Überforderte Kinderseelen
US-Demokraten und -Republikaner unterscheiden sich fundamental in der Transgender-Frage. Opfer der aggressiv geführten Debatte sind oft junge Menschen.
Kann eine Elfjährige ohne jeden Zweifel wissen, dass sie in Wahrheit männlich ist? Kann sie selbst entscheiden, ob sie Testosteron nehmen will? Versteht sie, was es besagt, steril zu werden — für immer? Kann ein Mädchen, das noch nie verliebt war, noch nie Sex hatte, begreifen, was der Verlust der Orgasmusfähigkeit bedeutet? Ist ihr klar, dass sie niemals — egal nach wie vielen Operationen — ein echter Mann sein kann? Kindern und Jugendlichen wird durch eine Politik der „Trans-Bejahung“ viel zu früh eine viel zu schwerwiegende Entscheidung für ihr Leben aufgedrängt. Bisher war Skepsis bei diesem Thema in den USA nur im Lager der Republikaner zu finden. Doch nun meldet auch eine Journalistin in einem links-liberalen Blatt Zweifel an.
In den USA sind die Rollen in der Genderdebatte klar verteilt: Die Demokraten stehen für eine „volle Unterstützung und Trans-Bejahung“ auch für Minderjährige (1), während die Republikaner den „linken Gender-Wahnsinn“ beenden wollen (2).
So bekommt man auch sehr unterschiedliche Narrative, wenn man den als links eingeschätzten Sender CNN einschaltet oder wenn man den rechten Sender Fox News sieht (3).
Bei CNN sieht man die rapide Zunahme von Transkindern als eine Befreiungsbewegung: Während es diese Kinder früher auch schon gab, mussten sie jedoch wegen mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz ein Leben im falschen Körper führen. Jetzt können sich diese Kinder endlich outen, und es ist die Aufgabe der Gesellschaft, das ohne Wenn und Aber zu unterstützen. Der dazu passende Begriff ist die „genderbejahende Methode“, wonach Kinder in ihrem Trans-Gefühl bestärkt werden und leichten Zugang zu Hormonen und geschlechtsangleichenden Maßnahmen erhalten.
Es soll auch Therapeuten untersagt werden, die Motive und Umstände des Unwohlseins im eigenen Körper zu untersuchen. Das wird als ein Verbot von „Konversionstherapie“ benannt. Therapeuten, Lehrer, Eltern müssen das neue Geschlecht auf alle Fälle akzeptieren.
Schaut man Fox News, so heißt es nicht „geschlechtsangleichende Maßnahme“, sondern es ist die Rede von „geschlechtsverstümmelnden Operationen und der unverantwortlichen Sterilisation von Minderjährigen“ (4). Republikaner halten die Trans-Debatte für eine absurde Mode, die zumindest für Kinder und Jugendliche verboten gehört. Innerhalb des christlichen Flügels ist mit dem Bibelzitat „Gott schuf den Menschen als sein Abbild, (…) als Mann und Frau schuf er ihn“ alles gesagt. Hier wird jedes Leben im anderen Geschlecht abgelehnt, auch für Erwachsene.
Zwischen den beiden Lagern gibt es wenig Überschneidungsfläche. Dazwischenstehen ist schwierig. Daher ist es umso bemerkenswerter, dass Pamela Paul in der New York Times, einem der drei am deutlichsten linksstehenden Medienhäuser der USA (5), in einem langen Kommentar deutlich vom demokratischen Narrativ abweicht (6). Und das mitten im Präsidentschaftswahlkampf.
Dabei stellt die Autorin zunächst ausführlich die Geschichte dreier De-Transitioner dar; das sind Menschen, die ihr offizielles Geschlecht gewechselt und dies später bereut haben. Sie betont, dass in allen Fällen die Diagnose „Geschlechtsdysphorie“ zu schnell gestellt wurde und dass die Gesamtsituation zu wenig erforscht wurde.
Grace Powell, eine der De-Transitioner, wurde kein einziges Mal während der langen Jahre der Geschlechtsumwandlung gefragt, welche Gründe hinter ihrer Geschlechsdysphorie stecken könnten. Niemand wollte etwas über ihre sexuelle Orientierung wissen — es ist bekannt, dass viele Kinder vor der Pubertät ihre Homosexualität als Leben im falschen Geschlecht wahrnehmen. Nicht ein einziges Mal wurde sie nach früheren Traumata gefragt, sodass keiner der Ärzte oder Therapeuten etwas von ihren sexuellen Missbrauchserfahrungen als Kind mitbekam, mit denen der Wunsch, den weiblichen Körper gegen einen männlichen einzutauschen, durchaus in Zusammenhang stehen könnte.
Weiterhin kommen in dem Artikel zwei Psychologinnen zu Wort, die früher überzeugt „pro trans“ waren, durch ihre praktische Tätigkeit aber große Zweifel bekamen. Die erste, Laura Edwards-Leeper, war Gründungsmitglied der ersten Gender-Klinik in den USA und fordert mittlerweile laut, Wünsche von Jugendlichen nach Geschlechtsumwandlung zu hinterfragen. Sie vermutet in der Mehrheit der Fälle seelische Störungen als die eigentliche Ursache für den Wunsch, trans zu sein. Die andere Psychologin wurde massiv von der Translobby attackiert, nachdem sie die bisherige Praxis, jedes Kind in seinem Trans-Wunsch zu bestärken, nicht mehr mittragen wollte. Sie hatte über viele Jahre das Gefühl bekommen, viel zu früh Tatsachen für die betroffenen Kinder zu schaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Im ferneren Teil des Kommentars legt die Autorin wissenschaftliche Erkenntnisse dar, nach denen Pubertätsblocker und Gegenhormone Kinder nicht glücklicher machen, dass die Aussage, Kinder würden sich ohne die Medikamente umbringen, nicht haltbar sei und dass viele der Jugendlichen aus ihrer Geschlechtsdysphorie herauswüchsen, wenn man einfach abwarte.
Sie kritisiert deutlich und offen die Praxis der Translobby, jeden kritischen Gedanken zu dem Thema als transphob zu brandmarken. Der genderbejahenden Methode für Minderjährige wird eine klare Absage erteilt.
Im letzten Abschnitt ruft sie die Transverbände dazu auf, sich bei ihren Forderungen auf erwachsene Transgenderpersonen zu beschränken, weil dies die Mehrheit der Amerikaner mittragen könne. Die Behandlung von Kindern solle nicht mehr verlangt werden. Keine Hormone und Operationen. Kein Verbot, die Gründe für einen gewünschten Geschlechtswechsel zu erforschen. Dazu, so schreibt sie, wäre es nötig, sich über den Kulturkampf zu erheben und zurückzukehren zur Vernunft. „And it would be the right thing to do“ (7).
In Zeiten des Wahlkampfs sucht man Mehrheiten. Die Mehrheit der Amerikaner aber steht einer Geschlechtsumwandlung im Kindesalter negativ gegenüber (8). Nun geht die wichtigste den Demokraten zuneigende Zeitung auf Distanz zu den Forderungen der Transverbände. Hier ergeben sich wichtige Fragen: Werden die Demokraten ebenfalls eine Kehrtwende vollziehen? Falls ja, werden sie auch dabei bleiben, wenn die Wahl vorbei ist?
In Deutschland wird die Behandlung von Kindern in Leitlinien geregelt. Bislang gibt es keine Altersgrenzen oder Einschränkungen für die Behandlung von Kindern mit Hormonen (9). Schon heute ist es hierzulande verboten, die selbst empfundene geschlechtliche Identität eines Kindes gezielt zu verändern oder zu unterdrücken (10).