Willkommen im Maulkorbland
In der Corona-Zeit hatten nicht nur „Schwurbler“ Zweifel am offiziellen Narrativ, sondern auch Behördenmitarbeiter — die wurden jedoch an die Kette gelegt.
Man hatte die Menschen für eine gemeinsame Idee zu gewinnen versucht. Sie lautete: „Zusammen schaffen wir es, eine nie dagewesene Seuche zu bekämpfen.“ Zum Einschwören wurden Tag für Tag identische Messages in die Welt posaunt. Einige gab es jedoch, die skeptisch blieben. Die Anderes wussten. Nicht nur Forscher. Sondern auch Menschen in Behörden. Bis hinauf in die Direktion. Die hätten das, was sie wussten, auch gern in die Öffentlichkeit gebracht. Doch ruckzuck erhielten sie einen Maulkorb. Das klingt wieder mal so schön verschwörerisch: Als hätte es während der Coronakrise eine Instanz gegeben, die vorgeschrieben hätte, was veröffentlicht werden durfte. Und was nicht. So etwas gibt es doch nicht in der Demokratie! Fakt ist: Entsprechende Bemühungen gab es tatsächlich. Daran sei anlässlich eines speziellen Jahrestags erinnert. Vor exakt fünf Jahren, am 3. Dezember 2020, verschickte der Thüringische Landkreistag eine Pressemitteilung, in der er sich massiv über die Anweisung ausließ, Landräte sollten ihre Pressearbeit zu Corona mit der Landesebene „abstimmen”.
Aus einem entsprechenden Erlass des Thüringischen Sozialministeriums vom 1. Dezember 2020 wurde wörtlich zitiert: „Die Pressearbeit leisten die Landkreise und kreisfreien Städte bei örtlichen oder regional bedeutsamen Infektionsvorkommen, aber auch dann stets in Abstimmung mit der Landesebene.” Dies sei ein unerträglicher Eingriff in die Arbeit der Landkreise vor Ort „und die konstruktive Zusammenarbeit mit der Presse, die frei sein muss von staatlichen Vorgaben”, hieß es in der Pressemitteilung vor fünf Jahren. Bürger hätten einen Anspruch auf unmittelbare Information durch Landräte: „Ohne staatliche Abstimmung oder gar Zensur.”
Während der Coronazeit (allerdings längst nicht erst dann) wurde akribisch kontrolliert, was an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Alles sollte unter bestimmten Gesichtspunkten verlautbart werden. Vor fünf Jahren hatte der Thüringische Landkreistag noch den Mumm, sich dagegen zu wehren.
Tief liegendes Problem
Der damalige Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Mario Voigt, heute Ministerpräsident von Thüringen, unterstützte die Kritik des Landkreistags. „Dieser ungeheure ‚Maulkorb-Erlass‘ für die kommunale Familie muss sofort zurückgenommen werden”, forderte er. Die Vorgabe offenbare ein tief liegendes „Problem mit der Meinungsfreiheit”. Heute ist dieses Statement vom 3. Dezember 2020 nicht mehr im Netz zu finden.
Thüringen war bei weitem kein Einzelfall. Am 4. Dezember 2020 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung auf Basis einer dpa-Meldung einen identischen Vorfall aus Nordrhein-Westfalen. Hier hatte sich das Gesundheitsministerium an die Kommunen gewandt und gefordert, die Pressearbeit in Sachen Corona abzustimmen. Pressemitteilungen, wurde in dem Bericht zitiert, bedürften „unbedingt der vorherigen Freigabe“ durch das Ministerium.
Auch solle eine Vorabinformation an das Ministerium erfolgen, seien größere Presseaktivitäten wie Pressekonferenzen beabsichtigt, die „ebenfalls abzustimmen sind“. Nach Protesten hatte Staatssekretär Edmund Heller damals erklärt, es gehe ihm um die „Darstellung von Fakten“, die in einem „landesweit einheitlichen Format“ erfolgen sollten. Auch sollte nicht von einem „angegebenen Standard” abgewichen werden.
Komplett vereinheitlicht
Nur durch eine ausgeklügelte, vereinheitlichte Informationskampagne konnten die Bürger während der Coronakrise dazu gebracht werden, auch noch die allerunsinnigsten Maßnahmen zu befolgen.
Niemand sollte mehr etwas sagen, was regierungskritisch war. Äußerte sich jemand regierungskritisch, galt derjenige als ausgemacht menschen- und regierungsfeindlich.
Wie groß die Bedeutung der Informationskampagnen war, geht auch aus einem Papier des Gesundheitsministeriums vom November 2020 hervor. „Nationale Impfstrategie COVID-19” lautet der Titel. Hier heißt es unter dem Stichwort „Kommunikation“: „Im bisherigen Verlauf der Pandemie trugen die umfassende Kommunikation mit der Öffentlichkeit (…) wesentlich zur Akzeptanz und Umsetzung der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung bei (z.B. AHA-Formel für breite Öffentlichkeit oder Teststrategie für die Fachöffentlichkeit).”
Um die Impfstrategie durchzusetzen, ist in dem Papier angekündigt, werde auf Bundesebene ein „Steuerungskreis Kommunikation” eingerichtet, welcher „BMG, BZgA, PEI, RKI und beteiligte Agenturen umfasst”. Ziel sei die Abstimmung der Gesamtmaßnahmen, inklusive der Pressearbeit. Possierlich jener Zusatzhinweis: Dabei stehe „von Beginn an Transparenz im Vordergrund”.
Einmal runtergebrochen
Interessant bei der Auseinandersetzung mit dem, was da vor fünf Jahren passierte, ist, dass man alles gut und gerne eine Ebene runterbrechen kann, um aufzuzeigen, in welchem Maße Pressestellen heute zu Missionsstationen mutiert sind. Kommunale Mitarbeiter auf Führungsebene, Sachgebiets- und Referatsleiter oder auch Leiter kommunaler Einrichtungen dürfen der Presse gegenüber normalerweise keine Auskunft mehr geben. Dies ist inzwischen Standard und wird weithin auch von Journalisten nicht mehr hinterfragt. Vor 20 Jahren war das noch undenkbar. Selbstverständlich hatte man kommunale Ansprechpartner direkt kontaktieren können.
Brechen wir das Ganze also eine Ebene runter. Und stellen fest:
Wird Menschen in Verwaltungen, die wertvolle Erfahrungen weiterzugeben haben, verboten, direkt und unabgestimmt mit Journalisten zu sprechen, ist dies „ein unerträglicher Eingriff” in deren Arbeit.
Werden sämtliche Informationen akribisch kontrolliert und abgesegnet, wird genau vorgegeben, was an die Öffentlichkeit darf oder nicht, schadet das der konstruktiven Zusammenarbeit kommunaler Führungskräfte und Einrichtungsleiter mit der Presse. Bedeutet dies Zensur. Ergo: Auch das Gebaren der Pressestellen offenbart „ein tief liegendes Problem mit der Meinungsfreiheit”.
Dass der Thüringische Landkreistag nach seiner Sitzung am 3. Dezember 2020 an die Öffentlichkeit brachte, wie kontrolliert alles sein sollte (und später wurde?), was nach außen dringt, bleibt eine Ausnahme. Eine weitere Ausnahme stellte zu jener Zeit der damalige Leiter des Gesundheitsamts von Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, dar. Auch Leiter von Gesundheitsämtern dürfen ja längst nicht mehr direkt von Journalisten kontaktiert werden. Jede Anfrage geht über die Pressestelle des betreffenden Landkreises. Geschweige denn, dass sie eine eigenständige, nicht abgesegnete Pressearbeit machen dürften.
Prompt strafversetzt
Friedrich Pürner weigerte sich, entgegen seiner eigenen Erkenntnisse ins Horn der von oben verordneten Coronapolitik zu stoßen. Kritisch setzte er sich mit dieser Politik auseinander. Behördenintern. Aber auch in Stellungnahmen in der Presse. Daraufhin wurde der Mediziner strafversetzt. Dies konnte auch nicht durch einen im November 2020 verbreiteten „Offenen Brief von Ärzten und Wissenschaftlern an die Bayerische Staatsregierung wegen der Strafversetzung“ verhindert werden.
In diesem Brief wird betont, dass Friedrich Pürner als Wissenschaftler und Arzt von seinem „unverbrüchlichen Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch gemacht“ habe, „ohne dass seine Dienstpflichten als Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg hierunter gelitten hätten“. Die von ihm als Arzt und Epidemiologe geäußerten Positionen „zu unter Fachleuten ohnehin umstrittenen Maßnahmen und Verordnungen der bayerischen Regierung waren zu jedem Zeitpunkt wissenschaftlich fundiert und ohne jedes parteipolitische Konnotat“. Stimmt. Nur genehm waren sie nicht.
Einen weiteren Fall gibt es, der für große Aufregung sorgte und ebenfalls am Ende ungut ausging. Am Nachmittag des 8. Mai 2020 verschickte Oberregierungsrat Stephan Kohn aus dem Referat für Krisenmanagement der kritischen Infrastruktur des Bundesinnenministeriums eine behördeninterne Mail. Sie erhielt einen 192-seitigen „Kritischen Auswertungsbericht” über die „relative Harmlosigkeit von SARS-CoV-2”. Das unabgestimmt verbreitete Papier wurde geleakt — und löste kurzzeitig einen Skandal aus. Allerdings einen, der nicht gegen die Regierung, sondern der in der und durch die Presse gegen Stephan Kohn gerichtet war.
„Das Krisenmanagement und die politischen Entscheider könnten einen gigantischen vermeidbaren Schaden für unsere Gesellschaft anrichten, der das Potential des Coronavirus bei weitem übertreffen und unvorstellbares Leid auslösen kann“, so das Fazit von Stephan Kohn kurz nach Beginn der Coronakrise. „Die Stabilität unseres Gemeinwesens und der Bestand unserer staatlichen Ordnung können gefährdet sein. Es drohen dem Staat hohe Schadenersatzforderungen wegen offenkundiger Fehlentscheidungen.“
Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 19. Mai 2020: „Gegen den Mitarbeiter wurde ein Disziplinarverfahren eröffnet, man hat ihm den Laptop abgenommen, ihm die Fortsetzung der Dienstgeschäfte untersagt und ihm nahegelegt, sich rechtlichen Beistand zu suchen.“ Das Innenministerium wird mit den Worten zitiert, Kohn habe fälschlich „den Anschein erweckt, die Privatmeinung gebe die offizielle Auffassung einer Behörde wieder“. Dies sei inakzeptabel. Und wieder sind wir an demselben Punkt: Es gibt eine offizielle Auffassung, und von der darf keinen Deut abgewichen werden. Geschweige denn, dass die Öffentlichkeit über die Presse vor gefährlichen Entwicklungen gewarnt werden dürfte.
Immer zentralistischer
Der Sittenverfall im Umgang mit der Presse durch Behörden und größere Organisationen mit immer zentralistischer agierenden Pressestellen begann schleichend vor etwa 20 Jahren. Sie ging mit einem gewaltigen Ausbau von PR-Stellen in Rathäusern, Landratsämtern, Ministerien und Verbänden einher. Nur wenige Kollegen schauen kritisch auf diese Entwicklung. Der Journalist Till Becker gehört dazu. Heuer im Mai veröffentlichte er unter der Überschrift „Presseanfragen? Bitte nicht stören!” seine Erfahrungen mit Pressestellen.
„Was ist nur los in den Pressestellen dieses Landes?”, fragt er. „Sitzen da eigentlich noch Menschen, die irgendwann einmal eine Redaktion von innen gesehen haben? Oder ist das inzwischen ein Biotop für Kommunikationsverweigerer mit PR-Abschluss und Angst vor echten Inhalten? Oder Juristen, die mit einer Antwort vor allem eines verhindern wollen: Relevanz?”
Man gewinne, so Till Becker weiter, zunehmend den Eindruck, „dass gute Pressearbeit nicht mehr als Brücke zwischen Öffentlichkeit und Institution gedacht wird — sondern als Bollwerk gegen alles, was von draußen kommt. Das ist nicht nur armselig, es ist gefährlich. Denn es zerstört Vertrauen, wo Kommunikation Vertrauen schaffen sollte.”
Recht hat er. Pressestellen dienen mehr und mehr der Deckung und Vertuschung, sie verhindern Wahrheitsfindung statt sie zu befördern — nicht zuletzt dadurch, dass sie den direkten Kontakt zu Experten in den eigenen Reihen verbieten.
Menschen an Schaltstellen, die hautnah mitbekommen, wie sich Dinge entwickeln, Experten wie Friedrich Pürner oder Stephan Kohn, müssten dringend wieder mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit ausgestattet werden. Und sie bräuchten wieder Gestaltungsspielraum in Bezug auf eigene Pressearbeit. Doch Betroffene selbst kämpfen dafür nicht.
Lediglich im zufälligen Off-Record-Gespräch — etwa bei einer Veranstaltung, wo niemand den direkten Kontakt verhindern kann — hört man als Journalist, wie sehr der Maulkorb zwängt und quält. Man weiß als Experte in einer Behörde, wie falsch das ist, was offiziell verlautbart wird. Und darf doch nichts sagen. Man sieht fatale Entwicklungen. Und ist zum Verstummen verdammt.