Nichts als Eitelkeit
Mithilfe medialer Eigendynamiken haben sich die Mächtigen der Welt in einen absurden Personenkult hineingesteigert.
Medien scheinen sich wie magisch angezogen zu fühlen von Menschen mit Macht, Bekanntheit und Erfolg. Zwischen ihnen besteht ein besonderes Band, denn sie brauchen einander, um in der Aufmerksamkeitsökonomie langfristig zu bestehen. Besonders Politiker sind dabei von besonderem Interesse. Wer ist schuld im Streit zwischen Donald Trump und Elon Musk, hat Friedrich Merz im Zug nach Kiew gekokst, und wird Macron von seiner Frau geschlagen? Mit all diesen Fragen könnte man sich, wenn man die mediale Berichterstattung der vergangenen Tage und Wochen betrachtet, ausführlich beschäftigen. Doch ist das die Realität oder ein Hyperfokus auf Personen, die von uns und sich selbst zu wichtig genommen werden? Auch für den Autor waren Medien einst der ultimative Bezugspunkt, doch das hat sich geändert. Er beschreibt seinen schmerzhaften Lernprozess, der mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten begann.
„Politik ist die Kunst, die Leute daran zu hindern,
sich um das zu kümmern, was sie angeht“ (Paul Valéry).
Die meiste Zeit meines Lebens bestimmten die Medien meinen Blick auf die Welt. In der Hauptsache waren es Zeitungen und Zeitschriften, die ich gläubig verschlang. Als ich nach meinem Jura-Studium in Basel einen Buchverlag leitete, initiierte ich eine Journalismus-Buchreihe mit Journalisten und Journalistinnen unter anderem von Geo, der Zeit, des Spiegel und der Süddeutschen. Es folgte ein Journalistik-Studium in Wales. Ich war richtiggehend angefressen von den Medien; sie waren nicht nur mein Fenster zur Welt, sie waren mein Referenzpunkt.
Das hat sich geändert, und zwar total. Es hat wesentlich mit dem derzeitigen Bewohner des Weißen Hauses zu tun, der — für jeden und jede erkennbar — definitiv nicht weiß, was er tut. Da ist nichts als Eitelkeit. Und die Medienleute, zu deren Berufsvoraussetzungen ebenfalls die Eitelkeit gehört, bedienen unaufhörlich das Ego des Florida-Golfers, indem sie ihm täglich eine Plattform bieten. Das ist nicht nur unverzeihlich, es stellt die Medien auf die gleiche Stufe wie diesen Präsidenten. Für beide zählen nur die Klicks beziehungsweise die Einschaltquoten. Doch von Anfang an, ich muss da etwas ausholen.
Der Beste soll gewinnen, die Beste obenauf schwingen, nur das Beste soll genügen. Wir leben in einer Welt der Superlative, die den Vergleich voraussetzt und so recht eigentlich nur ungesund ist. Doch könnte man auch leben, ohne ständig zu vergleichen? Vermutlich nicht, jedenfalls kann ich es mir nicht vorstellen. Man kann allerdings auch anders fragen: Ist es wirklich eine gute Idee, sich mit anderen Menschen zu vergleichen? Ich würde sagen: Wenn das Ziel dabei ist, frustriert durchs Leben zu gehen, dann schon.
Das Problem, oder genauer: mein Problem, liegt im Personalisieren: Es spielt nicht wirklich eine Rolle, welche Medien ich konsultiere; sie alle berichten vor allem über einzelne Menschen, denen sie eine spezielle, ja herausragende Bedeutung zuschreiben.
Wer schon einmal Menschen kennengelernt hat, die man zuvor nur aus den Medien kannte, machte die Erfahrung, dass diese weit durchschnittlicher sind, als man angenommen — und sich manchmal gewünscht — hatte.
Der Mensch orientiert sich bekanntlich an Vorbildern, Role Models trifft es besser. Für wen man sich dabei entscheidet — ob für diesen Deppen oder jene Deppin —, halte ich für irrelevant, denn wir wären bestimmt besser beraten, uns am Alltagsverhalten dieser Leute zu orientieren, und nicht an dem, was sie angeblich von allen anderen unterscheidet. Wer wissen wolle, wie ein Zen-Meister wirklich ticke, habe ich einmal gelesen, solle dessen Frau fragen.
Buddhisten glauben, das Ich sei eine Illusion. Wer sich die Tatsache vor Augen führt, dass alles in ständiger Veränderung begriffen ist, weiß das auch. Unser Lebenstrieb will hingegen, dass es ein Ich gibt. Da unser Lebenswille stärker ist als alle anderen Triebe, klammern wir uns daran — und leiden. Sich an der Vorstellung eines stabilen Ichs festzuhalten, das es gar nicht geben kann, wird zwangsläufig ins Leiden münden.
Der Personenkult, den wir pflegen, ist nicht nur schädlich, er ist absurd. Und er entmündigt uns, weil er uns sagt, wir seien nicht in Ordnung, so wie wir sind, wir müssten anders und besser sein, am besten so wie die, denen andere Talente mit auf den Lebensweg gegeben wurden.
Der Personenkult manifestiert sich in Aufmerksamkeit: Wer heutzutage die meisten Like-Klicks erhält, gilt als und hält sich für besonders toll, dabei ist er/sie/es einfach nur mehrheitsfähig. Wie hirnrissig diese Zelebrierung des Erfolgs ist zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es vollkommen egal ist, ob man als Boxer, Fußballer, Politiker, Model, Popmusiker oder Uniprofessorin erfolgreich ist — es zählt nur, dass man erfolgreich ist.
Wir sind gut beraten, uns daran zu erinnern, was der ehemalige amerikanische Politiker Adlai Stevenson einmal sinngemäß gesagt hat: Um erfolgreich einen Wettkampf um das Präsidentenamt zu führen, muss man über Eigenschaften verfügen, die einen als Präsidenten total ungeeignet machen.
Ich weiß es vermutlich schon länger, doch jetzt im Alter scheint es mir offensichtlicher beziehungsweise nehme ich es deutlicher wahr: Was mir das Fernsehen zeigt, ist zumeist Selbstbeweihräucherung. Und diese ist bekanntlich typisch für unsere Zeit, in der positiv gesehen wird, dass es jemand versteht, für sich selber zu trommeln. Der Inhalt ist dabei vollkommen egal, nur die Aufmerksamkeit zählt.
Das ist kein neues Phänomen. In einer Churchill-Biografie lese ich, dass Winstons Vater sich ebenso an der Aufmerksamkeit beziehungsweise der Mehrheit orientierte: „Seine Meinung bildete er sich nach Taxierung der Frage, was ihm am meisten Publizität verschaffen würde.“
Ob das Mehrheitsprinzip, sei es in Form von „Likes“ oder im sogenannten demokratischen Prozess, wirklich so eine gute Idee ist? Sieht man sich die Resultate an, bin ich mir nicht so sicher. Nun ja, mundus vult decipi, wussten schon die alten Römer: Die Welt will betrogen sein.
Worauf ich meine Aufmerksamkeit richten will, kann ich beeinflussen. Und so habe ich mich vom Fernsehen weitestgehend verabschiedet, da sein Hauptzweck darin zu bestehen scheint, den Aufmerksamkeitsbedürftigen eine Plattform zu geben und mich von dem abzulenken, was gerade ist.
Sicher, es gibt Ausnahmen. Als ich letzthin bei „Hardtalk“, einer Sendung der BBC, hängengeblieben bin, wurde da ein mir nicht bekannter Schauspieler interviewt, der auf die Frage nach seinen Werten antwortete, für ihn seien nicht die Meinungen der Leute entscheidend, sondern wer sie äußere. So komme es vor, dass er mit Gesinnungsgenossen überhaupt nicht klarkomme, doch Menschen, die für Werte einstünden, die er überhaupt nicht teile, manchmal sympathisch finde.
Was schließe ich daraus? Dass wir unseren Überzeugungen nicht zu viel Bedeutung beimessen und uns stattdessen aufs Beobachten und Betrachten verlegen sollten. Konkret: Unsere Aufmerksamkeit auf das Beobachten und Betrachten unserer Gedanken und Gefühle zu richten, bewirkt — jedenfalls bei mir; nein, nicht immer —, dass ich das alles — das Leben, unsere Existenz und unsere Sinngebungsversuche — eigenartig, komisch, faszinierend, angstauslösend und vor allem unerklärlich finde.
Kein Wunder, dass wir die Selbstbeweihräucherung vorziehen. Allerdings nicht immer …
Der größte Selbstbeweihräucherer, den die Welt je gesehen hat, sitzt derzeit im Weißen Haus. Er ist auch der größte Aufklärer, den die Welt je gesehen hat, ohne allerdings davon die geringste Ahnung zu haben. Noch nie war offenkundiger, dass Intelligenz, Fachwissen, Rücksichtnahme und moralische Integrität für den Erfolg in „unserem“ Wettbewerbssystem völlig unwesentlich beziehungsweise hinderlich sind.
Entscheidend ist alleine, dass die Wähler und Wählerinnen sich mit dem Kandidaten beziehungsweise der Kandidatin identifizieren können. Schließlich wählt man stets sich selber.
Sicher, verarscht wurden wir immer schon. Dass man von der Werbung keine Wahrheit erwarten kann, das wussten wir. Dass Wahlversprechen nicht zu trauen war, genauso. Und dass wir von Idioten regiert werden, war uns auch schon lange klar. Viele hielten sich für irgendwie realistisch und einigermaßen abgeklärt. Doch als dann in den Vereinigten Staaten ein Mann ans politische Ruder kam, der von Tuten und Blasen nicht einmal den Ansatz eines Schimmers hat, dämmerte es zumindest einigen, dass sie in einer Blase gelebt hatten.
Alles, wirklich alles, sah man plötzlich neu. Zugegeben, ich spreche von mir. Dass so viel Ignoranz so viel Macht haben konnte, überstieg meinen Horizont. Dass kirchliche Organisationen einen Mann, der scheinbar jeglicher Moral abgeschworen hat, unterstützen konnten, machte mich fassungslos. Dass gescheite Leute einen, für mein Empfinden, gänzlich Irrationalen rational zu erklären versuchten, erschütterte mein Weltbild. Es dauerte, bis ich erkannte, dass es einen Mann ohne jegliches Schamgefühl, der offenbar keinen Wert auf Empathie legt, brauchte, um uns vor Augen zu führen, dass die Welt, die wir zu kennen meinten, eine Illusion gewesen ist.
Die Realität, genauer: die von Menschen gemachte Realität, wurde erfunden, um uns die Sicherheit und Stabilität zu verschaffen, ohne die wir glauben, nicht auskommen zu können. Dass diese Sicherheit eine vermeintliche war, wussten wir, aber wir verstanden es nicht. Doch jetzt erleben wir es. Und da wir gänzlich unvorbereitet waren auf diese Unsicherheit, die dem Leben eigentümlich ist, klammern wir uns an den Kaiser ohne Kleider und lassen ihn in dem Glauben, er trage sehr, sehr schöne, ja die besten Kleider überhaupt. Nein, das tun nicht alle. Doch alle die tun es, die auch selbst keine Kleider tragen.
Die Aufgabe der Medien wäre es, den Regierten zu dienen, nicht den Regierenden. Weiter davon entfernt waren wir noch nie.
Was Paul Dubois in Ein französisches Leben eine junge Frau über die Politik sagen lässt, trifft so recht eigentlich genauso auf die sich ausschließlich für sich selber interessierenden Medien zu.
„Die Politik war in ihren Augen eine Tätigkeit für Rentner oder Snobs, ein Hobby, irgendwo zwischen dem Sammeln von Briefmarken und Golf angesiedelt. Man muss viel Zeit haben, sagte sie, um sich für Männer zu interessieren, die sich einen Dreck um andere scheren. Und Marie hatte viel zu wenig Zeit, um sie mit Diskussionen über Dinge zu vergeuden, die sowieso nichts brachten.“