Wir sind Frieden

Andrea Drescher stellt unbekannte Friedensaktivisten vor, die im Kleinen die Welt verbessern. Teil 18.

„Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst“, heißt ein tibetisches Sprichwort. Unsere Aufmerksamkeit ist meist auf dramatische und negative Ereignisse fokussiert. Auch verleiten uns die Medien, Politik als „Königsdrama“ zu interpretieren, in dem mächtige und prominente Akteure unsere Geschicke lenken. Dabei sehen wir nicht, wie viele „kleine“ Initiativen und engagierte, ganz unprominente Einzelpersonen Tag für Tag Zeichen der Hoffnung setzen. Sie halten das Gemeinwesen „mit ihrem Mut am Leben“, wie Reinhard Mey sang. Andrea Drescher porträtiert einige von ihnen, heute K. H. Er ist Hambi-Aktivist, Vollzeitreisender und — laut deutschem Gesetz — Ökoterrorist, daher hier nur anonym.

Andrea Drescher: Was ist für dich Aktivismus?

K. H.: Es bedeutet für mich, überzeugt zu sein von dem, was man macht, daran zu glauben und das Leben danach auszurichten. Es bedeutet für mich, dass man auch aus der Ferne und durch Kleinigkeiten etwas erreichen kann. Man muss nicht gleich auf die Straße, man kann auch von zuhause mit kleinen Dingen viel erreichen. Oder man kann Menschen aufklären, wie wir es bei unseren Gruppenführungen durch den Hambacher Forst gemacht haben.

Also nicht nur zu reden?

Genau.

Wonach richtest du dein Leben aus?

Ich lege Wert auf Nachhaltigkeit und den bewussten Umgang mit Konsum, Lebensmitteln und Tieren. Man muss auch bewusst mit der Umgebung umgehen. Impulse zum Handeln dürfen da sein, aber man sollte denken, bevor man in Aktion geht. Man sollte sich einfach im Klaren sein, was man mit seinem Handeln auslöst. Welche Gefahren man, zum Beispiel bei Sabotageversuchen, selbst eingeht.

Upps, Sabotageversuche – Was meinst du denn damit?

Sabotage bedeutet Verweigerung. Man verweigert etwas. Es muss nicht gleich immer das brennende Auto sein. Man kann auch auf andere Art lästig werden. Vegan zu leben ist für die Fleischindustrie ein Sabotageversuch.

Du bist aber kein Veganer?

Nein. Da hapert es noch. Ich habe mich lange vegetarisch ernährt. Ich achte sehr bewusst auf die Ernährung — wo wird was hergestellt. Beim Containern kann man natürlich nicht auf diese Punkte achten, dafür stellt man aber sicher, dass nichts verschwendet wird, kein Tier umsonst gestorben ist. Was in meinen Augen essbar ist, nehme ich mit.

Warst du oft containern?

Während meiner Zeit der Forstbesetzung haben wir uns häufig die Nahrung in den umliegenden Dörfern und Städten vom Hambacher Forst beschafft. Anders ging es ja gar nicht, die ganzen Aktivisten zu versorgen.

Wie bist du in den Hambacher Forst — den Hambi — gekommen?

Das war eine für mich typische Aktion. Man hatte mir beim Bundesfreiwilligendienst zum 31. März 2019 gekündigt, und ich stand vor der Frage, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Nachdem ich vorher schon auf etliche Demos zum Erhalt des Hambis und gegen den Kohleabbau gegangen war, war es irgendwie naheliegend, mich dort einzubringen - und ich stand am 1. April bereits im Wald.

Warst du lange vor Ort?

Bis circa Ende September 2019 — also rund ein halbes Jahr. Dann brauchte ich erst einmal Pause.

Warum das? Was hast du denn erlebt?

Es war von Anfang an schon aufregend. Ich war sehr nervös, wusste nicht, was auf mich zukommt. Ich hatte Interviews und Berichte gesehen. Als ich dann dort war, war alles ganz anders. Es macht etwas mit einem Menschen, wenn man keine Privatsphäre, keine eigene Toilette, kein eigenes Bett mehr hat. Das geht im Wald alles nicht — aber man lebt eben völlig anders.

Ist das eine Art Kommune?

Wir bezeichnen es als Kollektiv.

Wie wurdest du aufgenommen?

Total herzlich, freundlich und wertschätzend. Nicht wie in der normalen Gesellschaft, wo jeder für sich allein steht. Man ist nicht allein, man kann jederzeit zu anderen gehen und bekommt Unterstützung. Es ist dort wie in einer Familie — man verbringt ja auch die ganze Zeit miteinander. Natürlich gibt es untereinander auch Konflikte, aber die wurden immer kommunikativ gelöst. Es wird enorm viel diskutiert, Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Das längste Plenum dauerte 12 Stunden. Man muss da aber nicht teilnehmen. Alles bleibt dir selbst überlassen, in der eigenen Verantwortung — und das in einer hierarchiefreien Struktur.

Wie viel Leute wart ihr?

Es ist immer ein Kommen und Gehen, das ist schwer zu sagen. Meist waren wir zwischen 50 und 60 Menschen — an den vier Standorten: im Wald, bei der Wiesenbesetzung, bei der Mahnwache und im Hambi-Camp. Ein gewisser Kern ist immer da, und es gibt Menschen, die kommen immer am Wochenende oder alle paar Wochen für ein paar Tage.

Hast du dir dein Baumhaus selbst gebaut?

Ja. Das meiste habe ich allein gemacht. Hochziehen und Befestigen haben wir zu dritt erledigt. Baumhausbau heißt Improvisation. Es muss halten, nicht schön aussehen. Menschen mit Erfahrung haben den anderen geholfen. Die Brücken zwischen den Baumhäusern wurden aber erst berechnet und dann gebaut. Hin und wieder wurde das Hirn eingeschaltet (lacht).

Wie lange hast du im Baumhaus gewohnt?

Eigentlich die ganze Zeit. Im Juni habe ich angefangen, mein Haus zu bauen, ab Juli war ich oben, davor war ich in anderen zu Gast.

Wie hat das funktioniert? Toilette und Kochen stelle ich mir etwas schwierig vor.

Das passiert natürlich hauptsächlich am Boden. Im Wald haben wir ein Kompostklo. Im Baumhaus steht ein Eimer für den Fall, dass man länger oben bleiben muss. Einmal saß ich bei Gefahrenstatus (Polizeieinsatz) fast zwei Tage in einer Art Seilschaukel. Das war schon anstrengend. Gekocht wird für das Kollektiv und in den Barrios — kleinen Vierteln, die gemeinschaftlich agieren. Donnerstag gibt es Küche für alle, wenn genug zu essen vorhanden war, da kann dann jeder hingehen.

Wo bekommt ihr das Essen her?

Wie gesagt, durchs Containern; dann kommen Leute von Foodsharing vorbei und versorgen uns, und es gibt Spenden. Wir haben auch mal zwei Paletten Tofu oder drei Paletten Paprikadosen geschenkt bekommen. Manches war super lecker, manches war grauslig. Einerseits haben wir gegessen, was für andere Müll war, andererseits gab es auch Essen, das wir uns gar nicht leisten könnten.

Was wollt ihr mit der Waldbesetzung erreichen?

Den Erhalt des Hambacher Forstes und das Ende der Zerstörung der Natur durch RWE. Ich persönlich habe mir mehr friedliche Kooperation erhofft.

Dir war es zu gewalttätig?

Ja, es waren gefühlt 1.000 Polizisten im Wald, um uns paar Menschen aus dem Wald zu holen. Ich will auch die Aktivisten jetzt nicht schön reden. Zugegeben, wir haben auch Sabotage-Aktionen durchgeführt — aber nie Menschen angegriffen, nur den Konzern.

Was gab es für Sabotage-Aktionen?

Wie gesagt, Menschen waren für uns immer tabu! Es gab Manipulationen an den Pumpen, um den Abbau zu behindern. Es wurden teilweise Kohlebagger besetzt. Auch der Wald bei Osterholz wurde vor der weiteren Bewirtschaftung durch eine Besetzung vor mehr Schaden bewahrt. Dann gab es Hausbesetzungen, um zu zeigen, dass die Bürger, die von dort abgesiedelt werden sollten, nicht alleine sind. Die wurden ja auch massiv ausgebeutet.

Inwiefern?

Die Anwohner erhielten Angebote für neue Grundstücke an anderen Standorten, die bei weitem nicht dem Wert ihres bisherigen Besitzes entsprachen. Hat jemand diese Angebote verweigert, wurde nach mehreren Verwarnungen geräumt. Egal ob alte Rentnerin oder alleinerziehende Mutter — da kannten die keine Gnade. Es wurden Friedhöfe zerstört. Was im Weg war, wurde weggebaggert. Es ist wohl ein uraltes Bergbaugesetz, dass Ressourcen vor Menschen gehen.

Als die meisten Menschen dann vertrieben waren, wurden dort Flüchtlinge angesiedelt. 20 bis 30 Menschen, ohne Nachbarn, ohne soziales Umfeld. Das ist doch absurd. Nur ein paar Anwohner gibt es, die sich nicht aus dem Weg räumen lassen. Das Hambi-Camp steht im Garten einer fast 90-jährigen Dame. Sie hat ihren Garten zur Verfügung gestellt, das Camp ist ihr Schutz. Da käme die Polizei nur mit Hundertschaften.

Derzeit herrscht im Hambi Ruhe. Ist das eine Ruhe vor dem Sturm?

Gute Frage, es fühlt sich fast danach an. Voriges Jahr wurde zwar der Rodungsstopp ausgerufen, und RWE darf bis 2020 keine Bäume mehr fällen. Aber es gibt wieder ein neues Gerichtsverfahren, und nach einer entsprechenden Gerichtsentscheidung könnte wieder gerodet werden. Dann kann wieder alles Mögliche passieren. Am 16. Januar 2020 ging es durch die Medien, dass der Hambacher Forst erhalten bleiben soll. Abwarten.

Warum gab es aus deiner Sicht den Stop?

Ich glaube, sie haben gemerkt, dass wir viele sind. Viele Menschen waren vor Ort, innerhalb eines Tages waren allein über 50.000 Demonstranten dort. Der Tod eines Reporters hat auch für viel Aufsehen gesorgt. Meine Vermutung ist, der Stadt ist es das über den Kopf gewachsen. Man wollte nicht noch mehr Massen anziehen. Es wurde enorm viel Geld für den Räumungsversuch ausgegeben, Geld, das die Städte ja nicht haben.

Gehst du wieder in den Forst zurück, oder was hast du vor?

Das ist eine offene Frage. Sicher werde ich wieder vorbeischauen. Derzeit bin ich unterwegs und lerne mich und die Welt kennen.


K. H., geboren 1999 in Mittelfranken, Hambi-Aktivist, kurz nach Schulabschluss Vollzeitreisender. Er beschäftigt sich mit Fotografie, Aktivismus, Natur, Survival, Selbstversorgung und Antifaschismus und ist laut deutschem Gesetz Ökoterrorist — daher hier nur anonym. Ich kann aber garantieren, es gibt ihn.


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