Schlechte Handwerker
Aus dem Innersten: Wer seinen Anfang nicht findet, verliert sich im Nichts.
Goethe hat das Handwerk als Bollwerk gegen das Verschwinden der Welt gesehen, gegen das Abhandenkommens des Menschen durch sich selbst. Er hat das Haptische verehrt, weil es verschränkt ist mit dem Augenblick, mit dem ganz und gar Anwesendsein im Hier und Jetzt. Thomas Eblen denkt im Zusammenhang mit dem Anfang des Lebens über gute und schlechte Handwerker nach und kommt, wie immer, zu Ergebnissen, die sich im Kopf fortwährend wandeln. Ein Beitrag gegen den Lauf der Zeit.
Vorrede: Wie findet man Anfänge? Im Tun oder der Theorie? Geistesarbeiter sind meistens schlechte Handwerker und verdrängen es dadurch, dass sie ein Gedankengebäude errichten und darin Recht behalten wollen.
Wer Recht behalten will, ist kein Handwerker, denn er prüft nicht, ob das, was er herstellt, wirksam ist. Es gibt auch Handwerker des Geistes, denn sie fordern von ihrem Denken das Wirken in der nächsten Umgebung. Sie gleichen ab, bleiben offen für Widersprüche und können es in der Wirklichkeit greifen. So wie einem Installateur, der Leitungen verlegt, klar sein muss, wie sich Ströme verhalten, um es poetisch auszudrücken.
Eine Bäckerin muss ihre Ware so herstellen, dass die Menschen es durch ihr Vertrauen annehmen und honorieren. Ein Mechaniker setzt Werkstücke zusammen, sodass sie funktionieren. Wir verlassen uns darauf, weil wir ihrer Fachlichkeit vertrauen. Die Dinge, wenn man sie bearbeitet, schaffen Vertrauen, weil sie einer Notwendigkeit unterliegen. Der Notwendigkeit des Tuns im Augenblick. Der Augenblick heißt, das tun, was wirkt und funktioniert, wenn ich „Hand anlege“. Dazu im Gegensatz steht das Denken in Theorien, die durch ihre Offenheit nach Fabulieren drängt, ein Fabulieren, das in seiner Vielfalt zwar inspirierend sein kann und ist, aber oft eine Leere hinterlässt.
Eine Leere, die „freischwebende Intelligenz“ eben erzeugt, weil sie keine Verankerung im Wirklichen findet. All die Kommentare in den sozialen Medien sind solche luftigen Gegensätze, die sich im Nichts verlieren. So wie wir uns im Leben verhalten, so werden wir auch von ihm berührt. Berührt sein heißt, einen eigenen Anfang gefunden zu haben. Alle Objektivierung ist ein Starren auf die Möglichkeit, etwas zu tun, aber im Leben selbst hat es kein Fundament, weil es nicht wirkt. Philosophen wie Hermann Schmitz nennen es affektives Betroffensein. Gemeint ist damit etwas, das uns als Einzelne wirklich berührt und uns drängt, ins Handeln zu kommen. Doch ist dessen Wirkungsraum die nächste Nähe, nicht der Weltraum der veröffentlichten Meinung, die die Berührung pervertiert.
Ansprache an jenen, der seinen Anfang nie gefunden hat: Alles hat seinen Anfang. Und wer den eignen Anfang findet, ist eine guter Handwerker. Auch du hattest einen Anfang. Doch du hast ihn verworfen. Warum aber hast du ihn verworfen und bist geradewegs in die Allgemeinheit geflüchtet, wo es keine Anfänge gibt, sondern nur Lügen? Warum hast du nicht gesehen, dass ein Anfang ein Weg ist, auf den du gesetzt bist? Stattdessen hast du dich verwirren lassen. Gewiss, dies sind Unterstellungen und ich sehe es in deinem Gesicht, wie sehr dich meine Rede empört. Ein Staunen kann ich auch feststellen. Worüber? Kann es sein, dass du nicht zugehört hast? Im rechten Moment dich abgewendet hast, weil es zu gefährlich für dich geworden wäre?
Denn einen eigenen Anfang zu haben, das kann gefährlich sein. Wenn du dadurch Wege gehst, kreuzt du andere Wege von anderen Menschen mit einem bewusst gewählten Anfang. Einen Anfang zu haben, das ist nämlich eine Wahl, eine, die allerdings nie endgültig ist, sondern sich in der Rück- und Vorschau ständig verändert. Dadurch ergründest du ein Fundament.
Dieses musst du entdecken. Es zeigt sich dir nicht einfach so. Darum hättest du aufmerksam sein sollen – und nicht bloß achtsam, womit, wenn du zurückblickst, nur dich selbst erkennst und wodurch du dir hinterherläufst, wenn du an die Zukunft denkst. Offen sein für das, was dich berührt und dich dadurch verändert: darum ist es zu tun.
All dies sind gute Ratschläge, die ich dir früh gab. Vielleicht zu früh, sodass du dir, in Abwehrstellung geraten, keine ernsthaften Gedanken darüber machtest und nicht dazu verleitet wurdest, dich zu öffnen, um deinen dir zustehenden Anfang zu finden.
Geburten sind keine Anfänge, dies sei dir noch einmal gesagt. Geburten sind Eröffnungen. Etwas zuerst Enges weitet sich, wenn es auf der Welt ist. Der Geburtskanal ist das Symbol dafür. In der Weite des Lebendigen hat der Mensch das Talent, sich zu finden. Jedoch ist dieses Finden keine Wahl und nichts, was man erkennen kann. Das Finden ist ein Prozess, eine Entwicklung. Es hat einen Anfang und ein Ende. Dazwischen ist es eingespannt. Was man erkennen kann, so über die Jahre, sind zuerst Schemen und Schatten. Fluktuierende Sphären und Frequenzen. Darin entfalten sich die Sinne und bilden eine Ahnung von einem sich ankündigenden Ich.
Mit der Zeit verfestigen sich diese Sinne zu etwas Bestimmtem, das sich in der Wiederholung dauernd verändert. Es ist wichtig zu verstehen, dass im Lebendigen nichts Festes existiert, nur der Glaube daran macht es manifest, bis es erstarrt und sich wieder auflöst. Es handelt sich um Rhythmen des Lebendigen, denen wir alle ausgesetzt sind.
Auch das habe ich dir mehrmals gesagt, aber auch in dieser Hinsicht warst du ablehnend bis dahin, dass du dich lustig darüber gemacht hast, gerade weil es so unfassbar ist.
Selbst mich als Person und guten Handwerker hast du angegriffen, mich beleidigt und von dir gestoßen. Du hast über mich böse geredet und so manche Falle gestellt. Trotzdem bist du immer wieder zu mir zurückgekehrt, so als ob in dir ein verdecktes Bewusstsein bestünde, deinen eigenen Anfang nicht gefunden zu haben.
Wäre das möglich? Dass du ein Verlorener bist, der keine Verankerung gefunden hat, der verzweifelt nach Halt sucht, der wenn er ihn findet, fest wird, der keinen Widerspruch duldet, der alles angreift, das ihm zuwider ist? Der nur sich selber gelten lässt, obwohl er in sich dieses Fundament eines guten Handwerkers nicht gefunden hat und es ist ein Finden, ohne gesucht zu haben. Zumindest habe ich an dir dieses Feste erkannt, das in dir nagt und gärt, das dich bläht und in der Enge würgt. Du kannst kaum mehr atmen vor lauter Wut, nicht behalten zu können, was du voller Sehnsucht an dich gerissen hattest. Vor Wut zu erkennen, wie das an dich Gerissene zwischen deinen Händen zerrinnt und wie Säure dein Fundament zerstört, ein Fundament, das du dir aus all den vielen Anfängen anderer zusammengewerkt (Anspielung HandWERKER) hast in der Hoffnung, es trage und stütze dich. Doch wer keinen eigenen Anfang findet, ist ein schlechter Handwerker.