Kriegerisches Gedankenkarussell

Der römische Militärgrundsatz „Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor“ beruht auf der irrigen Annahme, wonach bewaffnete Konflikte unvermeidlich seien.

Schon im alten Rom beherrschte man den orwellschen Doppeldenk. Dass Krieg Frieden sei, ist bereits römischen Militärhandbüchern zu entnehmen. „Si vis pacem, para bellum“, heißt es da. „Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor.“ Frieden könne es ohne den Krieg nicht geben, die Gegensatzpaare seien unzertrennlich miteinander verbunden. Während das Römische Imperium zerfallen ist, hält sich der Irrglaube bis heute hartnäckig in den Herzen und Hirnen vieler Menschen. Unzählige Kriege, die in der Rückschau stets als sinnlos erachtet wurden, hätten die Menschheit eigentlich schon längst eines Besseren belehren müssen. Ungeachtet dessen wird die militärische Austragung von Konflikten bis in die Gegenwart als probates Mittel betrachtet — zum Leid unzähliger Menschen. Und so wird unverändert massenhaft Blut in den Schlachtfeldböden und Geld in die Kassen der Rüstungsproduzenten geschwemmt. Ob die Menschheit Friedenstüchtigkeit je erlernen wird?

Si vis pacem, para bellum—wenn du Frieden willst, sei kriegstüchtig

Konstruiert von Georg Luger wurde die Militärpistole Parabellum Anfang des 20. Jahrhunderts zum Verkaufsschlager der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken DWM in Berlin. Der Name wurde aus dem Firmenmotto „si vis pacem, para bellum“ abgeleitet, das aus dem Militärhandbuch „De re militari“ des Römers Vegetius vom Ende des Vierten oder Anfang des Fünften Jahrhunderts stammt. Vegetius beschreibt Organisation, Ausrüstung, Ausbildung und Strategien der Römischen Armee, was das Buch im mittelalterlichen Europa zu einem Klassiker machte. Das am Ende immer wieder durch internen Streit oder Barbareneinfälle bedrohte Römische Imperium hatte bis dahin sein Militär organisatorisch, waffentechnisch, strategisch, taktisch und disziplinarisch eindrucksvoll optimiert und konnte Verluste immer wieder ausgleichen, indem es besiegte Völker mit der Aussicht auf volles Bürgerrecht und eine Altersversorgung durch Landzuteilung nach 25 Dienstjahren in die Hilfstruppen und Legionen integrierte. Das Weströmische Reich zerbrach im Jahre 476, das oströmische Byzanz überlebte fast 1000 Jahre länger, ebenfalls durch organisatorische, technische und militärische Stärke.

Militärpistole Luger Parabellum (Wikimedia Commons)

Si vis pacem, wenn du Frieden willst

Heute betont der Zeitgeist in Europa den zweiten Teil des historischen Zitats, dass man auf den Krieg vorbereitet sein soll, um den Frieden zu sichern. Unter dem Eindruck des Ukrainekrieges wird ein Gefühl der akuten Bedrohung durch Russland erzeugt, offenbar stärker als vor 50 Jahren zum Höhepunkt des Kalten Krieges. Die über hundert Friedensdemonstrationen und Ostermärsche in diesem Jahr haben in den meisten Städten nicht mehr als ein paar hundert Menschen auf die Straßen gebracht, mit rund 1800 die meisten in Berlin. Bei den Demonstrationen gegen Rechts, waren es bis zu 250.000 in Berlin und Köln, seit Januar 2025 insgesamt fast zwei Millionen. Der Kontrast ist zu groß, um davon abzuleiten, dass die Menschen tatsächlich das Erstarken der AfD als gefährlicher einschätzen als eine Ausweitung des Ukrainekriegs auf NATO-Territorium oder sogar auf Deutschland. Natürlich wollen die Deutschen keinen Krieg. Es wundert aber, dass seit Monaten über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an Kiew gesprochen wird und die entsprechenden Warnungen aus Moskau kaum für Aufregung sorgen.

Ist das massenhafte Sterben in der Ukraine zu weit weg, um die Menschen in Deutschland aus der Ruhe zu bringen?

So weit weg wie die zahlreichen anderen Schlachtfelder weltweit?

Seit 1946 hat es fast 300 bewaffnete Konflikte gegeben, zurzeit insgesamt 56, wobei 92 Länder außerhalb ihrer eigenen Grenzen beteiligt sind (Highest number of countries engaged in conflict since World War II). Die globalen Militärausgaben beliefen sich 2024 auf 2,46 Billionen US-Dollar, fast das Zweieinhalbfache der Vergleichszahlen von 2000. Mit großem Abstand und fast einer Billion Dollar führt dabei die weltweit stärkste Militärmacht USA. Mit mehr als 800 Stützpunkten und damit weltweiter Militärpräsenz waren die USA neben den großen Kriegen, zuletzt in Afghanistan, auch an zahlreichen kleineren militärischen Interventionen beteiligt. Die Kritik an den „endless wars“ wird innenpolitisch intensiv geführt. Möglicherweise hat das Präsident Donald Trump mit dazu bewegt, sich im Ukrainekrieg als Vermittler zu engagieren.

Hochkonjunktur bei der Waffenindustrie

Der Nachschub an Waffen aller Art und ihre Weiterentwicklung zu immer mehr Effizienz ist gleichermaßen Notwendigkeit und Innovationstreiber für die Gesamtwirtschaft zahlreicher Länder. Das Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm (SIPRI) beziffert die Einnahmen der hundert größten Waffenproduzenten der Welt für 2024 auf 632 Milliarden Dollar. Dabei entfiel mit 318,7 Milliarden die Hälfte an amerikanische Firmen mit einer Steigerung um 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Flugzeugbauer, allen voran Lockheed Martin mit knapp 61 Milliarden, liegen durch Entwicklungskosten und bei Einzelpreisen von über 100 Millionen Dollar für die neuen F-35 in der Spitzengruppe. In Deutschland kosten die Leopard Panzer von Rheinmetall rund 30 Millionen in der neuesten Variante, ältere Modelle sind schon für 11 Millionen zu haben. Die Aktien der Firma sind seit dem Jahresende 2021 von 83 Euro auf 1.465 im April 2025 gestiegen.

In der Ukraine zeichnet sich indessen ab, dass die rapide Entwicklung des Einsatzes von Drohnen den Panzerkrieg schwieriger und für die Besatzungen gefährlicher macht. 500-Euro-Drohnen schalten millionenteure Panzer aus, die ohnehin schon durch die schultergestützten Panzerabwehrraketen gefährdet sind, die für Beträge ab 1000 Dollar gehandelt werden. Der Ukrainekrieg hat auch die Preise für Artilleriemunition in die Höhe getrieben, vor allem weil die Geberländer ihre eigenen Lagerbestände weitgehend der Ukraine gespendet oder verkauft haben und für den Eigenbedarf nachbestellen müssen. Die Preise für 155 mm Artilleriegranaten (Nato Standard „dumb shell“) sind von 2000 Euro pro Stück 2021 wegen der Engpässe auf jetzt rund 8000 Euro gestiegen, Rheinmetall hat davon im vorigen Jahr rund 700.000 produzieren können. Die ukrainische Armee verschießt pro Tag zwischen 2000 und 2500 dieser Granaten und beklagt den Mangel an Nachschub und Unterstützung, denn der aktuelle Bedarf liege etwa zehnmal darüber.

Rüstung, Abschreckung und Friedenssicherung

Nach der Kubakrise hatte die Formel „Mutually Assured Destruction“, gesicherte gegenseitige Vernichtung, mit dem vielsagenden Kürzel „MAD“ die Ost-West-Kontroverse teilweise entspannen können. Die Gefahr eines Atomkriegs bleibt aber weiterhin akut, zumal sie von Russland als ultima ratio gegen die fortgesetzte westliche Unterstützung für die Ukraine angedroht wird.

Die Reaktion der meisten NATO-Staaten und besonders Deutschlands ist darauf ungewohnt einheitlich eine massive konventionelle Aufrüstung mit Kampfpanzern, gepanzerten Flugabwehrgeschützen und Artillerie. Ohne den bisher unterstellten amerikanischen NATO-Atomschirm bleibt aber die Frage, ob durch Hochrüstung und Kriegstüchtigkeit Russland zuverlässig von einem eventuellen Angriff auf Europa abgeschreckt werden kann. Großbritannien und Frankreich bieten dazu ihre eigenen Atomwaffen an, können den 5.600 russischen Atomsprengköpfen zusammen aber nur maximal 500 entgegensetzen. Diese sind fast alle auf U-Booten stationiert und damit schwerer gegen Russland in Stellung zu bringen.

Wie weit die Experten aus Politik, Militär und Wissenschaft mit ihren Warnungen vor einem russischen Angriff schon ab 2027 oder 2028 richtig liegen, kann zurzeit weder bestätigt noch widerlegt werden.

Die Warnungen, wie die des Potsdamer Militärhistorikers Sönke Neitzel, dass dies möglicherweise der letzte friedliche Sommer sein könnte, lösen indessen Befürchtungen mit konkreten Folgen aus.

Auch in Deutschland werden zunehmend Schutzräume und private Bunker gebaut, während der gleiche Trend in den USA unter dem Titel „Panic Industry Boom“ schon 2023 private Ausgaben von 11 Milliarden Dollar ausgelöst hat. Politisch, militärisch und auch logisch bleibt allerdings die Frage offen, ob mit der altrömischen Doktrin durch Auf- und Hochrüstung ein aggressives Russland zuverlässig abgeschreckt werden kann.

Thukydides und die Unvermeidbarkeit von Kriegen

Akademische Theorien aus einer Vielzahl von Universitätsinstituten und Thinktanks beeinflussen vor allem in den USA die politische und militärische Debatte. Zu den einflussreichsten zählt die als Thukydides-Falle berühmt gewordene Theorie des Harvard-Politologen Graham Allison. Der Peloponnesische Krieg zwischen Sparta und Athen, den Sparta nach 27 Jahren Kampf gewann, liegt fast 2.500 Jahre zurück. Der athenische Stratege und Geschichtsschreiber Thukydides, der aktiv am Krieg beteiligt war, hat die Unvermeidbarkeit dieses Krieges teilweise in dem Misstrauen Spartas gegenüber der Expansion Athens analysiert, aber auch in zahlreichen politischen Fehlentscheidungen.

Im September 2015 benutzte Allison diesen weitgehend vergessenen historischen Vorfall, um die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen den USA und China als ähnlich hoch, wenn nicht unvermeidlich darzustellen. Der Artikel in der Zeitschrift The Atlantic und sein 2017 erschienenes Folge-Buch „Destined for War“ wirkten wie eine wissenschaftliche Atombombe in der akademischen und politischen Diskussion. Die „China hawks“, viele amerikanische Sicherheitsexperten, Politiker und Medien, nahmen die Theorie bereitwillig auf, weil sie die Spannungen im Südchinesischen Meer, den Handelskrieg und den Technologiewettlauf mit China sowie die Auseinandersetzung zwischen Demokratien und Autokratien zu verbinden schien. Die fachliche Kritik von Politologen und Historikern an Allisons selektiven Schlussfolgerungen spielte deshalb politisch keine Rolle.

Der starke Einfluss von Allisons Theorie ist vor allem zur Rechtfertigung von immer mehr Rüstung und ihrer Finanzierung nützlich gewesen.

In Europa hat sie schon lange vor Beginn des Ukrainekrieges zu einer zunehmenden Skepsis gegenüber China beigetragen, nicht ohne die zu erwartenden negativen Folgen für die Wirtschaftsbeziehungen.

Si vis pacem, para pacem

Ein wichtiges Element der Abschreckung war über Jahrtausende defensiv. Byzanz konnte zahllose Belagerungen mit seinen mächtigen Stadtmauern überstehen, deren Reste in Istanbul bis heute eindrucksvoll stehengeblieben sind. Neuere Theorien zur Abschreckung betonen die rationale Abwägung zwischen den eigenen Kosten durch Zerstörung und den möglichen Vorteilen eines Angriffs. Aber territoriale Zugewinne zählten seit jeher zu den Vorteilen erfolgreicher Angriffe. Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 hat sich die territoriale Integrität souveräner Staaten immer mehr zum Kernbegriff des internationalen Rechts weiterentwickelt, wegweisend in Artikel 2 (4) der UN-Charta. Die Entkolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg zog zahlreiche Kriege nach sich, weil die Grenzen zu oft ohne Rücksicht auf ethnische oder historische Trennlinien festgelegt worden waren. In den letzten 50 Jahren gab es rund 40 größere Auseinandersetzungen, etwa zwischen Indien und Pakistan, Iran und Irak, Äthiopien und Eritrea oder Aserbaidschan und Armenien sowie deutlich mehr kleinere und innerstaatliche mit territorialen Auslösern.

Die europäische Friedensordnung hat die Erinnerungen an Elsass-Lothringen, das Saargebiet oder die Expansion Nazi-Deutschlands weitgehend überlagert. Deshalb ist die seit 2010 beobachtete starke Zunahme territorialer Konflikte (The Territorial Roots of Interstate Conflict—The SAIS Review of International Affairs) wenigstens in den deutschen Medien nicht besonders aufgefallen. Umso schockierender war dann 2022 der russische Angriff auf die Ukraine, der offensichtlich in die entsprechenden territorialen Erklärungsmuster passte, aber auch schnell mit imperialen Expansionsplänen der russischen Führung interpretiert wurde.

Die schwierige politische Geschichte der Ukraine, die kulturelle und linguistische Gemengelage im Osten sowie die Wucht nationalistischer Strömungen im Westen des Landes blieben weitgehend unbeachtet, obwohl Deutschland in beiden Weltkriegen dort in fataler Weise involviert war. Selbstverständlich ist die russische Invasion völkerrechtswidrig. Ob sie aber auch unprovoziert war, werden die Historiker später zu entscheiden haben. Die beiderseitigen Narrative sind jedenfalls völlig gegensätzlich und stehen einem Waffenstillstand und späteren Friedensvertrag im Wege. Das Engagement von NATO, EU und den USA zugunsten der Ukraine hat den Krieg verlängert, obwohl viele Militärexperten gewarnt hatten, dass keine der beiden Seiten ihn gewinnen könnte.

Auch Präsident Trump hat inzwischen erkennen müssen, wie schwierig seine Vermittlungsversuche sind, wenn auch in den letzten Tagen mehr positive Signale auftauchen. Sollten sich die USA und Russland tatsächlich näherkommen, müssten sich die Europäer und vor allem Deutschland ebenfalls überlegen, wie sich ihr Verhältnis zu Russland insgesamt und auf absehbare Zeit auch zu Präsident Putin entwickeln sollte. Abschreckung funktioniert, wie die Kriege der letzten Jahrzehnte zeigen, nicht immer zuverlässig. Deshalb kann es nicht schaden, auch nach Friedensinitiativen zu suchen: Si vis pacem, para pacem.