Lieber töten als helfen

Deutschland hat die Wahl, sich die größte Armee Europas zu leisten oder einen funktionierenden Sozialstaat aufrechtzuerhalten.

Wahnsinn: Innerhalb von nur 5 Jahren sollen sich die deutschen Ausgaben für Aufrüstung und Verteidigung verdreifachen! Nach 52 Milliarden im Vorjahr rechnet der Bund in diesem Jahr mit Ausgaben fürs Militär von 62,2 Milliarden Euro. Und mit großen Schritten soll es weiter nach oben gehen, auf bis zu 152,8 Milliarden Euro im Jahr 2029 — unter Berücksichtigung von weiteren, in anderen Ressorthaushalten versteckten Mitteln sogar knapp 166 Milliarden Euro. Stolz verkündet die Regierung, damit spätestens 2029 die 3,5-Prozent-Zusage an die NATO erfüllen zu können (1). Und das alles auf Pump! Eigens dafür wurden die Möglichkeiten des Bundes zur Schuldenaufnahme mittels einer Grundgesetzänderung zu Artikel 115 deutlich erweitert (2). Und es sollte der Eindruck entstehen, dass all die Aufrüstung möglich sei, ohne dass es Einschnitte an anderen Stellen des Bundeshaushalts geben werde. Was natürlich Quatsch ist. Denn großartige Reserven gab es in den Haushalten des Bundes schon lange nicht mehr. Aber die Illusion wurde von der neuen Regierung mit Bedacht monatelang aufrechterhalten. Damit sich nicht unnötig früh Widerstand gegen die Pläne entwickelt. Inzwischen wurde die Taktik verändert. Das Wort vom Sozialstaat, der nicht mehr finanzierbar sei (Bundeskanzler Merz), machte die Runde.

Leben wir über unsere Verhältnisse?

Wo gekürzt werden müsse, schreit die Springer-Presse mittlerweile jeden Tag mit dicken Lettern in die Welt. Längst betrifft es nicht mehr „nur“ Bürgergeld, Wohngeld und Renten. Und längst sind weitere Medien (3) und Politiker in den Chor eingestimmt. Inzwischen ist die Rede von höheren Eigenleistungen im Krankheitsfall, dem Ausschluss zahnärztlicher Leistungen aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen oder auch einer gesetzlichen Pflicht, die eigene Pflege im Ernstfall bis zu einem Jahr komplett aus eigener Tasche zu zahlen, sogenanntes Karenzzeitmodell (4). Geht’s noch?

Die Behauptung von Merz ist definitiv falsch. Wenn wir uns etwas nicht leisten können, dann diesen Ausgabenzuwachs auf Pump. Es ist doch klar, dass damit die Zins- und Tilgungslasten in den kommenden Jahren dramatisch anwachsen und immer größere Teile des Bundeshaushalts in Anspruch nehmen werden. Jedenfalls solange man nicht auf der Einnahmenseite — Steuern, Zölle — für einen entsprechenden Ausgleich sorgt. Doch darüber schweigen der Kanzler (CDU) und sein Finanzminister (SPD) lieber. Stattdessen gibt es üppige Steuererleichterungen für Unternehmen.

Bis zum Ende des Jahrzehnts wird die Regierung, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, rund 1 Billion (1.000.000.000.000!) Euro an zusätzlichen Schulden aufnehmen. Das meiste davon für die Anschaffung von Rüstungsgütern. Die Rüstungskonzerne und ihre Aktionäre sind begeistert. Laut der mittelfristigen Finanzplanung wird allein die Zinslast im Jahr 2029 auf 66,5 Milliarden Euro ansteigen, von aktuell circa 30 Milliarden Euro. Das ist mehr, als der Bund in den letzten Jahren fürs Bürgergeld, einschließlich Verwaltung, ausgegeben hat! Und es ist — siehe die Laufzeiten der neuen Staatsanleihen — erst der Anfang; der eigentliche Berg kommt erst noch.

Die ganze Aufrüsterei: Wozu war die noch mal?

Bundesnachrichtendienst (BND) und NATO haben die Behauptung in die Welt gesetzt — und etliche Medien plappern es einfach unbesehen nach —, dass Russland spätestens in vier Jahren die NATO angreifen werde. Beweise sind sie uns bislang schuldig geblieben. Das ist insofern interessant, als die US-Geheimdienste das offensichtlich ganz anders sehen: „Russland will mit ziemlicher Sicherheit keinen direkten militärischen Konflikt mit den Streitkräften der USA und der NATO“, so hieß es im Annual Threat Assessment of the U.S. Intelligence Community von 2024 (Seite 14). Im diesjährigen Bericht (März 2025) wird diese Einschätzung nicht revidiert; stattdessen finden wir nur den warnenden Hinweis, dass mit dem Krieg in der Ukraine sich „das Risiko einer unbeabsichtigten Eskalation zwischen Russland und der NATO erhöht“ habe (Seite 16, (5)). Man könnte Letzteres durchaus auch als Warnung an die übereifrigen Europäer verstehen.

Selbst ein Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Uni in München, sonst nimmermüder Warner vor Putin, bekannte in einem Gespräch mit der ZEIT Ende Mai, dass er einen Angriff Russlands auf europäisches Gebiet auf absehbare Zeit für unwahrscheinlich hält. Zitat:

„Niemand hat es (eine interne NATO-Studie) lesen können. Ohnehin wird die Zahl 2029 von Politikern strategisch genutzt. Sie müssen sagen, dass Russland 2029 einen Krieg führen könnte, um die Menschen auf höhere Verteidigungsmaßnahmen einzustimmen“ (6).

Wir verstehen. Wir müssen „eingestimmt“ werden: Die gewünschte „Kriegstüchtigkeit“ ist schließlich nicht umsonst zu haben.

Sie reden von „Investitionen“, doch in Wirklichkeit stellen Fregatten und Kampfflugzeuge eine unglaubliche Verschwendung öffentlicher Gelder dar.

Bekanntlich sind es die Europäer, die einen wie immer gearteten Frieden in der Ukraine nicht hinnehmen wollen. Und sie geraten regelmäßig in helle Aufregung, sobald sie auch nur hören, dass sich Putin und Trump erneut zu Gesprächen verabreden wollen. Für Berlin und Brüssel ist es offenbar unverzichtbar, die Ukraine in den Einflussbereich der Europäischen Union zu bekommen. Die Absatzmöglichkeiten, die billige Lohnarbeit und die reichhaltigen Bodenschätze dort sind für hiesige Kapitalisten zu verlockend. Dafür die Ukraine-Hilfen und dafür die ganzen Drohgebärden in Richtung Russland. Und um das glaubwürdig rüberzubringen, braucht es eine schlagkräftige Armee — so jedenfalls ihre Argumentation.

Eine Explosion bei den Sozialausgaben gab und gibt es nicht. Die deutsche Sozialleistungsquote ist über die letzten 30 Jahren kaum gestiegen und liegt aktuell bei circa 31 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), im Vergleich zu den 18 reichsten OECD-Ländern ein Platz im oberen Mittelfeld. Was aber stimmt, ist, dass die Anforderungen an den Sozialstaat demnächst ansteigen werden, vor allem wegen des wachsenden Bedarfs an Gesundheits- und Pflegeleistungen. Das schreit in der Tat nach einer grundlegenden Reform, nach einer solidarischen Finanzierung und einer vollständigen Entlastung von fremden Kosten. Und nicht nach Leistungskürzungen — das lehnen wir strikt ab (7).

Immerhin wissen wir jetzt, wozu all die Kampagnen gegen Bürgergeldbezieher und Migranten „gut“ waren. Dass bei denen größere Beträge eingespart werden könnten, ist kaum anzunehmen. Die Kampagnen dienten und dienen vielmehr der atmosphärischen Vorbereitung von Kürzungen bei den Sozialleistungen, aber auch bei Bildung und Kultur, Klimaschutz und Entwicklungshilfe, um nur einige wichtige Bereiche zu nennen. Spätestens wenn es an die Rückzahlung der neuen Kredite geht, wird sich die Verteilungsfrage in aller Schärfe stellen. Darauf werden sich auch die Gewerkschaften einstellen müssen.

Wir sagen Nein zu den Haushaltsplänen der Regierung! Nein zur Aufrüstung, zur Wehrpflicht und zu zusätzlichen Ausgaben fürs Militär. Eure Kanonen machen uns nicht satt!

Armut verharrt auf hohem Niveau. Auch bei uns in Dortmund.

Auch 2024 gab es mit 17,7 Millionen Menschen, das entspricht 21,1 Prozent der Bevölkerung, viel zu viele Bürger und Bürgerinnen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen oder bedroht waren. Das geht aus den Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor (MZ-SILC) (8). Betroffen waren — das wissen wir selbst am besten — vor allem ältere und kranke Menschen, Niedriglöhner und Arbeitslose, Asylbewerber, kinderreiche Familien und Alleinerziehende. Auch wachsen viel zu viele Kinder unter diesen Bedingungen auf.

Dortmund ist nicht mal ein besonders teures Pflaster, was Mieten angeht. Kein Vergleich jedenfalls mit Köln oder Berlin. Doch auch hier wird’s für die Leute langsam eng. Die Obdachlosigkeit nimmt sichtbar zu, der Wohnungsmarkt für von Bürgergeld abhängige Mitbürger wird enger. Mit dem Effekt, dass eine wachsende Zahl von Leistungsempfängern einen Teil der Miete aus den laufenden Unterhaltszahlungen bestreiten muss — Zahlungen, die dafür gar nicht vorgesehen sind und ohnehin schon kaum zum Leben reichen (9).

Wir brauchen also weitere Maßnahmen gegen die Armut in unserem Land. Und nicht weniger! Es ist ein Unding, dass diese Koalition meint, die Anpassung der Regelsätze in den sozialen Sicherungssystemen um ein weiteres Jahr aussetzen zu dürfen und jetzt auch noch eine Deckelung von anerkennungsfähigen Wohnkosten vorschlägt (10). Vielleicht, liebe Regierung, sollte man einfach die Inflation abschaffen, Miet- und Preiserhöhungen verbieten, Spekulanten und Wucherer hinter Gittern bringen. Dann könnte man eventuell mit einer Nichtanpassung leben. Aber so?

  • Für eine armutsfeste und repressionsfreie Grundsicherung!
  • Keine Kürzungen der Sozialetats zugunsten einer Militarisierung Deutschlands!
  • Keine höheren Eigenanteile in der Gesundheits- und Pflegeversorgung!
  • Keine direkten oder indirekten Kürzungen bei der Rente!
  • Superreiche zur Kasse! Wiedereinsetzung der Vermögenssteuer! Erbschaftssteuer anheben!

Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Vorbereitung auf Sozialkürzungen / Größte Armee Europas oder Sozialstaat: Ihr habt die Wahl!“ beim Gewerkschaftsforum.