Wider die Angst-Spirale

Auch ein neues Virus ist nur eine Bedrohung unter vielen, so gefährlich es auf den ersten Blick auch scheint.

Täglich hören wir von neuen Bedrohungen aus der ganzen Welt. Wir sind umgeben von einer Flut von Problemen, die unsere Aufmerksamkeit erfordern. Anscheinend lauern vielerorts Gefahren, negative Entwicklungen, Trends und Bewegungen, die katastrophale Folgen haben können. Doch vieles davon spielt sich nur in unserem Kopf ab. Es gibt Wege aus dieser Angstspirale.

Überall lauern Gefahren — seien es die giftigen Dämpfe von Kerzen in unseren Wohnungen, das Schmelzen der Gletscher, die Strahlung unserer iPhones oder Nordkoreas Atomwaffen und aktuell mal wieder ein Virus — von sehr klein bis zu unüberschaubar, weltweit und zerstörerisch. Und jede Geschichte ist so scharf wie möglich geschliffen. In unserer Welt ist es eine Tugend, up to date zu sein.

Es ist demokratisch und aufklärerisch erstrebenswert, über die aktuellen Ereignissen informiert zu sein. Wir sind der Ansicht, je mehr Informationen wir aufnehmen und je eingehender wir uns mit den Dingen und Bedrohungen beschäftigen, desto qualifiziertere Entscheidungen können wir treffen. Desto bessere Bürger sind wir.

Ständiges Ausschauhalten

Eine der nützlichsten Fähigkeiten des Menschen in einer Jäger-und-Sammler-Gemeinschaft war es, eine abstrakte Bedrohung zu erkennen und auf sie zu reagieren, bevor sie unvermeidlich wurde.

Auf dieselbe Weise versuchen wir nun, die Bedrohungen zu begreifen, mit denen wir ständig via Internet, Radio und Fernsehen konfrontiert sind. Wir nehmen alles auf, in einer Menge, für die wir überhaupt keine Kapazitäten haben. Unser Aufklärungsgedanke ist in diesem Zusammenhang ein Hindernis. Mehr Informationen sind nicht immer besser. Wir glauben immer noch, dass es von Vorteil ist, so viel wie möglich über das Geschehen in der Welt zu wissen. Dass Bildung mit der Menge an Informationen zusammenhängt, die wir speichern können.

Dieses Aufklärungsideal gehört in eine andere Zeit. Vor siebzig Jahren war der Informationsfluss aus Zeitungen und Radio begrenzter. Er war bei Weitem nicht so umfangreich wie jetzt. Es handelte sich um eine kleine und übersichtliche Version der Zusammenhänge in der Welt. Die Ereignisse zu verfolgen, bedeutete also, eine begrenzte Anzahl von Narrativen im Blick zu haben. Aber wir werden keine besseren Bürger, wenn wir glauben, dass wir die ganze Welt verstehen sollten. Dass wir alles im Blick haben sollen.

Passivität macht krank

Es gibt schlicht zu viele Informationen. Dies heißt nicht, dass wir uns nicht engagieren und Teil der Gesellschaft sein sollten. Aber genau das sind wir heutzutage nicht. Wir sind nicht engagiert. Wir konsumieren Informationen — die meisten davon negativ — aus der ganzen Welt, am laufenden Band. Wir sammeln Geschichten, ausgewählt eben wegen ihres negativen Blickwinkels, und schlucken sie.

Zu einer Gewohnheit ist es geworden, ein Missbrauch unserer intellektuellen Kapazitäten, unserer Fähigkeit, Gefahren und Bedrohungen einzuschätzen. Und die Wirkung ist nicht Handlungskraft und Bildung. Das Resultat der Lektüre einer Reihe von Artikeln mit bedrohlichen Geschichten ist vielmehr Fehlinformation und ein Gefühl von ohnmächtiger Apathie.

Anstatt aktiv zu werden und darüber nachzudenken, wie man im „Kampf“ gegen ein Virus das Immunsystem stärken könnte — Freunde treffen, lachen, sich umarmen, gute Ernährung, ein Bad in der Sonne — ziehen sich viele eine Maske über oder in die Wohnung zurück, halten Abstand zu anderen, verfallen in Passivität ... und werden so krank.

Die Maske ist das Symbol der Krankheit: Denn eine Maske schützt ja den Träger selbst nicht vor einer Infektion. Sie schützt nur andere, wenn der Träger infiziert ist. Trägt man die Maske, so sagt man seiner Umgebung also: „Schaut her, ich bin wahrscheinlich krank, mein Körper ist eine Bedrohung für euch. Ich schütze euch vor dieser Bedrohung, also vor mir selbst, indem ich diese Maske aufsetze.“ Anstatt in die eigene Gesundheit zu vertrauen, halten viele Menschen sich aktuell für krank — für eine Bedrohung.

Die vielen unwahren Geschichten

Ein großer Teil unserer Zukunftsangst entsteht durch das Missverhältnis zwischen einem perfekt getunten Instrument, unserem Verstand mit unseren Sinnen, entwickelt zur Gefahrenanalyse, und einer Flut aus scheinbar relevanten Geschichten.

Die meisten dieser Geschichten sind nicht relevant. Sie sind nicht einmal wahr. Es sind Projektionen von schrecklichen und grausamen mentalen Bildern, die uns in immer leichter zugänglichen Formaten verkauft werden. Wir laufen mit dem Gefühl herum, dass wir auf etwas Furchtbares, etwas Schlimmes zusteuern. Wir sind ständig Gefahrensignalen ausgesetzt.

Nicht, dass es nichts Schlechtes auf der Welt gäbe oder dass diese Geschichten alle unwahr sind. Ein großer Teil der Geschichten fällt jedoch in eine oder mehrere von drei Kategorien:

  1. Manche stellen sich als mehr oder weniger unwahr heraus. Nicht aus bösem Willen, sondern aufgrund fehlender Daten. Sie werden einfach geschrieben, sobald die Medien eine Bedrohung oder Gefahr wittern. Daher sind viele von ihnen nicht mehr als Gerüchte, die sich kurz darauf wieder auflösen, wenn uns die Angst bereits gepackt und ihre Wirkung entfaltet hat. Das Problem ist, dass die Medien die schlagkräftigste Version der Geschichte schreiben, sobald sie von einem Ergebnis hören, das möglicherweise so ausgelegt werden kann. Wenn dann noch ein Experte eine dieser Spekulationen namentlich unterstützt, wird dies oft umschrieben mit „die Wissenschaftler sagen“. Aber die Wissenschaft eignet sich nicht für eine solche Berichterstattung. Die nachfolgende Kritik von Veröffentlichungen und die Relativierung von Ergebnissen ist ein Teil der DNA der Wissenschaft, aber da sind die Journalisten bereits zum nächsten Thema übergegangen. Sie sind auf der Suche nach neuen Horrorgeschichten, und die Korrekturen der Vermutungen aus dem vergangenen Monat haben da keinen Platz. Was sie geschrieben haben, war ja in ihren Augen wissenschaftlich. Gute Beispiele für diese Art von Übertreibungen sind Ebola, Vogelgrippe und Schweinegrippe, alles echte und schreckliche Krisen, die Menschenleben kosteten — aber nicht auf dem Niveau, auf das sie durch die Berichterstattung gehoben wurden. Die Lösung lag darin, rechtzeitig zu handeln, aber auch in der Erkenntnis, dass diese Krankheiten keine existenzielle Bedrohung für die Menschheit oder auch nur für die Bevölkerung eines einzelnen Landes waren.
  2. Ein anderer Teil der Geschichten hat einen minimalen Einfluss auf unser tägliches Leben, wirkt jedoch dringlicher als früher. Es mag plump erscheinen, es zu sagen, aber unglaublich viele der Geschichten, die wir lesen, ereignen sich so weit weg, dass sie keinen direkten Einfluss auf unser tägliches Leben haben. Trotzdem wecken Berichte wie jene über die nordkoreanischen Atomwaffen ein Schreck- und Angstgefühl in uns, hier in Europa. Aktuell werden wir mit so vielen fernen Geschichten konfrontiert, wie noch nie zuvor gesehen. In Bergamo waren Krankenhäuser überfüllt — in Madrid, in New York. Wir sehen nicht, dass bei uns die Krankenhäuser leerstehen. Wir werden überwältigt und sind nicht imstande, uns auf angemessene Weise damit zu beschäftigen.
  3. Auf die meisten Geschichten haben wir keinen Einfluss. Sie befinden sich außerhalb unserer Reichweite. Im Gegensatz zu den Problemen, die es in unserer Nähe gibt und die unsere Familie, unsere Jobs oder unser direktes Umfeld betreffen, haben wir bei den weit entfernten keine Handlungsmöglichkeit. Es ist nicht so — wie uns suggeriert wird —, dass wir den Lauf der Welt beeinflussen können, wenn wir nur ausreichend aufgeklärt sind. Umgekehrt haben diese Geschichten jedoch einen Einfluss auf uns. Je mehr wir von fernen Tragödien mitbekommen, desto angsterfüllter wird unser Weltbild. Und desto mehr treffen wir Entscheidungen vor dem Hintergrund von Gefahren, die gar nicht vorhanden sind.

Filtern und neuer Fokus

Eine Möglichkeit, unsere Angst vor der Zukunft in den Griff zu kriegen, besteht darin, die Informationen zu sortieren, die wir erhalten, ihnen keinen Raum zu geben, in dem sie ihr destruktives Potenzial entfalten können — vor allem nicht zu Zeiten, in denen wir gestresst sind. Wenn wir lernen, die Geschichten zu erkennen, die mehr oder weniger unwahr sind, die unser Leben minimal beeinflussen, dann können wir sie herausfiltern, bevor sie uns verhexen. Denn genau das tun sie.

Die Auswirkungen, die in solchen zweifelhaften Geschichten geschildert werden, spielen für unser Leben keine Rolle — dafür aber die Gedanken und Worte darin, die sich wie ein Nebel in unserem Kopf ausbreiten können. Wenn man besonders anfällig ist, gilt es, solche Artikel und Geschichten zu meiden. Das Interessante ist, dass wir dadurch nichts verpassen. Das Leben fokussiert sich stattdessen mehr auf das, was wir tatsächlich beeinflussen können. Und das gibt uns Energie, sodass wir handeln können und keine Angst haben.


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