Im öffentlichen Auftrag

Der Unterschied zwischen Anspruch und Realität.

Der Sitz in einem Rundfunkgremium ist eine gesamtgesellschaftlich relevante Aufgabe, die eine selbstbewusste Kontrolle der Wahrung des gesellschaftlichen Auftrages öffentlich-rechtlicher Anstalten zu sichern hat. Rundfunkräte sind Repräsentanten und Sachwalter des in Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz niedergelegten kommunikativen Interesses der Allgemeinheit. Doch die „Anwälte des Publikums“ agieren – insbesondere bei der Behandlung von Programmbeschwerden - in der Regel wie die verlängerten Arme der Intendanzen. Warum das so ist, darüber sprach Rubikon-Beiratsmitglied Maren Müller mit dem ehemaligen Tagesschau-Redakteur Volker Bräutigam.

Herr Bräutigam, wie laufen in der Regel die Redaktionssitzungen ab? Wird den Redakteuren gesagt, welche Inhalte inklusive ideologischer Marschrichtung gewünscht werden?

In den Redaktionssitzungen werden die aktuellen Nachrichtenthemen kaum intensiv inhaltlich diskutiert. Es gibt so eine Art common sense, was wichtig ist. Es wird eher unter organisatorischen Gesichtspunkten besprochen, welche Themen in welcher Reihenfolge in die Sendungen kommen sollen - nach einer von den Dienst- bzw. Schichtleitern zusammengestellten Themenliste, es hat also immer schon eine Vorauswahl gegeben -, zu welchen Themen es bereits Nachrichtenfilmmaterial gibt - von Agenturen oder anderen Sendern -, welche Themen Schwerpunkte darstellen und zu welchen davon eigene Reporterbeiträge erbeten bzw. angenommen werden sollen.

Das sind Konferenzen, die kaum eine halbe Stunde dauern, denn für inhaltlich-vertiefende Diskussion und Beratung ist im aktuellen Betrieb überhaupt keine Zeit. Die Tagesschau sendet auf unterschiedlichen Kanälen praktisch am Fließband! Ideologische Vorgaben sind nicht nötig, ich komme anschließend darauf zurück.

Sind die Redakteure von dem was sie produzieren selbst überzeugt, oder müssen sie auf Regierungsmeinung und bündnispolitische Erwägungen Rücksicht nehmen?

Niemand kann in die Köpfe des redaktionellen Fußvolkes blicken. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die spürbare und organisatorisch auch nötige redaktionelle Hierarchie, der Zeitdruck und der annähernd alternativlose "Input" einen Anpassungsdruck erzeugen, an den man sich schnellstens gewöhnt, wenn man in der Nachrichtenredaktion nicht scheitern will.

Es wird nicht im Detail indoktriniert, allenfalls mal in einem Ausnahmefall wird eine Richtung vorgegeben: dieser Fall X sieht danach aus, dass ... also sollten wir.... Und wenn so etwas vom Chefredakteur geäußert wird, kommt kein Widerspruch. Nicht vom Fußvolk. Allenfalls von einem der herausgehobenen Dienstleiter, wenn die im fraglichen Fall über zusätzliche Infos verfügen und deshalb diskussionsfähig sind.

Zu meiner Zeit habe ich mich mit dem Chefredakteur als einfacher Redakteur böse angelegt, wenn ich über einen Vorgang anderer Meinung war als er, und vorschreiben ließ ich mir nichts, weshalb aus mir auch nichts wurde. Aber zu der Zeit lagen Stunden zwischen den einzelnen Sendungen, man hatte noch Zeit, zu einem Vorgang schnell ein paar Recherchen anzustellen oder zu veranlassen, ehe eine Nachricht darüber verfasst werden musste. Bei der heutigen Informations- und Materialflut ist das nahezu ausgeschlossen. Da wird am Fließband produziert. Aus einem Tortengeschäft ist eine Semmelfabrik für Billigware gemacht worden.

Existiert in den Nachrichten-Redaktionen Presse- und Meinungsfreiheit im Sinne des GG?

Ja. Aber das sind papierene Freiheitsrechte.

**Inwieweit nehmen die (politischen) Gremien Einfluss ins redaktionelle Geschehen?

Die Aufsichtsgremien des Rundfunksystems nehmen keinen direkten Einfluss. Sie haben auch nur das Recht zu nachträglicher Kritik an problematischen Sendungen. Sie üben indirekte Macht aus, indem es ihnen zukommt, die leitenden Figuren zu bestellen: die Intendanten. Und die haben dann Vorschlagsrecht bei Bestellung der Direktoren und Hauptabteilungsleiter, den Bestellungen müssen die Aufsichtsgremien wiederum zustimmen. Wer die Macht hat, einen Chefredakteur bestellen oder feuern zu lassen, hat unbeschreiblichen indirekten Einfluss. Das schlägt nicht auf einzelne Sendungen durch, sondern bestimmt das gesamte Betriebsklima.

In den laufenden Beschwerdeverfahren und Protestkommentaren wird oft eine vermeintlich "gleichgeschaltete" massenmediale Nachrichtengebung beklagt. Wie kommt sie zustande, diese „Gleichschaltung“?

Wenn ich nun das eigentliche Problem ansprechen darf, unter dem das gesamte deutsche Rundfunknachrichtenwesen leidet und das die "Gleichschaltung" verursacht: Sein Kürzel lautet dpa.

Die Masse der Nachrichten, die in den Redaktionen verarbeitet wird, stammt von den Agenturen dpa/AP (Deutsche und Amerikaner arbeiten da hübsch zusammen), Reuters auf AFP. Samt und sonders sind das kommerzielle Unternehmen. Die dpa gehört den Verlegern und den Rundfunkanstalten zu jeweils sehr geringen Prozentsätzen, doch ist das unerheblich.

Es sind eindeutig kommerziell arbeitende Betriebe, die bei aller Konkurrenz auch noch Material unter sich austauschen, voneinander abschreiben, usw. Eine Symbiose, ein Informationsnetzwerk, das alles andere darstellt als einen kritischen gesellschaftlichen Gegenpart zu den herrschenden politischen und wirtschaftlichen Zentren der Macht.

Die paar Korrespondenten, die die ARD beispielsweise in der Welt bezahlt, können weder noch sollen sie in Konkurrenz zu den Agenturen Material beschaffen und darüber berichten. Sie kommentieren selbst meist nur Agenturmaterial. Wer in Kiew aus dem Studio berichtet, hat keine größere informatorische Kompetenz als der Agenturmann, der übers Internet seine Nachrichten an die Zentrale sendet.

Der Eindruck von Gleichschaltung muss entstehen, weil es keine wirklich konkurrierenden Nachrichtenquellensucher mehr gibt. Das Monopol ist längst gebildet. Der NDR verwendet auch keine anderen Quellen als die BILD-Zeitung. Im Inland gibt es noch freie Journalisten und Konkurrenz unter den Nachrichtenbeschaffern, deshalb ist hier die Gleichschaltung auch noch nicht so krass spürbar wie im russophoben, philoamerikanisch-europäisch-israelischen Nachrichtenraum. Aber auch hier innen gibt es eine Rollenverteilung: die dpa-Marktherrschaft ist spürbar.

Das klingt nicht danach, als könne sich die Nachrichtengebung von innen heraus verbessern. Was kann die Gesellschaft tun, damit sich hier etwas zum Positivem wendet?

Fühlen Sie sich bitte nicht von meinen bitteren Anmerkungen entmutigt, das wäre ganz und gar nicht in meinem Sinne. Ich finde Ihre Arbeit und Ihr Engagement ganz wunderbar und ausgezeichnet, es ist eine dringend erforderliche Leistung, die Sie da vollbringen. Gäbe es Ihre Initiative nicht, dann müsste man sie schleunigst erfinden. Das werden Sie doch hoffentlich auch schon häufiger gesagt bekommen haben und verspüren!

Es braucht ein Forum für Gegenöffentlichkeit, auf dem sich der Widerstand gegen diese fürchterliche Informations-Monokultur bilden und entfalten kann, an der unser Gesellschaftssystem lebensgefährlich erkrankt ist. Natürlich wehren sich die Informationsmonopolisten gegen Kritik. Das Abwehrverhalten der Öffentlich-rechtlichen ist allerdings empörend, denn hier zeigt sich ein Nachteil des mit demokratischer Zielsetzung eingerichteten Systems:

Ein Management, das unkündbar ist und nicht mehr von Basiswahlen, sondern von politischen Gremien überwacht wird, denaturiert zum Selbstbedienungsladen für hochbezahlte Jobs, entwickelt gegenüber der Basis notwendigerweise Abwehrverhalten, wenn diese Basis nicht mehr das Gleiche will wie die Gremien.

Die Besetzung der Gremien müsste also geändert werden. Sowohl was das Verfahren anbelangt, als auch bezüglich der Definition der "gesellschaftlich relevanten Gruppen", aus denen die Repräsentanten entsandt werden.

Im Einzelnen: Die Landesgesetzgeber bestimmen in ihren Landesrundfunkgesetzen, wer "relevant" ist und wie viele Mitglieder ins Rundfunkgremium entsenden darf (bzw. in die Landesmedien-Anstalt, die die kommerziellen Betriebe überwachen soll). Das ist entscheidend, denn so kommt der schreckliche Parteieneinfluss zustande. (sehen Sie sich doch nur eines dieser Gesetze an: Meistens sitzen da Kirchen drin, Arbeitgeber, Arbeitnehmer (DGB!), Vertriebenenorganisationen (70 Jahre nach der Vertreibung!), Handelskammer, Wirtschaftsverband, Bauernverband, weiß der Teufel was noch; Kinderorganisationen nicht, Greenpeace nicht, attac nicht, ethnische Minderheiten nicht, Immigranten nicht, kritische Frauenorganisationen nicht, echte politische oppositionelle Parteien nicht. Keine frei gewählten Leute sitzen da, sondern in den Hinterzimmern der Organisationen ausgeguckte Typen, oft "Versorgungsfälle".

Leute ohne den geringsten Sachverstand oft, aber mit Parteibüchern oder Funktionärsschmiere. Ver.di hat da nicht etwa kritische journalistische Spitzenleute drin, sondern Rückgriffe auf den Fossilienstadel!

Diese Volksvertreter in den Gremien werden nicht vom Volk gewählt, darin liegt das Kernproblem der mangelhaften, parteiischen Aufsicht. Denn natürlich sitzen in den Räten federführend Politiker der Parteien und Repräsentanten der Staatskanzleien. Im Übermaß auch noch, wie Karlsruhe feststellte.

Der Programmausschuss der ARD hat auch mich überrascht. In dem bekannten einen Sonderfall. Der allerdings Signalcharakter hat: Leute in den Anstalten, Ihr überspannt den Bogen.

Wie die Anstalten drauf reagiert haben, ist bekannt und zeigt das selbstherrliche Eigenleben des Managements: Buhrow war nicht der Einzige, der die Kritik frech zurückwies. Die Intendanten brauchen nur einmal gewählt zu sein, dann sind sie aufgrund von Vertragsklauseln alle Zukunftssorgen los.


Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, ist Journalist. Er startete bei Tageszeitungen in Süddeutschland und landete schließlich beim NDR in Hamburg. 1975-84 war er Redakteur der Tagesschau, bis 1995 in der N3-Hauptabteilung Kultur. Im Juli 1988 organisierte Volker Bräutigam für die IG Medien/RFFU im NDR die erste mit Programmausfall verbundene Arbeitsniederlegung in der deutschen Fernsehgeschichte. Er ist Autor und Co-Autor mehrerer Bücher, Aufsätze, unzähliger Artikel sowie zahlreicher Programmbeschwerden, die er stets gemeinsam mit seinem Freund und Weggefährten Friedhelm Klinkhammer erarbeitet. Das neuste Buch, das er gemeinsam mit Uli Gellermann und Friedhelm Klinkhammer schrieb, trägt den Titel „Die Macht um Acht. Der Faktor Tagesschau“ und befasst sich auf kritische Weise mit Deutschlands Flaggschiff der Nachrichtengebung Nr. 1, der Tagesschau. Das Buch rangiert auf Amazon derzeit auf Platz 1 in der Kategorie „Politisches System“.


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