In Camouflage an der Tafel

Ein Jugendoffizier der Bundeswehr geht mit einer Beleidigungsklage gegen einen Schüler vor, der im Internet Memes über ihn verbreitete — doch der Skandal erweist sich komplexer als gedacht.

In den letzten Wochen sorgte der Fall des Freiburger Abiturienten Bentik für Aufregung bei Altlinken und neuen Friedensgruppen. Der Fall wurde sowohl in den sozialen Netzwerken und alternativen Medien als auch in der etablierten Presse ausführlich aufgegriffen. Die Bundeswehr erobert die Schulen und indoktriniert unsere Kinder! Wer dagegen protestiert, wird mit Beleidigungsklagen mundtot gemacht! So der allgemeine Eindruck. Nun hat sich der Nebel aus Halbwahrheiten und Desinformation gelichtet. Der Autor dieses Artikels fasst zusammen und bezieht Stellung zu den gesellschaftlich-politisch wichtigen Themen hinter dem personalisiert aufgebauschten Skandal: freie politische Bildung an Schulen, Rekrutierung für die deutsche NATO-Armee, die Diskussion um die Wehrpflicht — Aufrüstung gegen Russland oder Wege zu gewaltfreien Konfliktlösungen?

Hier zunächst die Skandalsicht auf die Fakten:

„Nach dem Besuch eines Jugendoffiziers am Angell-Gymnasium in Freiburg sieht sich ein ehemaliger Schüler mit einer Anzeige wegen Beleidigung konfrontiert. Laut Medienberichten hat die zuständige Staatsanwaltschaft sogar bereits Anklage erhoben. Der Grund: Der 18-jährige ‚Bentik‘, der zur Zeit des Besuchs des Jugendoffiziers noch Schüler an dem ehrwürdigen Gymnasium war, hat sich Kritik erlaubt, die großen Unmut auf sich gezogen hat und von strafrechtlicher Relevanz sein soll. Eine Bundeswehr, die an die Schulen geht, und bundeswehrkritische Schüler? Das passt offensichtlich nicht zusammen.“

Nicht völlig falsch, aber sehr unvollständig. Es gab eine Vorgeschichte zu dem Bundeswehr-Besuch im Februar 2025, und die Montessori-Schule hat – entsprechend ihres Prinzips des selbstbestimmten Lernens – am kritisierten Projekttag vielfältige Informationen auch von einer Friedensgruppe angeboten und scheint tolerant mit dem Streit umgegangen zu sein.

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Das zuerst veröffentlichte Meme, das den Skandal auslöste. Quelle: Instagram-Solidarität der Linksjugend Freiburg.

Vor allem war das zuerst in Umlauf gebrachte Meme nur eine Nachbildung des ursprünglichen, lange gelöschten Instagram-Memes, das auf einem Foto des Soldaten während seines Vortrags basierte. Strafrechtlich relevant ist jedoch ein zweites Meme, das einen persönlichen Bezug zur gewalttätigen Neonazi-Szene herstellte: Es nannte den Namen des Jugendoffiziers und zeigte nach neueren Informationen sogar deutlich sein Foto.

Näheres dazu später , in einer Rekonstruktion der Ereignisabfolge. Der Stand meiner Informationen ist der 24. November 2025.

Zunächst zur Vorgeschichte der Bundeswehr-Einladung zum Projekttag am 11. Februar 2025: Bei einem Vortrag vermutlich desselben Bundeswehr-Jugendoffiziers gegen Ende 2024 hielt Bentik eine Protestrede, „warum ich es schlecht finde, dass ein Soldat bei uns auftritt und dass man sowas boykottieren sollte.“ Anschließend verließ er die nach seiner Aussage verpflichtende Oberstufen-„Vollversammlung“. Claude Kuhnen, Leiter der Schul-Unternehmenskommunikation, schreibt dagegen allgemeiner in einer Mail vom 13. November: „Besuche des Jugendoffiziers gab es in mehreren Formen, wir hatten ihn schon zu Gast in der ,Politikstunde’, einer freiwilligen Veranstaltung, die in der Mittagspause stattfindet.“

Danach wurde die Schülerzeitung „Angell Unterwelt“ gegründet, sicherlich unter wesentlicher Beteiligung Bentiks. Sie setzte sich unter anderem kritisch mit der Bundeswehr auseinander. Bentik behauptet, es habe dafür keine Genehmigung von der Schulleitung gegeben, im Gegenteil habe er Druck bekommen. „Schließlich wurde mir gedroht, dass meine schulische Karriere unverzüglich beendet sein könnte, sollte sich herausstellen, dass die Zeitung auf mich zurückzuführen ist.“ Alexander Hochsprung, Leiter des Angell-Gymnasiums, dementiert das jedoch: Bentik sei niemals mit einem Schulverweis gedroht worden. Es habe jedoch Gespräche mit ihm über die Form seiner – grundsätzlich willkommenen – Kritik an der Bundeswehr gegeben. Ebenso hätten aber „anonyme Flugblätter mit Vorwürfen gegen Kollegen und Mitschüler“ eine Rolle gespielt.

Am 11. Februar 2025 stand dann ein Projekttag zum Thema Demokratie für die Klassen 9 bis 13 an. Von 500 Schülern entschieden sich 15 für das Angebot des Jugendoffiziers mit dem Thema „Demokratie verteidigen – aber wie?“.

Dabei ging es besonders um internationale Konflikte. Bentik nahm nicht teil und „störte“ auch nicht. Laut Mail von Claude Kuhnen gab es unter den insgesamt 31 Projekten auch einen Workshop „Konflikte bearbeiten, aber wie“ mit der Servicestelle Friedensbildung Bad Urach.

Das hört sich nach offenem, freiwilligem demokratischem Dialog an. Bentik hingegen schildert dem stern seine Eskalationsgeschichte weiter: In der Schülerzeitung und auf Instagram sei vor dem 11. Februar zu Protesten gegen den Jugendoffizier aufgerufen worden. Unter den Schülern habe der Aufruf „nicht wirklich verfangen“.

Lehrkräfte hätten Bentik jedoch vor erneuten Aktionen gewarnt und ihm gedroht, ihn notfalls während des Vortrags aus dem Schulhaus zu verweisen. Bentik sagt weiter: „Aus der Akte mit der Anzeige des Soldaten geht außerdem hervor, dass die Schule die Bundeswehr vorab gewarnt hat, dass ich den Workshop stören könnte. Da wurde auch eine politische Einschätzung über mich übermittelt.“

Das lässt Raum für Spekulation, denn Schulleiter Hochsprung sagt nur bezogen auf die Polizei, diese habe erst nach der Anzeige gegen Unbekannt selbständig ermittelt, und es seien keine Daten weitergegeben worden.

Bundesweit für Aufsehen gesorgt hat dann die Nachgeschichte: Zwei über Instagram nur wenig gestreute und später gelöschte Memes. Bentik hat die Erstellung und Verbreitung der Memes allerdings nicht zugegeben, und sie konnten im Zug der polizeilichen Ermittlungen auch nicht seinem Handy zugeordnet werden.

Das erste Meme entspricht dem als Bild 1 gezeigten, erst ab Herbst 2025 weit verbreiteten Motiv mit Gewehr und dem Spruch: „Also Kinder, wer von euch würde gerne an der Ostfront sterben?“ (In einer Variante wurde auch der Vortragstitel satirisch verfremdet zu: „Jugendliche an der Front verheizen – aber wie?“)

Der stern hebt einen entscheidenden Unterschied hervor: „Das originale Meme zeigt jedoch ein Foto des Jugendoffiziers der Bundeswehr, auf dem der Mann klar erkennbar ist."

Dies gilt nach Informationen der Badischen Zeitung auch für das zweite Meme: Der Jugendoffizier „ist auf den Memes mit Gesicht abgebildet, auch sein Nachname wird genannt.“ Dort ist auf das Vortrags-Board ein eingehender Anruf mit dem Namen des Soldaten einmontiert. Der Anruf kommt von „SS-Siggi“, dem 2021 gestorbenen Neonazi Siegfried Roland Borchardt. Das auf der Schul-Website abrufbare Klassenraum-Foto wurde außerdem durch eine fiktive Antwort des Jugendoffiziers ergänzt: „Oh, da muss ich kurz rangehen“. Borchardt hatte als Chef der „Borussenfront“ in den 1980er-Jahren Ausländer durch Dortmund gejagt und wurde bis 2002 wegen mehrerer weiterer Gewalttaten verurteilt. Dem Jugendoffizier wurden somit – ohne irgendeinen Beleg – symbolisch, aber individuell Kontakte in die schwerkriminelle Neonazi-Szene unterstellt. Er erstattete daraufhin wegen Beleidigung Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Freiburg. Diese erhob auch am 28. August 2025 Anklage beim Amtsgericht Freiburg. Entgegen anders lautenden Meldungen ist sie nicht zurückgezogen worden; eine Entscheidung über die Zulassung steht weiterhin aus.

Bentik sagte später im SWR-Interview (ab 00:47), ihm sei es um Protest gegen Aufrüstung und Wehrpflicht gegangen, nicht darum, den Bundeswehr-Offizier persönlich anzugreifen. Vielmehr kritisiere das Meme die Bundeswehr als Ganzes. Das Bild mache auch „auf die aus seiner Sicht bestehenden faschistischen Strukturen in der Bundeswehr aufmerksam“.

Soweit die rekonstruierbaren Fakten. Nun zu meiner Interpretation. Zunächst – so kurz wie angesichts der Verwobenheit in die Diskursstruktur der „Kontaktschuld“ möglich – zur strafrechtlichen Relevanz des individuellen Falls. Diese muss letztendlich ein Gericht klären, am besten in einem informierten ordentlichen Verfahren, und nicht durch bloße Niederschlagung der Anzeige. Siegfried Rath in der Badischen Zeitung urteilt meiner Meinung nach zu vorschnell, die Strafbarkeit sei „wohl zu weit hergeholt“.

Danach komme ich zu allgemeineren Themen: politische Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit, Fake News und Wahrhaftigkeit, Bildungsfreiheit und Rolle von Nazivergleichen im „Kampf gegen Rechts“ oder auch „links“. Abschließend nochmals die Hauptfrage: Sollte an Schulen eine direkte Auseinandersetzung mit der Bundeswehr und ihrer politischen Rolle stattfinden? In welcher Form wäre das demokratisch legitim und nicht-manipulativ?

Das Wesentliche zum persönlich gekennzeichneten Meme mit Bezug zu „SS-Siggi“ habe ich schon gesagt: Es war eine haltlose, beleidigende Unterstellung von Beziehungen in die Neonazi-Szene. Welche konkreten Beziehungen? Hier hat auch die Staatsanwaltschaft zur Desinformation beigetragen. Eine erste Stellungnahme der Badischen Zeitung zu beiden Memes besagt: „Die beiden Darstellungen unterstellten dem Offizier persönliche Verbindungen zur nationalsozialistischen Organisation SS und eine verfassungswidrige, menschenverachtende Grundeinstellung“.

Ich fragte mich, wie alt der Soldat wohl sein müsste, um theoretisch die 1945 aufgelöste SS direkt unterstützt haben zu können. Ging es vielmehr um die alte Tradition deutscher Militarisierung, die nur bis zur Wiederbewaffnung 1955, dann durch die von Willy Brandt begonnene Entspannungspolitik, noch später im Zug des Zusammenbruchs der Sowjetunion in den Hintergrund trat?

Um persönliche Verbindungen zur SS konnte es also nicht gehen. Auch tatsächliche frühere Verbindungen zum 2021 gestorbenen Neonazi Siegfried Borchardt werden in der gesamten Kampagne nicht angedeutet. Dieser wurde zudem nur „SS-Siggi“ genannt, bestritt Sympathie für die SS, würde sich lieber „SA-Siggi“ nennen lassen. Schließlich ist durch das Telefonat mit einem Toten eindeutig ein symbolischer Sinn gegeben.

Es bleibt: Das zweite Meme suggeriert irgendeine Art von Beziehung zu Faschisten. Diese könnte theoretisch durch beruhigende Gespräche gegeben sein oder ein Training in gewaltfreiem Widerstand. Da Kontaktschuld heute jedoch eine allgegenwärtige Gedankenverbindung ist, wird das Meme bei vielen so gelesen: Der Jugendoffizier hat Kontakt in die Neonazi-Szene – „Sage mir, mit wem du gehst, und ich sage dir, wer du bist“ – also färbt eine „verfassungswidrige, menschenverachtende Grundeinstellung“ ab. Das ist in der Tat eine schwere persönliche Beleidigung, könnte aber als noch durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein. Das Meme hätte sich dafür in einem Begleittext auf konkrete Fakten, Reden oder Aktionen beziehen müssen, finde ich.

Oder man könnte mildernde Umstände anführen und die Aktion als unbedachten Einfall eines gerade erwachsen gewordenen Schülers abtun. Jedoch handelte es sich offensichtlich um eine gezielt und pressewirksam aufgebaute Provokation durch die Internationale Jugend Freiburg, deren Mitglied Bentik ist. Sie gehört zur Föderation Klassenkämpferischer Organisationen; diese wiederum wird vom Verfassungsschutz dem „Kommunistischen Aufbau (KA)“ zugeordnet. Wollte die Organisation durch Falschdarstellung zu den Memes bewusst skandalisieren, sowie schon durch die den angeblichen Justizskandal begleitende Erzählung von Repression durch die Schule? Wollte sie so – wie der Verfassungsschutz den KA zitiert – den „Klassenkampf zu einem revolutionären Bürgerkrieg entwickeln“? Oder verschweigt die nach meiner Meinung sehr offen kommunizierende Montessori-Schule Wichtiges?

Anlässlich einer ähnlichen Kampagne an der Humboldt-Schule Leipzig im Oktober 2024 beschreibt die dortige Ortsgruppe die Wichtigkeit einer genauen Planung einschließlich Eskalationsstufen:

„Die Kampagne gegen den Besuch der Bundeswehr haben wir von Anfang an so geführt, dass unser Ziel dieses System zu überwinden als langfristige Lösung gegen Kriege und Aufrüstung benannt wurde.“

(PS: Diese Kapitalismuskritik teile ich, wenn sie gewaltfrei und realistisch vorgeht, etwa durch steuerliche Umverteilung und besonders durch Transformation von unten wie selbstverwaltete Betriebe, Wohnprojekte oder Schulen.)

Die Schulleitung wehrt sich gegen das gleiche Muster wie in Freiburg: von außen geplanter Protest – hier ein Die-In auf dem Schulhof – und Skandalisierung durch Behauptungen von Repression bis hin zum Schulverweis:

„So wird seit Wochen behauptet, ein Schüler unserer Schule sei der Schule verwiesen worden, weil er seine Meinung gegen die Einladung der Bundeswehr zu einer Unterrichtsstunde geäußert habe. Tatsächlich hat er in Abstimmung mit der ‚Internationalen Jugend‘ eine politische Aktion inszeniert; ein Gruppenmitglied hat diese gefilmt und ins Netz gestellt, um mit falschen Behauptungen einen Skandal zu produzieren.“

Dass ein Schulverweis nicht ausgesprochen wurde, stellt Perspektive Online allerdings als Erfolg auch einer Petition für Feli und Iven dar. Diese Möglichkeit sei tatsächlich auf einer Lehrerkonferenz besprochen worden; beschlossen worden sei letztlich nur gegen Iven die erste Stufe von Ordnungsmaßnahmen, ein schriftlicher Verweis.

Strittig waren jedenfalls die mehrere Monate andauernden Aktionen einer externen politischen Gruppe auf dem Schulgelände.

Die Humboldt-Schule verweist auf vielfältige Möglichkeiten für einen offenen Austausch, will aber „vor politischer Instrumentalisierung schützen“. Sie lädt gleichzeitig einen Bundeswehroffizier ein. Hier scheint das Problem die Selbstbestimmung zu sein: Wer bestimmt über Lerninhalte? Läuft das hierarchisch oder nach Interessen und Kontakten von Schülern?

Mindestens ein Die-In allein muss als selbstorganisierte künstlerische Performance akzeptiert werden. Falls es den Unterricht stört: Lehrplanerfüllung ist nicht oberstes Ziel von Schule, sondern Unterstützung der freien Entfaltung junger Persönlichkeiten.

Bentik sagt, er habe nur allgemein auf faschistische Netzwerke in der Bundeswehr hinweisen wollen, zu denen er hoffentlich genaue Recherchen zu einzelnen nachgewiesenen Fällen gelesen hat. Er hat die Vorwürfe aber personalisiert in den virtuellen Raum geworfen – schon Kinder wissen, dass grundlose Behauptungen „Quatsch“ sind und geben zurück: „Was man sagt, das ist man selbst…“ In der Tat ist ein Kennzeichen von Faschismus der Pranger: Ausgrenzung und Diffamierung einzelner Menschen, besonders wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit. Auch wenn es in diesem Fall kein Treten nach unten ist, etwa gegenüber Flüchtlingen, sondern die staatlich – immer mehr auch gesellschaftlich? – anerkannte Gruppe der Bundeswehr-Offiziere betrifft.

Da es mich persönlich betrifft, noch ein – zulässiger? – Nazivergleich: Beliebtes Objekt „antifaschistischer“, personalisierter Abwertung ist, trotz begonnener Aufarbeitung der autoritären Corona-Maßnahmen einschließlich Impfzwang gerade in der Bundeswehr, die äußerst heterogene, offene Gruppe der „Schwurbler“ und „Querdenker“. Vorreiter sind seit Jahren mächtige, da anerkannte Platzhirsche und sie unterstützende Admins in der deutschen (nicht englischen!) Wikipedia. Sie bestehen beispielsweise auf einer einseitig aus dem Artikel „Basisdemokratische Partei Deutschland“ ausgewählten, kaum informierenden Einleitung. Anfangs durchaus beachtliche, aber 2024 nicht einmal für den Einzug ins EU-Parlament reichende Wahlerfolge werden erwähnt; die inzwischen kontinuierliche Mitarbeit in Kommunalparlamenten jedoch wurde ausdrücklich als „irrelevant“ gestrichen.

Hervorgehoben wird dagegen der „Fall Bhakdi“, der 2021 in antisemitischen Formulierungen über „die Juden“ Panik verbreitete zur israelischen Impfkampagne, die „schlimmer ist, als Deutschland war“. Außerdem stehen da drei Fälle (davon zwei unentschieden) von „Rechtsterrorismus“ – ich würde eher sagen, es waren Reichsbürger-nahe Hirngespinste und Umsturzfantasien. Die Wikipedia-Suggestion ist Sippenhaft – in einem sehr kurzen Überblick zu einer Partei haben jedoch Einzelfälle nichts zu suchen. Es wäre gut, wenn sich einmal zwei oder drei tolerante, empathische und in jede Richtung kritische Menschen dieses Artikels annehmen und auch neue Quellen einbringen würden. Ich selbst darf es wegen lebenslänglicher Totalsperre nicht mehr.

Zum Ende nochmals die Frage der Rolle von Bundeswehr-Vertretern an Schulen.

„Laut Zahlen des Kultusministeriums hatten Jugendoffiziere in den vergangenen beiden Schuljahren etwa 1.000 Mal Schulen im Land besucht – eine erheblich gestiegene Zahl im Vergleich zu früheren Jahren.

Dies leiste einen wichtigen Beitrag dazu, dass Schülerinnen und Schüler ein angemessenes Bild von der Rolle der Bundeswehr als demokratisch legitimierte Parlamentsarmee entwickeln, teilte das Ministerium im Oktober mit.“

Tut mir leid, Co-Antimilitaristen, das halte ich für eine gerechtfertigte Begründung. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Diskussion um die Bundeswehr – insbesondere über ihren politischen Einsatz, der von Bundesregierung und Bundestag bestimmt wird.

Als Wähler und baldige Wähler brauchen wir zudem öffentliche Diskussion zu Utopien zur völligen Abschaffung der Bundeswehr und Umstellung auf soziale Verteidigung, vielleicht auch noch einmal zur alten Idee von der UN als Weltpolizei. Olaf Weber, der Gründer unserer Gruppe „Welt ohne Waffen“ hatte das im Weimarer Friedensappell 2017 in einem Szenario ausgearbeitet.

Das Angell-Gymnasium hat es vorgemacht: An einem Projekttag wurden sowohl der Jugendoffizier als auch eine Friedensgruppe eingeladen. Es bleibt das Problem der ungleichen Verteilung von Ressourcen. Wenn eine große Mehrheit mit der derzeitigen Militär- und NATO-Politik einverstanden ist, wäre das Problem durch eine „Abstimmung mit den Füßen“ gelöst: Eine stärkere Bundeswehr-Präsenz an Schulen (direkte Anwerbung ist ja verboten) würde dann einen demokratischen Konsens repräsentieren.

Wenn jedoch viele ihr ungutes Gefühl gegenüber einer Militarisierung von Gesellschaft, Medien und Außenpolitik, der gnadenlosen Verlängerung des Russland-Ukraine-Kriegs oder drohender Wehrpflicht in Aktion umwandeln, kann es spannend werden: Dann fluten Väter, Großmütter, Umwelt-, 3.-Welt- oder Friedensgruppen die Schulen (nach Absprache, versteht sich), erzählen von Kriegserfahrungen in ihrer Familie, von Vietnamkriegs- oder Nachrüstungsprotesten, organisieren einen Filmclub mit „Im Westen nichts Neues“ oder „Apocalypse Now“, sprechen über Gedichte von Wolfgang Borchert, ... Und die Lehrkräfte müssen sowieso alle Aspekte im Blick behalten.

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Eine weitere Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit Bundeswehr und Wehrpflicht.

Aufrichtiger als schnell konsumierbare Skandalisierung, die selbst vor Lügen nicht zurückschreckt, ist solide Information über Kriegsdienstverweigerung. So hat der Deutsche Friedensrat im Juni 2025 eine sehr gut verständliche juristische und praktische Handreichung herausgegeben, die auch eine Einschätzung der aktuellen politischen Situation enthält. Der Friedensrat erinnert daran, dass alle wehrfähigen Männer bis 60 zur Reserve für den Spannungs- und Verteidigungsfall zählen. Erst nach einem vom Verwaltungsgericht entschiedenen KDV-Verfahren besteht die Sicherheit, nicht „an die Ostfront“ vorrücken zu müssen.

Auf Seite 7 der Broschüre werden Möglichkeiten für nach der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 nicht Gemusterte angesprochen: Sie können ab einem halben Jahr vor dem 18. Geburtstag einen KDV-Antrag stellen. Entschieden wird aber erst nach einem unanfechtbaren Musterungsbescheid.

Das ist somit auch für junge Leute in Bentiks Alter ein starkes Argument, sich so bald wie möglich einer freiwilligen Musterung zu unterziehen, damit über ihre Kriegsdienstverweigerung vor einem drohenden Spannungsfall entschieden ist. Allerdings ist nach § 3 Abs. 2 KDVG (Kriegsdienstverweigerungsgesetz) die Einberufung ungedienter Wehrpflichtiger erst zulässig, wenn ihr Antrag abgelehnt wurde. Wer sich darauf verlassen will, wartet vielleicht lieber ab …

Dringend notwendig ist jedenfalls eine Auseinandersetzung mit der Rolle von Militär, gewaltfreiem Widerstand und Pazifismus – gerade in Zeiten politisch-militärischer Konfrontation. Ich nehme mir vor, dazu endlich ein analytisches Buch zu Ende zu lesen, statt zu viel Aufmerksamkeit auf schnelle, oft halbseidene Chat-Nachrichten oder News-Ticker zu verschwenden. Oder den Roman „Half of a Yellow Sun“ von Chimamanda Ngozi Adichie über den Nigeria-Biafra-Krieg 1967–70, den ich vor dem Rückflug von einem Besuch vor drei Jahren auf dem Flughafen Lagos gekauft hatte.