Im Schatten des Präsidenten

Nicht Donald Trump selbst, sondern seine Netzwerke im Hintergrund sollten uns das Fürchten lehren.

Eine mediale Schockwelle überflutet die Menschen in Europa beinahe täglich, besonders im linksliberalen Lager der „Demokraten“, die bei allen Gefahren von rechts immer „fest zusammenstehen“. Aber diesmal stehen sie mit zitternden Beinen: Was wir von Trumps Agenda, der „Agenda 47“, und seinen künftigen Ministern hören und lesen, fühlt sich wie ein Albtraum an und übersteigt so manches, was im Programm rechtsextremer Parteien in Europa steht: zwangsweise Remigration von Millionen illegaler Migranten unter Einsatz des Militärs, Einstellen staatlicher Mittel für Umwelt- und Klimaschutz, rücksichtslose Ausweitung der Förderung fossiler Energieträger, Zerschlagung staatlicher Strukturen des „Deep State“ (1), Verfolgung politischer Gegner, wirtschaftlicher Protektionismus durch hohe Zölle, Steuersenkungen für Reiche und Kürzung von Sozialausgaben. Droht die Führungsnation des „wertebasierten Westens“ zur Autokratie zu mutieren?

Trump als Zerstörer der US-amerikanischen Demokratie? Wer das so sieht, verkennt die Bedrohung und schaut auf die Politik wie das Publikum auf eine Theaterbühne, auf der Schauspieler agieren, als gäbe es kein Drehbuch. Der Blick hinter das Geschehen auf der „Politikbühne“ enthüllt eine ganz andere Wirklichkeit und sie ist bedrohlicher als Trump selbst. Und er könnte ein Licht werfen auf den Aufstieg rechter Populisten in Europa.

Bertolt Brecht hatte schon 1937 in seinem Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ solche personifizierenden Fragen ad absurdum geführt:

„Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon
Wer baute es so viele Male auf?
(…)“

Fragen wir mit Brecht: Wer unterstützte Trump? Wer machte ihn groß? Wer verlieh ihm soviel mediale Präsenz? Wer gab ihm das Geld? Wer will mit ihm die Demokratie zerstören? Und warum?

Im Wahlkampf warnten die Demokraten vergeblich vor Trumps „Agenda 47“, bezeichnet nach dem 47. Präsidenten, die auf dem Konzept „Project 2025“ der politisch weit rechts stehenden Heritage-Foundation (HF) beruht. Leider fanden sie nur wenig Gehör bei den Wählern. Danach strebt Trump einen autoritären Staat an. Das Projekt stützt sich auf das, was Staatsrechtler die Theorie der einheitlichen Exekutive nennen, die das Konzept der Gewaltenteilung ablehnt. Unterstützer Trumps argumentieren, dass Artikel 2 der US-Verfassung dem Präsidenten die totale Autorität über die Exekutive einräume. Eine ganz auf Trump zugeschnittene und ihm loyal ergebene Verwaltung will er durch massenhafte Entlassungen von Staatsbediensteten erreichen, besonders verhasst sind ihm „korrupte Bürokraten“, die aus der Justiz „eine Waffe“ gegen ihn gemacht hätten. Demzufolge werden wohl hunderte Staatsanwälte gefeuert und die Justizbehörden „umstrukturiert“.

Der erste Angriff auf die Demokratie trifft somit den Rechtsstaat, die Unabhängigkeit der Justiz, der zweite die Opposition.

Das oberste Gericht hat Trump ja schon in seiner ersten Präsidentschaft auf einen rechtskonservativen Kurs gebracht. Ganz ähnlich versuchen autoritäre Regierungen, Kontrolle über die Justiz zu erlangen, siehe Ungarn, Polen, Slowenien und andere. Gleichzeitig damit beginnt die Verfolgung und Einschüchterung politischer Gegner. Das ist die Ouvertüre zur Autokratie. So berichtete die Washington Post im November 2023, dass bei einem erneuten Wahlsieg Trumps unter Berufung auf den „Insurrection Act“ von 1807 (2) geplant sei, das US-Militär zur inländischen Strafverfolgung einzusetzen und das US-Justizministerium anzuweisen, Trump-Gegner zu verfolgen. Nach Aussagen eines führenden Mitarbeiters von „Project 2025“ solle „eine neue Armee [ideologisch] ausgerichteter, geschulter und im Wesentlichen einer Waffe gleicher Konservativer“ die neuen Ämter und Verwaltungsjobs übernehmen. (3)

Heritage-Chef Kevin Roberts: „Die gesamte konservative Bewegung steht geschlossen hinter Trump.“

Die oben erwähnten Ziele von „Project 2025“ sind auch in Trumps „Agenda 47“ zu finden, beide stimmen in über 40 Punkten überein und obwohl sich Trump im Wahlkampf zeitweilig davon distanziert hat, zeigen seine Personalentscheidungen deutlich, dass er diese autoritäre Agenda wirklich umzusetzen gedenkt.

Er allein? Natürlich kann es nur einen Präsidenten geben, aber was und wo wäre Trump ohne das Netzwerk, das hinter ihm steht und ihn überhaupt erst hat mächtig werden lassen. Da ist – außer der Republikanischen Partei – zunächst die Heritage-Foundation, die gemeinsam mit dem jungen, rechtsgerichteten America First Policy Institute (AFPI) erheblich dazu beigetragen hat, ihn zurück ins Weiße Haus zu bringen. Schaut man sich die Personalien und Agenda der nächsten Trump-Präsidentschaft, soweit sie bisher bekannt geworden ist, genauer an, so wird deutlich, dass er im Grunde nur umsetzt, was diese Organisationen im Interesse ihrer privaten Förderer – diversen Multimilliardären – für ihn ausgearbeitet haben.

AFPI sagte, man stehe bereit, „eine mutige Regierung zu unterstützen, die die Amerikaner an die erste Stelle setzt“. Dazu bietet sie bereits fertig ausgearbeitete Konzepte, Präsidentenerlasse und politische Kandidaten für diverse Ämter an. So hat Trump aktuell zum Beispiel die Wrestling-Milliardärin Linda McMahon zur Bildungsministerin ernannt und den Investment-Banker und Milliardär Howard Lutnick zum Handelsminister. Beide gehören der Führungsebene des AFPI an. Trump erscheint hier nicht mehr als Usurpator, sondern bloß als Vollstrecker seiner Hintermänner.

Die beiden Organisationen verfolgen politisch ähnliche Ziele: Stopp der illegalen Einwanderung, ein schlanker Staat, niedrige Steuern, laxe Waffengesetze, Förderung fossiler Energieträger und die kinderreiche Kernfamilie als Standard, was eine Agenda gegen Abtreibung und Behandlungen für Transmenschen einschließt.

Das Ziel: ein amerikanisches Imperium, das keine multilateralen Rücksichten nehmen muss.

Die Heritage-Foundation ist einer der größten und einflussreichsten Thinktanks (Denkfabriken) in den USA und versteht sich als Stiftung mit der Mission, „Freiheit und traditionelle amerikanische Werte zu verteidigen“ mit einem Jahresbudget von über hundert Millionen US-Dollar. In den USA spielen die Parteien eine wesentlich geringere Rolle im politischen Willensbildungsprozess als Stiftungen und Thinktanks.

Hinter der Organisation stehen viele Multimilliardäre aus zahlreichen Wirtschaftsbranchen, der Öl- und Gasindustrie, der Rüstungsindustrie, der Finanzbranche, davon verstehen sich etliche als weiße christliche Nationalisten, eng verbunden mit den Evangelikalen.

Heritage-Chef Roberts strebt nach politischer Beeinflussung nicht nur in den Grenzen der USA: Im Februar dieses Jahres reiste er zum Weltwirtschaftsforum nach Davos, um, wie er es erklärte, den „heuchlerischen selbsternannten Marxisten, Privatjet-Umweltschützern und an Völkermord grenzenden Humanisten“ eine Lektion zu erteilen. „Roberts sieht mit dem internationalen Netzwerk aus Trump, Nigel Farage, Viktor Orban, Javier Milei, Geert Wilders ein ‚neues Zeitalter des populistischen, patriotischen Konservatismus’ anbrechen.“ (4)

Hinter der HF steht aber noch ein ganzes Geflecht aus Stiftungen, Denkfabriken und NGOs (Nichtregierungsorganisationen), das gemeinsam das Ziel eines rechtskonservativen Amerikas mit einem schwachen Staat und maximalen Freiheiten für seine reichen Bürger verfolgt, so zum Beispiel „Turning Point USA“, „Center of Renewing America“. Einer der maßgeblichen Thinktanks der Neokonservativen nennt sich „Project for the New American Century“, gegründet 1997 von Bill Kristol, dem Chefredakteur des Weekly Standard. Der Weekly Standard ist eines des Sprachrohre der Neokonservativen und gehört dem australischen Medienmogul Rupert Murdoch. Bill Kristol verachtet internationale Abkommen und die sogenannte „wertebasierte Ordnung“, die die Europäer so hochhalten. Er vertritt eher nationalistische Positionen des „America First“. Amerika müsse seinen militärischen Vorsprung so stark ausbauen, dass keine andere Regionalmacht den Konflikt mit den USA wage. Sein Ziel: ein amerikanisches Imperium, das keine multilateralen Rücksichten nehmen muss.

Ein System der Plutokratie: Die Superreichen kaufen bei Medien und Politik ihre Macht ein – wie auf einem Markt

Die Conservative Political Action Conference (CPAC) bildet die Brücke zur öffentlichen Meinungsbildung. Seit 1974 bringt die Konferenz jährlich die wichtigsten konservativen Politiker, Meinungsmacher und Medienpersönlichkeiten zusammen. Auch hier haben es die rechten Netzwerke der MAGA-Kampagne („Make America Great Again“) geschafft, ihre politischen Parolen und Personalien durchzusetzen. Rechtsextreme und rechtspopulistische Politiker und Medienmacher aus mehreren Ländern, darunter der Brexit-Befürworter Nigel Farage, Trumps ehemaliger Berater Steve Bannon, der neu gewählte argentinische Präsident Javier Milei, der den Staat mit der „Kettensäge“ zurechtstutzen will, sogar der Ex-BILD-Chefredakteur Julian Reichelt.

Anders als in Europas Demokratien erweist sich das System der politischen Willensbildung in den USA als Markt, auf dem Macht und Einfluss käufliche Waren sind, als ein System der Plutokratie.

Man gründet oder kauft als reicher Bürger eine Stiftung oder Denkfabrik, spart dadurch Steuern und übt im Wettbewerb oder in Kooperation mit anderen Plutokraten politischen Einfluss aus, indem man Gutachten und Stellungnahmen zu Gesetzen oder gleich neue Gesetze und Verordnungen erarbeiten lässt, die die jeweilige Präsidialverwaltung dann einfach umsetzen kann. Zugleich verfügen die Superreichen über Massenmedien, mit deren Hilfe sie ihre Propaganda verbreiten. So entfaltet sich die politische Macht dieser Schicht und sie unterwirft sich den Staat.

Neoliberalismus als Ideologie der Plutokraten

Das Programm, nach dem dieser „politische Markt“ sich entfaltet, wird durch die Prinzipien des Neoliberalismus geschrieben: Deregulierung des Staates, das heißt Beseitigung jeglichen staatlichen Interventionismus, vollkommene Freiheit der Unternehmer, Abschaffung sozialstaatlicher Umverteilung, Privatisierung möglichst aller öffentlichen staatlichen Dienstleistungen, Begrenzung staatlicher Ausgaben, wie sie beispielsweise die Schuldenbremse leistet, zugunsten niedriger Steuersätze für die Reichen.

Begründet wurde diese Ideologie von dem Ökonomen Friedrich August von Hayek (1899-1992), der zusammen mit anderen liberalen Ökonomen am 10. April 1947 im Schweizer Dorf Mont Pelerin die Mont Pelerin Society (MPS) gründete. Als Verein in den USA (Ilinois) eingetragen, entwickelte es sich in der Folge zum bedeutendsten neoliberalen Netzwerk der Welt. Mitglieder der MPS hatten und haben einflussreiche Positionen als Minister oder Regierungschefs inne und prägten die Politik nach deren Grundsätzen. Eines der Mitglieder mit großem politischem Einfluss in Deutschland ist Lars P. Feld, Leiter des marktradikalen Walter Eucken Institus. Er ist unter anderem Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsrats der CDU. Kein Wunder also, dass der Ruf nach Kürzung der Sozialausgaben, nach niedrigeren Steuersätzen für Unternehmen, Streichung des Bürgergelds und so weiter aus dieser Ecke kommt, zu der übrigens auch die AFD zu rechnen ist, deren Vorsitzende Alice Weidel sich als Anhängerin von Hayeks Ideologie geoutet hat.

Der bisher radikalste Vertreter dieser Ideologie ist der argentinische Präsident Javier Milei, der Mann „mit der Kettensäge“, der seinem Land eine neoliberale „Schocktherapie“ verordnet hat, indem er zum Beispiel den Staatsapparat halbierte, die soziale Unterstützung der Armen strich und Preiskontrollen aufhob. Heute lebt mehr als die Hälfte der Argentinier unter der Armutsgrenze. Im Namen des Neoliberalismus hat beispielsweise Pinochets Militärdiktatur in Chile in den 1970er Jahren Tausende von Oppositionellen gefoltert und ermordet, alle von der gestürzten sozialistischen Vorgängerregierung erlassenen Gesetze zur Verstaatlichung von Großunternehmen und Agrarreformen aufgehoben, das Rentensystem privatisiert und so einen Großteil der Bevölkerung in Armut gestürzt. Im Namen des Neoliberalismus und im Interesse US-amerikanischer Großunternehmen wurden in Lateinamerika schon in den 1950er und 1960er Jahren unliebsame Regierungen durch verdeckte CIA-Aktionen weggeputscht (5).

Was bedeutet das für Deutschland?

Längst sind die rechtskonservativen Thinktanks auch in Deutschland aktiv und nehmen hinter den Berliner Kulissen, zum Beispiel das Aspen-Institute und der German Marshall Fund, massiv Einfluss auf die politische Willens- und Meinungsbildung, sind tief verstrickt in die transatlantischen Netzwerke aus Medien und Politik, wie zum Beispiel die „Atlantikbrücke“, bilden selbst politische Talente aus über „young-leader-Formate“, wie Cem Özdemir und Annalena Baerbock, sodass die von uns Bürgern gewählte Regierung weniger die eigenen nationalen Interessen im Auge hat als die geopolitischen Ziele „unserer amerikanischen Freunde“.

Aufrüstung und Abbau des Sozialstaats, in Bezug auf Renten und Bürgergeld, und eine außenpolitische Konfrontationspolitik, die kein Kriegsrisiko scheut, sind die Folgen dieser transatlantischen „Kooperation“, wie sie euphemistisch genannt wird, aber im Grunde nur eine US-Hegemonialpolitik darstellt, von der die Plutokraten am meisten profitieren, siehe die Gewinne der Fracking-Gas-Industrie und besonders die der Rüstungsindustrie.

Wer dieser Politik folgt, macht Deutschland zum Verlierer und bereitet den Boden für ein autoritäres Regime. Schon jetzt darf öffentlich nicht mehr schadlos von Kriegsverbrechen der Israelis oder von der Mitschuld des Westens am Krieg in der Ukraine geschrieben werden. Kriege sind günstige Nährböden für autoritäre Politik.