Mehr als tausend Worte

Der Schnappschuss eines italienischen Flugbegleiters veränderte unseren Blick auf „Corona“ — und verfälschte auf subtile Weise die Wirklichkeit.

Am späten Abend des 18. März 2020 fotografierte ein italienischer Flugbegleiter in Bergamo einen Lastwagenkonvoi des italienischen Militärs, der sechzig „Corona-Leichen“ zu Krematorien umliegender Regionen transportierte, da das örtliche überlastet war. Das Bild verbreitete sich schnell im Internet und veränderte — wie viele weitere mit ähnlichen Motiven — den Blick auf „Corona“ grundlegend. Der Vorgang gilt als Zäsur in der Betrachtung des Geschehens. Das Killervirus war geboren. „Alles, was die Fantasie der Massen erregt, erscheint in der Form eines packenden, klaren Bildes, das frei ist von jedem Deutungszubehör“, stellte Gustave Le Bon einst fest. In diesem Sinne untersucht der Artikel die Ursache der großen Wirkung des Bildes und seine Rezeption in den Medien. Analysiert wird, ob im Mainstream die Gründe für die hohen italienischen Coronazahlen thematisiert und diskutiert wurden — was interessanterweise und entgegen vieler Einschätzungen zum Teil sogar geschah. Worüber wurde informiert, worüber nicht? Und welche Informationen erschienen im Mainstream und verhüllten doch die Wahrheit?

„Das Bild ist die Mutter des Wortes“, schrieb der deutsche Schriftsteller und Mitbegründer der Dada-Bewegung Hugo Ball, und schon Leonardo da Vinci wusste: „Der Mensch, das Augenwesen, braucht das Bild.“ Die Bildern zahlreich zugeschriebene Wirkung, mehr als tausend Worte zu sagen, ist auch und gerade in Politik und Weltgeschichte längst Legende.

Das Bild, das für die aktuelle Krisensituation prägend war und ist, stammt von keinem professionellen Fotografen, auch keinem ambitioniertem Foto- Amateur — was die Authentizität der Aufnahme noch steigert —, ja, es wurde nicht einmal mit einer klassischen Kamera angefertigt, sondern mittels eines Smartphones.

Bergamo, Lombardei, Via Borgo Palazzo, 18. März 2020: Der Flugbegleiter Emanuele di Terlizzi bemerkt ungewöhnlichen Lärm, begibt sich auf den Balkon seiner in der dritten Etage gelegenen Wohnung und sieht eine lange Kolonne von Militärlastwagen. Mit seinem Smartphone fotografiert er den seltsamen Konvoi, im Glauben, dieser sei auf dem Weg ins nahe gelegene Mailand, um beim Bau eines provisorischen Krankenhauses zu helfen. Di Terlizzi versieht das Bild mit einer aufmunternden Botschaft und lädt es auf Instagram hoch.

So erzählte er es Lucien Scherrer, Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), der ihn in Bergamo besucht hatte, um über einen „jungen Italiener“ zu recherchieren, der „unsere Sicht auf das Coronavirus verändert hat“ (1).

Noch in derselben Nacht, berichtete di Terlizzi weiter, korrigierten ihn Kollegen, dass es sich in Wirklichkeit um Leichentransporte in andere Städte handelte, da das Krematorium in Bergamo überlastet war. Ein Kollege teilte daraufhin das Bild der ungewöhnlichen Kolonne in einem 2.500 Mitglieder umfassenden Internet-Forum, und bereits am nächsten Morgen fand sich das Foto auf zahllosen Titelseiten und Portalen rund um den Globus: von Malaysia Free Today zum Edmonton Journal nach Kanada und zur BBC in London. Und in Deutschland erkannte die Berliner Morgenpost eine „dramatische Warnung aus Italien“, während die Bild „schockierende Bilder aus Italien“ sah.

Neben den üblichen worthülsenartigen Betroffenheitsverlautbarungen aus Politik und Presse in Italien komponierte der „Frontmann“ von Pooh, einer der populärsten italienischen Musikgruppen mit mehr als 100 Millionen verkaufter Schallplatten und CDs, Roby Facchinetti nach „einem frühmorgendlichen Schock über ‚dieses Foto‘“ (NZZ) sogleich das Lied „Rinascerò, rinascerai — Ich werde wiedergeboren, du wirst wiedergeboren“, das bis dato auf YouTube fast 16 Millionen Mal aufgerufen wurde (2).

Das „Symbolbild des Todes“

Doch warum wurde di Terlizzis Bild zum „Symbolbild des Todes“ (Il Messaggero), dessen Wirkung weit über Italien hinausreichte, und zu einer Zäsur in der Wahrnehmung von „Corona“? Das Magazin Vice meinte: „Die Bilder wirken surreal“ (3), das Nachrichtenportal news.de schrieb von „Bildern wie aus einem Endzeitfilm“(4), und in der verlinkten englischen Version vom Portal Metro.co.uk (5) kommentierte der User „RickyLeung“: „Anyone else going to post an ‚It’s only flu‘ comment today?“

Womit er zwar seine kolossale Unkenntnis die Influenza betreffend hinreichend bewiesen, aber eben die Wirkung des Gezeigten auf die zahllosen Betrachter doch richtig eingeschätzt hatte. Auch der fotografierende Zeuge di Terlizzi sagte der NZZ, dass er bis zu jenem Abend geglaubt habe, „dass das Coronavirus eine Stronzata der Medien sei, ein aufgebauschter Blödsinn wie seinerzeit die Schweinegrippe“.

Das Bild illustriert den Einbruch des gänzlich Unnormalen in das Normale, es erschafft die absolute Verstörung zumal dieses „Unnormale“ in Gestalt des Militärs erscheint, was das Gefühl des Bedrohtseins, der höchsten Gefahr noch weiter steigert.

Das Sichere, das Gewohnte scheint sich aufzulösen. In Wolfgang Koeppens Roman Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch schreibt der Erzähler, als die Gestapo frühmorgens an seiner Tür klingelt, um ihn „abzuholen“: „Meine nackten Füße liefen über den Teppich wie über brechendes Eis.“

Eine lange Kolonne dunkler Tiere mit den Scheinwerferpaaren als Augen; die Camouflage der Lastwagenplanen verstärkt diese Vorstellungsverknüpfung. Obwohl noch einige Fenster erleuchtet sind, scheint der Beobachter der einzige Zeuge des unheimlichen, mit „Corona-Leichen“ (news.de) beladenen Konvois zu sein.

Die Apokalypse ist da! Viele haben das Bild so verstanden. Ganz zweifellos der Untergang, Armageddon, GAU, Massensterben und Massengräber. Knapp zwei Wochen später prophezeite Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz; „Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist.“

Der Mainstream abseits des Mainstreams

Doch blieb das unheilvolle Foto — und die zahlreichen weiteren, die mit ähnlichen Motiven folgten — nicht unkommentiert. Im Gegensatz zur viel gelesenen und gehörten Meinung wurde durchaus auch in einigen Mainstream-Medien versucht, das Phänomen der hohen Opferzahl in Italien einzuordnen und zu analysieren. Eine Google-Suche mit Fragen zur erheblichen Opferzahl in Italien zeitigt durchaus zahlreiche Ergebnisse. So diskutierte der Focus am 25. März 2020 „5 Theorien, warum Covid-19 Italien so hart trifft“.

Genannt wurden der hohe Altersdurchschnitt, zahlreiche Vorerkrankungen der Opfer, Luftverschmutzung, die Form des Zusammenlebens der Generationen — „… viele Großeltern wohnen in Italien mit ihren Kindern und Enkeln im Haus oder sind in das tägliche Leben eingebunden. So sind Ansteckungen einfacher“ —, Bevölkerungsdichte, eine zu späte Reaktion der Regierung, das Versäumnis, über Zwischenstopps einreisende chinesische Passagiere unter Quarantäne zu stellen, sowie Art und Anzahl der Testungen plus „Statistik, Dunkelziffer“. Und es wurde der Zivilschutzchef Borrelli zitiert, der „betonte, dass bei den erfassten Verstorbenen die Todesursache nicht abschließend geklärt sei: also ob die Menschen nur an Covid-19 starben oder ob der Grund eine andere Krankheit war. Die allermeisten Opfer sind über 70 Jahre alt, viele litten an einer oder mehreren Krankheiten, zum Beispiel an Diabetes, Krebs oder Atemwegsproblemen“ (6).

Und auch der MDR fragte am 30. März 2020: „Warum hat Italien eine so hohe Todesrate?“ und listete die schon vom Focus genannten Gründe auf und thematisierte die Defizite des Gesundheitssystems. Und in einem „Update“ vom 27. März wurde sogar noch auf „tödlich verlaufende Infektionen mit multiresistenten Keimen“ verwiesen, an denen laut einer Studie aus dem Jahr 2018 in italienischen Krankenhäusern jedes Jahr mehr Menschen sterben „als sonst irgendwo in Europa“. Und weiter: „Das bedeutet auf die derzeitige Situation bezogen, dass möglicherweise auch der Tod vieler Coronapatienten auf Infektionen mit multiresistenten Keimen zurückgehen könnte und viele Menschen also nicht an, sondern mit Corona, sterben.“

Die genannte Studie aus The Lancet vom 5. November 2018 wurde im Artikel verlinkt (7). Man muss hier fast zwangsläufig an das großartige Interview von Jasmin Kosubek mit dem indisch-amerikanischen Wissenschaftler Dr. Shiva Ayyadurai in Der Fehlende Part denken, als er sagt (29:49):

„Ich wette, Sie wollen nicht in einem italienischen Krankenhaus landen, denn sie sind schrecklich. Es ist ein Todesurteil, wenn man dort landet. Wenn man über sechzig Jahre alt ist und dort hingeht, dann bringt man sich im Grunde genommen selber um“ (8).

Tagesschau.de und das WDR-Magazin Monitor diskutierten am 30. April 2020 unter dem Titel „Mehr Schaden als Nutzen?“ die Zweifel an der invasiven Beatmung als „vielversprechender Weg, besonders schwere Covid-19-Verläufe in den Griff zu bekommen. (…) Erste Studien deuten auf extrem hohe Sterblichkeit bei invasiver Beatmung hin — viel mehr als üblicherweise bei dieser Behandlung. Hinzu kommen sehr oft Folgeschäden bei den Patienten, die diese Beatmung überlebt haben, wie etwa Infektionen und schwerwiegende Lungenschäden.“

Neben Befürwortern der frühzeitigen Intubation konnten auch Kritiker und Zweifler ihre gegenteilige Einschätzung äußern wie Lungenarzt Dr. Thomas Voshaar vom Bethanien-Krankenhaus in Moers oder sein Kollege Dr. Gerhard Laier-Groeneveld von der Lungenklinik Neustadt im Harz, der meint: „Der Glaube ist, dass das an der schweren Krankheit des Patienten liegt und nicht eben an der Therapie.“ Er hingegen ist sich sicher, „dass die Intubation und Beatmung gefährlich sind und dass man auf jeden Fall die Intubation vermeiden muss.“

Laier-Groeneveld behandelt an seiner Klinik Covid-19-Patienten „mit Beatmungsmasken und bei Bewusstsein. Er hat“, schreibt tagesschau.de weiter, „bisher keinen einzigen Patienten intubiert — und keinen einzigen Patienten verloren.“

Auf die Frage der Redaktion bei der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, wie hoch in Deutschland der Prozentsatz der nach einer Intubation verstorbenen Patienten ist, teilt diese Gesellschaft mit, „dies sei ‚völlig irrelevant, da nicht die Intubation als solche bedeutsam ist, sondern die Schwere der Erkrankung des Patienten, die zu dem Erfordernis einer Intubation und Beatmung geführt hat‘“. Und tagesschau.de schließt mit einem Fazit, das mancher beim Mainstream kaum verortet hätte:

„Die Behandlung an sich wird also grundsätzlich nicht hinterfragt“ (9).

Mehrere Medien, wie rtl.de, SWP.de, Hamburger Morgenpost und andere, berichteten auch über das rätselhafte Phänomen in der lombardischen Ortschaft Ferrera-Erbognone, 56 Kilometer und eine knappe Stunde Autofahrt südwestlich von Mailand gelegen, in der knapp 1.200 Menschen wohnen.

In dieser beschaulichen Gemeinde, „mitten im Epizentrum des Coronavirus“ (Hamburger Morgenpost, 1. April 2020), konnten keine Infizierten festgestellt werden. Um das „Wunder“ dieses gallischen Dorfes mit seinen unbeugsamen Corona-Trotzern zu analysieren, schlug der Bürgermeister des Ortes vor, zusammen mit dem Forschungsinstitut Mondino im nahen Pavia Blutbilduntersuchungen der Bürger durchzuführen, die den Ursachen auf den Grund gehen und neue Erkenntnisse zutage fördern sollten. La Repubblica zitierend berichtete die Morgenpost, dass das Projekt von der Gesundheitsbehörde gestoppt worden sei. „Das Institut in Pavia sei nicht dazu befugt, Corona-Studien durchzuführen“ (10).

Es waren also im Mainstream nicht durchweg, aber durchaus Artikel zu finden, die — mit Einschränkung — Diskussion, Differenzierung und Diskurs widerspiegelten.

Fehlende Teile

Allerdings gab es natürlich auch zahlreiche relevante Thematiken, die ausgespart wurden wie:

Abgesehen von schwerwiegenden hygienischen Defiziten kommt es in italienischen Krankenhäusern generell schnell zu Überfüllung und Überlastung.

So berichtete beispielsweise am 9. Januar 2000 der Berliner Tagesspiegel, dass im Zuge der „Grippewelle“ laut Presseberichten die Krankenhäuser in Mailand, Florenz und Venedig derart überfüllt sind, „dass praktisch keine Betten mehr frei sind. In vielen Hospitälern müssten die Kranken auf Pritschen auf den Gängen liegen. In Mailand war es über Stunden nicht möglich, einen Krankenwagen zu rufen: Patienten, die im Krankenhaus keine Aufnahme fanden, blockierten die Einsätze.“ Im Artikel war zudem von 250.000 Fällen pro Woche die Rede und des Weiteren hieß es: „Experten raten, künftig Grippeimpfungen zwangsweise durchzuführen“ (11).

Zwangsimpfungen — und zwar gegen Meningokokken Typ C — wurden im Januar in Bergamo (21.331 Bürger) und im gut fünfzig Kilometer südöstlich gelegenen Brescia (12.200 Bürger) bei also insgesamt rund 34.000 Menschen durchgeführt, nachdem in diesen Regionen im Dezember fünf Fälle von Meningokokken-C-Sepsis aufgetreten waren, zwei davon tödlich (12, 13).

In einem längeren Interview mit Radio München am 17. Juli 2020 zur geplanten „Corona-Impfung“ äußerte sich zu dieser Problematik der Immunologe, Toxikologe und Pharmakologe Prof. Stefan Hockertz (14):

„… Wenn wir von Meningokokken-Impfungen sprechen, dann habe ich auch eine erhöhte Sterblichkeitsrate insbesondere dann, wenn die Menschen parallel mit einer anderen Infektion zu kämpfen haben. (…) In Bergamo sind im Januar 35.000 Menschen — das sind Daten vom ISS in Italien (Istituto Superiore di Sanità, Italiens oberstes Gesundheitsinstitut — Anmerkung des Autors) — zwangsgeimpft worden nach einer Meningokokken-Epidemie.

Das alleine war schon ein Fehler im Grunde, weil diese Impfung einhergeht natürlich mit der Grippe-Saison, also einer Zeit, wo wir eben mit Viren — ob es nun Grippe- oder Coronaviren, die ja beide Atemwegserkrankungen auslösen — immer wieder in Berührung kommen. Man sollte es vermeiden. Und jeder Student im dritten Semester lernt, dass eine Meningokokken-Impfung risikoreich ist, insbesondere dann, wenn die Gefahr besteht, dass man sich mit einer anderen Virus-Infektion ansteckt. Dies ist ja dann offensichtlich geschehen, und das Ergebnis sehen wir ja dann in Bergamo: Sehr, sehr hohe Sterberaten bei Menschen durch Corona, wie gesagt wurde. Ich sage mit Corona, aber letztendlich verursacht durch diese fahrlässige Durchführung einer Zwangsimpfung gegen Meningokokken“ (15, 16).

Ein weiterer nie thematisierter Punkt bestand darin, dass Italiens Ärzte als quasi sakrosankt galten, Fragen nach Über- oder Falschmedikation oder der Richtigkeit der invasiven Beatmung (siehe oben) wurden nicht gestellt. Ärzte und Pfleger stellten eine Kreuzung aus Frontkämpfer und Märtyrer dar. „Ohne Schutzanzüge haben sie sich geopfert, um tausende Menschen zu retten“ schrieb laut faz.net die Zeitung La Repubblica am 3. April 2020, und diese titelte unter den Porträts von drei Ärzten und Pflegern mit Schutzanzug, Atemschutz und Brille: „Die neuen Helden“.

Im selben Artikel war auch das ebenfalls berühmt gewordene Bild einer Krankenschwester zu sehen, die, den Kopf auf dem Schreibtisch vor einer Tastatur, noch mit Mundschutz, Haarnetz und Schutzanzug erschöpft eingeschlafen ist (17).

Auch Die Welt zeigte am 29. März unter dem Titel „Erschöpfte Helden“ eine Fotoserie mit Porträts von Ärzten, Schwestern und Pflegern, ebenso rtl.de am 25. März 2020 — wobei es sich hier um Selfies handelte, die das medizinische Personal von sich angefertigt hatte — mit einem eingefügten Link zur Instagram-Seite frontlinehealthheros und versehen mit dem „Hinweis der Redaktion: Die Bilder in diesem Instagram-Post sind nachträglich bearbeitet, es sind nicht die Originalbilder“ (18, 19, 20).

So wurden medizinische Schlachtengemälde geschaffen, selbstlose Frontkämpfer mit Schutzanzug und Mund-Nasenschutz, mit Beatmungsgerät und Medikamenten die Stellung haltend bis zur letzten Patrone.

La Repubblica schrieb laut NZZ im erwähnten Artikel nach den Leichentransporten aus Bergamo von „Gefallenen“, die den „Kampf von Haus zu Haus“ verloren hätten. Auch Bill Gates feiert in seinem Blog GatesNotes gewisse Menschen — die er wie folgt definiert: „These amazing people are changing the world“ — als „Heroes in the field“ (21).

Doch das ganze Schlachtengetöse in Italien verhinderte, zunächst zumindest, kritische Fragen, Diskurs und Expertise. Dr. Claus Köhnlein, Autor des Buches „Virus-Wahn“ sagte im Interview bei Der Fehlende Part (22): „… ich habe italienische Ärzte gesehen, die sich da im Internet verbreitet haben, da habe ich den ganz dringenden Verdacht, dass das so nicht stimmt, was sie da erzählen“ (23, 24).

Relativierung der Bergamo-Bilder

Überdies wurde kaum berichtet, dass in Italien die Feuerbestattung eher unüblich ist. Bestatterdeutschland.de berichtete am 9. Oktober 2018, dass im Jahr 2017 „der Anteil der Feuerbestattung in ganz Italien bei 25 Prozent aller Beisetzungen“ lag, damit aber auch „in starkem Wachstum begriffen“ sei, vor allem in Norditalien, wo sich etwa die Hälfte der 79 Krematorien des Landes befinden (25).

Erst am 30. April 2020 erschien in br24 unter dem Titel „Trauer in Corona-Zeiten: Mehr Anzeigen und Feuerbestattungen“ ein Interview mit Ralf Michal, Vorsitzender des bayerischen Bestatterverbandes und Vizevorsitzender des deutschen Dachverbandes, in welchem dieser nicht nur das scheinbare Phänomen der steigenden Zahl von Traueranzeigen korrigierte sowie Kritik an „Corona-Regeln“ für Bestattungen und Bestatter übte, sondern in Bezug auf Italien feststellte — Zitat br24:

„In Italien ist eine Feuerbestattung eher selten. Deshalb ‚waren die italienischen Bestatter überfordert, als im Zuge der Corona-Pandemie der Staat die Feuerbestattung anordnete‘, analysiert Michal. Dafür waren die Bestatter nicht vorbereitet. Es fehlten Krematorien und die komplette Infrastruktur. ‚Deshalb musste das Militär helfen. So lassen sich die Aufnahmen aus Bergamo erklären, die zeigen, wie Armeelaster Särge mit Corona-Verstorbenen abtransportieren helfen‘. In Deutschland hat die Urnenbestattung längst Tradition. ‚Bilder wie aus Italien wird es bei uns nicht geben‘, sagt der Fachmann.“

Ein Leser kommentierte diesen Artikel dann wie folgt:

„Ich frage mich, warum der Abtransport der Toten in Militärkonvois in Italien erst jetzt erklärt wird. Das macht die Katastrophe dort natürlich nicht besser, relativiert jedoch die oft zitierten ‚Bilder wie in Italien‘ ein wenig!“ (26).

Wobei es diese staatliche Anordnung der Feuerbestattung laut des Vorsitzenden des italienischen Bestatterverbandes FENIOF, Alessandro Bosi, nicht gab. Im Interview mit dem Magazin Vice vom 31. März 2020 sagte er, dass die Verstorbenen „auch normal begraben werden“ konnten (27). Ähnlich äußerte sich im NZZ-Artikel über das Bild des Konvois Padre Marco, „ein Kapuzinermönch, der den Verstorbenen auf dem Zentralfriedhof das letzte Geleit gibt.“ Der Mönch aus Bergamo spricht nur davon, dass die „meisten Verstorbenen kremiert werden“ sollten (…) „eine behördliche Anweisung dazu gab es jedoch nicht.“

Ein weiterer, gar nicht beachteter Aspekt wurde am 30. März 2020 hier im Rubikon thematisiert. Der Virologe Pablo Goldschmidt sprach vom Mesotheliom, „der Lungenkrebs, der durch Asbestose oder Asbest entsteht. Von den Autopsien, die in den letzten zehn Jahren in der Lombardei durchgeführt wurden, waren 85 Prozent berufsbedingt(e Todesfälle). Bösartige Tumore der Lunge und des Bauchfells. (…) Die Lombardei hat zehn Millionen Einwohner, hier befinden sich die meisten Arbeiter der Asbestindustrie — und es ist der Ort mit den meisten Asbestosefällen weltweit. Zudem haftet der Asbest an der Kleidung, an den Textilfasern.“

Goldschmidt erwähnt die lombardischen „Faserzementfabriken, die Asbest benutzten“ und berichtet, dass Asbest — „von dem kleine Kristalle ausgehen, die bis in die Lungen gelangen und dort Vernarbungen verursachen können“ — bis zu seinem Verbot im Jahr 1992 in Wänden, Dächern und der Isolierung der Fabriken zu finden war. Von 2000 bis 2012, so Goldschmidt, traten 4.442 bösartige Mesotheliome auf — invasiver Lungenkrebs durch Asbest.

Auf die Frage, ob ein „Zusammenhang mit dem Coronavirus“ bestehe, bejaht er und spricht von den alten Menschen in der Lombardei „mit Lungenkrebs oder anderen chronischen Leiden, die dazu führen, dass eine Virusinfektion zu einer tödlichen Infektion wird. Eine von Mineralfasern angegriffene Lunge reagiert anders als eine gesunde. Und es ist kein Zufall, dass in einer Gegend mit Asbestfasern mehr Menschen sterben“ (28).

Diskrepanz der Opferzahlen in Italiens Regionen

Gar nicht zur Sprache kam das eigentümlichste Phänomen von „Corona“ in Italien: Die Höhe der Opferzahlen und ihre Diskrepanz zwischen den verschiedenen Landesteilen

Es erfolgt hier ein simpler Blick auf die Zahlen aus den Regionen Italiens. Wie hoch ist die Einwohnerzahl? Wie viele der Einwohner sind — in welchem Zusammenhang auch immer — als Covid-19-Verstorbene gemeldet worden? Und wie hoch ist ihr prozentualer Anteil an der jeweiligen Einwohnerzahl?

Die Zahlen stammen von Wikipedia, die sich wiederum auf das Dipartimento della Protezione Civile und dessen Sonderseite („Operations Dashboard“) zur italienischen „Corona“-Statistik bezieht. Begonnen mit der Zählung wurde am 7. März 2020. Der letzte Stand bei Wikipedia ist 14. Juli 2020, die Zahlen hier (nicht gerundet) wurden etwa einen Monat später der genannten italienischen Open-Data-Seite entnommen.

Die Lombardei nennt bei einer Einwohnerzahl von 10.103.969 als am heftigsten betroffene Region 16.837 Verstorbene, was einem Prozentsatz von 0,166 entspricht.

Das Piemont im Nordwesten (4.341.375 Einwohner) meldet 4.139 Tote, also 0,095 Prozent, die Emilia-Romagna (4.467.118/4.453) 0,099 Prozent.

Ligurien im Nordwesten rapportiert (1.543.127/1.569) 0,101 Prozent, Friaul-Julisch Venetien im Nordosten gar nur (1.211.357/348) 0,028 Prozent.

Ebenfalls im Nordosten gelegen meldet Venetien (4.907.704/2.096) 0,042 Prozent.

Wenden wir uns der Mitte des Landes zu:

Die Toskana (3.722.729/1.138) gibt 0,030 Prozent an, Umbrien (880.285/80) 0,009 Prozent und aus den Abruzzen (1.305.770/472) werden 0,036 Prozent genannt.

Die Hauptstadt Rom mit über 2,9 Millionen Einwohnern samt Latium (5.865.544/870) dokumentiert 0,014 Prozent.

Und schließlich noch ein Blick in den Süden:

Apulien im Südosten (4.008.296/554) vermeldet 0,013 Prozent.

Kalabrien, als sogenannte Stiefelspitze die südlichste Region des italienischen Festlandes, nennt (1.924.701/97) 0,005 Prozent.

Bleibt noch Sizilien. Dort sind es, bei einer etwa zweieinhalbmal so großen Einwohnerzahl (4.968.410/283), ebenfalls 0,005 Prozent (29, 30).

Seit Dezember 2019, so tagesschau.de am 19. Juni 2020, sei das „Coronavirus“ in Italien aktiv. „Spuren des Erregers Sars-CoV-2 wurden in Abwasserproben von Mailand, Turin und im Januar 2020 zudem in Bologna nachgewiesen“ (31).

Das Informationsparadoxon

Am 8. März 2020 wurden große Teile des italienischen Nordens von der Regierung abgeriegelt, nachdem man bereits am 23. Februar 2020 zwei Provinzen in der Lombardei und in Venetien, Lodi und Padua, gesperrt hatte. Ein Vierteljahr lang wurde also innerhalb Italiens gependelt, gefahren, gereist, landauf, landab, und trotzdem blieb das Virus auf einen überschaubaren Bereich begrenzt.

Auch werden bei Wikipedia das Durchschnittsalter der Verstorbenen und der Einfluss von Vorerkrankungen, dreimal erhoben vom bereits erwähnten ISS im März und April 2020, genannt: Das Durchschnittsalter beträgt 81 Jahre, die am stärksten betroffenen Altersgruppen sind die 70- bis 89-Jährigen (74,6, 77,6 sowie 73 Prozent), bei jeder der drei Untersuchungen war die Gruppe, die unter drei oder mehr Vorerkrankungen gelitten hatte, am stärksten vertreten: 67,2, 48,5 sowie 62,9 Prozent.

Zwei Vorerkrankungen hatten 18,3, 25,6 und 21,5 Prozent. Keine Vorerkrankungen wiesen lediglich 0,8 beziehungsweise 1,8 Prozent auf. Als „Vorerkrankungen“ wurden angegeben: Hypertonie, ischämische Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus und Demenz. Bei der ersten Erhebung wurden bei den unter 50-Jährigen keine Todesfälle ermittelt, die zweite ergab bei den 30- bis 39-Jährigen 0,2 und bei den 40- bis 49-Jährigen 0,6 Prozent, Untersuchung Nummer drei dokumentierte vergleichbare Zahlen sowie bei der Altersgruppe 0 bis 29 Jahre 0,05 Prozent.

Zudem wird im Artikel die These, dass am 19. Februar 2020 im Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadion ausgetragene Champions-League-Achtelfinalspiel Atalanta Bergamo gegen Valencia CF, später „Partita zero“ („Spiel null“) genannt, habe zu einer „Explosion der Ansteckungen“ (La Repubblica) geführt und eine „biologische Bombe“ (Corriere della Sera) dargestellt (32), kontrovers diskutiert, in dem als Antithese der italienische Zivilschutz zu Wort kommt, der die Möglichkeit zwar nicht ausschließe, allerdings keine Beweise dafür sehe, dass das Spiel maßgeblich zur Verbreitung der Krankheit beigetragen habe. Und weiter heißt es bei Wikipedia:

„Dagegen spricht die Tatsache, dass es in Mailand trotz zahlreicher Übernachtungen und Feiern der Fußballfans in der Folge keine sprunghafte Zunahme der Erkrankungen gab.“

Die Frage nach der Glaubwürdigkeit der genannten Zahlen, an Corona, mit Corona, ohne Corona, etwaige Manipulationen und weiteres bezüglich des Wikipedia-Artikels werden hier ausgeklammert, da bereits die „offiziellen“ Zahlen für sich sprechen. Allerdings entsteht ein Paradoxon, da diese Zahlen ja für jeden Interessierten mühelos abrufbar und die entsprechenden Prozentsätze daraus leicht errechenbar sind.

Zu sagen, die Zahlen wären verschwiegen und verborgen worden, entspräche folglich, jedenfalls in diesem Zusammenhang, nicht der Wahrheit. „Sich aus seriösen Quellen zu informieren ist wichtig — gerade auch in Zeiten der Coronavirus-Pandemie“, schreibt das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (33).

Und so verharrt die große Mehrheit in der Tagesthemen- und heute- journal-Welt; es ist ein weiter Weg von Claus Kleber zu Stefan Hockertz, Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi, und die meisten werden ihn nie zurücklegen. Doch interessanterweise ist ihnen auch die Kurzstrecke zum Hauptstrom zu weit und zu mühevoll, wenn dieser nicht grell und vehement fließt. Der genannte Wikipedia-Artikel umfasst 21 Seiten, enger Text, viele Tabellen und Diagramme, Hyperlinks und Quellen, kaum Bilder, alles sehr anstrengend, keine Werbeunterbrechungen, und dann müsste man auch noch selbst was rechnen.

Hätte das jedoch die Bild für sie getan oder der Spiegel, Focus, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), und auf den Titelseiten bezeugt, es wäre nicht viel übrig geblieben vom schrillen, finsteren Sirenengesang des durch das Land pflügenden Killervirus, der schon bald Bella Italia zur unbewohnten Steppe macht.

So wurden also verschiedene Aspekte von „Corona“ in Italien durchaus auch im Mainstream thematisiert, zahlreiche entscheidende Fragen wurden dann aber doch nicht gestellt.

Haften blieb das furchtbare Bild der fünfzehn Militärlastwagen mit fünfzig Soldaten und sechzig Leichen, die durch Bergamos verlassene nächtliche Straßen fuhren auf dem Weg zu den Krematorien in Ferrara, Bologna und Modena.

In Hans Erich Nossacks Prosastück Bereitschaftsdienst. Bericht über die Epidemie sagt ein Journalist zum Erzähler:

„Haben Sie eine Ahnung, was wir verschweigen können. (…) Wir sind dazu da, dem Leser die Entscheidung und die Sorge des Nachdenkens zu ersparen …“


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.nzz.ch/feuilleton/corona-krise-das-bild-das-um-die-welt-gegangen-ist-ld.1558320
(2) 2) https://www.youtube.com/watch?v=D5DhJS5hGWc
(3) https://www.vice.com/de/article/3a8ymy/coronavirus-italien-wohin-mit-den-toten
(4) https://www.news.de/panorama/855834241/coronavirus-leichenwagen-konvoi-in-italien-zu-viele-covid-19-tote-droht-uns-das-auch-seuchentote-im-militaerlastwagen-abtransportiert/1/
(5) https://metro.co.uk/2020/03/19/army-trucks-filled-bodies-overflowing-morgues-drive-streets-italy-12423685/
(6) https://www.focus.de/gesundheit/news/sars-cov-2-pandemie-luftverschmutzung-alter-testung-warum-die-pandemie-ausgerechnet-italien-hart-trifft_id_11804512.html
(7) https://www.mdr.de/wissen/corona-berechnung-todesrate-unterschiede-italien-100.html
(8) https://www.youtube.com/watch?v=w0DMuH44h1Y
(9) https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/beatmung-101.html
(10) https://www.mopo.de/news/panorama/mitten-im-corona-epizentrum-italienisches-dorf-gibt-den-experten-jetzt-raetsel-auf-36501868
(11) https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/krankenhaeuser-uebefuellt-patienten-liegen-auf-pritschen-in-den-gaengen/115344.html
(12) https://fitter-hirsch.at/2020/03/31/viele-italientote-eventuell-durch-impfung-im-jaenner/
(13) https://www.bsnews.it/2020/01/18/meningite-vaccinate-34mila-persone-tra-brescia-e-bergamo/
(14) Ein Interview ähnlichen Inhalts mit Markus Langemann vom Club der klaren Worte war übrigens entfernt worden, „weil es gegen die Community-Richtlinien von YouTube verstößt“, wurde aber bereits von mehreren Usern wieder hochgeladen https://www.youtube.com/watch?v=zAT1Ez_NKvc
(15) https://www.youtube.com/watch?v=kWpzfqW34lA
(16) https://www.youtube.com/watch?v=lGRdUjhODUk
(17) https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/corona-in-italien-zehntausende-aerzte-und-pfleger-infiziert-16710505.html
(18) https://www.welt.de/vermischtes/article206864647/Coronavirus-in-Italien-Fotos-der-erschoepften-Helden.html
(19) https://www.rtl.de/cms/die-helden-der-corona-krise-so-zeichnet-ihr-dienst-die-menschen-an-vorderster-front-4510276.html
(20) https://www.instagram.com/frontlinehealthheroes_/
(21) https://www.gatesnotes.com/heroes-in-the-field
(22) Der Fehlende Part, Folge 69 vom 20. März 2020, bei 12:59. https://www.youtube.com/watch?v=TzTr_RjtgUk
(23) https://emu-verlag.de/virus-wahn-10624
(24) https://www.youtube.com/watch?v=TzTr_RjtgUk
(25) https://bestatterdeutschland.de/aktuelles/artikel/andere-laender-andere-sitten.html
(26) https://www.br.de/nachrichten/bayern/trauer-in-corona-zeiten-mehr-anzeigen-und-feuerbestattungen,RxZCWs0
(27) https://www.vice.com/de/article/3a8ymy/coronavirus-italien-wohin-mit-den-toten
(28) https://www.rubikon.news/artikel/der-corona-totalitarismus
(29) https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Italien
(30) http://opendatadpc.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/b0c68bce2cce478eaac82fe38d4138b1
(31) https://www.tagesschau.de/ausland/italien-corona-abwasser-101.html
(32) https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article206805333/Spiel-null-der-Corona-Krise.html
(33) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/serioese-informationen-1753160