Nachtgedanken

Die finanziellen Sorgen, die die Politik uns aufzwingt, können feinfühlige Menschen schon um den Schlaf bringen.

„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“, sagte der lateinische Dichter Plautus. Wenn es nur so wäre! Wölfe verfügen immerhin über ein vernünftiges Sozialverhalten. Menschen dagegen sind anderen Menschen wie auch Wölfen „ein Mensch“ – und das ist schlimm. Immer deuten sie mit dem Finger auf andere Lebewesen und identifizieren diese als „Gefahr“. Wölfe, diese schönen und edlen Tiere, werden dann von Mordlüsternen kurzerhand abgeschossen. Bei Ungeimpften ist es noch nicht ganz so schlimm. Die werden nur beschimpft, ausgegrenzt und demnächst vielleicht beraubt. Und diejenigen, die die Strafe bezahlen können, die schon bald auf körperliche Selbstbestimmung stehen könnte, haben noch Glück. Was wird aus denen, die einfach kein Geld haben? Das sind nicht wenige in diesem Deutschland-in-dem-man-gut-und-gerne-leben-kann. Kosten und Nebenkosten drücken, und so manchem wurden „wegen der aktuellen Lage“ die Verdienstmöglichkeiten abgeschnitten. Unserer Autorin bereitet die Gesamtsituation buchstäblich schlaflose Nächte. Während einer dieser Nächte bringt sie ihre ganz persönlichen Gedanken zu Papier und unternimmt mit ihnen eine weite Wanderung, die verschiedene Stationen umfasst. Warum nur wird es uns aus Gründen, die immer mit Geld und Macht zusammenhängen, so schwer gemacht, das Glück zu finden, für das wir geschaffen sind?

Was ist das nur, dass ich so früh erwache, um 4 Uhr, und dann diesen Körper hin und her wälze — und meine, ich könne wieder einschlafen, wenn mein Geist nur diesem Atem folgen würde, diesem Ein und Aus. Und während ich vergeblich übe, wieder einzuschlafen, erwache ich mehr und mehr. Weder kann ich mich später an Träume noch an die ersten Gedanken erinnern.

Erinnerungen aber aus früherer Zeit, die sind da. Wie ich der Mutter erzählte, dass es sehr schön sein könne, sehr angenehm — dieses letzte Ausatmen. Das allerletzte Mal. Und dann nicht mehr einatmen müssen. Und dann…? Hast du Angst, fragte ich sie. Es ist das Ungewisse, sagte sie, was Angst macht. Das Ungewisse…

Wer ist dieses „Ich“ nur, das in mir spricht?

Ja. Jetzt erinnere ich mich. Halt, Gedanke, bleib stehen.

Es gibt etwas, das benutzt diesen Körper, und es benutzt diese Denk-Fähigkeit und es benutzt diese Fähigkeit, wahrzunehmen und zu fühlen. Fühlen, was ist das? Wie fühlt es sich an, panische Angst zu haben? Oder auch nur ein bisschen Angst zu haben. Oder aber Vertrauen zu fühlen. Oder Mut.

„Wie geht es dir?“ So wurde ich gestern Abend gefragt.

„Es geht so.“ Antwortete ich.

Wer ist „Es“ — wer geht?

Wie fühlst du dich?

Wie fühlt es sich an, diesen Körper zu bewohnen?

Nun — er fängt an zu altern, und der Rücken schmerzt, manchmal mehr, manchmal weniger.

Armut, Alter, Krankheit und Tod.

Die vier Grundübel nach der Lehre des Buddha. Armut habe ich zum Glück jetzt hinter mir. Zumindest im Moment. Aber sie kann jederzeit zurückkehren. Manche glauben, dass das Finanzsystem crashen wird, dann hilft Geld so wenig wie irgendwo hoch oben auf dem Himalaya.

Habe ich davor Angst? Ach, solange die etablierten Wissenschaftler, wie etwa der sogenannte „Weisen-Rat“ der Bundesregierung nicht Alarm schlagen, so lange ist unser Geld bestimmt sicher. Oder? Besser als auf dem Konto wäre es angelegt in lang haltenden Wirtschaftsgütern wie etwa Häusern, Autos oder E-Bikes. Allerdings müsste man dazu erstmal Geld haben, das man anlegen kann.

Roland und ich haben uns immerhin ein anderes Auto gekauft, einen Skoda. Ein Elektro-Auto kommt für uns nicht in Frage, weil wir keine Steckdose draußen vor dem Block haben. Außerdem muss man sich schon fragen, wo eigentlich all der Strom herkommen soll, wenn alle Autos mit Strom vollgetankt werden. Wenn dann noch alle, die sich kein Gas und auch kein Heizöl mehr leisten können, dann auch noch elektrisch heizen, dann könnte es einen gigantischen Kurzschluss geben.

Ach, was denk ich nur schon wieder.

Der Block soll dieses Jahr endlich renoviert werden. Neues Dach, neue Heizanlage, Wärmedämmung. Kosten: 30.000 Euro pro Wohnung, finanziert mit Kredit über 10 Jahre, und 5.000 Euro Zuschuss vom Staat. Eigentlich wollte ich im Alter ja mietfrei wohnen, das war der Plan. Wegen der geringen Rente. Dass hohe Renovierungskosten den Plan vernichten, damit hab ich nicht gerechnet. Insofern war es vielleicht doch nicht so klug, eine kleine alte Eigentumswohnung zu kaufen, damals, als das noch nicht so teuer war. Damals, als ich noch eine Anstellung hatte.

Am wichtigsten ist in unserem Block, dass man möglichst ruhig ist, weil die Decken und Wände zwischen den Wohnungen so dünn sind. Musik hören mit Handy und Ohrenstöpseln ist hier ideal. Die Nachbarn neben dem Block sind die Montessori-Schule und ein Kindergarten. Ich höre „das Geschrei“ von Kindern gern. Manche der Nachbarn schimpfen allerdings darüber. Ich habe gelesen, dass nach irgendeiner Studie die Kinder so unglücklich sind wie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr.

Wie fühlt sich all das an? All diese gruseligen Nachrichten. Dazu noch Krieg jetzt! Der fehlt grad noch.

Wie fühlt es sich an, traurig und ängstlich zu sein? Mitten im Kriegs-Ausbruch.

Etwas in mir ist angstfrei und mutig und schreibt immer wieder freche Briefe an Hohe Herren. Wohl wissend, dass in einer „echten“ Diktatur Journalisten die Ersten sind, die auf die Fresse kriegen.

So wie diese Journalistin in Berlin Die wurde von einem Polizisten zusammengeschlagen, weil sie filmte und erkennbar als Journalistin aufgetreten war. Sie hatte willkürliche Verhaftungen dokumentiert. Ein Polizist hat sie zu Boden geschlagen und ihr zwei Zähne ausgeschlagen. Das Gericht fand das später dann ganz in Ordnung so.

Wenn ich mich weiterhin nicht impfen lassen möchte, dann könnte ich sogar inhaftiert werden. Jedenfalls drohen mir empfindliche Strafen. Zunächst, ohne dass mir vorher Polizisten die Zähne ausschlagen. Ob ich das wirklich befürchten muss?

Nein, natürlich nicht. Oder doch?

Herr Lauterbach tut ja alles, um mich vor mir selbst zu beschützen. Die Impfpflicht ist kein Zwang, weil sie dann ja freiwillig ist — nachdem sie ganz zwanglos und in großer Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt wird. In Österreich, dem historisch bedingten Vorreiter-Land solcher „Pflichterfüllung“, sollen derzeit Strafen gelten zwischen 600 und 3000 Euro, wenn man sich nicht „freiwillig“ impfen lässt. 600 Euro, das wären für meinen Freund Eulenfeder immerhin 4 Monate komplett fasten. 600 Euro entspricht der Streichung von 4 Monaten Essen und Getränke unter Hartz-IV-Bedingungen. Eulenfeder wird sich nicht impfen lassen und auch nicht bezahlen. Das ist sicher. Zu pfänden ist bei ihm auch nichts. Wird er ins Gefängnis geworfen werden? Ich bin mit mehreren wunderbaren Menschen befreundet, die auf diesem Grundsicherungs-Niveau herumdümpeln und einfach ihrem eigenen Immunsystem vertrauen.

Habe ich Angst um meine Freunde, um meine Kinder und Enkelkinder?

Nein, nein — du musst keine Angst haben. Es ist alles gut. Es wird wieder alles gut. Komm zurück ins Jetzt, Monika.

Jetzt sitze ich hier in meinem dicken winterlichen Morgenmantel. Es ist 7:10 Uhr. Das kleine Zimmer ist das einzige, wo die Heizung ganz gut funktioniert. Sodass ich ohne die sonst üblichen vier Schichten nicht friere.

Es geht mir gut. Es ist alles in Ordnung. Ich lebe! Ich bin im Besitz des kostbaren Menschenlebens!

Ich verstoße allerdings überhaupt nicht gerne gegen Gesetze. Das irritiert mich und stresst mich und macht Angst vor harten Strafen.

Aber ich lass mich trotzdem nicht impfen. Und das Ganze nur, weil ich meinem eigenen Immunsystem vertraue. Weil ich meinen Körper nicht der großen Krake Pharma überlasse. Weil ich nur von mir selbst gewählte Prozeduren an meinem Körper vornehmen lasse. Weil das mein Recht ist. Jedenfalls meinte ich mal, dass das mein Recht ist.

Früher einmal war das so.

Und nein. Natürlich macht mir das keine Angst. Das wäre übertrieben. Der Staat meint es doch nur gut mit mir. Er will uns Ungeimpfte doch nur vor uns selbst schützen. Und die Mehrheit der Geimpften will auch, dass alle geimpft werden. Auch die kleinen Kinder schon. Damit endlich Ruhe ist. Und es soll keine Außenseiter geben. Alle MÜSSEN mitmachen. Und wenn trotz alledem nicht alle mitmachen, dann muss man sie eben mit allen Mitteln — also mit immer empfindlicheren Methoden der Staatsgewalt — so lange schikanieren und bedrohen und vor die Alternative großer Armut stellen, bis sie sich freiwillig impfen lassen.

Mach doch auch endlich mit, Monika!

Sei doch vernünftig!

Danach geht es dir vielleicht besser. Wir werden dann in einem freien Land der Geimpften leben. Die Wissenschaft wird wissen, dass wir uns alle drei Monate impfen lassen müssen, die große Krake kriegt ihr Futter in Form von Milliarden-Gewinnen und höchstes Lob, dass sie zu 20 Prozent des gesamten deutschen Wirtschafts-Wachstums beigetragen hat. Jubel! Begeisterung!

Und diejenigen, von denen ich nicht beschützt werden will, haben vor Kurzem einen Wolf im Chiemgau zum Abschuss frei gegeben. Wölfe stehen zwar unter strengstem Artenschutz — aber einen Wolf schießen, den Spaß wollten die Machthaber den Jägern doch nicht verderben. So was passiert auch zum Schutz der Bevölkerung. Zum Glück hat ein Hohes Gericht diesen Verfassungsbruch wieder gekippt. Aber der Wolf ist trotzdem tot aufgefunden worden. Angeblich wurde er überfahren.

Vielleicht, wenn auch der letzte Wolf geschossen ist, vielleicht werden sie dann Jagd auf ungeimpfte Obdachlose machen!?

Aber nein! Monika, wie kannst du so etwas auch nur denken! Jäger, die Jagd auf Wölfe machen, würden niemals nur zum Spaß auf Menschen schießen. Es braucht immer einen Grund zum Töten. Doch so ein Grund ist schnell erdacht: Der Wolf, genauso wie der Ungeimpfte, ist potenziell eine tödliche Gefahr für brave Bürger. Grundgesetz hin oder her.

Nein. Monika! Was redest du da für Zeug?

Das sind nur verrückte Gedanken einer Verrückten. Dieses innewohnende freundliche „Ich“, das durch meine Augen in die Welt hineinschaut — das lächelt, weil doch alles gut ist. Weil eine neue Zeit anbricht. Ein neues Jahr. Die Erde dreht sich in Begleitung von Pluto, dem Mächtigen, beschützt von Uranus mit den wehenden Fahnen der Freiheit, im Tanz mit Venus, die Rückwärts-Kapriolen schlägt — es ist ein gutes Jahr. Die Sterne stehen gut.

Ich werde für den Wolf aus dem Chiemgau beten. Ob es ihm helfen wird? Ach, würde doch der Heilige Franz noch leben. Er würde eine Predigt halten: „Hallo“, würde er sagen, „der Wolf hat Hunger. Deshalb kommt er nahe an das Dorf heran! Weil ihr Menschen so viel Essen habt. Gebt ihm halt etwas ab. Der Wolf ist eines der schönsten und heiligsten Tiere unter der Sonne. Er steht unter dem besonderen Schutz des Allmächtigen und unter dem besonderen Schutz des höchsten menschlichen Gesetzes. Lasst den Wolf in Frieden. Und wenn er im tiefen und besonders kalten Winter draußen in den Wäldern nichts mehr zu fressen findet, dann legt ihm halt etwas hin. Er wird es nehmen und euch in Ruhe lassen. Wölfe kommen den Menschen nur ungern nahe…“ So würde der Heilige Franz reden. Aber heute würde niemand auf ihn hören. Damals — so sagt die Legende — haben die Menschen den Rat des Heiligen befolgt. Und niemand kam zu Schaden. Im Gegenteil. Das kleine Dorf Gubbio wurde später weltberühmt. Und die Geschichte wird noch heute erzählt, 900 Jahre danach.

Aber die Lust der Jäger am Töten ist wohl größer. Und die Lust der Machthaber, Gesetze zu brechen, vor allem das Grundgesetz, die ist noch größer.

Und nein. Von solchen Machthabern möchte ich nicht vor mir selber beschützt werden.