Regenerative Kulturen gestalten

In einem System, das auf Verschleiß fährt, genügt es nicht, Schaden zu minimieren. Teil 3 von 3.

Krankheiten vermeiden? Besser Gesundheit kreieren. Umweltschäden reparieren? Besser ökologische Systeme schaffen, die sich selbst am Leben halten und regulieren können. Gesellschaftliche Brüche kitten? Besser aktiv Gemeinschaften organisieren, die die psychosoziale Gesundheit und das Wohlergehen einer möglichst großen Anzahl von Menschen dauerhaft gewährleisten. Unser politischer Diskurs ist zu sehr darauf fixiert, allgegenwärtige Verschlimmerungen aufzuhalten, abzumildern und im besten Fall rückgängig zu machen. So bleiben wir auf das Negative und dessen „Bekämpfung“ fixiert. Ins Positive gewendet, sollten ökologische und soziale Systeme mit einem hohen Grad an Resilienz geschaffen werden — weniger abhängig von andauernder menschlicher Korrektur, selbstreparierend, nachhaltig. Wie das funktionieren könnte, zeigt der Autor in seiner dreiteiligen Serie auf. In diesem dritten Teil geht es darum, dass wir lernen, innerhalb der planetaren Grenzen zu leben.

Im Jahr 2009 hat eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung des Stockholm Resilience Centre (Rockström et alii, 2009) in einer bahnbrechenden Studie mindestens acht kritische planetare Grenzen identifiziert, die wir genau beachten müssen, wenn wir eine nachhaltigere menschliche Präsenz auf der Erde anstreben wollen.

Mindestens drei dieser Grenzen sind bereits überschritten worden. Wir haben bereits einen gefährlichen Klimawandel verursacht und stehen kurz davor, unkontrollierbare Rückkopplungszyklen im Klimasystem der Erde auszulösen, die katastrophale Auswirkungen für die gesamte Menschheit und den Großteil des Lebens auf der Erde haben könnten.

Wir haben nur ein relativ kleines Zeitfenster, um dies zu verhindern, und dieses Fenster schließt sich. Der Verlust der biologischen Vielfalt hat alarmierende Ausmaße erreicht, die mit den sechs anderen großen Aussterbeereignissen in der Geschichte des Lebens auf der Erde vergleichbar sind. Unsere nicht nachhaltigen landwirtschaftlichen Produktionsmethoden haben die biogeochemischen Stoffkreisläufe wie den Stickstoff- und den Phosphorkreislauf gestört.

Es wurde noch nicht genug geforscht, um zu verstehen, inwieweit wir auch die planetaren Grenzen der chemischen Verschmutzung und der atmosphärischen Aerosolbelastung überschritten haben.

Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass hormonähnliche Chemikalien in Kunststoffen und Kosmetika die sexuelle Differenzierung und Fruchtbarkeit vieler Arten, einschließlich des Menschen, beeinträchtigen.

Die Ozeanversauerung, der Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre, die Veränderungen der Landsysteme und die globale Süßwassernutzung müssen genau beobachtet werden, da sie sich alle rasch dem Punkt nähern, an dem die sicheren planetaren Grenzen überschritten werden. Eine aktuelle Studie hat unser Verständnis der planetaren Grenzen präzisiert. Darin wird argumentiert, dass „das Rahmenwerk PB (Planetary Boundaries) einen wertvollen Beitrag für Entscheidungsträger bei der Festlegung wünschenswerter Kurse für die gesellschaftliche Entwicklung leisten kann, indem es den sicheren Betriebsraum für die Menschheit auf der Erde identifiziert“ (Steffen et alii, 2015).

Viele dieser Grenzen sind miteinander verknüpft. Die meisten von ihnen verursachen einen Verlust an biologischer Vielfalt, Widerstandsfähigkeit und Gesundheit der Ökosysteme auf mehreren Ebenen, von lokal bis global. Mit jeder Art, die verloren geht, schwächen wir das komplexe Netz von Abhängigkeiten und Verbindungen, die die Gesundheit der Ökosysteme der Welt unterstützen.

Jede Art, die ausstirbt, könnte eine Fundgrube für biomimetische Inspirationen für uns gewesen sein. Sie könnte ein Heilmittel für Krebs enthalten und eine wichtige Rolle in den Ökosystemen gespielt haben, die sie bewohnte.

Jede Art spielt eine systemische Rolle, deren Fehlen die Biosphäre als Ganzes verändert, was sich nicht nur auf die Zukunft der Menschheit, sondern auf die Zukunft des gesamten Lebens auswirkt.

Der Verlust der biologischen Vielfalt als planetare Grenze betrifft sowohl die genetische Vielfalt als Speicher für die Innovationen des Lebens als auch die funktionelle Vielfalt als die Vielfalt der interagierenden Arten, die einem bestimmten Ökosystem oder der Biosphäre die Fähigkeit zur gesunden Selbstregulierung verleihen. Beide sind Schlüsselfaktoren für die Widerstandsfähigkeit natürlicher Systeme.

Wir müssen über die Bewertung des reinen Nutzwertes jeder Art für das menschliche Überleben hinausgehen und erkennen, dass jede Art ein einzigartiger Ausdruck des Lebens mit einem intrinsischen Wert ist. In dem Maße, wie wir die biologische Vielfalt verlieren, machen wir das komplexe Muster der Gesundheit zunichte, das auf Vielfalt, symbiotischen Beziehungen, mehrfachen Redundanzen und komplexen Verbindungen, Rückkopplungsschleifen und verschachtelten kollaborativen Netzwerken beruht. Die Widerstandsfähigkeit eines Ökosystems oder einer Gemeinschaft hängt entscheidend von diesem skalenübergreifenden Muster der Gesundheit ab, das die Gesundheit des Einzelnen mit der Gesundheit der Gemeinschaft, des Ökosystems und des Planeten verbindet. Eine regenerative Kultur ist eine Kultur, die gelernt hat, innerhalb planetarer Grenzen zu gedeihen. Einige Fragen, die unser Lernen leiten können:

  • Wie können wir die menschlichen Bedürfnisse innerhalb der durch die planetaren Grenzen gesetzten Bedingungen erfüllen?
  • Was sind die effektivsten Wege, um die Auswirkungen zu begrenzen, zu lindern und umzukehren, die wir bereits durch die Überschreitung der planetaren Grenzen ausgelöst haben, wie zum Beispiel den Klimawandel, den Verlust der biologischen Vielfalt, die Grenzen des Stickstoff- und Phosphorkreislaufs und den Wandel der Landsysteme?

Einen Versuch, die Frage zu beantworten, wie wir wieder innerhalb der planetaren Grenzen leben können, haben Donella Meadows, Dennis Meadows und Jorgen Randers in ihrem Buch „Beyond the Limits“ (1992) unternommen. Sie schlugen eine Reihe von Maßnahmen vor, die die Menschheit ergreifen muss. Amory und Hunter Lovins überprüften diese Maßnahmen und fügten einige ihrer eigenen Vorschläge in „How Not to Parachute More Cats“ (1996) hinzu. Werfen wir einen kurzen Blick auf die von ihnen aufgeworfenen Fragen und einige hoffnungsvolle Antworten.

  • Wie können wir zu einem Leben, das innerhalb der planetaren Grenzen liegt, zurückkehren?

Zu den Antworten gehören politische Maßnahmen, die eine Preisgestaltung für Ressourcen durchsetzen, die die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Gewinnung, Nutzung und Wiederverwertung berücksichtigt, sowie die Abschaffung versteckter Subventionen für die fossile Brennstoff-, Chemie- und Atomindustrie und andere große Umweltverschmutzer. Die Einführung regenerativer landwirtschaftlicher Praktiken ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung.

  • Wie können wir unsere Ressourcenbasis am besten schützen, wiederherstellen und verbessern?

Wir müssen lernen, die verbleibenden fossilen Brennstoffe, das Grundwasser und die Mineralvorkommen mit größtmöglicher Effizienz zu nutzen, solange wir sie nicht durch recycelte und erneuerbare Alternativen ersetzen können. Wir müssen uns mit der Frage befassen, wie die natürlichen Ressourcen bewirtschaftet und wie sie regeneriert werden können, einschließlich eines gerechteren Eigentums an ihnen. Wir müssen den Schutz der biologischen Vielfalt, der Fischerei und der Wassereinzugsgebiete zusammen mit einer Umstellung auf organische, regenerative Landwirtschaft, langfristige Aufforstungsprogramme und Vereinbarungen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen zu einer internationalen und nationalen Priorität machen.

  • Wie können wir eine unmittelbarere Rückmeldung gewährleisten, indem wir die richtigen Signale verfolgen und unsere Fähigkeit verbessern, angemessen auf Veränderungen zu reagieren?

Es besteht ein eindeutiger Bedarf an angemesseneren Fortschrittsindikatoren, zum Beispiel Genuine Progress Indicator (GPI, echter Fortschrittsindikator) anstelle des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Wir werden in Kapitel 7 auf dieses Thema zurückkommen. Der Rahmen der planetaren Grenzen kann uns helfen, besser zu überwachen, wie sich menschliche Aktivitäten auf das Wohlbefinden, lokale Ökosysteme und die Biosphäre auswirken. Unsere Fähigkeit, angemessen auf systemische Veränderungen zu reagieren, hängt von einer verbesserten Ausbildung ab, die unsere Fähigkeit zu systemischem und kritischem Denken sowie unsere ökologische Kompetenz erhöht.

  • Wie können wir das Wachstum der menschlichen Bevölkerung verlangsamen und schließlich stoppen?

Diese schwierige Frage erfordert nicht nur Veränderungen auf institutioneller und politischer Ebene, sondern vor allem auch einen Bewusstseinswandel, der durch Bildung und soziale Innovation vorangetrieben wird. Wir müssen ein nachhaltiges Bevölkerungs- und Produktionsniveau definieren, das auf einem Verständnis des Zwecks der menschlichen Existenz beruht, das von physischer Expansion und Konsum abgekoppelt ist. Wir müssen die Idee des „Genug“ dem „Mehr“ vorziehen (Lovins & Lovins, 1996).

Es gibt einen gut dokumentierten Zusammenhang zwischen Familiengröße, Armut und dem Zugang von Frauen zu Bildung (Connor, 2008; Borgen Project, 2015). Durch die Schaffung eines gerechteren Systems der Ressourcenteilung und die Verbesserung des weltweiten Zugangs zu hochwertiger Bildung können wir Bedingungen schaffen, die mittelfristig zu einer Verringerung der Familiengrößen und langfristig zu einem allmählichen Bevölkerungsrückgang führen.

Je nach Sprachgebrauch neigen Berichte über die biophysikalischen Grenzen unseres Planeten und den Bevölkerungsdruck dazu, die kulturelle Konditionierung des Denkens in Richtung Knappheit und Wettbewerb zu verstärken. Dies muss nicht unsere Antwort sein. Viele der in diesem Buch untersuchten Innovationen, Technologien und kulturell transformativen Fragen bieten kollaborative Wege für den Übergang von wachstumsbesessenen Konsumkulturen zu regenerativen Kulturen. Die Rolle der formellen und informellen Bildung und des lebenslangen Lernens für alle Bereiche der Gesellschaft und die gesamte Menschheit sind entscheidend.

Wir müssen ein neues kulturelles Narrativ vermitteln und zum Ausdruck bringen, welches die Menschheit dazu inspiriert, eine neue Realität zu schaffen, in der wir die Zusammenarbeit bei der Förderung der Gesundheit ganzer Systeme und des gemeinsamen Wohlstands als Ausdruck unseres Zusammenseins mit dem Leben betrachten.

Es ist die vielversprechendste individuelle und kollektive Überlebensstrategie auf einem überfüllten Planeten.

In „The Open-Source Everything Manifesto“ argumentiert Robert David Steele, dass wir der gesamten Menschheit freien Zugang zu Informationen, Bildung und „Befreiungstechnologien“ gewähren müssen, um das Potenzial des kollaborativen Überflusses, des menschlichen Einfallsreichtums und der Kreativität freizusetzen.

„Befreiungstechnologien schaffen Wohlstand, und Open-Source-Technologie schafft Wohlstand. In beiden Fällen ist das ‚Gravitationszentrum‘ für einen dramatischen Wandel in Richtung Resilienz und Nachhaltigkeit die menschliche Gehirnmasse von fünf Milliarden armen Menschen — die eine Milliarde Reichen haben es nicht geschafft, sich angemessen zu skalieren. Das menschliche Gehirn ist die einzige unbegrenzte Ressource, die wir auf der Erde haben. Das Potenzial für Innovation und Unternehmertum von fünf Milliarden Armen ist die am stärksten unterentwickelte und ungenutzte Ressource“ (Robert David Steele (2012: 7)).

Steele argumentiert, dass der Weg zu Open-Source-Alles ermöglicht, die Bürgerbeteiligung und die öffentliche Intelligenz als Grundlage für eine wirklich partizipative offene Demokratie zu fördern, die von unserer kollektiven Intelligenz informiert und geleitet wird (Seite 141; siehe auch Kapitel 7).

Gemeinsam können wir lernen, innerhalb der planetaren Grenzen zu gedeihen. Anstatt „planetare Grenzen“ als Einschränkung unserer Freiheit zu sehen und wie Teenager gegen diese Zumutung zu rebellieren, können wir uns dafür entscheiden, als Spezies zu reifen und diese Grenzen als „ermöglichende Einschränkungen“ zu betrachten, die uns den Kontext — einen sicheren Handlungsspielraum — bieten, innerhalb dessen wir unsere Kreativität einsetzen können, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen und Überfluss für alle zu schaffen, ohne der größeren Lebensgemeinschaft zu schaden.



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