Vom Kindheitstrauma zur Kriegstüchtigkeit
Im Manova-Exklusivgespräch erklärt Sozialpädagogin und Traumatherapeutin Birgit Assel den Zusammenhang zwischen den Zuständen in der Welt und unserem inneren Befinden.
Der Begriff Trauma wird heute beinahe inflationär verwendet, doch leben wir tatsächlich auch in einer zutiefst traumatisierten Gesellschaft. Viele Menschen haben bereits in ihrer frühen Kindheit, teils sogar schon im Mutterleib, seelische Verletzungen erlitten. Als Trauma bezeichnet man Ereignisse, die so überwältigend waren, dass der Mensch in dem Moment des Erlebens keine Bewältigungsmöglichkeiten hatte — Erfahrungen von Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Todesangst. Um zu überleben, greifen psychische Schutzmechanismen: Die traumatisierten Anteile werden abgespalten, der Zugang zu ihnen bleibt durch Überlebensstrategien blockiert. Deshalb ist vielen Menschen gar nicht bewusst, dass sie traumatisiert sind. Doch diese abgespaltenen Strukturen wirken unbewusst weiter und beeinflussen unser Fühlen, Denken und Handeln. Sie wirken in Beziehungen, in gesellschaftlichen Dynamiken und auch in politischen Entscheidungsprozessen, denn Politiker sind ebenfalls nicht frei davon. Im Manova-Gespräch erklärt die Sozialpädagogin und Traumatherapeutin Birgit Assel, warum wir gesellschaftliche Veränderung nicht getrennt von psychischer Heilung denken können und wie die Auseinandersetzung mit unserer eigenen Psyche zum politischen Schlüssel wird. Ein Beitrag zur Sonderausgabe „Politik und Psyche“.
80 Jahre der „Aufarbeitung“ des Nationalsozialismus haben nicht dazu geführt, dass die Deutschen aus der Geschichte gelernt haben. Während Kritiker der Regierung pauschal als „Nazis“ diffamiert werden, spaltet das kollektive Trauma die Gesellschaft und begünstigt dadurch erst recht, wovor die Angst am größten ist: das Wiederaufleben von Faschismus und Krieg.
Die transgenerational wirkenden Spätfolgen des Zweiten Weltkrieges und die Schäden, die schwarze Pädagogik in der Psyche vieler Menschen angerichtet hat, sind allgegenwärtig. Die meisten reagieren noch immer mit Verdrängung und Schuldzuweisung nach außen auf dieses schwere Erbe, anstatt sich tiefergehend mit ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und zu erkennen, wie sie selbst betroffen sind und dadurch unbewusst zu einer gespaltenen und teilnahmslosen Konsumgesellschaft beitragen.
„Die eigentliche Gefahr ist (…) ein System, das Menschen in Ohnmacht hält. Wenn wir wirklich aus der Vergangenheit lernen wollen, müssten wir uns mit unserem individuellen Trauma auseinandersetzen, um weitere kollektive Traumata zu vermeiden. Doch stattdessen suchen wir immer wieder neue Sündenböcke — und bleiben dadurch in alten Mustern gefangen“ (1).
Im Gespräch mit Manova erklärt Birgit Assel, wie wichtig und zugleich selbstermächtigend Anerkennung und Erforschung der eigenen seelischen Verletzungen für eine friedliche Gesellschaft und eine Veränderung der Weltsituation sind. Nach dem lange verdrängten Schmerz erfahren Menschen durch Traumatherapie auch Lebensfreude, Anteilnahme an der Welt und neue Schaffenskraft.
Elisa Gratias im Gespräch mit Birgit Assel
Redaktioneller Hinweis:
Birgit Assel veröffentlicht gemeinsam mit ihrer Tochter einen Podcast:
https://www.youtube.com/@WerBinIchLaraundBirgit
Telegram Kanal https://t.me/werbinichpodcast
Vom 1. bis zum 3. August 2025 findet in Betheln das Trauma-Symposium statt:
https://trauma-symposium.de/
Telegram-Kanal https://t.me/traumaSymposiumBetheln