Instrumentalisierte Religion

Die Muslimbruderschaft ist keine zivilgesellschaftliche Vertretung der Muslime, sondern ein politisches Projekt mit eigener Agenda.

Sie gilt als eine der ältesten und einflussreichsten Organisationen des politischen Islam. Gegründet in den 1920er Jahren in Ägypten, ist die Muslimbruderschaft heute weltweit vernetzt. Welche Rolle sie in der deutschen Gesellschaft spielt und ob eine Gefahr von ihr ausgeht, ist umstritten. Nach außen gibt sie sich legalistisch, lehnt Gewalt ab und doch ist ihr Ziel letztlich die Errichtung eines Gemeinwesens, das auf dem Islam basiert und sich an der Scharia orientiert. Für sie ist Religion also nicht nur Glaube, sondern auch Politik. Die ersten Leidtragenden dieser Vermischung sind die vielen Muslime, die sich als Teil dieser Gesellschaft sehen, sich an Demokratie und Menschenrechten orientieren und die durch das Agieren der Muslimbrüder immer wieder mit ihnen in einen Topf geworfen werden.

In den offenen Gesellschaften Europas, wo Religionsfreiheit geachtet und Vielfalt als Wert verstanden wird, streben Millionen Muslime nach einem würdevollen Leben, das mit den demokratischen Grundprinzipien vereinbar ist. Die allermeisten von ihnen sind gut integriert, engagiert, loyal — sie sind Bürger mit festen Wurzeln in der Gesellschaft. Doch neben diesem Bild des Alltags gibt es Gruppen mit politisch-ideologischer Ausrichtung, allen voran die Muslimbruderschaft, die sich gern als einzige legitime Stimme der Muslime inszeniert. Sie versuchen, für eine ganze Religion zu sprechen, obwohl sie in der Wahrheit nur eine kleine, ideologisch geprägte Minderheit sind, die ihre politischen Ziele über Glauben sowie nationale Zugehörigkeit stellt.

Die Muslimbruderschaft entstand 1928 in Ägypten, war nie eine klassische religiöse Bewegung. Sie verstand sich von Beginn an als politisches Projekt — mit dem Ziel, das islamische Kalifat als weltpolitische Ordnung wiederherzustellen.

Der Glaube war dabei nicht Ziel, sondern Mittel: Religion wurde strategisch eingesetzt, um Anhänger zu mobilisieren, Strukturen zu errichten und Einfluss zu gewinnen. Ihr öffentlicher Auftritt ist oft moderat, doch intern herrscht ein harter, autoritärer Ton.

Ein Bericht des britischen Parlaments aus dem Jahr 2016 kam zu dem Schluss, dass die Muslimbrüder Gewalt nicht aus Überzeugung ablehnen, sondern aus taktischem Kalkül — und dass sie an der Etablierung eines parallelen Gesellschaftsmodells arbeiten, das die Grundwerte moderner Staaten untergräbt.

In Europas Großstädten taucht das Wort „Kalifat“ kaum öffentlich auf — zu groß wäre der Widerspruch zur politischen Realität. Doch das bedeutet nicht, dass die Ideen verschwunden sind. Sie wirken weiter — still, strukturiert, durch Organisationen, die nach außen harmlos erscheinen: religiöse Zentren, Kulturvereine, soziale Initiativen oder Bildungseinrichtungen. Sie bieten Dienste an, gewiss — doch nicht selten dienen sie auch dazu, abgeschlossene Räume zu schaffen, in denen ein Weltbild vermittelt wird, das Integration, Pluralität und Modernität ablehnt. Ein Bericht des französischen Senats aus dem Jahr 2022 stellte fest, dass mehrere große islamische Organisationen unter dem ideologischen Einfluss der Muslimbrüder stehen — und gezielt das Bild einer „muslimischen Parallelgesellschaft“ fördern. Das gefährdet nicht nur das Zusammenleben, sondern auch den inneren Zusammenhalt Frankreichs.

Die Bruderschaft ist nicht allein durch ihre Rhetorik gefährlich, sondern durch das Bild, das sie von Muslimen zeichnet: als ewige Opfer, als Menschen, die niemals wirklich dazugehören können — weder kulturell noch politisch.

Eine solche Erzählung entfremdet, sie spaltet — nicht nur die Muslime selbst, sondern auch das Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft. Sie schürt Misstrauen, nährt gegenseitige Ablehnung und untergräbt damit die liberalen Grundlagen, auf denen Europas demokratisches Miteinander beruht.

Ein schwerwiegender Fehler in der öffentlichen Debatte besteht darin, Islam als Religion mit der Muslimbruderschaft als politischem Akteur gleichzusetzen. Muslime in Europa sind keine einheitliche Masse — sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, mit verschiedenen Sprachen, Kulturen, Überzeugungen.

Viele, insbesondere junge Menschen, wenden sich ausdrücklich gegen die konservative, starre Deutungshoheit, die Organisationen wie die Muslimbrüder für sich beanspruchen. Sie streben nach einem Islam, der mit Menschenrechten, Gleichberechtigung und europäischer Lebensrealität vereinbar ist — ein Islam, der Teil der Moderne ist, nicht ihr Gegenbild.

Was sollten die Regierungen tun?

Politischer Islam lässt sich nicht allein durch Überwachung und Sicherheitsbehörden eindämmen. Nötig ist vor allem die Stärkung jener muslimischen Stimmen, die zivilgesellschaftlich engagiert, unabhängig und pluralistisch sind — Menschen und Gruppen, die ohne ideologische Agenda an echter Teilhabe mitwirken. Es braucht echte Repräsentation — nicht die Monopolisierung religiöser Identität durch eine lautstarke Minderheit.

Zugleich müssen religiöse Organisationen höchsten Standards an Transparenz unterliegen — insbesondere bei Spenden und Finanzierungen aus dem Ausland. Staaten, die gezielt politischen Islam exportieren, dürfen in europäischen Gesellschaften keinen ideologischen Fuß fassen.

Die Muslimbruderschaft ist nicht „der Islam“. Sie spricht nicht für die Muslime — im Gegenteil: Viel zu oft steht sie dem friedlichen Zusammenleben im Weg, erschwert Integration und befeuert Spannungen. Zwischen Religion und politischem Projekt zu unterscheiden, ist keine akademische Spitzfindigkeit — es ist eine ethische, demokratische und gesellschaftliche Notwendigkeit. Denn nur auf dieser Grundlage können Muslime in Europa das sein, was sie längst sind: ein selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft. Ohne ideologische Vormundschaft.