Ich vergleiche, also bin ich

Vergleiche machen das Leben begreifbar — wer sie verbietet, muss ein Interesse daran haben, dass bestimmte Dinge nicht begriffen werden.

In der losen Reihe „Reflexionen aus der Dissidenz“ widmet sich der Autor einem deutschen Spezifikum, das in diesen Tagen durch die Geschehnisse in Gaza aktuell und akut ist, darüber hinaus jedoch schon seit Jahrzehnten in der deutschen Sozialisation eine zentrale Rolle spielt: dem Vergleichsverbot. Der Text stellt heraus, dass „In-Relation-Stellen“ das Gegenteil von Verharmlosung bedeutet und dass es vielmehr das Vergleichsverbot selbst ist, das über die Zerstörung des Denkens und eine am Ort der Zerstörung implementierte Etikettenkultur just das herbeiführt, was es zu verhindern vorgibt. Zum Ende des Gedankengangs wird auf die absolute Grenze verwiesen, die mit keinem Vergleich zu überschreiten ist.

Im wunderbaren Film „Mein Leben als Hund“ — schwedischer Originaltitel: „Mitt liv som hund“ — aus dem Jahre 1986, vom Bullerbü- und ABBA-Clips-Regisseur Lasse Hallström in Szene gesetzt, ist es das Vergleichen, was die zehnjährige Hauptfigur Ingmar am Leben erhält. Mit der Krankheit seiner Mutter und ihrem späteren Tod, mit seiner Verwaisung, vor allem aber mit der Trennung von seinem geliebten Hund kommt der Junge allein durch die Einsicht klar: Man muss vergleichen. Und so vergleicht er das Schicksal seines Hundes mit demjenigen der Hündin Laika, die, zu Experimentzwecke in den Weltraum geschossen, elendiglich verhungern musste. Und er vergleicht Krankheit und Tod im eigenen Umfeld mit Geschichten von Unglück und Katastrophen aus aller Welt. Kurz: Er setzt Dinge miteinander in Bezug.

Im Jahr, als der Film herauskam, war Schweden für mich der Inbegriff eines freien Landes. Damals wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass Schweden auf dem Weg zu einem der bestüberwachten digitalen Gefängnisse der Welt wäre, so gut überwacht, dass die WHO gefahrlos eine etwas weitmaschigere Umsetzung der Corona-Regulatur zulassen konnte — dabei hätte der just ebenso 1986 in Stockholm zur Strecke gebrachte Olof Palme durchaus ein Hinweis sein müssen, dass auch im Lande von IKEA und Volvo nicht Pippi Langstrumpf, sondern das Imperium bereits zu jener Zeit das Sagen hatte.

Ich vergleiche, also bin ich

Man muss vergleichen. Das erkennt Ingmar, der zehnjährige Junge. Er erkennt es, weil es eine psychische Notwendigkeit und eine Realität des Gehirns ist. Man mag Vergleiche ablehnen, das Gehirn nimmt sie gleichwohl vor, zumindest ein denkendes Gehirn:

Wer nicht vergleicht, denkt nicht. Und wer nicht denkt, ist nicht. Zumindest nicht autonom.

Das ist es, was dem zehnjährigen Ingmar, das Schicksal seines Hundes mit demjenigen der Hündin Laika vergleichend, bewusst wird. Er verharmlost nicht, er stellt Relationen her. Das lässt ihn die Welt verstehen und einen Weg finden. Seinen Weg.

Palastrede im Zeitgeist

Goebbels-Text beim Anne Will-„Diskussions“forum problemlos geschluckt: Diese Aussage ist zunächst kein Vergleich, sondern eine Beschreibung. Ein Leser der Nachdenkseiten hat als Diskussionsbeitrag einen Ausschnitt von über zehn Zeilen aus Goebbels militaristisch-patriotischer Palastrede mit nur sehr geringen Wortänderungen, beispielweise „sowjetisch“ durch „russisch“ ersetzend, als eigenen Beitrag an das von der ARD redaktionell betreute Gefäß gesandt. Der Text wurde umgehend veröffentlicht — wer die Zeit, in der wir leben, analysiert und also vergleicht, den kann das nicht überraschen. Erst als der Leser sich beim Forum meldete und die Herkunft des Textes offenlegte, zog man den Text zurück. Ohne Kommentar.

Die Goebbels-Rede ist gezeichnet von einem überschäumenden Militarismus und missionarischem Eifer, was sich sowohl in der Wortwahl wie auch im Sprachduktus niederschlägt, ein Duktus, der jede einzelne Aussage mit einer eingeforderten Haltung verknüpft.

Aufgrund des durchdachten Vorgehens dieses Lesers — auch das ist eine Beschreibung, keine Deutung — werden nun aber zwei weltanschauliche Haltungen verglichen, nämlich die von Goebbels und diejenige, die der heutige Mainstream einfordert, wofür pars pro toto das Anne-Will-Gesprächsformat steht. Die Anlage des Vergleichs — anders als bei den assoziativen, nicht ausgeführten Vergleichen bezüglich Schweden, digitalem Gefängnis, Bullerbü und Olof Palme zu Beginn dieses Textes — stellt über den Akt der Veröffentlichung des Goebbels-Textes das Ergebnis des Vergleichs unmittelbar heraus: Indem der Text zunächst abgedruckt wird in einem Forum, das Abweichendes nicht publiziert oder löscht, ist die Zustimmung gesetzt — und die kommentarlose Tilgung des Beitrags, nachdem dieser als Goebbelszitat offengelegt worden ist, bestätigt den Mechanismus abermals.

Ein solche Aussage gälte nicht für eine Gesellschafts- und Meinungskultur, in der jede Aussage als Diskussionsbeitrag zugelassen ist, gälte nicht für einen freien demokratischen Debattenraum, in dem auch ein Goebbelszitat ohne Weiteres und wie auch immer gezeichnet erscheinen kann, um im weiteren Diskursverlauf in seine Bestandteile wie Militarismus, Russophobie und weiteres mehr zerlegt zu werden.

In einem Mechanismus indes, der mit Löschung des Ab-fallenden oder Ent-arteten — „Umstrittenes“ und „Verschwörungstheoretisches“ sind weitere Etiketten — gegeben ist, wird das Ergebnis des Vergleichs durch diese Vergleichsanlage mitgeliefert. Die Gleichsetzung des Verglichenen vollzieht nämlich nicht der Vergleichende auf einer Deutungsebene, sondern wird durch den Mechanismus selbst herausgestellt. Was veröffentlicht wird, gilt als richtig, was nicht, ist falsch.

Beides ist selbstredend mit dem Vergleichen nicht grundsätzlich gegeben. Zum einen sind Parallelen beziehungsweise Identitäten stets Ergebnisoptionen unter mehreren. Weitaus häufiger sind Differenzen verschiedenen Grades. Solche Differenzen, als Ergebnis eines Vergleichens, sind es ja auch, was Ingmar mit seinem Leben klarkommen lässt. Zum anderen erfolgt die Festlegung von Parallelen wie auch von Differenzen bei Vergleichen zumeist aufgrund von Deutungen in einem zusätzlichen, nachfolgenden Schritt. Dass eine Übereinstimmung über eine Handlung herausgestellt wird — konkret: über die Aufnahme eines Beitrags in einen Debattenraum, der auf einen Haltungskodex hin angelegt ist —, ohne dass die handelnde Instanz sich bewusst ist, an einem Vergleich beteiligt zu sein und gerade durch dieses fehlende Bewusstsein eine Gleichsetzung vollzieht, ohne auf das Ergebnis des Vergleichs manipulierend Einfluss nehmen zu können, ist bestimmt eher selten und im hier diskutierten Fall durch das kluge Arrangement dieses Nachdenkseitenlesers bedingt. Dieser hat begriffen, dass — Ironie der Geschichte — es gerade der totalitäre, ausschließende Charakter der heutigen Correctiv- beziehungsweise Haltungs„kultur“ und in diesem Sinne die bereits auf struktureller Ebene gegebene Nähe zu einer totalitären Haltung es ist, was die Beitragssteuerung auf diesem ARD-Gefäß in die Falle tappen lässt.

Kurz: Es ist — und das scheint mir zuweilen selbst in kritisch-dissidenten Kreisen noch nicht zur Gänze begriffen zu sein — gerade keine Deutungsfrage, ob Goebbels mit seiner Palastrede wieder zur „Geisteshaltung“ passt, die heute in Deutschland über Ein- und Ausschluss praktiziert wird. Erst die Kennzeichnung als Goebbels-Haltung, nicht der Inhalt führt zum Ausschluss.

Etiketten statt Argumente und der Nebel des Bösen

Die als Störelemente gekennzeichneten Positionen und Subjekte — die Personalisierung ist essentiell im Rahmen einer „Kultur“, die Denken durch Haltung beziehungsweise Anschrieb ersetzt — werden also durch Kennzeichnung und nicht durch Inhalt zur Störung, die es auszuschließen gilt. Das Kennzeichnen selbst, der medial inszenierte Vorgang — ein zentraler Aspekt von Machtausübung — aber verlagert den Fokus hin zum Gezeichneten beziehungsweise den Gestempelten und damit weg von denen, die stempeln, weg also auch vom Scheinvorgang eines nicht stattfindenden Vergleichs und also weg von einem nicht stattfindenden Denkprozess überhaupt und also weg von der Leere. Deshalb der inflationäre und medial von stetigen Fanfaren begleitete Gebrauch von Begriffen wie „Nazi“ und „antisemitisch“. Der Gebrauch allein dient der Fingierung dessen, was nicht stattfindet und gerade durch den Schlagwortgebrauch selbst nicht stattfinden kann, heißt: Der Gebrauch dient der Vortäuschung eines inhaltlichen Vergleichs und also von Denken und konkret von Geschichtsbewusstsein, das in der Tat nicht gegeben ist. Kurz: Er dient dem Heranzüchten eines geschichtlichen Analphabetentums, angeschrieben mit Geschichtsbewusstsein.

Ein Ingmar dagegen legt die Parallelen und die Differenzen diskursiv aus — in seinem Fall in Selbstgesprächen. Seine Vergleiche — deutend — sind deskriptiv nachzuvollziehen, wenn er auf Geschichten von Leiden in seinem Leben und auf Leiden anderer Menschen Bezug nimmt. Exakt dies lässt ihn die Abgrenzungen festlegen. Und exakt solches fehlt beim Stempelungs„diskurs“ betreffend „Querdenkern“, „Esoterikern“, „Antisemiten“, „Nazis“ et cetera.

Die Kennzeichnung basiert ihrem Wesen nach darauf, dass keine Vergleiche ausgeführt werden. Es wird nicht einmal im Ansatz versucht, Parallelen und Differenzen herauszustellen, vielmehr bezieht eine Totschlagschablone wie die des „strukturellen Antisemitismus“ ihre Schlagkraft allein aus der Tatsache, dass sie aus einer vollkommenen Denkleere heraus in eine ebenso vollkommene Denkleere hinein gesetzt ist. Sie funktioniert allein aufgrund ihres dichten semantischen Nebels, in dem bekanntlich tausend Fratzen des Bösen von AfD bis Putin auftauchen.

Schlagkraft über Denkabstinenz

Und wenn ich beifüge, ein Vergleichen im Sinne Ingmars bleibe wohl im Wissen aus, dass ein inhaltlicher oder struktureller Vergleich beispielsweise eines Michael Ballweg und dessen Wirken mit einem Nazi-Ideologen weder inhaltlich noch strukturell zu Parallelen führt, so bin ich mir so ganz gewiss nicht: Eine stempelnde, den Vergleich wie der Teufel das Weihwasser meidende und also denkfreie Gesellschaft hat ein Ausmaß an „Denkabstinenz“ erreicht — Talkshows und Bundestagsdebatten sind eindrückliche Manifestationen —, dass keineswegs mehr sicher sein kann, ob überhaupt noch ein Bewusstsein für die Abwesenheit von Denken vorhanden ist oder nicht. Zu Ende gedacht gilt für jede Bündelungsgesellschaft: Das Bewusstsein für Denkprozesse fehlt und diese Abwesenheit erhöht die Schlagkraft der Etikettierungen, welche die bündelnde Instanz vornimmt. Mussolinis Schwarzhemden etwa fungieren als ein ins Bild gesetztes historisches, aber auch psychologisches Paradigma dafür.

Nazifreier Raum mit Nazimerkmalen

Sind Machtverhältnisse einmal genügend ausgeprägt und etabliert, entfällt die demokratische Notwendigkeit, vergleichend zu begründen. Und diese Schwelle ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in weiten Teilen Europas überschritten. Demokratische beziehungsweise kritische Instanzen sind weitgehend gelähmt oder schon vollständig vereinnahmt und also de facto abgeschafft. Es genügen Etiketten, um die Ausgrenzung von Störelementen aus einem Raum zu vollziehen, einem Gesellschaftsraum, der inhaltlich so ist, wie die ausgegrenzten Elemente zur Rechtfertigung ihrer Ausgrenzung angeschrieben werden. Die nahtlose Platzierung des Goebbelstextes im heute zulässigen Raum führt es vor (1).

Das macht die Tatsache, dass das Wort „Nazi“ Verwendung findet, um aus einem Diskurs und Gesellschaftsraum auszuschließen, dem mehr und mehr Nazimerkmale eigen sind, auch in historischer Dimension bemerkenswert.

Zwar nicht etwa, weil es allein in Deutschland eine totalitäre Haltung gäbe, sondern weil in Deutschland der Faschismus, den ich als anthropologische Verhaltenskonstante begreife, zu einer historisch einmaligen Ausformung fand. Aus diesem Grund scheint es mir geboten, der Bewegung des Ausschlusses und der Kennzeichnung „auf die Finger“ zu schauen. Sie ist in der Tat eine Spirale der totalen Perversion, insofern das lauthals Ausgeschlossene inhaltlich den Raum kennzeichnet, von dem aus ausgeschlossen wird.

Spirale des Monströsen: Denken ist Rechts

Und bei diesem Hinschauen — es braucht hierfür keinesfalls besonders scharfsichtige Augen — zeigt sich recht eigentümlich plump, dass über das Mittel der Ausgrenzung auf Basis einer Etikettierung als Nazi ein Zusammengehen mit echten Nazis gesellschaftlich wieder möglich und im Sinne der politischen Korrektheit gar geboten ist — und zwar in sich stimmig geboten, wie die nahtlose Einbindung des Goebbelstextes in den als Haltungsgefäß konzipierten Debattenraum zeigt.

Indes, auch die öffentlich zur Schau gestellte „Verbündelung“ (Bund, Rute = lat. fascis) mit Bandera-Faschisten basiert auf Etikettierung — das kann auch gar nicht anders sein im Rahmen der gegebenen Systematik. So werden die Bandera-Leute kurzerhand als Demokraten angeschrieben und dass dieser „Trick“ in einer Gesellschaft, in der Stempeln als Denken fungiert, funktioniert und sodann Denkleistungen wie das kritische Fragen nach Inhalt ebenso etikettiert sind, nämlich als Strafbestand wie „Delegitimierung des Staates“, ist folgerichtig und in sich notwendig. Denken ist rechts, Denken ist feindlich: Das ist die Ebene, auf der sich das deutsche „Geistesleben“ derzeit vollzieht.

Des Weiteren wird auch die ganze totalitäre Methodik wie Zensur, Einschüchterung durch Staatsanwaltschaft und Justiz sowie Kündigungen als Schutz der Freiheit etikettiert.

Ist Inhalt erfolgreich geächtet und aus der Gesellschaft verbannt, kann weiter nicht auffallen, dass die als „Demokratieschutz“ etikettierten Methoden exakt das zu Ende tilgen, was sie zu schützen vorgeben.

Darauf können sich zynische Strategen verlassen. Die öffentlichen Bekenntnisschreiben deutscher „Intellektueller“ beispielsweise in Sachen Corona, Ukraine und jetzt Gaza geben ihnen — einmal vorausgesetzt, es gäbe diese Strategen — Recht.

Das Verbot und die Folgen

Die Kulmination dieser Pervertierungen aber — und darauf zielt diese meine Reflexion — ist indes beim eigentlichen und explizit gefassten Vergleichsverbot erreicht, das mir so nur in Deutschland gegeben scheint. Es ist das Nazihitlerfaschismus- und insbesondere Auschwitzvergleichsverbot. Während ein Ingmar vergleicht, um das Leben zu begreifen, stellt die deutsche Justiz eine historisch für Deutschland und die Welt essentielle Konstellation unter Vergleichs- und also unter Denkverbot. Etikettiert ist dies als Schutz vor Relativierung und mehr noch — eine „Begründung“, der mit keinerlei Logik beizukommen ist —, um zu verhindern, dass Gleiches wieder geschehe.

Nicht nur Ingmar, jeder Mensch, in dessen Gehirn ein paar Denkneuronen die Etikettierungskampagnen überlebt haben, erkennt unmittelbar: Das Gegenteil ist der Fall. Das Vergleichsverbot ist Garant dafür, dass „es wieder kommt“, so sehr Garant gar, dass der Eindruck entsteht, es sei darauf angelegt.

Wer bei einem Denkvorgang, der in Relation stellt, die Verharmlosung voraussetzt und deshalb den Vergleich verbietet, der — vorausgesetzt, er tue dies nicht aus zynischen Gründen, etwa um bewusst die Voraussetzungen für ein neues Vernichtungslager in historisch anderem Gewand zu schaffen — versteht nicht, was „vergleichen“ bedeutet. Vergleiche führen zu Parallelen und Differenzen. Differenzen verharmlosen nicht. Und Differenzen sind nur über Vergleiche festzustellen. Dies zum einen. Die Parallele aber verharmlost nur dann, wenn Harmloses mit Ungeheuerlichem gleichgesetzt wird. Die Taxierung, ob eine falsche Deutung vorliegt, ist zwar abhängig von nicht quantifizierbaren Faktoren und keine physikalische Tatsache, wobei auch in der Physik Sachverhalte und Größen in Relationen auftreten. Gleichwohl besteht die diskursive Pflicht zu begründen, weshalb etwas different oder eben gleich ist. Gleiches muss in seinem Gleichsein also diskursiv aufgezeigt werden.

In einer Geisteskultur, die diesen Begriff verdient, ist das selbstverständlich. In einer Etikettierungsgesellschaft dagegen fallen Denkleistungen per se aus dem zulässigen Raum und können nicht zum Anschlag kommen, weil eine Etikettierungsgesellschaft grundsätzlich nicht diskursiv aufzeigt, sondern den Diskurs ausschaltet und dagegen etikettiert.

So gesehen und allen Sarkasmus zulassend ist es in sich richtig, dass Gleichsetzungen per se mit Verharmlosungen gleichgesetzt werden. Diese absolute und an keiner Stelle begründete Gleichsetzung ist indes eine, die, wie bereits herausgestellt, nur im Rahmen einer Etikettierungsgesellschaft gilt und die allein schon mit ihrer Geltung jede Basis für eine Kritik an dieser Gesellschaft verunmöglicht. Das war eine der genialen Figuren bei der Coronakür: die totale Immunisierung des Systems gegen Kritik bei gleichzeitiger totaler immunologischer Schwächung aller am System Beteiligten und ihm daher Ausgelieferten. Im Rahmen einer auf Diskurs angelegten Gesellschaft hingegen fällt diese Gleichsetzung von „In-Relation-Stellen“ und Verharmlosung und die mit ihr verbundene Verbarrikadierung gegen Kritik in sich zusammen. Eine solche Gleichsetzung nämlich ist nicht zu begründen, nur zu etikettieren.

Faschistischer Zustand

Ich möchte es nochmals herausstellen, denn der Mechanismus ist zentral und das gängige oberflächliche Lamentieren über die Zustände in Deutschland — etwa in Medien der Neuen Rechten wie in Tichys Einblicke und auf dem Reitschuster-Portal — hinkt dem Ausmaß der Katastrophe um Welten hinterher: Was sich derzeit in Deutschland gesellschaftlich abspielt, ist kognitiv ein worst case-Szenario und emotional beängstigend.

Die Apriori-Gleichsetzung von Vergleich und Verharmlosung kann nur dazu führen, Denken als Mittel, das Leben zu begreifen, zu streichen. Das Vergleichsverbot, den Hitlerfaschismus und insbesondere den Holocaust und Auschwitz betreffend, führt einen gesellschaftlichen Zustand herbei, bei dem die im Verbot eingelagerten Prämissen „richtig“ werden. Es handelt sich um einen faschistischen Zustand.

Konkret verhindert ein Vergleichsverbot die Wiederholung nicht, es ebnet ihr vielmehr den Weg. Wer Denkinstrumente und Denkfiguren beziehungsweise generell Denkmöglichkeiten und Denkfähigkeiten streicht, die Parallelen mit Monströsem — und dass Auschwitz monströs war, daran kann kein Zweifel bestehen — zutage fördern, der schafft die Grundvoraussetzung für die Wiederimplementierung von Monströsem. Das ist trivial. Gerade frühzeitiges Aufzeigen von Parallelen, wenn monströse Figuren im Ansatz gegeben, aber noch nicht voll entwickelt sind, wäre für die Verhinderung von Vernichtungslagern aller Art entscheidend. Zum jetzigen Zeitpunkt allerdings sind wir — auch dem Vergleichsverbot und seiner prägenden Wirkung in deutschen Sozialisationsprozessen „sei Dank“ — über diese Stadien schon hinaus.

Vergleiche — wieder sei auf das Ausgangsexperiment mit dem Goebbelstext verwiesen, aber auch auf den disziplinarischen und militaristischen Geist, der sich bis in Alltägliches auswirkt — zeigen nicht mehr bloß Parallelen im Ansatz, sondern solche im fortgeschrittenem Stadium. Und gerade dieses bereits vollzogene Fortschreiten ist es, was auch die Holocaust-Überlebende Vera Sharav zu ihrem Widerstand gegen die totalitäre Coronaregulatur und die dort in bombastischem Ausmaß betriebene Etikettierung veranlasst hat.

Bis in dissidente Kreise

Die Auswirkungen des Vergleichsverbots nehme ich, nicht in Deutschland sozialisiert, bis in dissidente Kreise hinein wahr, nicht nur in Form, einer übergroßen Vorsicht, ja Ängstlichkeit, sobald es um den Holocaust geht beziehungsweise darum, diesen rational zu begreifen. Der „Schuld“komplex — nicht, dass keine Schuld bestanden hätte, denn es war wesentlich das deutsche Volk in großen Teilen, das sich an der Hitlersystematik beteiligt hatte — wurde in den Nachkriegssozialisationsprozessen in einer Weise über die Gesellschaft hinweg ausgerollt und mit dem wirtschaftlichen Aufschwung verknüpft, dass sich dem nur wenige kritisch stellen und gegebenenfalls entziehen konnten.

Von daher erstaunt es nicht, dass selbst Menschen, die beim Coronakomplex kritische Fragen gestellt haben, davor zurückschrecken oder aber gar missionarisch sich weigern, die Kriegshandlungen Israels in Gaza, die einen Massenmord an Zivilisten bedeuten, als das zu bezeichnen, was sie sind. Die Zerstörung des Gazastreifens fällt aufgrund der Tatsache, dass Israel in deutschen und also mit dem Auschwitz-Vergleichsverbot belegten Köpfen mit der deutschen Schuldrolle verknüpft ist, sozusagen in den genuinen Bereich des Vergleichsverbots. Da hilft auch der Verweis nichts, dass ebenso die anderen Handlungen, beispielsweise diejenigen der Hamas, in Relation gestellt und also Vergleichen unterworfen sind.

Einmal mehr: Köpfen, die mit diesem Vergleichsverbot sozialisiert wurden, ist rational nicht klarzumachen, dass „in Relation stellen“ eben gerade nicht „relativieren“ im Sinne von „verharmlosen“ bedeutet, und ebenso wenig, dass „in Relation Gestelltes“ nicht gegeneinander aufgerechnet und über diese Aufrechnung zum Schwinden gebracht wird. Gerade nicht.

Das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza ist Massenmord mit genozidalem Charakter. Diese über Relationen vollzogene Feststellung verharmlost keine Handlungen, die davor geschehen sind und keine danach, egal, von wem begangen.

Anders als in Deutschland ist immerhin das im übrigen Europa mindestens ansatzweise zu vermitteln, es sei denn, anders gelagerte Verbote beziehungsweise Etikettierungssystematiken wie etwa eine rigorose Islamophobie verstellen das Denken.

Heimkehr

Verstörend bleibt der Gedanke, dass die vergleichsfreie Solidarität mit „Israel“ — dies sei hier als These gesetzt, nicht als „gesicherte“ Wirklichkeit — sublim das Monströse beziehungsweise die Sehnsucht danach bedient. Die Solidarität nämlich galt und gilt konkret den Bandera-Faschisten in Kiew wie einem Rechtsaußen-Regime in Israel und dessen Vorgehen. Beim (G)Eifer derer, die diese Solidarität besingen und die mit einem Sprachduktus, der an Goebbels‘ Palastrede erinnert, in einem fort Haltung einfordern, klingt allerdings noch mehr an. Es ist, als würden hier „Führer“ der öffentlichen Meinung selber „heimkommen“, ganz im Sinne wie es Ingeborg Bachmann in ihrer kongenialen Erzählung „Unter Mördern und Irren“, veröffentlicht 1961, in Bezug auf durchaus „liberale“, „aufgeschlossene“ und „sozialdemokratische“ Zeitgenossen beschrieben hat.

Es handelt sich um eine Gesinnung, die sich äußerlich lautstark von der Naziideologie abgetrennt, die Sehnsucht nach Zucht, Ordnung und Bund zwecks Vernichtung des Anderen indes nicht aus ihrem Sprachgebrauch herausbekommen hat. Und dass sich alle relevanten Gesellschaftsschichten, vor allem auch Liberale und Linke in dieser Gesinnung wiederfinden: Auch das führt Bachmann vor.

Heimkehr und „Verbündelung“ mit eigenen Vernichtungsfantasien: Das wäre das tiefenpsychologische Grausen und ein Aspekt, den die heute gänzlich als mechanistisch-statistisches Labor betriebene Universitätspsychologie wohlweislich aus sich verbannt hat. Auch deshalb kann die Liebe zu Faschisten gegen außen ungestört und ideologisch stimmig mit totalitärem Handeln im Innern zusammenkommen, ein Handeln, das man als „Schutz vor Nazis“ etikettiert. Und es sind vielleicht am meisten diese Handlungen im Innern Deutschlands, vollzogen von exekutiven Instanzen — auch in dieser Hinsicht steht „Corona“ paradigmatisch —, die für die These von der Sehnsucht nach Heimkehr sprechen. Und dass bei dieser Heimkehr auch viele mit fremdländischen Namen, tätowierten Armen, pink-grellen Haaren und transformiertem Geschlecht mit dabei sind, ändert daran nichts. Etiketten, von wem auch immer umgehängt, bleiben Etiketten und behalten als solche ihre ganze Schlagkraft.

Fazit I

Wer bisher nicht verstanden hat, in welche Geisteshaltung die Gesellschaft in Deutschland zurückgefallen ist, dem müsste der Vergleich, den jener Nachdenkseitenleser mit seinem Experiment ausgeführt hat, die Augen öffnen: Goebbels-Texte fallen nicht auf, sie werden als kongruent mit der zulässigen Haltung gelesen, sofern die Etikette „Goebbels“ fehlt. Romain Rolland hat in Bezug auf Deutschland zu Zeiten des Ersten Weltkriegs herausgestellt, dass es gerade aufgrund der deutschen Kriegsbegeisterung und des deutschen Militarismus sozusagen als Gegenstück auch ein erhebliches pazifistisches Potenzial in Deutschland gibt. Dass dem heute noch so sei, bleibt zu hoffen (2).

Es sind aber etliche, die das bislang nicht verstanden haben. So reist man noch immer nach Berlin, um Kultur auf deutschen Bühnen zu „genießen“ in der Annahme, dort kritisches Geistesleben anzutreffen, das es in den 1970ern und 1980ern an dieser Stelle gegeben haben mochte, wenngleich wohl nur als zeitbegrenzt „eingeplantes“ Epiphänomen. In der Tat aber wurde ausgerechnet auf der Maxim-Gorki-Bühne bereits 2018 das Leben des Stefan Banderas, also eines geistigen Massenmörders und Judenvernichters, in einer als RAP-Oper etikettierten Schau affirmativ besungen und im Rosa-Luxemburg-Theater, ebenso ausgerechnet, ist erst kürzlich der kapitalismus- und imperialismuskritische ehemalige britische Labourchef Jeremy Corbyn am Betreten der Bühne gehindert worden. Zwei Ereignisse pars pro toto. So reisen die Kulturgänger in der Tat zu Etikettierungsveranstaltungen, um im Rahmen eines zulässigen Spektrums Scheingefechte, Scheindenkfreiheit und Scheingeistesleben vorgespielt zu bekommen. Auch 1938 ging es auf Berliner Bühnen so zu und her. Auch da war eines garantiert: dass kein Begreifen ist.

Fazit II

Vergleichen ist kein abstrakter Vorgang. Es findet in einem biografischen Gedächtnis statt. Mit Vergleichs- und übrigens auch Bild-Verboten veröden Gehirnareale, nämlich solche, in denen Denkvorgänge „vollzogen“ werden. Einmal leer aber — das eröffnet Felder — werden sie mit Etiketten, Schlagwörtern und Haltungsformeln geflutet. Im Bild gesagt: Wo im Menschen eigenes Denken angelegt und worin deshalb wesentliche Komponenten seiner Biografie und also seiner Persönlichkeit begründet wären, übernimmt ein implementierter Haltungskodex, der als „eigener“ begriffen wird.

Strategen aufgepasst: Wer verhindern will, dass Menschen das Leben — persönliche wie gesellschaftliche und politische Umstände — begreift, der setzt das Vergleichsverbot. Mit Menschen, die nicht begreifen, lässt sich alles machen. Je weniger Menschen etwas begreifen, desto besser lassen sie sich steuern. Das ist auch eine Logik. Übrigens eine, die selbst durchaus nicht auf den Vergleich verzichtet.

Fazit III

Die Wirklichkeit selbst bleibt, was und wie sie ist. Mit oder ohne Vergleich. Vergleiche sind Wege des Begreifens, es sind keine direkten Zugänge zur Wirklichkeit. Aber da solche Zugänge per se nicht gegeben sind — beziehungsweise nur in Augenblicken der Unmittelbarkeit, die spätestens mit dem Einsetzen von Sprache enden — kann diese Einschränkung kein Einwand gegen das Vergleichen sein. Aber doch, als eine Vorstellung: Mit den Augen eines Menschen gesehen, der sein Leben verliert, unter entsetzlichen Bedingungen, einsam, in einem Getreidefeld, begraben unter Trümmern, hingeschlachtet, überfahren, vergiftet, von Hass getötet, wie auch immer, kann jeder Vergleich nur unzulänglich sein. Im Grunde falsch. Denn am Ende ist der Tod nicht in Relation zu stellen. Das gilt wohl schon erheblich auch für Leid und für alle unmittelbaren, der Sprache unzugänglichen Sphären des Daseins. Auch für glückliche. Wovon nicht zu sprechen ist, darüber ist zu schweigen. Dieses Bewusstsein für die Grenze muss beim Vergleich, der notwendig ist, um das Leben zu begreifen, anklingen. Es ist diese Relation, die jeder Geltung vorangeht. Gerade beim Vergleich mit Monströsem. Mit Auschwitz.