-Denken?

Gewiss, auch ich denke, wie ausgeführt, dass man viele Positionen der AfD nicht vertreten kann, und sich auch entschieden dagegen äußern muss. Aber das ändert nichts daran, dass hier eine Partei, die erheblichen Einfluss in Deutschland hat oder bekommen könnte, ein Vorschlag gemacht hat, der den Interessen des US-Imperiums diametral entgegenläuft. Ich denke, es ist sehr wahrscheinlich, dass in der konzertierten Aktion von Correctiv, den Herrschaftsmedien, den Herrschaftsparteien für ein AfD-Verbot gerade dieser Umstand von größter Bedeutung ist. Man kann durchaus aktive Mithilfe von deutschen Geheimdiensten an der „Recherchearbeit“ des Correctiv vermuten, und man kann sich auch die Entscheiderclique der Neocons in den USA, die sich Großteils um Joe Biden gesammelt haben, als direkte oder indirekte Steuerungsstrategen dieses Coups zur Mobilisierung staatlicher Aufmärsche vorstellen.

Es geht eben um verdammt viel. Wenn Deutschland mit Russland wieder auf Augenhöhe zusammenarbeiten sollte, dann hat die Sprengung von Nordstream 2 und die Erzwingung deutschen Vasallentums nichts geholfen und die USA bekommen zurückbezahlt, was sie Europa und vor allem Deutschland angetan haben. Angetan haben, insbesondere auch dadurch, dass sie mit ihrer weltweit verzweigten Propaganda, ihrem Korruptions-, Zwangs-, und Ausbildungssystem für korrupte Eliten, zum Beispiel: Young Global Leaders, die europäischen Führungen so bestimmten, dass diese sich klar und unumwunden gegen die Interessen der Menschen in Europa stellen.

Fehlt nur mehr, dass sich die BSW auch für ein Verbot der AfD einsetzt, was ganz im Gegensatz zur „antifaschistischen“ Propaganda, in Verkehrung der wirklich bedeutsamen Zerstörung westlicher Errungenschaften der Demokratie durch die Herrschaftseliten, ein weiteres Beweisstück faschistoider Entwicklungen wäre. Wie hat man die Menschen in Syrien aufgewiegelt, gegen den „Diktator Assad“ auf die Straße zu gehen, und hat dabei die diktatorische Gewalt der Masse geschürt (10).

Und wie wir wissen, war auch das ein strategisches Kalkül der Neocons in den USA und der Geheimdienste im Dienst des westlichen Imperialismus. Und wie steht Syrien, das einmal ein relativ reiches, stabiles, säkulares Land war heute da? Zerbombt und elend, wenn auch noch immer aufrecht.

Man muss begreifen, dass Geschichte nicht so abläuft, wie man selbst denkt. Und wenn man vom eigenen Denken, das man für richtig hält und das auch allgemein richtig sein mag, etwas in der Geschichte unterbringen will, so wird man nicht mit Sturheit und Ideologie weiterkommen. Es bedarf eines „Sowohl Entweder Oder als auch Sowohl als Auch“ (11).

Bezüglich des Sowohl als Auch können wir übrigens vom Osten, unter anderem besonders von den Chinesen lernen, auch wenn die USA diese Denkweise teilweise in China unterminieren, und sie für sich alleine genommen keineswegs vor schweren Fehlern schützt, wie wir im Coronawahnsinn gesehen haben, der ja auch in China zu einem eruptiven und zutiefst irrationalen radikalen „Entweder-Oder“ führte. Aber wenn man das Weißbuch des chinesischen Staatsrates für „eine globale Gemeinschaft mit gemeinsamer Zukunft“ liest (12), so kann man einen sehr entscheidenden Unterschied des mächtigen Chinas, das nie kolonisiert hat, zum westlichen Imperialismus erkennen.

Das menschliche Denken muss sich weiterentwickeln. Nach dem Zeitalter der Ideologien brauchen wir ein Zeitalter, das Menschlichkeit mit klarem unvoreingenommenem Denken verbindet und trotzdem, oder gerade deshalb, unbeugsam die bestehenden Verhältnisse sowie ihre vielfältigen Bedrohungen und Krisenerscheinungen unter scharfe Kritik nimmt und differenzierte, aber zielorientierte Handlungsmaxime daraus ableitet.

Kann die Linie der BSW sich noch ändern? Es wäre sehr wünschenswert! Sehen wir, wie es kommen wird. Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, bitte überdenken Sie ihre Entscheidung. Es würde Deutschland und wahrscheinlich sogar der ganzen Menschheit gewiss guttun.