Westlicher Kolonialismus in Gaza

Mithilfe Israels und der Ideologie des Zionismus haben die westlichen Eliten ihr rassistisches System der Kontrolle wieder aufgelegt und es als moralisches Anliegen verkauft.

Dass es sich bei Israels Vorgehen im Gazastreifen um einen Genozid handelt, schallt einigermaßen aufmerksamen Beobachtern internationaler Politik mittlerweile an jeder Ecke entgegen. Nur Konsequenzen scheint es keine zu haben, zumindest nicht für westliche Staatschefs und ihre Regierungen. Selbst Bekundungen, Palästina als eigenständigen Staat anzuerkennen, bleiben Lippenbekenntnisse, wenn nicht wirksamere Maßnahmen sie begleiten. Doch das westliche Verhältnis zum Nahostkonflikt ist nicht allein geprägt von unterlassener Hilfeleistung. Im Grunde hat man das Konzept des Kolonialismus in dem Moment, in dem es unpopulär wurde, transferiert in eine Region, die offenbar außerhalb jeglicher moralischer Prinzipien steht.

Die Kampagne Israels zur Auslöschung von Gaza geht nun ins dritte Jahr.

Es handelt sich dabei nicht einfach um einen symbolischen Augenblick, sondern um eine entscheidende Phase — sowohl für diejenigen, die die Zerstörung der Enklave durchführen, als auch für diejenigen, die dagegen Widerstand leisten.

Selbst nach zwei Jahren weigern sich westliche Hauptstädte noch immer, das von Israel verübte Massengemetzel und die von ihm verursachte Hungersnot als Völkermord zu bezeichnen. Noch immer verschließen sie die Augen vor der Flutwelle der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Israel in den vergangenen 23 Monaten verübt hat. Und den meisten geht selbst die Bezeichnung dieser Gräueltaten als Verstöße gegen das Völkerrecht zu weit.

Die westlichen Staats- und Regierungschefs sind nicht bereit, diesen Kurs zu revidieren.

Wie Shakespeares Macbeth „waten sie so tief im Blut“, dass sie es nicht wagen, umzukehren. Dies würde (nämlich) bedeuten, ihre Mitschuld am Völkermord Israels — den sie durch die Lieferung und Bereitstellung von Waffen, Geheimdienstinformationen und diplomatische Deckung ermöglicht haben — einzugestehen.

Die Schwierigkeiten jedoch, denen sie angesichts der Leugnung eines live übertragenen Völkermords gegenüberstehen, werden von Tag zu Tag größer — und das nicht nur, weil immer mehr Kinder in Gaza an Auszehrung sterben.

Letzte Woche (der Artikel erschien am 10. September 2025; Anmerkung der Übersetzerin) beschloss die überwältigende Mehrheit der (Mitglieder der) internationalen Vereinigung von Wissenschaftlern zum Thema Völkermord, dass Israels Vorgehen in Gaza der rechtlichen Definition von Völkermord entspricht.

Der offizielle, wissenschaftliche Konsens hat nun in Gänze mit dem allgemeinen Konsens gleichgezogen — selbst, wenn westliche Staatsoberhäupter und ihre gefügigen Medien es vorziehen, beide zu ignorieren.

Es handelt sich hier zweifellos um einen Völkermord.

Das einzige noch ausstehende Urteil ist das des Internationalen Strafgerichtshofs, dessen Mühlen so langsam mahlen, dass seine endgültige Entscheidung — die höchstwahrscheinlich die früheren Vermutungen der Richter bezüglich eines Völkermords bestätigen wird — hauptsächlich für Historiker relevant sein wird.

Völkermord-„Komplizen“

Die Folgen des Völkermords lassen sich natürlich nicht auf Gaza beschränken. Die große Lüge, Israel führe einen „Selbstverteidigungskrieg“, muss aktiv und kontinuierlich von den westlichen Eliten durchgesetzt werden.

William Schabas, eine Koryphäe auf dem Gebiet des Völkermords und des internationalen Strafrechts, merkte letzte Woche an, dass die gegen Israel im Januar vor dem Strafgerichtshof vorgebrachte Klage „wohl der stärkste Fall von Völkermord ist, der je vor dem Gerichtshof verhandelt wurde“.

Der Fall wurde vor 20 Monaten verhandelt.

Westliche Staaten, insbesondere die USA und Deutschland, hätten ihre Rolle als „Komplizen des Völkermords“ nicht verschwiegen, fügt er an. Dies bedeutet, dass die liberale Ordnung des Westens in einer tiefen Krise steckt. Schabas argumentiert, das internationale Justizsystem stehe vor einer „Bewährungsprobe“: Kann es den Völkermord beenden und diese Schurkenstaaten auf die Anklagebank bringen?

Ein Scheitern bedeutet nicht nur den Untergang für die Menschen in Gaza, sondern auch den Zusammenbruch der liberalen Ordnung im eigenen Land.

Es ist den westlichen Staats- und Regierungschefs bisher nicht gelungen, die Zustimmung der Bevölkerung für den Völkermord oder für die Mitschuld des Westens daran zu gewinnen. Daher haben sie sich stattdessen gegen diejenigen gewandt, die ihre Ablehnung öffentlich äußern, und sie verunglimpft, schikaniert und verhaftet.

In den USA verprügelte die Polizei Studenten, die Protestcamps auf dem Campus errichtet hatten, während die Universitäten vielen von ihnen die Universitätsabschlüsse aberkannten. Bundesbeamte der Einwanderungsbehörde begannen damit, Jagd auf Aktivisten gegen den Völkermord zu machen, um sie zu deportieren.

Den Palästinensern selbst, darunter sogar Kindern aus Gaza, die aufgrund von Verletzungen, die sie durch von den USA gelieferte Bomben erlitten haben, dringender medizinischer Behandlung bedürfen, werden nun Visa in die USA verweigert.

Ähnlich verhält es sich im Vereinigten Königreich. Massenproteste gegen den Völkermord werden als „Hasskundgebungen“ (Link nicht mehr aufrufbar) abgestempelt. Aktivisten, die gegen Waffenfabriken vorgehen, die die israelische Völkermordmaschinerie versorgen — und die damit die Waffenverkäufe Großbritanniens an Israel gefährden — werden als Terroristen inhaftiert.

Und diejenigen, die sich für diese Aktivisten einsetzen und sie verteidigen, werden unter derselben drakonischen Terrorismusgesetzgebung verfolgt und verhaftet.

An diesem Wochenende fand vor dem britischen Parlament die zweite Massendemonstration gegen das Verbot von Palestine Action statt. Fast 900 Demonstranten wurden verhaftet, weil sie Plakate hochhielten, auf denen sie ihre Unterstützung für die Protestaktionsgruppe ausdrückten.

Im Vorfeld der Veranstaltung führte die „Antiterroreinheit“ der Polizei eine Reihe von Hausdurchsuchungen bei Organisatoren von „Defend Our Juries“, einer Gruppe hinter den Massenprotesten, durch. (Anmerkung der Übersetzerin: „Defend Our Juries“ ist eine Gruppe, die sich dafür einsetzt, dass Juroren ihre Entscheidungen auf Grundlage ihres Gewissens und ihrer Überzeugungen treffen können).

Sechs von ihnen, darunter Tim Crosland, Rechtsanwalt und ehemaliger leitender Beamter in der Serious Organised Crime Agency und der National Crime Agency, wurden wegen terroristischer Straftaten angeklagt, die zu Gefängnisstrafen von bis zu 14 Jahren führen können.

Zirkelschluss

Da ist ein Widerhall der repressiven Stimmung in den USA der 1950er Jahre, als Senator Joseph McCarthy Treibjagden gegen linken Aktivismus veranstaltete und diesen als „un-amerikanisch“, „Kommunismus“ und eine Bedrohung für die nationalen Sicherheit bezeichnete.

Er fand bereitwillige Unterstützung von beiden Kongressparteien, Hollywood, den Medien, Universitäten, Unternehmen und Gerichten. Karrieren wurden beendet und Leben zerstört. Der Sozialismus in den USA, als eine gefährliche, subversive Ideologie gebrandmarkt, hat sich nie (davon) erholt.

Heute, lange nach dem Ende der Sowjetunion, lautet der Vorwand für Autoritarismus und politische Unterdrückung nicht (mehr) „Kommunismus“.

Stattdessen wird eine progressive Politik, die Völkermord ablehnt, als „Antisemitismus“ diffamiert — was wiederum selbst eine Beleidigung von Juden darstellt, weil es impliziert, dass das Abschlachten von Palästinensern naturgemäß mit einer Art „jüdischer“ Weltanschauung übereinstimmt.

Der eigentliche Zweck bestand darin, den Widerstand gegen die politische Ideologie des Zionismus zu zerschlagen.

Es waren westliche Institutionen, die — auf einen Jahrhunderte alten, westlichen christlichen Zionismus gestützt — Israels Gründung als Apartheidstaat unterstützten; einen Staat, der neu zugewanderte Juden gegenüber den einheimischen Palästinensern privilegierte und die ethnische Säuberung von Palästinensern aus ihrem Land genehmigte.

Sowohl in seiner christlichen als auch in seiner jüdischen Ausprägung ist der Zionismus die Ideologie, die derzeit den Völkermord vorantreibt. Der Zionismus steht jedoch für mehr als diese engstirnige Form jüdischer Vorherrschaft. Daher sind westliche Hauptstädte fest entschlossen, Israel und die Ideologie, für die es steht, um jeden Preis zu unterstützen — selbst wenn die eigenen Gesellschaften dabei untergehen.

Der moderne Zionismus ist eine Fortsetzung des westlichen Kolonialismus — der Anwendung von Gewalt zur Unterdrückung und Beherrschung anderer Bevölkerungsgruppen mit dem hauptsächlichen Ziel, ihre Rohstoffe zu kontrollieren —, jedoch mit dem Vorteil, dies „moralisch” verbrämen zu können.

Nach dem Zweiten Weltkrieg — genau in dem Moment, als die Reinkarnation des Kolonialismus nach dem Holocaust als gerechte Sache unserer Zeit verkauft werden konnte —, fiel der traditionelle Kolonialismus in Ungnade.

Die westliche Unterstützung eines hochgerüsteten israelischen Staates im an Ölvorkommen reichen Nahen Osten sollte das jüdische Volk angeblich befreien — befreien, wohlgemerkt, von einem völkermörderischen Europa —, aber zu einem hohen Preis.

Dies erforderte die Vernichtung des palästinensischen Volkes, dessen Heimat für einen sogenannten „jüdischen Staat“ gebraucht wurde. Und es begründete einen vom Westen bewaffneten Außenposten, dessen Grundgedanke darin bestand, seine arabischen Nachbarn zu schikanieren und anzugreifen — eine Außenpolitik nach dem „Teile-und-herrsche“-Prinzip, das zufällig auch den westlichen Interessen entgegenkam.

Hätte der Westen auch nur einen Teil davon direkt getan — anstatt über seinen Stellvertreter —, wäre offenbar geworden, dass der erbarmungslose westliche Kolonialismus den Nahen Osten nie verlassen hatte. Israel und die Ideologie des Zionismus, auf dem es gegründet wurde, lieferten dazu einen Vorwand.

Noch besser: Diese Tarnerzählung besaß eine wunderbare zirkuläre Logik, die sich jahrzehntelang bewährt hat.

Je mehr der Westen Israel bewaffnete, damit dieses die Palästinenser unter seiner Herrschaft brutal peinigen und seine arabischen Nachbarn bombardieren konnte, desto mehr wurde der Widerstand in der Region geschürt. Und je mehr Widerstand sich Israel gegenübersah, desto mehr konnte der Westen Israel bewaffnen — dieses musste ja vor irrationalen, wilden, Juden hassenden Arabern beschützt werden.

Das Aufflammen des politischen Islam — das wichtigste Symptom der Reaktion auf die Herrschaft und Kolonisation der Region durch den Zionismus — konnte nun als Grund für die Probleme im Nahen Osten aufgeführt werden. Israel provozierte genau die Probleme des „Terrorismus“, für deren Lösung es angeblich überhaupt vor Ort war.

Versicherungspolice

Der Zionismus war jedoch mehr als eine Tarngeschichte für westliche Institutionen. Er war auch eine Versicherungspolice.

Die Rolle des Zionismus bestand darin, Gräueltaten gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe zu normalisieren — ja, diese Verbrechen sogar mit einem moralischen Zweck zu versehen — und gleichzeitig dem Lieblingsnarrativ des Kolonialismus Leben einzuhauchen: Dem „Kampf der Kulturen“ („Clash of Civilisations“) zwischen westlichem Fortschritt und orientalischer Barbarei.

Der Erfolg des Zionismus hing davon ab, eine Politik der Angst zu schaffen — der „Krieg gegen den Terror“ —, mit der man die öffentliche Meinung zugunsten der Interessen der westlichen herrschenden Klasse manipulieren konnte.

Seit Jahrzehnten drängen westliche Institutionen in ihren eigenen Ländern den Widerstand gegen die Vernichtung des palästinensischen Volkes durch Israel und dessen anhaltende Vorherrschaft im Nahen Osten an den politischen Rand und diffamieren ihn als „Antisemitismus“.

Mehr als Lippenbekenntnisse hat der sogenannte Mainstream — sei es in der offiziellen Politik oder in den Medien des Establishments — in Bezug auf die Frage der Gerechtigkeit für das palästinensische Volk nie geäußert.

Alles Weitere, alles, was echten Druck auf Israel ausgeübt hätte, Zugeständnisse zu machen, zum Beispiel die populäre Graswurzelbewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen; Anmerkung der Übersetzerin) zum Boykott Israels, wurde automatisch als Judenhass dämonisiert.

Die Rolle des Zionismus als Versicherungspolice kam im Vereinigten Königreich ans Licht, nachdem Jeremy Corbyn, ein Sozialdemokrat, überraschend zum Vorsitzenden der Labour Party gewählt wurde.

Corbyn nutzte eine Welle der Unterstützung für linke Politik — darunter nicht nur eine gerechtere, weniger militaristische, weniger koloniale Außenpolitik, die Israel als Anachronismus bloßstellen konnte, sondern auch ein Ende der Sparpolitik im eigenen Land, die die öffentlichen Dienste ausgehöhlt und den Wählern ein Gefühl der Machtlosigkeit und Verarmung vermittelt hatte.

Das britische Establishment, einschließlich der rechten Fraktion der Labour-Partei, die derzeit von Premierminister Keir Starmer angeführt wird, beschloss schnell, Antisemitismus als Waffe gegen Corbyn und seine politische Basis einzusetzen.

Während der Corbyn-Jahre wurde die Linke als inhärent antisemitisch dargestellt. Sobald Starmer das Ruder übernahm, war seine oberste Priorität, die Partei von Linken zu „säubern“.

Auffallend ist, dass sich die Verleumdungen bezüglich Antisemitismus nicht nur auf Corbyns pro-palästinensischen Aktivismus konzentrierten, sondern auch auf seine Umverteilungspolitik. Kritiker unterstellten ihm böswillig, seine Kritiken an den Finanzeliten, die den Reichtum des Landes geplündert und in Offshore-Steueroasen versteckt hatten, seien in Wirklichkeit verschlüsselte Anspielungen auf „jüdische Banker“ gewesen.

Bei der Antisemitismus-Hexenjagd gegen Jeremy Corbyn ging es, wie auch zuvor in Zeiten des McCarthyismus, darum, die Linke und ihre Ideen für eine gerechtere Gesellschaft zu sabotieren. Es ging darum, den militarisierten Kolonialismus in Übersee aufrechtzuerhalten und die neoliberalen Eliten im eigenen Land zu schützen (Link nicht mehr aufrufbar).

Eingebildete Bedrohung

Aber Israels Völkermord ist ein Stress-Test, der droht, diese Art der Politik zunichte zu machen.

Wie bereits in Zeiten des McCarthyismus erzählt man der Öffentlichkeit, dass die liberale Ordnung nur durch extrem unliberale Maßnahmen geschützt werden kann.

Um die Gegnerschaft zum Schweigen zu bringen, ordnete das Establishment in den 1950er Jahren Tests zur ideologischen Konformität an, die durch Rechtsverbindlichkeit und soziale Ausgrenzung gestützt wurden, und rechtfertigten dies als Kampf gegen die Gefahr einer kommunistischen Machtübernahme.

Heute, 70 Jahre später, wird der Zionismus als so zentral für die westliche „liberale Ordnung“ angesehen, dass seine Gegner — diejenigen, die sich gegen das bewusste Verhungernlassen von Kindern stellen — dämonisiert und geächtet werden müssen.

Wie beim McCarthyismus geht es auch hier darum, dass unsere Politiker vorgeben, liberale und humanitäre Werte zu vertreten, während sie das genaue Gegenteil tun — in diesem Fall einen genozidalen Massenmord in Gaza zu unterstützen und abweichende Meinungen von den Straßen zu verbannen, indem man sie als „Terrorismus“ kriminalisiert.

Die Tarngeschichte ist in sich zusammengefallen. Deshalb versuchen westliche Hauptstädte — außer Trumps Washington — verzweifelt, sie durch Aussagen über die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die UN noch diesen Monat wiederzubeleben.

Belgien, erst kürzlich zum Jünger dieser Idee geworden, zeigt die Verrenkungen, die westliche Staatsoberhäupter vollführen, um bedeutsame Veränderungen zu verhindern.

Brüssel macht seine Anerkennung davon abhängig, dass die Hamas die letzten israelischen Geiseln freilässt und künftig keine Rolle mehr in Gaza spielen wird. Mit anderen Worten: Es hat Premierminister Benjamin Netanjahu, der scheinbar keinen Waffenstillstand erreichen will, ein Veto gegen die palästinensische Staatlichkeit eingeräumt.

Eine materielle Souveränität von Palästina beabsichtigt keines der anderen Länder — darunter Frankreich, Großbritannien, Australien und Kanada —, die es anerkennen wollen. Es soll „entmilitarisiert“ werden, das heißt über keinerlei Militär oder Luftwaffe zum Schutz seiner Grenzen verfügen, und in Sachen Handel und Bewegungsfreiheit weiterhin vollkommen abhängig vom guten Willen Israels sein.

Die Symbolik dieser Art von Anerkennung dient ihnen selbst, nicht den Palästinensern.

Ende des letzten Monats ließ Frankreichs Emmanuel Macron in einem katzbuckelnden Brief an Netanjahu das Unausgesprochene durchblicken. Er prahlte damit, den Antizionismus — den Widerstand gegen Israels apartheidähnliche, völkermörderische Herrschaft über Palästina — zu untergraben, indem er ihn mit Antisemitismus verquickte.

Und er erklärte, dass das Ziel der Anerkennung eines „entmilitarisierten“ palästinensischen Pseudo-Staates darin bestehe, „Israels militärische Erfolge auf regionaler Ebene“ — also seine Angriffe gegen und flächendeckende Bombardierungen seiner Nachbarn — „in einen nachhaltigen politischen Sieg zu verwandeln, der (Israels) Sicherheit und Wohlstand fördert“.

Weitere mutmaßliche Vorteile bestünden in Israels „Normalisierung“, nachdem es seine Nachbarn durch Terror unterworfen und sie überredet hat, Trumps Abraham Accords zu unterzeichnen, deren Ziel darin besteht, Israel wirtschaftlich weiter in die Region zu integrieren.

Für den Westen geht es bei der Anerkennung Palästinas nicht darum, Palästinas Souveränität voranzutreiben oder gar den Völkermord zu beenden. Es geht darum, den westlichen Kolonialismus des Nahen Ostens „unter dem Deckmantel des Zionismus“ aufrechtzuerhalten.

UN-Schutzmacht?

Welch eklatante Heuchelei.

Der ehemalige britische Außenminister David Lammy gab einerseits seiner Empörung über die von Israel durch eine Hungersnot verursachte „humanitäre Krise“ bei Twitter Ausdruck (Link nicht abrufbar), während er andererseits absolut gar nichts dafür unternahm, diese zu beenden. Seine Nachfolgerin Yvette Cooper scheint diesen heuchlerischen Ansatz beizubehalten.

Europäische Staats- und Regierungschefs zermartern sich darüber den Kopf, wie sie auf den Doppelschlag Israels — in Gaza City einzufallen und die verhungernde Bevölkerung entweder zu vertreiben oder auszumerzen und dann das Westjordanland zu annektieren — reagieren sollen. Selbst israelische Militärchefs geben zu (Link nicht mehr aufrufbar), dass der offizielle Vorwand für einen Einmarsch in Gaza City, nämlich die Hamas zu „besiegen“, reine Lügenmärchen sind.

Indessen wird Israels Annexion des Westjordanlands jede Vorspiegelung der Möglichkeit eines „entmilitarisierten“ palästinensischen Staates zunichte machen.

Letzte Woche heuchelte Lammy schon wieder, als er sagte: „Das Vereinigte Königreich macht alles, was es kann, um die Situation zu verbessern.“

Es gibt jedoch viele effektive Maßnahmen, die er und andere westliche Staats- und Regierungschefs ergreifen könnten, wenn ihnen das Leben der Palästinenser wichtiger wäre als die Aufrechterhaltung des westlichen Kolonialismus unter dem Deckmantel des Zionismus.

Großbritannien könnte seine Waffenverkäufe an Israels völkermörderische Kriegsmaschinerie beenden. Und es könnte die von der RAF-Basis Akrotiri auf Zypern ausgehenden Spionageflüge einstellen (Link nicht mehr aufrufbar), die das israelische Militär, das Krankenhäuser bombardiert, Journalisten ermordet und Kinder verhungern lässt, mit Geheimdienstinformationen versorgen.

Es gibt positive Schritte, die der Westen unternehmen könnte, um einzugreifen. Die britische Regierung könnte mit Lebensmitteln und Medikamenten beladene Marineschiffe entsenden, um Israels Belagerung von Gaza zu beenden und UN-Organisationen dabei zu helfen, die Bevölkerung dort mit Lebensmitteln zu versorgen.

Großbritannien könnte Israel herausfordern, das zu beenden.

Oder, besser noch: Großbritannien und andere europäische Staaten könnten einen „Uniting for Peace“ – Mechanismus in der UN-Generalversammlung anstoßen, um ein unvermeidliches Veto der USA zu überstimmen und eine UN-Schutzmacht nach Gaza entsenden.

Eine solche Friedenstruppe könnte die humanitäre Nothilfe in Gaza sichern und auf jeden möglichen Versuch der Einmischung vonseiten Israels militärisch reagieren.

Sollte dies lachhaft unplausibel erscheinen, so nur, weil wir implizit davon ausgehen, dass der Westen seinen verwöhntesten Satellitenstaat niemals unter Zuhilfenahme des Völkerrechts zur Rechenschaft ziehen wird.

Die Frage, die wir uns nicht eingestehen wollen, ist: Warum?

Präzedenzfall Großbritannien

Und wieder einmal beginnt die westliche Öffentlichkeit, anstelle ihrer versagenden Regierung aktiv zu werden.

Letzte Woche brach eine Flottille von Dutzenden Hilfsschiffen von Spanien nach Gaza auf. Zu den Passagieren gehören die Umweltaktivistin Greta Thunberg, der „Game of Thrones“-Schauspieler Liam Cunningham und Nelson Mandelas Enkel Mandla Mandela.

Israel hat bereits frühere Flotillen in internationalen Gewässern angegriffen und deren Passagiere und Besatzung entführt, nach Israel gebracht und deportiert. Das Leitschiff schien Montagnacht im Hafen von Tunis von einer Drohne getroffen worden zu sein.

Währenddessen drohte Israels rechtsextremer Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir damit, die Teilnehmer in Gefängnissen wegzusperren, von denen er sagt, sie seien für „Terroristen“ reserviert, und ihnen ihre Grundrechte zu verweigern. Das sind jene Gefängnisse, in denen Palästinenser — oft ohne Anklage festgehalten — systematisch geschlagen, gefoltert und sexuell missbraucht werden.

„Nach einigen Wochen im Gefängnis“, sagte er, „werden diese Unterstützer des Terrorismus keine Lust mehr haben, eine weitere Flotille zu organisieren.“

Möglicherweise hat Ben Gvir sich vom Präzedenzfall inspirieren lassen, den Starmers Regierung durch die Einstufung von Protestaktionen gegen den Völkermord als terroristische Straftat geschaffen hat.

Sicher ist, dass Großbritannien und andere europäische Staaten nichts zum Schutz ihrer Staatsbürger unternehmen werden, wenn diese illegal in internationalen Gewässern aufgegriffen oder weil sie verhungernde Kinder mit Lebensmitteln versorgen wollen, von eben jenem Staat, der diese Kinder aktiv verhungern lässt, als Terroristen in israelische Gefängnisse geschleppt werden.

Als Starmer in der Fragestunde des Premierministers gefragt wurde, welchen Schutz Großbritannien seinen Staatsbürgern an Bord der Flotille bieten würde, weigerte er sich ostentativ, darauf zu antworten.

Der Augenblick der Wahrheit

Wir stehen unter Zeitdruck. Zwei Jahre nach Beginn des Völkermords, während Israel sich auf einen letzten Vorstoß in Gaza City vorbereitet, um verhungernde Palästinenser aus ihrem letzten Schlupfloch zu vertreiben, beginnt die westliche Öffentlichkeit, eine grausige Wahrheit zu akzeptieren: Ihre Politiker werden nicht zu Hilfe eilen.

Dies ist ein Moment glühend scharfer Wahrheit. Nicht nur Israel und sein völkermörderischer „Krieg“ müssen besiegt werden. Es ist das hässliche Kolonialsystem, das sich lange hinter der „moralischen“ Fassade des Zionismus versteckt hat.

Zeichen des Zusammenbruchs sind überall zu sehen.

Sie sind zu sehen in den mehr als 1.600 Menschen, die in Großbritannien bis heute aufgrund erdichteter Terrorismusvorwürfe verhaftet wurden.

Sie sind zu sehen in den schamvollen Blicken der Polizeibeamten, die geschickt werden, um sie zu verhaften, und der Staatsanwälte, die sie anklagen müssen.

Sie sind zu sehen im beliebten Schauspieler Hugh Bonneville — Star der Paddington-Filme —, der ein live übertragenes Fernsehinterview über seinen neuesten Film unterbrach, um von seiner Regierung ein aktives Mitwirken an der Beendigung des Angriffs auf Gaza City zu fordern. (Anmerkung der Übersetzerin: Er verlangt dies von der gesamten internationalen Gemeinschaft).

Sie sind zu sehen in den Menschen, die die Strecke des Radrennens „La Vuelta“ säumen und den Radsportlern, darunter auch einem Team aus Israel, Attrappen toter Babys entgegenhalten.

Sie sind zu sehen bei einer Protestaktion während eines feierlichen Konzerts, das von der BBC live übertragen wurde und bei der jüdische Demonstranten das Melbourne Symphony Orchestra anklagten, „Blut an ihren Händen zu haben“.

Sie sind zu sehen im Royal Opera House, das von seinen eigenen Mitgliedern in die Defensive getrieben wurde, nachdem sein Direktor auf der Bühne während der Danksagungen vor dem Vorhang mit einem Schauspieler gerungen hatte, der eine Palästina-Flagge zeigte.

Sie sind zu sehen in den italienischen Hafenarbeitern, die damit drohen, den gesamten europäischen Handel zum Erliegen zu bringen, sollte die Hilfsflotille nach Gaza gestoppt werden.

Sie sind zu sehen in den 23-minütigen stehenden Ovationen — den längsten aller Zeiten —, die nach der Pressevorführung eines Films beim Filmfestival von Venedig stattfanden — eines Films über Israels langsame Ermordung der fünfjährigen Hind Rajab in Gaza und des Krankenwagenteams, das sie zu retten versuchte.

Sie sind zu sehen in zwei US-amerikanischen Militärveteranen (link nicht mehr aufrufbar), die eine Anhörung des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten unterbrachen und hinausgezerrt wurden, als sie riefen: „Ihr seid mitschuldig an einem Völkermord!“

Sie sind zu sehen im unabhängigen Gaza-Tribunal letzte Woche in London, dessen Vorsitz Corbyn innehatte und das schockierende Zeugenaussagen von Sachverständigen über den Völkermord Israels in Gaza und die Mittäterschaft Großbritanniens sammelte.

Diese großen und kleinen Akte des Widerstandes sind Anzeichen dafür, dass das Zentrum sich nicht mehr lange halten kann. Sie sind Anzeichen dafür, dass die Autorität der politischen und rechtlichen Herrschaftssysteme des Westens rapide abnimmt und durch Autoritarismus ersetzt wird.

Wir stehen vor einem Moment der Wahrheit. Und Gaza ist der Weckruf.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „In Gaza, western colonialism has been unmasked“. Er wurde von Gabriele Herb ehrenamtlich übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratteam lektoriert.