Sand in das Wehrdienstgetriebe
Der Staat will junge Menschen quasi in Dauerbereitschaft für einen möglichen Kriegseinsatz versetzen — wer sich dem entziehen will, sollte wissen, wie das geht.
Ihr Leben gehört nicht mehr Ihnen. Nach dem neuen „Wehrdienstmodernisierungsgesetz“ sollen junge Menschen auf Befehl Formulare ausfüllen, ihre Wehrtauglichkeit untersuchen lassen oder umständliche Erklärungen abgeben, warum sie dies gegebenenfalls nicht wollen. Über deren Plausibilität entscheidet dann ebenfalls Vater Staat. Es ist ein massiver Angriff auf die Freiheitsrechte der Bürger. Sich das gefallen zu lassen, kann nicht nur verlorene Lebenszeit und allerlei Demütigungen mit sich bringen — mitunter verliert der „Freiwillige“ am Ende dieses Weges sogar sein Leben. Politik und Medien verbinden die kruden Pläne der Regierenden stets mit der Suggestion, es bliebe einem ohnehin nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Dem ist aber nicht so. Die Deutsche Friedensgesellschaft gibt in diesem Beitrag Tipps, wie man sich dem Kriegsdienst entziehen kann — durch Nichtkooperation, Ausgemustertwerden oder Verweigerung. Und wie man den Preis für diesen Ungehorsam möglichst niedrig hält.
von Susanne Bödecker
Auf der Pressekonferenz am 13. November 2025 nach der Einigung von Union und SPD zum Inhalt des Wehrdienstmodernisierungsgesetzes sagte Pistorius: „Freiwilligkeit kombiniert mit Attraktivität funktioniert!“ 2.600 Euro bei Einstieg in die Bundeswehr, nach einem Jahr ein Zuschuss zum PKW- oder LKW-Führerschein, angeblich flexible Arbeitszeiten, gute Karrierechancen, sicherer Arbeitsplatz …
Zwang statt Freiwilligkeit!
Bei der viel gepriesenen Freiwilligkeit fängt die erste Unwahrheit schon an: Der neue Wehrdienst zwingt Männer, die nach dem 1. Januar 2008 geboren sind, eine Bereitschaftserklärung zu einem Dienst in der Bundeswehr (BW) auszufüllen. Er zwingt diese jungen Männer zu einer Musterung; er zwingt alle Wehrpflichtigen, der Wehrüberwachung nachzukommen und sich abzumelden, wenn sie drei und mehr Monate das Land verlassen wollen; er zwingt alle Wehrpflichtigen dazu, mit dem Zugriff der Bundeswehr auf ihre Daten bei den Einwohnermeldeämtern einverstanden zu sein, weil das Recht auf Widerspruch mit Inkrafttreten des Wehrdienstmodernisierungsgesetzes entfällt.
Er zwingt die Wehrpflichtigen — das sind Männer von 18 bis 60 Jahren mit deutscher Staatsangehörigkeit —, der Einberufung zur Bundeswehr nachzukommen, wenn die verteidigungspolitische Lage dies kurzfristig erfordert, wenn die attraktivitätssteigernden Maßnahmen nicht rechtzeitig wirksam waren und der Bundestag dem zugestimmt hat. Er zwingt die Wehrpflichtigen, damit zu rechnen, dass eine Bedarfswehrpflicht beschlossen werden könnte, wenn es mit der Freiwilligkeit nicht klappt und dann eventuell per Losverfahren entschieden wird, ob sie im Militärapparat benötigt werden oder nicht.
Nicht neu, aber dennoch ein Zwang: Wer bei der Kriegstüchtigkeit nicht mitmachen möchte, kann den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern, wird aber gezwungen, einen Antrag zu stellen, in einer ausführlichen Begründung, die mindestens zwei Seiten lang sein sollte, seine Gewissensentscheidung nachvollziehbar und glaubhaft darzustellen, eine Bescheinigung auf Tauglichkeit nachzuweisen, ansonsten noch gemustert zu werden, bevor der Antrag überhaupt bearbeitet wird. Und das Ganze, um das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung nach Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes wahrnehmen zu können, das da lautet:
„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“
Wir als Deutsche Friedensgesellschaft — Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e. V. (DFG-VK) wenden uns entschieden gegen jede Art von Kriegsvorbereitung und Mobilisierung. Wir unterstützen KriegsdienstverweigerInnen und DeserteurInnen weltweit und stellen uns gegen jede Art von Zwangsdienst.
Niemand sollte lernen, seine Mitmenschen umzubringen. Wir sind der Ansicht, dass die Politik den Jugendlichen eine friedenspolitische Alternative bieten muss, die ihren Vorstellungen entspricht.
Dazu gehört bestimmt nicht, dass sie gezwungen werden, in den Krieg zu ziehen. Da der Politik aber Kriegstüchtigkeit wichtiger ist als Friedensfähigkeit, kann eine sofortige Kriegsdienstverweigerung (KDV) Wehrpflichtige schützen und ein deutliches Signal an die Bundesregierung senden. Wir klären deshalb alle Wehrpflichtigen über das auf, was mit dem „neuen Wehrdienst“ auf sie zukommt und beraten und unterstützen sie bei der Stellung eines Antrages auf KDV.
Sand ins Getriebe — von Anfang an!
Das wahrscheinlich ab 1. Januar 2026 geltende Gesetz sieht in der ersten Phase vor, dass alle Menschen ab dem Jahrgang 2008 ein Schreiben erhalten, in dem sie aufgefordert werden, eine Bereitschaftserklärung zum freiwilligen Wehrdienst abzugeben. Für Männer ist diese Abgabe verpflichtend.
Die DFG-VK ruft zum zivilen Ungehorsam gegen diese Zwangsmaßnahme auf. Man muss nicht sofort alles erfüllen, was das Militär von einem verlangt. Landet der erste Brief der Wehrerfassungsbehörde im Briefkasten — vielleicht hat er das auch nicht getan? —, kann er entweder verspätet, unvollständig oder gar nicht abgeschickt werden, er kann auch geschreddert werden, als Kranich gefaltet …, es passiert nichts. Erst wenn der Erinnerungsbrief, der per Einschreiben versendet wird, nicht beantwortet wird, ist das eine Ordnungswidrigkeit und wird mit einem Bußgeld geahndet; in welcher Höhe liegt im Ermessen der zuständigen Behörde.
Muss der Fragebogen dann ausgefüllt werden, sollte besonders die Frage: „Interesse an einem Wehrdienst in der Bundeswehr“ mit NEIN beantwortet werden. „Gewicht“ und „Selbsteinschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit“ unterliegen der ganz persönlichen Fantasie. Wichtig: Die Frage nach dem Interesse an der Bundeswehr mit NEIN zu beantworten, entspricht nicht einer Kriegsdienstverweigerung! Bereitschaftserklärung und KDV sind völlig unterschiedliche Dinge!
Auch dem Zwang zur Musterung kann mit zivilem Ungehorsam begegnet werden, indem man zum Beispiel nicht zum Termin erscheint. Hierbei ist mit Repressionen zu rechnen.
Die Wehrpflicht ist im Artikel 12a Grundgesetz (GG) festgelegt und schließt die Musterung mit ein.
Allen, die noch einen Schritt weiter gehen möchten, raten wir jetzt schon zur proaktiven KDV. Sie ist für alle Wehrpflichtigen von 17,5 bis 60 Jahren möglich, auch für Männer und Frauen, die bereits bei der Bundeswehr waren oder noch sind! Männer, die vor dem 1. Januar 2008 geboren sind, trifft die neue Wehrpflicht insofern, als auch sie flächendeckend erfasst werden, zurückgehend bis zum Jahrgang 1993; hier interessiert die BW Vor-, Nachname und gegenwärtige Adresse, damit sie auf diese Daten jederzeit schnell zurückgreifen kann. Eine flächendeckende Musterung dieser Männer wäre nicht zu bewältigen.
Auch außerhalb des Spannungs- und Verteidigungsfalles können sie einberufen werden, wenn die verteidigungspolitische Lage kurzfristigen Aufwuchs erfordert. Ist dann keine Anerkennung auf KDV vorhanden, sind sie zum Dienst an der Waffe verpflichtet. Ein dann noch eilig gestellter Antrag auf KDV hat zumindest im Spannungs- und Verteidigungsfall keine aufschiebende Wirkung mehr.
Wichtiges zum KDV-Antrag
In der Beratungspraxis sieht es so aus, dass bei uns in der Bundesgeschäftsstelle der DFG-VK vorwiegend Mütter und Väter für ihre um das Jahr 2008 geborenen Söhne anrufen und bezüglich einer KDV beraten werden möchten. „Der Sohn begreift den Ernst der Lage nicht, sieht noch nicht, was auf ihn zukommt. Chill mal, Mama, da wird schon nichts passieren.“ Ist der Sohn 17,5 Jahre alt, kann er den Antrag auf KDV stellen.
Dieser besteht aus drei Papieren:
- dem Antragsschreiben, adressiert an das Karrierecenter der BW, bestehend aus einem Satz: „Hiermit verweigere ich den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen gemäß Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes.“
- dem einseitigen, tabellarischen Lebenslauf: ohne Bild, kein Lebenslauf für eine Bewerbung! Persönliche Daten: Vor- und Nachname, Geburtsort- und datum, Anschrift, Staatsangehörigkeit, Familienstand, Kinder (ohne Namen, eventuell Alter), Eltern, Geschwister, Konfession, wenn in der Begründung von Bedeutung. Werdegang: Grundschule und weiterführende Schulen (Zeiten und Ort), Ausbildung, Studium (Zeit und Ort), Tätigkeit, Ehrenamt, Verein, besondere Vorkommnisse, die in der Begründung auftauchen und für den Entschluss zur KDV entscheidend waren. Diese kurz mit Datum erwähnen, zum Beispiel Tod, Krankheit, Reise, Praktikum, Begegnung, Klassenfahrt, Gespräche, Filme.
- der mindestens zweiseitigen schriftlichen Begründung, einem Fließtest, in dem ganz viel das Wort „Ich“ und das Wort „Gewissen“ vorkommen sollen. Begründung oder Beweggründe drüberschreiben, loslegen. Die Begründung muss ganz klar zeigen, wie es zur Gewissensentscheidung, jetzt den KD zu verweigern, gekommen ist — meist kein Schlüsselerlebnis, sondern ein längerer Prozess. Es empfiehlt sich, mit der Kindheit anzufangen: Wie ist man aufgewachsen (harmonisches Elternhaus, schwieriges Elternhaus, viel Streit?), sind die Großeltern im Krieg gewesen? Was haben sie erzählt? Was hat das mit dem Antragsteller gemacht? Ist der Vater oder Bruder bei der Bundeswehr gewesen? Was haben sie erzählt? Hat man in der Schule Mobbing erlebt? Schlägereien auf dem Schulhof, Klassenfahrten, kriegerische Situationen im Unterrichtsfach, …; was hat der Antragsteller empfunden? Ausbildung, Arbeit, Studium, Freundeskreis, alles, was mitentscheidend für die jetzige Verweigerung war. Nicht nur den Vorgang beschreiben, dass es so war, sondern auch jeweils ein kurzes Beispiel einfügen, so wird es authentisch. Gedanken über die gegenwärtige Weltlage: politische Gründe anführen, aber bei allem immer gleich dazuschreiben, was es mit dem Antragsteller macht, was es in ihm auslöst, welche Gedanken, Vorstellungen er hat. Verein, Ehrenamt, was macht er dort? Was erlebt? Vielleicht kennt er Leute, die bei der BW waren, vielleicht sogar im Auslandeinsatz? Was stellt sich der Antragsteller vor, wäre, wenn er an dieser Stelle wäre? Könnte er das mit seinem Gewissen vereinbaren? Ungediente können sich mit dem Militär alles nur vorstellen, sie haben ja keinerlei Erfahrung wie zum Beispiel ReservistInnen oder SoldatInnen. Deshalb schreiben Ungediente: „Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich eine Waffe in die Hand nehmen und schießen müsste; ich stelle mir vor, dass ich …, ich könnte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Stattdessen würde ich mich lieber dafür einsetzen, dass …“
Letztendlich der entscheidende Satz: „Deshalb verweigere ich hiermit nach Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe.“
Danach nichts mehr, nur noch Datum und handschriftlich unterschrieben, wie die beiden anderen Papiere auch. Eine rein politische, christliche oder Verschwörungsbegründung wird abgelehnt.
Die drei Papiere in einen Umschlag, mit Einschreiben Rückschein an das Karrierecenter der Bundeswehr, das für den Wohnort des Antragstellers zuständig ist.
Es gibt keine Kreiswehrersatzämter mehr, dafür 15 Karrierecenter; für Baden-Württemberg ist das Karrierecenter in Stuttgart zuständig.
Musterung
Ist der Antrag im Karrierecenter angekommen, wird er auf Vollständigkeit geprüft. Bei Ungedienten wird festgestellt, dass sie nicht gemustert wurden. Nur wer tauglich/wehrdienstfähig ist, kann auch einen Antrag auf KDV stellen. Der Antragsteller bekommt also eine Einladung zur Musterung, das kann aber einige Monate dauern.
Wer untauglich gemustert wurde, hat seinen Antrag umsonst geschrieben, aber er ist ausgemustert und damit für immer raus aus dem Militärapparat.
Der Ablauf der Musterung ist nicht mehr so demütigend wie früher, als man nackt vor dem Arzt oder der Ärztin stand und in alle Körperöffnungen geschaut wurde. Es dauert circa 30 Minuten: Seh- und Hörtest, Größe, Gewicht, Urinprobe, Anamnese (Schreiben vom Arzt in Kopie mitnehmen bei chronischen und psychischen Erkrankungen), die Unterhose bleibt an.
Ist man tauglich gemustert, wird der Antrag an das zivile Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln zur schriftlichen Bearbeitung geschickt. Auch diese Bearbeitung kann mehrere Monate dauern. Hat man seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erhalten, bedeutet das, dass man im Spannungs- oder Verteidigungsfall zwar noch eingezogen werden kann, aber zu einem Dienst im zivilen Bereich außerhalb der Bundeswehr — kein Dienst an der Waffe, kein Töten (Grundgesetz Artikel 12a (2)).
Musterungsbescheide und Anerkennung für immer aufheben, die Bundeswehr löscht alle Daten nach zehn Jahren.
Verweigern!
Wir beraten auch ReservistInnen und SoldatInnen. Bei BerufssoldatenInnen mit Spezialausbildung kann es durch die Verweigerung zu Regressansprüchen seitens der Bundeswehr kommen. Sie möchte das Geld wiederhaben, das sie in die Person investiert hat, das kann in die Zehntausende oder mehr gehen. Hier ist die Beratung durch einen Anwalt zu empfehlen.
Ansonsten helfen wir gerne bei Fragen zum neuen Wehrdienst. Weitere Informationen finden sich unter anderem auf verweigern.info.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Sand ins Getriebe von Wehrdienst und Rekrutierung — Skript zum Vortrag ‚Praxis der Verweigerung‘ auf dem IMI-Kongress 2025 beim [Gewerkschaftsforum]((https://gewerkschaftsforum.de) sowie der Informationsstelle Militarisierung.