Liebe schöpfen

Im Rubikon-Exklusivinterview skizziert die Künstlerin Sabrina Khalil, wie wir dank existenzieller Erfahrungen unsere eigene Kraft wiederentdecken können.

Künstler sind nicht „systemrelevant“. Das haben wir in den vergangenen zwei Jahren von den Herrschenden gehört. Der lebendige Ausdruck von Gefühlen und Bedürfnissen kann nur stören, wenn ein System auf der Unterdrückung genau dieser Impulse aufbaut: Konsum ist Grundpfeiler und Schmiermittel der kapitalistischen Systeme, in denen all unser Streben auf materiellen Erfolg, auf Leistung, auf Instandhalten und Wachstum der Wirtschaft ausgelegt sein soll. Konsum ist Ersatzbefriedigung für nicht gelebtes Leben, Betäubungsmittel für den tiefen Schmerz, der aus einem menschenverachtenden Alltag rührt, in dem wir nur bestehen können, weil wir unsere wahren Bedürfnisse verdrängen.

Erich Fromm sagte bereits Mitte des 20. Jahrhunderts eine große Gefahr für die Zukunft unserer Gesellschaft voraus. Das Materielle, die unbelebten Dinge seien in das Zentrum der Welt gerückt und würden den Menschen und die Natur verdrängen.

Er beschrieb diesen Zustand als einen Ausdruck der Nekrophilie, der Faszination durch das Tote und sprach sich schon vor vielen Jahrzehnten für eine neue humanistische Renaissance aus: Wir Menschen mit all unseren lebendigen Gefühlen, Impulsen, authentischen Bedürfnissen und unserer Verbundenheit mit allen anderen lebendigen Wesen, der Erde und dem Kosmos gehören ins Zentrum gerückt, wenn wir langfristig zukunftsfähig leben wollen (1).

„‚In der Liebe und in der schöpferischen Tätigkeit schwindet der Zweifel. Das zuvor isolierte Individuum erfährt, dass das Leben nur einen Sinn hat: den Vollzug des Lebens selbst‘. (…)

Was für die Menschen gut oder schlecht ist, stellt für Fromm keine abstrakte philosophische Frage dar, sondern eine ganz konkrete:

Was uns wirklich glücklich macht, ist (immer) auch gut für uns“ (2).

Poesie, Musik, Tanz, Schauspiel — alle Formen des kreativen Ausdrucks unserer menschlichen Erfahrungswelt sind Nektar für unsere Seelen. Und zugleich sind sie Wege der Kommunikation, der Verbindung und des Austausches über Erfahrungen, die jenseits des bewältigbaren und überschaubaren Alltagserlebens angesiedelt sind.

Die Künstlerin Sabrina Khalil hat für ihre intensiven Gefühle zu den Corona-Maßnahmen, für ihre Ohnmacht und ihre Wut einen kraftvollen und zugleich poetischen Ausdruck gefunden und mit ihrem Text „An die Profiteure der Angst“ zigtausenden Menschen aus dem Herzen gesprochen.

Im Rubikon-Interview mit Friederike de Bruin erzählt sie von der Kraft des schöpferischen Tätigseins, die nicht nur im Künstlerischen, sondern auch in bewusst gestalteten Phasen unseres Lebens erfahrbar wird.

Gerade in Krisenzeiten brauchen wir die Kunst: um unseren Gefühlen Luft zu machen, um Sinn zu finden, wenn er abhanden zu kommen droht. Um Kraft zu gewinnen für schier unlösbare Herausforderungen oder um zu erleben: Diese seelischen Grenzerfahrungen, Krisen und Schmerzen — und im Positiven auch die Erfahrung von innigem Berührt-sein und tiefer Liebe — teile ich mit Anderen.

Ich bin nicht allein.

„Die Welt braucht nicht noch mehr erfolgreiche Leute.
Die Welt braucht verzweifelt mehr Friedensstifter, Heiler,
Wiederhersteller, Geschichtenerzähler und Liebende aller Art.“
(Dalai Lama).

Fassen wir Mut, immer wieder und jetzt erst recht!, dem Liebevollen und Lebendigen in uns, dem Neuen und Verletzlichen Ausdruck zu verleihen und Verbundenheit zu erleben. So kommen wir wieder in unsere Kraft. Und die brauchen wir mehr denn je, um unsere Welt gemeinsam und Schritt für Schritt zu verändern.



Friederike de Bruin im Gespräch mit Sabrina Khalil


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Erich Fromm, Der moderne Mensch und seine Zukunft
(2) Andreas Dick: Mut. Über sich hinauswachsen, Seite 159f.