Trauergesang für Palästina
Poetik-Ecke XXXVII: Auch was im Nahen Osten geschieht, ist Ausdruck einer Verdrehung von Wahrheit und Lüge.
Nadja Asfurs „Neuvertextung“ des Ave Verum Corpus ist eine Trauerhymne auf ihre zweite Heimat Palästina. Die Autorin sieht das Geschehen in einem grundlegenden Zusammenhang mit der Verdrehung der Begriffe, der Wertungen und der Dinge, die sich über die ganze Welt gelegt zu haben scheinen, und rahmt ihr Palästina-Lied in dieser Ausgabe der Poetik-Ecke mit zwei Gedichten über Wahrheit und Lüge.
Wahrheit sagen
Wer die Wahrheit sagt
an dem der Staat scharf nagt.
Nicht geehrt, du wirst belächelt
hinter dir her wird gehechelt.
Verfolgt, mundtot gemacht
noch ehe du’s gedacht.
Gefedert und geteert wirst du.
Der Staat, der gibt dir keine Ruh.
Das Pferd, es scharrt mit den Hufen.
Warte nicht, bis sie dich rufen.
Das letzte Wort noch nicht verklungen,
auf in den Sattel, um Abstand gerungen.
Wer die Wahrheit kennt,
sie eine Lüge nennt,
ist ein Schurke, Krimineller
Ab mit ihm in tiefe Keller.
Aber nein, in die Politik gebracht
noch ehe er’s gedacht.
Mit Orden dicht behängt wird er
kein schnelles Pferd muss her.
In Palästen da oben sie wohnen,
lassen sich Lügen gut belohnen.
Das letzte Wort noch nicht verklungen
um Abstand vom dummen Volke gerungen.
Palästina
Wohin ist verschwunden dein Land
erobert, immer mehr, in feindlicher Hand
Wo sind deine Menschen geblieben
aus der Heimat, ihrem Land gejagt
gnadenlos weiter und weiter vertrieben
Jahrzehnte von Zerstörung geplagt
Palästinenser, die soll es nicht geben
menschliche Tiere, die dort leben
in Israel, ein Herrscher es glaubt
Hab und Gut, ihrer Organe beraubt
Palästinenser, seit langem unterjocht,
versklavt und ausgebeutet
nun ist Krieg, er brodelt und kocht
mit Waffen, sie werden gehäutet
Gaza, eine Wüste aus Trümmern
hört ihr der Kinder Wimmern?
Fragt sie: Was willst du werden?
„Nichts. Israelis, sie mich erschießen.“
Gaza, als Resort werden sie genießen.
Gaza, israelische Soldaten, sie fragen
„Wir haben alles zerstört? Wo geht ihr hin?“
„Wo unser Haus stand, die Erde wir küssen
in unsere Heimat, nur dahin wir müssen.“
Israel, du vernichtest, kannst es nicht lassen,
hunderte Jahre alt, archaische Bäume
Mensch und Natur, kannst du nur hassen?
zertrümmert, gestohlen, die lebenden Träume
Israel, es ist dein Größenwahn
du tötest, folterst, nimmst gefangen,
Menschenrechte werden abgetan
die Welt, wird sie dich jemals belangen?
Israel, auch deine Menschen du zerstörst
mit Land der Palästinenser du sie betörst
kein Frieden, keine Freiheit, keine Liebe
Wo sind geblieben, diese menschlichen Triebe?
Die Zukunft und ihre Träume
gestohlen, nur noch Schäume
Israel, es ist zum Weinen
du willst kein Frieden, er soll nicht keimen.
Diese Zeilen hat Nadja Asfur als Neuvertextung zur Melodie des „Ave Verum Corpus“ von Mozart geschrieben — sie singt es auch selbst. Die Tatsache, dass dieser Text mit einem kanonischen Werk aus der christlich-abendländischen Kultur verschränkt wird, schreibt ihm eine zusätzliche Deutungsebene ein, die allein in der schriftlichen Fassung der Zeilen nicht enthalten ist. Deshalb diese Anmerkung, auf dass man den Text im Geiste und dem inneren Ohr, getragen von Mozarts Musik, erklingen lässt.
Werde Herr übers Volk
Je dreister die Lüge
Menschen glauben’s zur Genüge.
Fange an sehr sacht und leise,
auf sehr feine Art und Weise.
Schieb die Lüge unters Volk,
sehr wirksam über ihren Sold.
Fange an unauffällig, klein
mit harmlosen Schummeleien.
Ein Gefühl entsteht, unangenehm.
Das wird weniger, wird bequem.
Dreister, die Lüge immer dreister,
dann wirst du des Volkes Meister.
Je größer die Lügenzange,
das Gehirn stumpft ab, keine Bange.
Salonfähig sind die Lügen!
Wer sind die, die uns betrügen?
Der Staat — Medien, Journalisten
Anwälte, Richter, Prokuristen
Vertreter, Kirchen, Geldinstitute
Kein Problem, was man uns zumute.
Alle machen mit im großen Stil.
Keinem wird es jemals zu viel.
Lügen kommen ans Tageslicht.
Kaum einer sich den Kopf zerbricht.
Was kümmert das Geschwätz von gestern!
Verstecken uns in Wohlstandsnestern.
Weiter geht’s auf dem Pferd, das falsch.
Wann haben wir endlich voll den Hals?