Lehrstuhl als Schleudersitz
Eine Studie zeigt, dass immer mehr kritische Professoren aus den Universitäten entfernt werden. Rezension zu „Wer stört, muss weg“.
Lange Zeit galt: Wer es bis in das Amt eines Professors geschafft hatte, der hatte eine sichere Stelle. Solange die Professorinnen und Professoren keine schwerwiegenden Fehler machen, sitzen sie fest und sicher auf ihrem Stuhl. Dass es mit dieser Sicherheit vorbei ist, beweisen die beiden Wissenschaftlerinnen Anke Uhlenwinkel und Heike Egner mit ihrer Studie. Ihre empirischen Daten zeigen, dass es sich bei den Entlassungen von Professorinnen und Professoren keineswegs mehr nur um die berühmten „Einzelfälle“ handelt. Denn in den letzten 20 Jahren wurden laut den Autorinnen der Studie 60 Professorinnen und Professoren entlassen. Die meisten davon in den letzten sechs Jahren. Zwei Punkte sind hier besonders brisant: Es handelt sich nicht nur um Entlassungen, sondern auch um öffentliche Degradierungen, bei denen die Medien eine wichtige Rolle spielen. Und in den meisten Fällen mussten die betreffenden Personen ihre Professorenstelle nicht wegen einer Straftat oder wissenschaftlichen Fehlverhaltens räumen. Sie wurden unter anderem entfernt, weil es um ihre Person ging. Eine Buchrezension.
Am 18. November 2024 erschien im Westend-Verlag das Buch „Wer stört, muss weg! Die Entfernung kritischer Professoren aus Universitäten“. Verfasst wurde das Werk von Heike Egner, Geografin, freie Wissenschaftlerin und Mediatorin, sowie Anke Uhlenwinkel, Professorin für Didaktik der Geografie und Wirtschaftskunde an der Paris Lodron Universität Salzburg.
Entlassung oder Degradierung
In dem Buch betrachten die beiden Autorinnen ihr gewähltes Thema nicht nur oberflächlich. Im Gegenteil, sie legen empirische Daten dar, die sie seit 2020 erheben. Im Vordergrund steht die „Entlassung oder öffentliche (...) Degradierung von Professorinnen und Professoren im deutschsprachigen Raum“ (D-A-CH-Region).
Unter einer öffentlichen Degradierung verstehen die Autorinnen „Fälle, bei denen eine Forschungseinrichtung oder Universität eine Professorin oder einen Professor öffentlich und medienwirksam eines Amtes oder einer reputierlichen Funktion enthebt.“
Doch ob es sich um eine Entlassung oder öffentliche Degradierung handelt, die Ergebnisse sind gleich. Beides geht mit einem riesigen Verlust an Reputation einher, was „das Ende der wissenschaftlichen Karriere bedeutet“.
Hier nur ein Beispiel, um ansatzweise verstehen zu können, wie brisant die empirischen Daten sind: „Meist reichte allein der Vorwurf (Hervorhebung im Original, R. E.) eines Fehlverhaltens aus, um die Entlassung oder Degradierung auszusprechen, ohne dass der Sachverhalt in einer Weise geprüft wurde, der rechtsstaatlichen Anforderungen genügt.“
Über die Jahre wurden es mehr
Stand Juni 2024 zählen die beiden Autorinnen seit 1994 bisher 60 Fälle von entlassenen oder öffentlich degradierten Professorinnen und Professoren. Einen Vorwurf nennen die beiden Studienleiterinnen „Führungsfehlverhalten“. Einen anderen nennen sie „ideologische Unbotmäßigkeit“. Die letzteren Fälle zeichnen dich dadurch aus, dass die Professorin oder der Professor eine Aussage verfasst, die „nicht einer tatsächlichen oder angenommenen Mehrheitsmeinung entspricht“.
Eigene Erfahrungen
Die beiden Autorinnen schreiben auch „aus einer eigenen Betroffenheit“ heraus; sie gibt ihnen laut eigener Aussage eine gewisse Sensibilität für ihre Studie. Dieser Punkt wird im Buch zwar erwähnt, aber die Autorinnen unterlassen es, ihre persönliche Erfahrung ausführlich zu beschreiben. Das wird für alle interessierten Leser im Folgenden kurz nachgeholt. Auf Manova existiert bereits ein Text zum Umgang mit kritischen Professoren und ein Interview mit den beiden Autorinnen.
Heike Egner war von 2010 bis 2018 Universitätsprofessorin für Geografie und Regionalforschung an der Universität Klagenfurt. 2018 wurde sie plötzlich entlassen. Laut Egner standen „Mobbingvorwürfe“ im Raum, doch vor Gericht erfuhr sie, dass der Rektor sie offenbar loswerden wollte. Dafür sollte der Betriebsratsvorsitzende „belastbares Material in schriftlicher Form sammeln“. Außerdem zeigte sich, dass die Vorwürfe auf Egners „Leistungsbewertungen basieren, die von den Betreffenden als ungerecht empfunden wurden“. Frau Egner hatte eine „außerordentliche Revision“ beim Obersten Gerichtshof in Österreich eingereicht, doch das Gericht hat die Revision abgewiesen.
Egners Fazit: „Damit ist legitimiert, dass eine Professorin oder ein Professor aufgrund von freihändig formulierten und anonym vorgetragenen Behauptungen jederzeit entlassen werden kann“.
Anke Uhlenwinkel hatte von 2008 bis 2013 die Professur für Geografiedidaktik an der Universität Potsdam inne. Normalerweise wird die Befristung nach fünf Jahren aufgehoben. Laut einem anonymisierten Beitrag im Tagesspiegel haben sich „der Senat und die Universitätsleitung“ jedoch gegen die Entfristung ausgesprochen. Und das, obwohl Uhlenwinkels Vorgesetzter und die Studenten sich für sie ausgesprochen haben und die Mehrheit des Fakultätsrats für die Entfristung gestimmt hat.
Danach — Heike Egner war zu dieser Zeit in Klagenfurt noch als Universitätsprofessorin tätig — wurde Frau Uhlenwinkel dort als Senior Lecturer eingestellt. Auch diese Stelle war befristet, sollte aber verlängert werden. Doch auch aus dieser Enfristung wurde nichts, weil Frau Uhlenwinkel, nachdem sie die Entlassung von Frau Egner erlebt hat, sich für ihre Kollegin ausgesprochen hatte. Seit 2021 hat Anke Uhlenwinkel die eingangs erwähnte Professorenstelle in Salzburg inne.
Der Anteil des Geschlechts
Zurück zum Buch: Die Erfahrungen der beiden Autorinnen stehen auch für die vielen Fälle, in denen Frauen betroffen sind. Denn laut ihrer Studie machen Frauen von allen 60 entlassenen oder öffentlich degradierten Personen einen Anteil von 55 Prozent aus. Dabei erreichen Frauen unter allen Professorenstellen nur einen Anteil von 28 Prozent.
Über Klassenunterschiede und Machtmissbrauch
Wer darüber hinaus zum Beispiel wissen möchte, welche Gruppe es neben den Frauen ebenfalls häufig trifft, wie hoch der Anteil in den Fällen von Personen ist, die als Erste in ihrer Familie studieren, was es mit den beiden Vorwürfen des Führungsfehlverhaltens und der ideologischen Unbotmäßigkeit auf sich hat und wie sie sich genau zeigen, welche Bedeutung die Rechtsstaatlichkeit in den Verfahren spielt und wie die Medien die Fälle mitunter framen, dem sei „Wer stört, muss weg!“ empfohlen. Auf knapp 100 Seiten analysieren Heike Egner und Anke Uhlenwinkel den derzeitigen Stand ihrer Studie. Ob die Studie weitergeführt wird, ist allerdings noch offen.
Hier können Sie das Buch bestellen: „Wer stört, muss weg! Die Entfernung kritischer Professoren aus Universitäten “