Korruption in der Selenskyj-Clique

Immer wieder werden Bereicherungsvorwürfe gegen die ukrainische Regierung laut — einmal eingetaucht in diese Thematik, stößt man auf Offshore-Firmen, überteuerte Lebensmittel und die Unsicherheit darüber, was wirklich stimmt.

Als Wolodymyr Selenskyj im Frühjahr 2019 mit dem Image des Anti-Oligarchen die ukrainische Präsidentschaftswahl gewann, wurde im Westen rasch ein moralisches Drehbuch geschrieben: hier der ehemalige Comedian, der „das System“ aufräumt, dort eine korrupte alte Elite, die an den Rand gedrängt wird. Spätestens seit dem russischen Angriff 2022 verschmolz diese Erzählung mit der Kriegspropaganda — Selenskyj wurde zur Ikone, Kritik an ihm oder seinem Umfeld schnell zur „russischen Operation“ erklärt.

Gleichzeitig tauchten unbequeme Fakten auf, die in dieses Bild nicht passen. Die Pandora Papers offenbarten ein Geflecht von Offshore-Firmen im Umfeld Selenskyjs. Ukrainische Anti-Korruptionsbehörden deckten millionenschwere Betrugsfälle im Verteidigungsministerium auf. Europäische und internationale Daten zeigen auffällige Muster im Waffenhandel, etwa zwischen Albanien und der Ukraine. Währenddessen erschüttert eine groß angelegte Anti-Korruptionsoperation die Kiewer Stadtverwaltung unter Bürgermeister Vitali Klitschko.

Dieser Beitrag versucht eine nüchterne Nachlese: Was ist zur „Selenskyj-Clique“ belegbar? Wie sieht die Kriegsökonomie aus, in der westliche Milliarden zirkulieren? Welche Rolle spielen Waffen- und Handelsströme – und was sagt der Zustand der Hauptstadt Kiew über die Fähigkeit der ukrainischen Eliten aus, Korruption tatsächlich zu begrenzen? Und vor allem: Auf welcher tatsächlichen Wissensbasis beschließt die EU, weitere Milliarden zu überweisen?

Die Offshore-Vergangenheit: Maltex, London-Immobilien und ein enger Zirkel

Der Ausgangspunkt dieser Situation liegt Jahre vor dem Krieg. Selenskyj war Mitgründer des Produktionsstudios „Kvartal 95“, das Fernsehinhalte für den ukrainischen Markt und die Mediengruppe 1+1 des Oligarchen Ihor Kolomojskyj produzierte.

Spätestens ab 2012 legten Selenskyj und seine engsten Partner ein Netz von Offshore-Firmen in den Britischen Jungferninseln, Belize und Zypern an. Im Zentrum stand die BVI-Gesellschaft Maltex Multicapital Corp., die laut Pandora-Papieren als Knotenpunkt eines Geflechts fungierte, über das Lizenzgebühren und Beteiligungen abgewickelt wurden. (1)(2)

Zum wirtschaftlichen Kernkreis gehörten demnach neben Selenskyj:

  • Serhij Schefir (später sein engster Präsidialberater),
  • Borys Schefir (Autor/Produzent),
  • Ivan Bakanow (Kvartal-Manager, später Geheimdienstchef SBU),
  • Andrij Jakowlew (Regisseur, Produzent). (1)(2)

Über Gesellschaften aus diesem Netzwerk wurden hochwertige Immobilien in London gekauft; die Bundeszentrale für politische Bildung verweist etwa auf Wohnungen im Gesamtwert mehrerer Millionen Pfund, die über Offshores Schefirs und Jakowlews gehalten wurden. (2) Offshore-Konstruktionen sind für Medienfirmen kein Exotikum: Sie dienen der Steueroptimierung, der Bündelung von Rechten und dem Schutz vor politischem Druck. Sie können aber ebenso zur Verschleierung von Geldwäsche, Kickbacks und politisch heiklen Zahlungen genutzt werden.

Brisant ist die zeitliche Choreografie: Am 13. März 2019, kurz vor der ersten Wahlrunde, übertrug Selenskyj seinen Maltex-Anteil an Serhij Schefir. In den Unterlagen findet sich eine Klausel, nach der die Firma weiterhin Dividenden an Selenskyj oder seine Frau Olena zahlen sollte – trotz Anteilsübertragung. (2)(3) Faktenchecks halten fest: Diese Klausel ist dokumentiert, tatsächliche Dividendenflüsse nach Selenskyjs Amtsantritt sind hingegen nicht belegt. (4)

Festzuhalten bleibt:

  • Das Offshore-Geflecht und die Beteiligung Selenskyjs und seiner engen Vertrauten sind gut dokumentiert. (1)(2)(3)(4)
  • Es gibt bislang keinen öffentlich belegten Straffall, der aus diesen Strukturen hervorgegangen wäre.
  • Die Verteidigungslinie Selenskyjs lautet: branchentypische Praxis, Schutz vor dem damaligen Regime Janukowytsch, keine illegale Geldwäsche. (5)

Die Frage ist damit nicht juristisch, sondern politisch: Was sagt es über eine „neue“ Elite aus, dass sie sich vor dem Krieg in den gängigen Instrumenten globaler Schattenfinanz verwurzelt hatte – und dieses Erbe bis heute kaum transparent aufarbeitet?

Kriegsökonomie: Milliarden, Eier für 17 Hrywnja und Drohnen-Deals

Mit dem russischen Angriff wurde die ukrainische Ökonomie in einen Kriegsmodus versetzt – und mit ihr der Staatshaushalt. Ein signifikanter Teil der laufenden Ausgaben, insbesondere im Verteidigungsbereich, wird seitdem von den USA, EU-Staaten und internationalen Finanzinstitutionen getragen. Damit entstehen klassische Beutezonen: Wer Zugang zu Beschaffungsstellen, Ministerien oder staatlichen Agenturen hat, kann sich an der Verteilung externer Mittel bedienen.

Mehrere Fälle sind inzwischen präzise dokumentiert

Im Frühjahr 2023 wurde bekannt, dass das Verteidigungsministerium Lebensmittel zu massiv überhöhten Preisen eingekauft hatte. Ein besonders prägnantes Detail: Eier wurden im Vertrag mit 17 Hrywnja pro Stück kalkuliert – zu einem Zeitpunkt, als ein Dutzend im Großhandel nur wenig mehr als einen Dollar kostete. (6)(7)(10) Das führte zu erheblichem öffentlichem Druck und trug zur Ablösung von Verteidigungsminister Oleksij Reznikov im Herbst 2023 bei. Anti-Korruptionsbehörden wie dem ukrainischen Nationalen Anti-Korruptionsbüro (NABU) und SAPO, the Specialized Anti-Corruption Prosecutor’s Office, ermittelten weiter und bezifferten den Schaden in einem Teilkomplex des Lebensmittelskandals 2025 auf über 17 Millionen US-Dollar; ein Teil der Mittel soll zum Erwerb von Immobilien im Ausland genutzt worden sein. (8)(11)

Ein zweiter Schwerpunkt betrifft die Beschaffung von Drohnen und elektronischer Kriegstechnik. Im Sommer 2025 veröffentlichten NABU und SAPO Details eines Betrugsschemas, bei dem Verträge überteuert wurden und Kickbacks von bis zu 30 Prozent flossen. Involviert waren nach Behördenangaben ein Abgeordneter, Offiziere der Nationalgarde und lokale Unternehmer; mehrere Verdächtige wurden festgenommen. (9) Dutzende Verträge, finanziert aus dem Verteidigungshaushalt, mussten neu bewertet werden.

Gleichzeitig geraten immer wieder andere Sektoren ins Visier: Im Herbst 2025 berichtete die Financial Times über ein groß angelegtes Korruptionsverfahren im Energiesektor, bei dem es um Schutzmaßnahmen für die Energieinfrastruktur und mutmaßliche Kickbacks an Auftragnehmer geht. (12) Ermittler durchsuchten Dutzende Objekte, mehrere Beamte wurden festgenommen; unter den Verdächtigen ist ein alter Geschäftsfreund Selenskyjs aus dessen Medienzeit.

Der Präsident weist jede persönliche Beteiligung zurück und versucht sichtbar, Abstand zu den Beschuldigten zu gewinnen.

Diese Fälle zeigen mindestens drei Dinge:

  • Korruption in der ukrainischen Kriegsökonomie ist keine russische Erfindung, sondern durch ukrainische Behörden und westliche Medien gut belegt.
  • Es geht um erhebliche Summen im zweistelligen Millionenbereich – bezogen auf die Gesamthilfen sind das zwar „Prozentbruchteile“, in absoluten Zahlen aber relevante Umverteilungen.
  • Die Aufdeckung erfolgt oft erst nach medialem Druck; die Verfahren konzentrieren sich auf mittlere und obere Ebenen der Verwaltung, nicht auf die ganz inneren Führungszirkel.

Eine direkte Verbindung dieser Skandale zum alten Offshore-Netzwerk um Maltex ist bislang öffentlich nicht nachgewiesen. Umso interessanter ist die Frage, wohin im Erfolgsfall die Gewinne solcher Kriegsökonomie-Geschäfte fließen würden – in einem Milieu, das Offshore-Instrumente nachweislich beherrscht.

Waffen, Handel, Balkan: Was die Zahlen sagen – und was nicht

Ein nahe liegender Verdacht lautet: Ein Teil der Waffen und Güter, die im Rahmen des Krieges bewegt werden, könnte über Drittländer in intransparente Kanäle abfließen. In diesem Kontext fallen immer wieder die Stichworte Rumänien, Bulgarien, Albanien und Westbalkan.

Offizielle Daten zeigen zunächst eines: Der deklarierte Waffenhandel zwischen Albanien und der Ukraine ist seit 2022 deutlich angestiegen. Laut UN-Comtrade betrugen die albanischen Exporte in die Ukraine 2023 rund 10 bis 11 Millionen US-Dollar, 2024 bereits über 34 Millionen. Der größte Teil dieses Anstiegs entfällt auf Waffen und Munition (HS-Kapitel 93): 2023 lagen deren Exportwerte bei knapp 4 Millionen US-Dollar, das sind rund 38 Prozent der albanischen Exporte in die Ukraine, 2024 stiegen sie auf über 23 Millionen US-Dollar und damit auf etwa 70 Prozent des Gesamtvolumens. (11)(13)(15)

Parallel dazu dokumentieren UNDP und andere Institutionen, dass der Westbalkan – inklusive Albanien – eine wichtige Rolle im europäischen konventionellen Waffenhandel spielt, sowohl legal als auch mit Blick auf Risiken späterer Umleitungen. (15) Europol und UN-Drogen- und Kriminalitätsbehörde (UNODC) warnen ausdrücklich, dass der Ukraine-Krieg – wie schon die Jugoslawien-Kriege – langfristig einen Überschuss an Waffen erzeugen könnte, von dem organisierte Gruppen profitieren. (16)

Diese Daten erlauben aber nur begrenzte Schlüsse

  • Sie belegen einen stark gewachsenen, legitim deklarierten Waffenexport Albaniens in die Ukraine – nicht die Existenz eines großen illegalen Rückflusses ukrainischer Waffen über den Balkan.
  • Sie sagen nichts darüber, welche Firmen tatsächlich liefern, wer ihre wirtschaftlich Berechtigten sind und ob einzelne Lieferketten überteuert oder korrupt gestaltet sind.
  • Sie machen nicht sichtbar, ob und in welchem Umfang Waffen aus westlichen Hilfsprogrammen später abseits der offiziellen Bücher auftauchen.

Kurz: Die Handelsstatistiken sind ein wichtiges Kontextsignal – sie zeigen Volumina und Verschiebungen. Sie liefern allein aber keinen Beweis dafür, dass Personen aus dem Selenskyj-Umfeld sich über albanische oder andere Balkan-Kanäle bereichern. Um diese Brücke zu schlagen, bräuchte es konkrete Vertragsdaten, Beneficial-Owner-Register, Ermittlungsakten und Finanzflüsse. Solange solche Informationen nicht öffentlich sind, bleibt jede direkte Verbindung zwischen „Selenskyj-Clique“ und Balkan-Waffenhandel eine plausible, aber unbewiesene Hypothese.

Anti-Korruption mit angezogener Handbremse: Die Rolle des Westens

EU, USA und internationale Organisationen betonen gerne, wie streng Hilfsgelder in der Ukraine kontrolliert würden. Es gibt Auditprogramme der Weltbank, Monitoringmissionen der EU, an Reformen gebundene Budgethilfen und Evaluationsberichte, die Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption verzeichnen. (17)(18)

Diese Instrumente sind real – ihre Wirksamkeit ist jedoch begrenzt.

Erstens operieren viele dieser Programme auf Programmebene: Sie prüfen, ob Gelder grundsätzlich dort ankommen, wo sie laut Projektantrag hingehören, und ob formale Vergaberegeln eingehalten werden. Ob ein Vertragspartner über zwei oder drei Offshore-Zwischengesellschaften mit einem Vertrauten des Präsidenten verbunden ist, fällt in solchen Prüfungen oft durchs Raster.

Zweitens sind die Prüfer nicht politisch neutral. Wenn ein westlicher Rechnungshof mitten im Krieg feststellen würde, dass ein Verbündeter von zentraler symbolischer Bedeutung strukturell Hilfsgelder veruntreut, hätte das innenpolitische Folgen in den Geberländern. Die Versuchung ist groß, problematische Muster zu „kontextualisieren“, statt sie zum Anlass radikaler Kurskorrekturen zu nehmen.

Drittens wirken viele Kontrollen ex post. Bis ein Audit abgeschlossen ist, sind die relevanten Gelder längst geflossen. Fehlverhalten führt, wenn überhaupt, zu nachträglichen Korrekturen oder Strafverfahren – nicht zur Verhinderung des ursprünglichen Schadens.

Die Folge ist eine merkwürdige Doppelbotschaft: Auf der Oberfläche dominiert das Narrativ einer „reformierenden Kriegsdemokratie“, die auf dem Weg in die EU ihre Institutionen stärkt. Unter der Oberfläche zeigen konkrete Fälle und Insiderberichte, dass ausgerechnet in den sensibelsten Bereichen – Verteidigung, Energie, Beschaffung – Korruption nicht verschwindet, sondern sich an die Kriegsbedingungen anpasst.

Kiew unter Klitschko: Ein zweites Machtzentrum – und eigene Schatten

Wer von einer „Selenskyj-Clique“ spricht, darf einen anderen Machtblock nicht ignorieren: die Stadt Kiew und ihren Bürgermeister Vitali Klitschko. Er ist kein Teil des Pandora-Offshore-Netzwerks; in den bekannten Leaks taucht sein Name nicht als wirtschaftlich Berechtigter auf. Politisch steht er eher im Lager Poroschenkos und gilt seit Jahren als potentieller Rivale Selenskyjs. (19)

Gerade deshalb lohnt ein Blick darauf, wie es in der Hauptstadt um Korruption bestellt ist.

Anfang 2025 starteten NABU und SAPO eine groß angelegte Operation gegen Korruption in der Kiewer Stadtverwaltung.

Die Aktion „Clean City“ richtete sich gegen ein Netzwerk rund um den ehemaligen Stadtrat Denys Komarnyzkyj, in Medien als eine Art „Schattenbürgermeister“ beschrieben. Der Vorwurf: Es fände eine systematische „Toiletten-Methode“ statt, bei der fiktive Kleinstgebäude, etwa Kioske oder Toiletten, in Registern eingetragen wurden, um sich daraufhin das wertvolle Bauland darunter zu sichern, ohne öffentliche Ausschreibung. (20)(21)(22)

Bei den Razzien wurden nach offiziellen Angaben Bargeld und Vermögenswerte in Millionenhöhe beschlagnahmt. Mehrere Beamte wurden festgenommen, andere flohen ins Ausland. Die Berichterstattung über den Immobilienbesitz der Komarnyzkyj-Familie, Dutzende Wohnungen in gehobenen Kiewer Wohnanlagen, zeichnet das Bild eines über Jahre gewachsenen Systems aus Land- und Bauspekulation. (22)

Klitschko selbst ist in diesen Ermittlungen bislang nicht als Beschuldigter geführt. Öffentliche Informationen zeigen ihn eher als politischen Akteur, der versucht, auf den Sturm zu reagieren: Er kündigte „massive personelle Konsequenzen“ an, entließ mehrere hohe Verwaltungsbeamte und erklärte, man werde bei „den Ermittlungen kooperieren“. (21)(23) Parallel dazu attackierte er den Präsidenten und sprach von einem Versuch, über Anti-Korruptionsfälle seine Macht als Bürgermeister zu beschneiden. (19)(24)

Für die Frage der Korruption ist der genaue juristische Status Klitschkos sekundär. Entscheidend ist die Bilanz nach zehn Jahren als Oberhaupt der Hauptstadt:

  • In Kiew existieren tief verwurzelte Korruptionsnetzwerke im Bereich Land, Bau und Vergabe, die erst unter massivem Druck von NABU/SAPO aufgebrochen werden.
  • Die Operation „Clean City“ legt nahe, dass diese Strukturen über Jahre unbehelligt agieren konnten – und zwar mitten im politischen Zentrum des Landes.
  • Der Bürgermeister kann oder will diese Netzwerke nicht aus eigener Kraft unterbinden. Bestenfalls reagiert er, wenn externe Ermittler bereits aktiv geworden sind.

Es gibt also keine direkte Verbindungslinie zwischen der Selenskyj-Offshore-Vergangenheit und den aktuellen Kiewer Skandalen. Wohl aber ein Muster: Sowohl Präsidialamt als auch Hauptstadtverwaltung sind von Machtcliquen geprägt, für die Korruption kein Ausnahmezustand, sondern ein eingeübtes Habitat ist, unabhängig davon, ob man sich gegenseitig bekämpft oder taktisch benutzt.

FBI-Ermittlungen und neue Entwicklungen im Umfeld Selenskyjs

Parallel zu den bekannten Korruptionsfällen im Umfeld von Selenskyj verdichten sich seit 2025 Berichte über Ermittlungen durch US-amerikanische Behörden. Im Zentrum stehen insbesondere Timur M. Mindich, ein enger Vertrauter Selenskyjs, und dessen Netzwerk von Offshore-Firmen. Verschiedene freie und alternative Medien berichten übereinstimmend, dass das FBI im Rahmen von Kooperationen mit dem ukrainischen Nationalen Anti-Korruptionsbüro (NABU) und in Abstimmung mit dem ukrainischen Inlandsgeheimdienst (SBU) Informationen sammelt und Ermittlungen durchführt.

Laut Ukrainska Pravda ist ein FBI-Offizier dauerhaft bei NABU stationiert, um Operationen wie die sogenannte „Midas“-Ermittlung zu koordinieren, die sich gegen Mindich und verwandte Strukturen richten. Mindich selbst soll nach Berichten einiger Quellen das Land verlassen haben, kurz bevor größere Razzien stattfanden.

Die Meldungen weisen darauf hin, dass die USA durch diese Ermittlungen ein vertieftes Bild über Geldflüsse, Offshore-Strukturen und mögliche Verbindungen von Hilfsgeldern und Verteidigungsaufträgen gewinnen wollen. Offiziell handelt es sich um Ermittlungen, nicht um eine Anklage gegen Selenskyj persönlich. Dennoch spekulieren Kommentatoren, dass die zunehmende Aufmerksamkeit aus Washington auch politische Zielsetzungen haben könnte, beispielsweise die Schwächung seines direkten Einflusses.

Die Berichte über FBI-Ermittlungen verdeutlichen drei zentrale Punkte:

  1. Die Kooperation zwischen NABU und FBI ist institutionell etabliert und läuft dauerhaft.
  2. Die Ermittlungen betreffen primär enge Vertraute Selenskyjs wie Mindich, nicht den Präsidenten selbst.
  3. Die US-Beteiligung signalisiert, dass westliche Geldgeber und Sicherheitsdienste zunehmend nachprüfen, wie Mittel in die ukrainische Kriegsökonomie fließen.

Diese Entwicklungen fügen sich nahtlos in das bisherige Bild der ukrainischen Kriegsökonomie, der Offshore-Strukturen und der Korruption auf mittlerer und oberer Verwaltungsebene ein, ohne bisher gerichtsfeste Beweise gegen Selenskyj selbst zu liefern. Sie unterstreichen jedoch die Notwendigkeit einer transparenten, unabhängigen Aufklärung und verstärken die politische Debatte über die Kontrolle westlicher Hilfsgelder.

Was bleibt – und was offen bleibt

Aus der Gesamtschau ergeben sich einige robuste Feststellungen:

  • Es existierte vor 2019 ein gut dokumentiertes Offshore-Netzwerk um Selenskyj und seine engsten Vertrauten, das für Medien- und Beteiligungsgeschäfte genutzt wurde und Immobilien in London hielt. (1)(2)(3)(4)
  • Seit Beginn des Krieges sind mehrere erhebliche Korruptionsfälle im Verteidigungs-, Versorgungs- und Energiesektor ans Licht gekommen, darunter überteuerte Lebensmittelverträge, Drohnen-Beschaffung mit Kickbacks und problematische Infrastrukturverträge. (6)(7)(8)(9)(11)(12)
  • Zwischen Albanien und der Ukraine hat sich ein rasch wachsender, deklarierter Waffenhandel etabliert, der zeigt, dass Kriegsökonomie längst nicht nur an der Front stattfindet, sondern in einem weiteren europäischen Sicherheitsraum verankert ist. (11)(13)(15)
  • Die Kiewer Stadtverwaltung unter Klitschko ist in groß angelegte Korruptionsaffären verwickelt; die Operation „Clean City“ offenbart Strukturen, die mit Mafia-Logik hochwertigen Boden und Immobilien abschöpfen. (20)(21)(22)(23)
  • Es gibt bislang keinen öffentlich belegten Beweis, dass Selenskyj persönlich oder sein unmittelbarer Zirkel seit 2019 illegale Gewinne aus der Kriegsökonomie über Offshores geparkt hätte.
  • Es gibt keinen gerichtsfesten Nachweis, dass westliche Waffen – über das heute sichtbare Maß hinaus – in großem Stil über Rumänien, Albanien oder andere Balkanrouten auf dem Schwarzmarkt gelandet wären.
  • Es gibt keine offen zugänglichen Ermittlungen, die das Pandora-Netzwerk direkt mit den bekannten Beschaffungs- und Korruptionsfällen verbinden.

Die Debatte bewegt sich daher zwangsläufig im Spannungsfeld von Indizien, Wahrscheinlichkeiten und politischen Interessen. Dass es Korruption gibt, ist unbestritten und klar belegt. Dass die wichtigsten Profiteure ausgerechnet immer dort sitzen, wo bislang am wenigsten hingeschaut wurde, ist eine Erfahrung, die nicht nur aus der Ukraine bekannt ist.

Der vielleicht wichtigste Befund dieser Nachlese ist darum keine fertige Schuldzuweisung, sondern eine Leerstelle: Alles, was hier beschrieben wurde, Offshore-Vergangenheit, Kriegsökonomie, Waffenströme, Hauptstadt-Korruption, wären zwingende Gründe für eine konsequente, unabhängige Aufklärung. Diese findet bislang nur fragmentarisch statt. Anti-Korruptionsbehörden liefern Fälle, doch die politischen Konsequenzen bleiben selektiv. Westliche Institutionen verweisen auf ihre Kontrollmechanismen, vermeiden aber grundsätzliche Fragen.

Viele der im Zusammenhang mit der „Selenskyj-Clique“ diskutierten Vorgänge bleiben damit Vermutungen, Verdachtsmomente, ungeklärte Zusammenhänge, keine gerichtsfesten Fakten. Vielleicht, weil es in einem bombardierten Land objektiv schwer ist, Transparenz herzustellen. Vielleicht aber auch, weil eine wirklich schonungslose Aufklärung, die bis in die inneren Zirkel reicht, von den maßgeblichen Verantwortlichen gar nicht gewollt ist, weder in Kiew noch in den Hauptstädten der Geberländer.

Ob man unter diesen Bedingungen weiterhin bereit sein sollte, zweistellige Milliardenbeträge an Steuergeldern, letztlich erarbeitet vom Mittelstand der EU, in ein System zu leiten, dessen tatsächliche Macht- und Bereicherungsstrukturen nur teilweise ausgeleuchtet sind, ist keine simple Frage „pro oder contra Ukraine“. Es ist eine Frage politischer Verantwortung. Und sie gehört nicht ins Reich des Unsagbaren verbannt, sondern endlich offen auf den Tisch.