Wandel durch Wildnis

In seinem Buch „Auf Spurensuche nach Natürlichkeit“ beschreibt Bastian Barucker, wie Naturverbundenheit unsere aktuellen Gesellschaftsprobleme lösen kann.

Es ist absurd: Wie viele Menschen halten an einer Lebens- und Arbeitsweise fest, die sie nicht erfüllt? Alles, um ihren Wohlstand zu sichern, obwohl dieser sie offensichtlich nicht glücklich macht. Wie viele beklagen sich über Stress und Druck im Alltag, sehen sich aber außerstande, aus ihrem Hamsterrad auszubrechen? Sie müssen schließlich Geld verdienen, mit dem sie dann zumindest ab und zu in den Urlaub fahren können. Sehnsucht nach Entspannung und Natur schlummern in uns allen. Warum verbringen wir dann nicht mehr Zeit dort? Weil es schließlich Wichtigeres zu tun gibt? In seinem neuen Buch zeigt Bastian Barucker, dass es in der Tat nichts Wichtigeres gibt, als dieser Sehnsucht zu folgen. Er machte sich auf die Suche nach einer anderen Lebensweise in der Wildnis, da er es hinter den Mauern des Wohlstands nicht länger aushielt. Er verließ die Annehmlichkeiten der Konsumgesellschaft und zog los, um zu lernen, was ein Leben in Verbindung mit der Natur bedeutet. Im Buch schildert er seine persönlichen Erfahrungen und ordnet sie in einen größeren Zusammenhang ein.

„Nach Macht strebende Akteure können ihr Werk nur verrichten, solange die ohnmächtige Gesellschaft ein fruchtbares Milieu bildet“ (Seite 179).

Immer wieder hielt Bastian Barucker sich für längere Zeiträume in der Wildnis Tirols, der USA und Tansanias auf und besuchte verschiedene Naturvölker, um von ihnen zu lernen. Dabei erkannte er, wie wichtig die Gemeinschaft ist, und wie sehr diese in der modernen Zivilisation fehlt. Er merkte, wie seine Programmierungen und Prägungen, die Beziehungsfähigkeit und somit Clan-Bildung verhinderten und lernte sie zu überwinden. Seine Reise im Außen führte ihn auf die Reise in sein Inneres.

Seine Erfahrungsberichte münden in einer Gesellschaftskritik, die aufzeigt, was uns fehlt und noch wichtiger, was jeder von uns konkret tun kann, um sich besser zu fühlen und zugleich einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel zu leisten. Barucker macht deutlich, wie sehr unsere individuellen Lebensentscheidungen zur Verschlimmerung oder zur Lösung der größten Herausforderungen der modernen Welt beitragen.

„Wir stehen vor der Frage, ob wir wirklich etwas aus der Geschichte gelernt oder lediglich Wissen über die Geschichte abgespeichert haben, ohne es verinnerlicht und für uns integriert zu haben. (…) Vielleicht kann die Krise uns dazu motivieren zu erkennen, dass sich trotz aller historischen Beispiele und vermeintlicher Aufklärung die Geschichte vor unseren Augen wiederholt.

Und damit eröffnet sich die Möglichkeit zu erkennen, dass wahrer Wandel dann möglich wird, wenn wir es wagen, Forscher unserer eigenen Geschichte zu werden. (…) Wenn wir uns dem zuwenden und in guter Begleitung die eigene Geschichte integrieren und annehmen, können wir verhindern, uns Generation für Generation übergriffig behandeln zu lassen, indem wir bereit sind, uns lautstark und selbstbewusst zu wehren, um für uns einzustehen. Ebenfalls wird es uns möglich sein, Übergriffe gegenüber anderen schneller zu erkennen und den nötigen Mut zu haben, uns für andere einzusetzen“ (Seite 174/175).

Naturverbindung ist Voraussetzung für Umweltschutz

Es ist offensichtlich: Alle wissen, dass wir nicht mit unserer Art zu konsumieren und Ressourcen zu verbrauchen weitermachen können, doch es bleibt Theorie. Wir wissen einfach nicht, wie wir unser Verhalten ändern sollen. Ständig fühlen wir uns schuldig, weil wir genau wissen, dass wir für unseren Wohlstand die Erde und andere Völker ausbeuten. Sehnsüchtig warten wir auf den gesellschaftlichen Wandel, ohne zu wissen, woran wir ihn überhaupt erkennen würden.

„Um den Planeten zu retten, braucht es viele mutige Veränderungen. Eine davon ist, Verbundenheit zu unserer Erde zu entwickeln, indem wir sie nicht nur vom Schreibtisch in Form von Zahlen und Prognosen analysieren, sondern eine persönliche Beziehung zu ihr besitzen“ (Seite 81).

Politiker und Aktivisten sagen: Schützt die Umwelt, hört auf zu konsumieren. Barucker sagt: Geht mehr in die Natur und euer Verhalten verändert sich von ganz allein.

„Es gab eine Zeit, da waren wir immer draußen und fühlten uns dort zu Hause. Jeden Tag, jede Stunde mit dem Gefühl, dass das unser Platz ist. Wir sind biologisch dafür gemacht, so zu leben, und es bedarf nicht viel, um die Symptome zu erkennen, die entstehen, wenn wir hauptsächlich domestiziert leben“ (Seite 83).

Wir müssen es selbst erfahren, und auch ich kann nur bestätigen:

Seitdem ich die Stadt verließ und durch den Garten und das Leben im Dorf fast den ganzen Tag an der frischen Luft verbringe, fühle ich mich leichter und lebendiger als je zuvor. Der Umzug aufs Land hat eine stärkere und schnellere Wirkung auf mein psychisches Wohlbefinden als meine jahrelangen Therapien.

Ich bin natürlich nach wie vor ein Wohlstandsprodukt und verbrauche mehr Ressourcen, als mir lieb ist, doch ich sehe auch, wie ich freudvoll immer weniger neue Produkte kaufe, immer öfter vegan esse, bei kürzeren Entfernungen das Fahrrad nehme anstatt des Autos.

Die Betonung liegt auf freudvoll. Wenn immer mehr Menschen endlich verstehen, dass Freude und Genuss wesentlich wirkungsvollere Antriebe für einen persönlichen Wandel sind als Pflicht und Schuldgefühle, desto mehr Menschen ändern ihr Verhalten auch, und dann wird der Effekt auf gesellschaftlicher Ebene immer spürbarer und wirksamer. Jede/r Einzelne zählt, und jede/r kann im eigenen Leben viel mehr bewirken als im Leben anderer.

Barucker macht Mut und erinnert uns daran, dass Menschen mit Macht — Führungskräfte großer Unternehmen und Politiker — noch viel mehr erreichen können, wenn sie wieder mit der Natur in Kontakt kommen:

„Als inspirierendes Beispiel sei hier die Geschichte von Theodore Roosevelt erzählt, der 1903 von John Muir in das Yosemite-Tal begleitet wurde und dort mit ihm drei Tage in der Wildnis verbrachte. Der US-amerikanische Präsident bekam sozusagen einen Wildniskurs, und durch den permanenten Aufenthalt im Freien war er von der Schönheit und Bedeutsamkeit der wilden Natur ergriffen. Aufgrund dieser naturverbindenden Erfahrung erschuf er 5 Nationalparks, 150 ‚National Forests‘, 51 Vogelschutzgebiete, 4 Wildschutzgebiete, 18 Naturdenkmäler und vieles mehr“ (Seite 91).

Anstatt aggressive Kritik und vorwurfsvolle Forderungen an Politiker zu richten, könnten Demonstranten die zunächst ungewöhnliche Forderung an Politiker und Führungskräfte großer Unternehmen stellen, dass diese während ihrer Amtszeit als Teil des Berufsalltags regelmäßig eine gewisse Zeit in der Natur verbringen sollen. Wie perplex müssten sich diese Menschen im Amt fühlen, wenn ihre Kritiker ihnen nicht mehr drohen, sondern ans Herz legen, etwas zu tun, was gut für sie und für die Umwelt ist?

Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit ist Voraussetzung für Frieden

Bei seinem einjährigen Aufenthalt in der Wildnis von Wisconsin wird Bastian Barucker klar, dass Kommunikation und funktionierendes Zusammenleben die Grundlage für unser Überleben sind. Er fühlt sich von anderen Clanmitgliedern getriggert und weiß zunächst nicht, wie er damit umgehen soll. Es stellt sich heraus, dass er Angst hat, aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden, wenn er sich nicht permanent bemüht und „Leistung bringt“.

Ungelöste Konflikte kann sich eine Gemeinschaft in der Wildnis nicht leisten, da ein Auseinanderbrechen des Clans für alle lebensbedrohlich wäre. Also lernt Barucker hier nicht nur, bei allen Wetterbedingungen und Jahreszeiten Nahrung zu finden, Feuer zu machen und Behausungen zu bauen, sondern auch viel über sich selbst sowie vor allem eine neue Art zu kommunizieren:

„Truthspeaking – die Sprache des Herzens, hilft uns dabei, in jedem Augenblick auf respektvolle Art zu sagen, wie es uns geht oder was wir denken. Es ist ein langer Prozess, sich von den alten Kommunikationsmustern zu lösen, und es bedarf der Unterstützung des gesamten Clans. Es ist so ungewohnt, seine Gefühle spontan und direkt zu äußern, da ich eine jahrelange Konditionierung hinter mir habe, bei der es darum ging, Wut, Ärger und Trauer, aber auch Freude nicht zur Fülle und vor allem nicht im Moment auszudrücken, sondern sie herunterzuschlucken.

Eingebettet in die Tier- und Pflanzenwelt erleben wir jeden Tag ihr Vorbild. Alle Kreaturen drücken sich spontan und im Augenblick aus, sie sprechen ihre Wahrheit. Das Eichhörnchen, welches mich beim Fallenstellen entdeckt, gibt unmittelbare Laute von sich und auch die Vögel des Waldes drücken Ärger — Alarm — oder Freude — Gesang — direkt und mit Fülle aus; ein Beispiel für die Lehren, die wir von unseren Beziehungen mit der Natur erhalten können, wenn wir zuhören. Aufmerksames Zuhören wird bei dem Wort Kommunikation oft vergessen. Wirklich präsent zu sein und dem Gegenüber vom Herzen zuzuhören, statt ihn zu bewerten, das wird eine tägliche Übung im Clanleben“ (Seite 29/30).

Das Leben in der Zivilisation lässt uns vergessen, wie sehr wir von einer Gemeinschaft abhängig sind. Alle Produkte, die wir konsumieren, entstehen aber in der Zusammenarbeit vieler verschiedener Menschen — der Anbau, die Ernte, die Zubereitung, der Transport, das Einsortieren in die Regale —; der Individualismus im Privatleben täuscht uns darüber hinweg, dass auch die modernen Menschen nur durch ihre Zusammenarbeit überleben.

Wenn wir uns nun daran erinnern, können wir die anderen Menschen hinter unseren Produkten vielleicht auch wieder wahrnehmen, mehr Dankbarkeit und Empathie füreinander empfinden und so die Spaltungen, die uns permanent durch verschiedene Medien suggeriert werden, überwinden.

Wie Barucker schreibt, brauchen wir natürlich Geduld, denn unsere alten Kommunikationsmuster sitzen tief. Dabei ist Selbstbeobachtung eine gute Hilfe: Wie oft hören wir dem Gegenüber gar nicht richtig zu, sondern legen in Gedanken bereits zurecht, was wir als Nächstes sagen wollen. Wie oft trauen wir uns nicht, selbst unseren Liebsten gegenüber, unsere wahren Gefühle mitzuteilen und warten dann oft so lange mit zurückgehaltenen Botschaften, bis wir krank werden oder explodieren und aggressiv werden.

Barucker zeigt durch seine Wildniserfahrung und die authentische Erzählung über sein Innenleben während dieser Zeit, wie wichtig es für uns als Gesellschaft und Individuen ist, eine neue Art der Kommunikation zu erlernen.

Gemeinschaft ist Voraussetzung für die Erfüllung unserer Bedürfnisse

Jeder Mensch hat das ursprüngliche Bedürfnis, dazuzugehören. Barucker geht in seinem Buch sogar darauf ein, dass die Erlebnisse rund um die Geburt und in der Kindheit bis ins Erwachsenenleben hineinwirken und bei uns allen Spuren hinterlassen, die ebenfalls zu den Schwierigkeiten beitragen, denen wir als Gesellschaft gegenüberstehen. Er ist überzeugt, dass unser modernes Zusammenleben anders aussähe, wenn die Kinder einer Gesellschaft mit so wenig Ohnmacht, Verlassenheit, Trauer, Gewalt und Schmerz wie möglich in diese hineinwachsen dürfen.

„Ich bin der Meinung, dass diese Altlast der Verlassenheit heutzutage eine sehr bedeutsame, aber verborgene gesellschaftliche Rolle spielt. Aufgrund dieser früh erfahrenen Verlassenheit sucht sich der Mensch Ersatzzugehörigkeiten, in denen er vermeintlich das findet, was er am Anfang seines Lebens gebraucht hätte. Es kann ein Sportverein, eine Religion, eine Partei, eine Weltanschauung, eine Ernährungsweise oder Ähnliches sein. (…) Unabhängig vom Thema oder der Ideologie einer Gruppe schwingt in vielen Debatten und gesellschaftlichen Diskursen diese Angst vor Verlassenheit mit. Es zeigt sich zum Beispiel in der Vehemenz, mit der in der Coronakrise Andersdenkende, die die eigene Gruppenideologie infrage stellen, angegriffen werden“ (Seite 141).

Deshalb plädiert Barucker im Buch auch dafür, dass wir uns alle wieder einen Clan suchen. Er machte die Erfahrung, dass sehr viele Menschen sich nach Gemeinschaft sehnen und besonders Familien und alleinerziehende Eltern schnell die Dringlichkeit von helfenden Händen und anderen Kindern spüren.

Die Mehrheit der Menschen wächst in einer kleinen Kernfamilie oder sogar immer häufiger mit nur einem Elternteil auf. Damit sind zwei oder sogar nur ein Erwachsener in der Hauptverantwortung, alle Bedürfnisse ihrer Kinder zu befriedigen. Diese Situation ist unbefriedigend, da in diesen Kernfamiliensituationen immer Bedürfnisse der Kinder oder der Eltern unbefriedigt bleiben. Eventuell sind die Eltern nach einiger Zeit frustriert, unzufrieden oder gestresst, was dem Kind wiederum die Prägung vermittelt, nicht erwünscht oder zu viel zu sein.

Die einfache Lösung für dieses Problem finden wir, wenn wir Naturvölker beobachten und selbst wieder die Gemeinschaft suchen. Barucker beschreibt seine Erfahrungen im Kapitel „Sucht euch einen Clan“:

„Was passiert, wenn sich Familien und Singles zusammenfinden, um den Kindern und sich selbst ein gemeinschaftliches Leben zu ermöglichen? In den letzten Jahren habe ich viele Projekte begleitet, in denen Menschen sich für eine Woche oder sogar einen Monat zusammenfanden, um genau dieses Clanleben wiederzuerwecken. Immer wieder ist es ein Kulturschock für die meisten, wenn sie nach einer gewissen Zeit merken, dass sie Unterstützung und Halt angeboten bekommen“ (Seite 66).

Und weiter:

„Gerade hier liegt für Alleinerziehende ein großes Potenzial, wieder mehr Entspannung und eigene Fülle zu erleben. Sich mit Leuten zu umgeben, die sich aktiv für das gemeinsame Begleiten der Kinder (‚Co-Parenting‘) entscheiden und somit für Entlastung sorgen, ist Gold wert. Eine wichtige Rolle für Clans nehmen Singles und Kinderlose ein. Kommen nur Familien zusammen, entsteht schnell wieder eine Situation, in der die Aufmerksamkeit und Zeit der Erwachsenen nicht ausreicht, um ein Leben im Gleichgewicht zu erschaffen. Erwachsene ohne Kinder können den ganzen Clan unterstützen und damit für Entlastung sorgen. Außerdem können sie so ihre ersten Erfahrungen im ‚Eltern-Sein‘ machen und lernen allmählich, wie es sich anfühlt, was eine Familie braucht“ (Seite 67).

Individuelle Veränderung ist Voraussetzung für gesellschaftliche Veränderung

Seit Jahren fasziniert mich das Thema des Wandels und wie dieser gelingen kann. Durch meine persönlichen Erfahrungen eröffneten sich mir ganz neue Horizonte, mein Weltbild erweiterte sich stets, und ich erkannte, wie sehr mein Verhalten und meine Gewohnheiten sich änderten, wenn ich meine Lebensumstände änderte. Ich war so begeistert von dieser Erfahrung, dass ich sie mit so vielen Menschen wie möglich teilen wollte, doch stieß immer wieder vor eine dicke Wand von Einwänden.

In den meisten von uns sitzt der Irrtum fest, dass unser privates Leben und der Lauf der Weltgeschichte voneinander getrennt sind. Wir sprechen von Problemen immer, als wären wir als Einzelpersonen ausgeschlossen, fordern Veränderung von einer anonymen Masse. Doch diese anonyme Masse sind wir.

Die Transformationsforscherin Maja Göpel nennt es die Tyrannei der kleinen Entscheidungen, die das zerstörerische System immer weiter am Laufen halten, das immer mehr Menschen kritisieren. Auch Barucker betont die Bedeutung unseres individuellen Lebens für das große Ganze:

„Die Integration unserer persönlichen Vergangenheit ist ein notwendiger Schritt für persönliche Veränderung und vor allem für einen gesellschaftlichen Wandel“ (Seite 131).

Also kann ich sein Buch nur jedem ans Herz legen, der wirklich an einer Veränderung unserer Lebensweise und an der Rettung des Planeten oder besser der Rettung der Menschheit interessiert ist. Die frohe Botschaft aus seinem Buch lautet, dass der Wandel sanft und freudvoll geschehen kann, mit kleinen neuen Gewohnheiten in unserem Alltag, die uns guttun. Ganz knapp zusammengefasst lautet die Aufforderung des Buchs:

„Geht raus und nehmt eure Kinder mit!“ (Seite 91).


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