Milliardenschweres Blendwerk
Das „Sondervermögen“ für Infrastruktur dürfte sich als gigantisches Umverteilungsprojekt zugunsten der Privatwirtschaft und zulasten der Bürger herausstellen.
Deutschland gönnt sich ein neues Sondervermögen: 500 Milliarden Euro, verteilt über Jahre, sollen die Infrastruktur retten und die Klimaneutralität bis 2045 sichern. Schulen, Schienen, Stromnetze, Straßen, digitale Netze, alles soll erneuert, modernisiert, umgebaut werden. Auf den ersten Blick klingt das wie ein historischer Kraftakt. Doch die Erfahrung lehrt: Große Ankündigungen sind das eine, tatsächliche Wirkung ist etwas ganz anderes. Schon jetzt bleibt zu befürchten, dass auch dieses Sondervermögen am Ende weniger eine Investition in die Zukunft ist als vielmehr ein riesiger Schattenhaushalt, aus dem sich Konzerne, Bauindustrie und Berater bedienen, während der Bürger weiterhin auf bröckelnden Brücken im Stau steht.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass die deutsche Infrastruktur praktisch kollabiert? Jahrzehntelang galt sie als Rückgrat der wirtschaftlichen Stärke. Autobahnen, Bahnnetze, Stromleitungen, Schulen, Universitäten, sie machten den Standort attraktiv und leistungsfähig. Doch seit den 1990er-Jahren wurde gespart, privatisiert, verschoben. Die Schuldenbremse tat ihr Übriges: Investitionen wurden zur Ausnahme, während sich die Politik in kleinteiligen Reformen und immer neuen Finanztricks verlor. Die Folge: Brücken, die kurz vor der Sperrung stehen, Bahnnetze, die pünktlich nur noch auf dem Papier sind, Schulen, in denen Regen durch die Decken tropft. Eine digitale Infrastruktur, die in vielen Regionen kaum über DSL hinauskommt.
Die Summen, die man in der Vergangenheit dennoch aufgewendet hat, sind erstaunlich und ernüchternd. Milliarden flossen in Prestigeprojekte, die entweder nie richtig funktionierten oder schon am Tag der Eröffnung als veraltet galten.
Das wohl berüchtigtste Beispiel: der Berliner Flughafen BER. Ursprünglich mit rund zwei Milliarden Euro veranschlagt, verschlang er am Ende über sieben Milliarden, dazu fast ein Jahrzehnt Bauverzögerung. Als die ersten Flieger dort starteten, waren die Pläne schon längst überholt, die Terminals zu klein, die Anbindung unzureichend.
Ein zweites Beispiel ist die Elbphilharmonie in Hamburg. Ursprünglich auf 77 Millionen Euro kalkuliert, explodierten die Kosten auf 866 Millionen, eine Verzehnfachung. Und so spektakulär das Konzerthaus am Hafen auch ist: Für viele Theater und Kultureinrichtungen in Kleinstädten, die um jeden Euro kämpfen, war und ist diese Verschwendung ein Schlag ins Gesicht. Während die Kultur in der Fläche am Hungertuch nagt, wurden in Hamburg Hunderte Millionen in eine Oper gesteckt, die vor allem Touristen anzieht.
Die Liste solcher Großprojekte ist lang. Stuttgart 21, das ebenfalls schon Milliarden verschlungen hat, ist noch immer nicht fertiggestellt. Autobahnprojekte dauern nicht selten 20 Jahre von der Planung bis zur Umsetzung. Bahnausbauten ziehen sich über Jahrzehnte, weil Klagen, Umweltauflagen, politische Richtungswechsel und mangelnde Koordination die Abläufe lähmen.
Was bleibt, sind Kostenexplosionen und Bauzeiten, die international nur noch Kopfschütteln hervorrufen.
Und nun also das SVIK, das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität. 500 Milliarden Euro sollen es richten. Doch schon jetzt ist klar: Niemand weiß genau, wie das Geld verteilt wird, wer es kontrolliert, wer davon profitiert. Offiziell heißt es, die Mittel sollten „zielgerichtet“ eingesetzt werden, doch die Erfahrung zeigt, dass genau darin das Problem liegt.
Kommunen, die dringend Investitionen bräuchten, sind oft personell und fachlich kaum in der Lage, große Projekte zu planen oder komplexe Förderanträge auszuarbeiten. Während kleine Städte und Gemeinden überfordert sind, sitzen große Konzerne längst in den Startlöchern. Sie verfügen über ganze Abteilungen, die darauf spezialisiert sind, Ausschreibungen zu verfolgen, Projektanträge zu formulieren und die Förderlogik für sich optimal zu nutzen. Doch Voraussetzung dafür ist stets, dass sie zuvor einen öffentlichen Auftrag erhalten. Genau an dieser Schnittstelle zeigt sich die Schlagseite des Systems: Dort, wo Kommunen scheitern, setzen Konzerne mit professionellen Strukturen an und sichern sich so am Ende den Löwenanteil der milliardenschweren Programme.
Die Gefahr ist groß, dass das SVIK nicht zur Rettung der Infrastruktur, sondern zur nächsten Umverteilungsmaschine wird, von unten nach oben, von öffentlichem Geld zu privaten Konzernen.
eratungsfirmen werden Gutachten schreiben, Projektpläne entwickeln, Strategien formulieren, ohne dass sich am realen Zustand etwas verbessert. Man wird neue Pilotprojekte starten, neue Institute gründen, neue Konzepte entwickeln, während gleichzeitig die Brücke in der Nachbarstadt gesperrt bleibt und die Schule in der Provinz weiter durch das Dach leckt.
Dazu kommt die deutsche Spezialität der Bauzeiten. Selbst wenn das Geld sinnvoll eingesetzt wird, bedeutet das noch lange nicht, dass es schnell wirkt. Von der ersten Planung bis zur Fertigstellung vergehen oft zehn oder fünfzehn Jahre. Wer heute eine neue Bahntrasse beschließt, wird sie im besten Fall 2040 befahren. Wer heute eine Schulsanierung anstößt, muss fünf Jahre auf die Umsetzung warten. Mit Blick auf die Klimaziele bis 2045 ist das ein Desaster. Ein Sondervermögen mag den Druck erhöhen, doch es ändert nichts an den lähmenden Verfahren, den widersprüchlichen Zuständigkeiten, den politischen Grabenkämpfen.
So droht das SVIK zu einem gigantischen Placebo zu werden. Es beruhigt das politische Gewissen, weil man nun sagen kann: Wir haben etwas getan, wir haben Geld bereitgestellt, wir investieren in die Zukunft. In der Realität aber bleibt vieles beim Alten. Es wird zu befürchten sein, dass am Ende ein Großteil der Milliarden in Strukturen versickert, die weder nachhaltige Infrastruktur noch wirksame Klimaneutralität hervorbringen. Für die Bürger bleibt das frustrierende Gefühl, dass selbst gigantische Summen keine greifbaren Veränderungen bringen.
Das Sondervermögen ist damit ein Spiegelbild der deutschen Politik: Man greift zu großen Gesten, weil man die kleinen Lösungen nicht hinbekommt.
Man setzt auf Milliarden, wo konsequente Planung und klare Prioritäten gefragt wären. Man ruft die Zukunft aus, während die Gegenwart im Chaos versinkt. So gesehen ist das SVIK weniger ein Hoffnungsschimmer als ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte deutscher Investitionsversprechen. Ob es diesmal anders kommt, bleibt abzuwarten — glauben mag man es nach all den Erfahrungen kaum.