Sommer, Sonne, Hitzetote
Mit dem Schutz der älteren Menschen legitimierte der Staat massive Freiheitseinschränkungen — die tödliche Hitze in Altersheimen scheint ihm egal zu sein.
Altenpflegeheime sind eine Hitzefalle. Hat die Hitze, die besonders älteren Menschen schwer zusetzt, aber jemals den ganz großen Fürsorgeauftrag des Staates beschworen? Nicht? Und wir dachten, es gehe dieser Tage um das Leben der Alten. Der Schutz dieser Altersgruppe ist wohl nur dann relevant, wenn sich damit drastische Grundrechtseingriffe legitimieren lassen. Das vorgebliche Retten von Leben entpuppt sich angesichts dieser Doppelstandards als bloßes Mittel für einen Zweck, der nicht den Menschen dient.
Die ersten wirklich sehr heißen Tage sind vorüber, die Abkühlung kam schnell. In den Netzwerken wird indes gespöttelt, weil die Medien einen Hitzerekord nach den anderen herbeischreiben, wo wir doch wissen, dass Hitze kein aktuelles Phänomen ist. Das stimmt natürlich ein Stück weit: Heiße Tage gab es immer. Tropische Nächte mit über 20 Grad Celsius waren einst hingegen seltener. In den Wetteraufzeichnungen finden sich auch früher schon Ausreißer nach oben — sie kamen nur nicht so oft vor.
Aber über den Klimawandel wollte ich hier und heute gar nicht schwadronieren. Über die Hitze wollte ich sprechen. Die gibt es nun mal, egal wie man zum Klimawandel steht. Schwer genug, ihr daheim zu entfliehen. Aber was machen Senioren in Heimen, die wenig Abkühlung bieten?
Hitze ist tödlich. 20.200 Todesfälle bei über 65-Jährigen soll es 2018 in Deutschland gegeben haben — jedenfalls laut Studien von The Lancet. Das ergibt einen Inzidenzwert von etwa 110 pro 100.000 Menschen über dem 65. Lebensjahr. Eine ältere Person von 1.000 stirbt demnach an der Hitze oder während einer solchen Periode. Nur in China und Indien sind 2018 mehr Menschen an den Folgen der Hitze verstorben — aber nur in relativen Zahlen, gemessen an der Gesamtbevölkerung lag Deutschland in dieser traurigen Statistik an der Spitze.
Unsere Altenpflegeeinrichtungen sind die besten
Allerlei Gründe gaben die Forscher an, warum Deutschland sich zum Hitzetodweltmeister mauserte. So lebten hierzulande mehr ältere Menschen als in China und Indien und außerdem häufiger in Städten, in denen sich die Hitze eher bündelt. Über die deutschen Altenheime wurde allerdings nicht spekuliert. In den beiden genannten Ländern werden ältere Menschen nicht so oft in ein solches Pflegeheim gebracht, während in Deutschland circa 4 Prozent der über 65-Jährigen in einer solchen „Residenz“ zubringt.
Überhaupt lässt man auf deutsche Altenheime nicht viel kommen, man nennt sie nicht mal so, sondern lieber Domizil oder Residenz, um ihnen einen positiven Anstrich zu geben.
Bis vor einigen Jahren erhielten deutsche Altenpflegeeinrichtungen noch einen Notendurchschnitt von 1,2 — der Pflege-TÜV machte es möglich: Das war ein Bewertungssystem, bei dem die Note anhand eines Fragekatalogs ermittelt wurde. Die Einrichtungen passten sich der abgefragten Inhalte an, ohne dass damit irgendeine Qualitätssteigerung verbunden gewesen wäre. Einrichtungen mit einem Notendurchschnitt von 1,5 galten seinerzeit schon als schlecht.
Ein kurzes Beispiel: Ein Altenheim, in dem ein fest angestellter Koch frische Speisen zubereitete, dann aber verpasste, das Speiseangebot mit einem Aushang in großen, seniorenfreundlichen Lettern anzupreisen, hatte ein Problem, denn eine Prüffrage lautete, ob der „Speiseplan in gut lesbarer Form eines Wochenplanes bekannt gegeben“ wird. Eine Einrichtung, die einen solchen Wochenplan aufhängt, sich aber von einem schlechten Caterer günstige TK-Menus bringen lässt, heimst bei dieser Frage Punkte ein.
Der Pflege-TÜV mit Noten ist seit knapp drei Jahren Geschichte. Im Laufe der Zeit hat man erkannt, dass er keine Auskunft über die wahre Situation gibt, wenngleich Karl Lauterbach immer der Ansicht war, eine solche Vergleichsoption sei besser als gar keine. Übrigens hat der heutige Gesundheitsminister noch unter Ulla Schmidt an der Ausarbeitung des TÜVs mitgewirkt. Einen Pflege-TÜV gibt es allerdings auch weiterhin: Nur ohne Noten. Ob Pflegeeinrichtungen allerdings klimatisiert sind, was gegen die Hitze in den oftmals großzügig verglasten Neubauten getan wird, ob es genug Personal gibt, das der Dehydrierung der alten Bewohner entgegenwirkt: All das ist allerdings weiterhin kein Qualitätsmerkmal. Und das bei mehreren Tausend Hitzetoten im Jahr.
Krankenstationen bei 30 Grad aufwärts
Das Problem mit fehlender Klimatisierung existiert eigentlich in jedem Bereich der medizinischen Versorgung. Viele Krankenhäuser verfügen nicht über ausreichende Klimatisierung. Aus meiner Erfahrung als Krankenhausangestellter von einst kann ich festhalten, dass 30 Grad Celsius und mehr auf Stationszimmern keine Seltenheit waren. Dort lagen im Regelfall bis zu drei Patienten, oft mit frischen Wunden, und „brutzelten“ im eigenen Sud. Das Pflegepersonal rotierte wie zu jeder Jahreszeit. Zuletzt dann auch noch rund um die Uhr mit FFP2-Maske.
Die Zustände in den Gesundheitseinrichtungen sind teilweise schier unmenschlich; beim Bau können sich die Handwerker wenigstens noch die Hemden ausziehen — im medizinischen Betrieb, mit seiner total veralteten Infrastruktur, in die die Länder investieren müssten, ist auch das nicht möglich. Die Infrastruktur der Krankenhäuser ist nämlich die Obliegenheit der einzelnen Bundesländer und nicht der Krankenhausbetreiber.
Dass die Länder jedoch keinen Cent in die marode Substanz investieren, ist seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis: Über diesen Skandal regt sich niemand — mehr — auf, man hat in Deutschland akzeptiert, mit dem Verfall der Krankenhäuser zu leben.
Neue Altenpflegeeinrichtungen entstehen hier und da aber weiterhin, der Bedarf ist schließlich da und wenn man so einen „Laden“ betriebswirtschaftlich straff führt, winken beachtliche Gewinne. Dann stapft man Zweckbauten aus dem Boden, die mit großen Fensterscheiben ausgestattet werden. Die alten Leute müssen es dann eben aushalten, wenn sich ihre Räumlichkeiten aufheizen — dafür war der Kostenvoranschlag für den Neubau viel günstiger als für jene Gebäude, die „kühl gebaut“ werden sollten. Die Pflegekraft soll halt einfach öfter mal daran erinnern, dass da ein Gläschen Wasser mit Strohhalm rumsteht.
Diese architektonische Glasfassadenmanie betrifft ja bei weitem nicht nur den Pflegebereich. Alles was heute in Entstehung begriffen ist, ob nun Büroräumlichkeiten oder Wohnungen, gleicht sich in dieser Beziehung: Die Bauweise ist leicht, dünne Mauern saugen die Hitze an, großflächige Fensterfronten wirken wie Lupen, fluten die Räume zwar mit Licht, bündeln aber auch die Wärme so sehr, dass Innentemperaturen von 30 Grad spielend erreicht werden. Klimaanlagen sind weiterhin kein Standard in Deutschland, denn sie sind kosten- und energieintensiv und auf sie zu verzichten, lässt sich dieser Tage leicht mit einer verantwortungsbewussten Erklärung verbinden, ganz nach dem Motto, dass Klimageräte ja Klimakiller seien und es daher besser ist, ohne diese mit der Hitze fertigzuwerden.
Die Verlogenheit des Pandemiediskurses bei Sonnenlicht
Über zwei Jahre erklärte man der freiheitsberaubten Öffentlichkeit, dass es um Lebensrettung ginge. Besonders das Leben der Alten sei mit allen Mitteln zu schützen, hieß es. Markus Söder zitierte Statistiken täglicher Covid-Toter und machte klar, dass er nicht damit leben könne, dass jeden Tag in Deutschland „eine volle Flugzeugladung Menschen“ sterben würde. Leben zu retten: Das galt als selbstverständlich. Wobei diese Erklärung für die Maßnahmen immer mehr in den Hintergrund trat, heute retten wir offiziell keine Leben mehr, dieser Tage muss es ganz offenbar nur noch darum gehen — um mal Christian Drosten zu zitieren —, die vielen drohenden Arbeitsausfälle zu vereiteln. Statt Leben retten wir jetzt wohl Arbeitgeber vor AU-Bescheinigungen.
Dennoch glauben immer noch viele im Lande, dass das Leben an sich, aber ganz besonders das Leben der Alten das ist, was verbliebene und womöglich bald wieder installierte Maßnahmen rechtfertigt. Indessen stecken wir die Seniorinnen und Senioren in Hitzefallen, statten sie mit einer viel zu geringen Zahl von Pflegekräften aus, regulieren ihren Besucherstrom und scheren uns, seien wir doch mal ehrlich, recht wenig um ein solch altes Leben.
Wo ist denn nun bitte der völlig überzogene Fürsorgeauftrag des Staates, der uns sogar den nächtlichen Ausgang verwehrte, um das Leben unserer alten Leutchen zu retten, wenn es nun darum geht, sie vor der Hitze zu bewahren?
Wo ist er, wenn es um die Lebensqualität dieser Menschen geht? Haben die Regierenden auch nur einmal nachgefragt, was das mit der Psyche eines Senioren macht, wenn er auf seinen letzten Metern isoliert wird, seine Lieben nur noch nach strikten Regeln sehen darf?
Es kam mir so vor, als habe man sich gesamtgesellschaftlich darauf geeinigt, dass alte Menschen gar keine Psyche mehr haben, die Schaden nehmen könnte.
Wenn wir uns mal kurz in diese viel zu heiße, viel zu helle Sonne stellen, die auf uns niederbrennt, dann muss man wohl festhalten, dass der ganze Diskurs verlogen war. Schon gut, neu ist diese Erkenntnis nun wirklich nicht. Gemessen an dem, was der greisen Klientel an sonstigen Gefahren droht, wird einem erst wieder bewusst, wie dreist diese Lüge von der Lebensrettung wirklich war.
Stell dir vor, Oma kippt bei der Hitze um und keiner schaut hin. Und stell dir vor, sie hätte gar nicht umkippen müssen, wenn die alte, schattenspendende Eiche noch vor ihrem Wohnzimmerfenster stünde, die jahrelang verhindert hat, dass ihre kleine Bude zum Ofen wird. Aber die musste ja weg, wegen der Parkplatznot. Parkplätze sind schließlich auch lebensnotwendig.