Comeback des Patriarchats

Die Fernsehserie „The Handmaid’s Tale“ spiegelt das neokonservative Rollback in Trumps Amerika – einige neuere Entwicklungen wie „Tradwifes“ und „Manosphere“ erinnern an die dystopische Vision. Teil 2 von 2.

Normal ist nur das, woran man gewöhnt ist“, sagte Tante Lydia, die brutale Aufseherin der „Mägde“ in der Erfolgsserie „The Handmaid’s Tale“. Für die Frauen im fiktiven Staate Gilead, der von einer christlich-fundamentalistischen Sekte regiert wird, sind totale Entrechtung und regelmäßige Vergewaltigung „Normalität“. Der Roman „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood (1986) fing die neokonservative Bedrohung treffsicher ein. Die Warnungen, die Atwood damals aussprach, schienen in der ersten Ära Trump noch dringlicher geworden. Die Serien-Verfilmung mit Elisabeth Moss, die seit 2017 läuft, ist ein gekonntes Update, das auf jüngste Entwicklungen Bezug nimmt. Die Veröffentlichung der letzten Staffel fällt in die Zeit des großen Trump-Revivals. Zwar ist auch der Glanz des liberalen Amerika etwas verblasst, doch erinnern aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen durchaus an die Zukunftsvisionen der „Magd-Serie“. Während maskulinistische Krawall-Influencer das geknickte Selbstbewusstsein des „starken Geschlechts“ zu reparieren versuchen, preisen „Tradwifes“ die Segnungen von Heim und Herd. Als Gegentrend zu den androgynen „Transpersonen“ gewinnen „echte Männer“ und „richtige Frauen“ an Zulauf. Erleben wir einen Umschlag ins andere Extrem, eine Renaissance des Binären?

Teil 2: Männliche Männer, weibliche Frauen

Gibt es sinnvolle, für beide Partner beglückende Formen einer traditionellen Ehe? Die Serie „The handmaid’s tale” nach einem Roman von Margaret Atwood hat gezeigt, wie es auf keinen Fall laufen darf: Unterdrückung, Ausbeutung, Gewalt, die gnadenlose Einsortierung von Frauen in verschiedene Rollenbilder — zugeschnitten auf männliche Bedürfnisse: Seelengefährtin, Gebärerin, Putze. All das aufpoliert durch christliche Sprüche. Aber abseits solcher Zerrbilder: Könnte die traditionelle Ehe (noch) funktionieren? Wenn ja, wie müssten Mann und Frau hierfür beschaffen sein?

Zum Glück tappen wir diesbezüglich nicht im Dunkeln. Erica Kirk erzählte es uns in ihrer großen Rede anlässlich der Beerdigung ihres Mannes Charlie Kirk — vor der Kulisse eines gigantischen Stadions, in Anwesenheit des US-Präsidenten und Vizepräsidenten. Die Rede, die vor allem dadurch Furore machte, dass die Witwe dem Mörder ihres Mannes öffentlich vergab, breitete „nebenbei“ ein komplettes Rezept für die ideale christliche Ehe aus:

„Charlie verstand perfekt Gottes Willen für einen christlichen Ehemann“, sagte Erica Kirk.

„Ein Mann, der führt, damit andere dienen können. An alle Männer überall auf der Welt, die zuschauen: Akzeptiert Charlies Herausforderung und umarmt die wahre Männlichkeit. Seid stark und mutig für eure Familien. Liebt eure Frauen und führt sie. Liebt eure Kinder und beschützt sie. Seid das spirituelle Oberhaupt in eurem Zuhause. Aber bitte seid ein Anführer, der es wert ist, dass man ihm folgt.“

Erica Kirk sagt: „Deine Frau ist nicht deine Dienerin“, begründet aber nicht näher, warum sie einen Anspruch des Familienvaters sieht, „Anführer“ zu sein. Dies versteht sich für sie von selbst, wohl weil „Gottes Wort“ es so sagt.

Kirk zeichnet ein Bild, das Außenstehende nur schwer in der Realität überprüfen können. Der ideale Ehemann: Charlie. Die ideale Ehefrau: Erica:

„Ich war seine Zuflucht. Seine engste, vertrauteste Ratgeberin, seine beste Freundin. Ich ging in ihm auf und liebte ihn so tief, gab ihm Kraft, weil seine Liebe zu mir mich antrieb, eine bessere Ehefrau zu sein. Jeden Tag ehrte er mich und ich betete zu Gott, mich zu der Ehefrau zu machen, die er für ihn bestimmt hatte.“

Die perfekte christliche Ehe

Komplementär dazu richtet die Witwe nun auch einen Appell an die anwesenden Frauen:

„Frauen, ich habe auch für Euch eine Herausforderung: Strebt nach Vervollkommnung. Unsere Stärke findet sich in Gottes Plan für unsere Rolle. Wir sind die Wächterinnen. Wir sind die Ermutigerinnen. Wir sind die Bewahrerinnen. Behüte dein Herz. Alles, was du tust, fließt von ihm her. Und wenn du eine Mutter bist, erkenne bitte, dass dies das einzige und wichtigste Ministerium ist, das du innehast.“

Nun deutet sie an, dass Charlies umfassende Reisetätigkeit das Paar vor Herausforderungen stellte. Aber die perfekte traditionelle Ehefrau kann damit umgehen, indem sie ihre eigenen Ansprüche hintanstellt:

„Aber ich stellte sicher, dass dies für Charlie, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, ein sicherer Landeplatz war, fernab der Sorgen der Welt. Ich vermied es, dass er sich schuldig fühlte, weil er zu lange fort gewesen war oder zu spät heimkam. Ich sagte ihm immer: Dein Zuhause ist hier und es ist für dich bereit. Und ich verwandelte das Heim in einen Ort, zu dem er so bald wie möglich zurückkehren wollte, wenn er unterwegs war. (…) Wir waren ein Team, das für dieselbe Mission zusammenarbeite. Ich wollte nie zwischen Charlie und der Aufgabe stehen, die Gott für ihn vorgesehen hatte.“

Die programmatische Rede Erica Kirks wurde durch die tragische Lebenssituation, aus der heraus sie entstand, quasi mit einer goldenen Aura umgeben. Ergänzend zur MAGA-Bewegung, die derzeit ohnehin durchmarschiert, wurde deren traditionell christlicher Arm gestärkt: „Turning Point“ nannte Charlie Kirk sein Unternehmen, das Strauchelnde auf den im doppelten Wortsinn „rechten Weg“ zurückführen soll. Erica präzisierte nun das mit der Bewegung verbundenen Gesellschafts- und Familienbild. Die Achillesverse des ganzen Gedankenkonstrukts ist allerdings ein sachlich nicht gerechtfertigter, jedoch von Konservativen allseitig akzeptierter Dominanzanspruch des Mannes.

Adrette Kuchen-Bäckerinnen

Erica Kirk verkörpert die tragisch-edle Version eines Trends, der in seinen seichteren Ausführungen boulevardesk wirken kann. „Trad Wifes“ (traditionelle Ehefrauen) boomen in den sozialen Medien. Ihre Videos erreichen Millionen Zuschauer.

Im Wesentlichen zeigen Trad Wifes ihren Alltag als Hausfrauen in einer idealisierten Hochglanz-Version.

Kochen und hübsch aussehen sind ihre Kernkompetenzen, wie die Influencerin Karolina Tolkstik in einem Video offen einräumt:

„Wenn ich sage: Ich mach mich hübsch für meinen Mann, dann mache ich mich vielleicht in erster Linie für mich hübsch. Aber ich mach mich auch hübsch für meinen Mann, und dazu steh ich auch. Und genauso freue ich mich, wenn ihm mein selbstgebackener Kuchen schmeckt, und ich finde, daran ist nichts Verwerfliches.“

Tolstik sieht ihre Funktion als Trad Wife auch in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang:

„Und dieses Rollenbild, das ich da transportiere, das ist für mich nicht rückschrittlich, sondern das sind für mich grundlegende Werte, die für ein gemeinsames Miteinander in der Gesellschaft wichtig sind. Und dass jeder seine Ego-Schiene fahren möchte und sagen möchte: Ich kümmere mich nur noch um mich selbst und mach nichts für den anderen – das hält keine Gesellschaft zusammen.“

Dagegen ist nichts zu sagen — außer, dass die Influencerin damit auch suggeriert, nicht-traditionelle Frauen würde eine „Ego-Schiene“ fahren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt weniger stärken, obwohl sehr viele von ihnen Berufe ausüben, die für die Gemeinschaft nützlich sind. Zu schweigen von jenen, die parallel dazu noch Kinder und Haushalt betreuen.

Nicht wenige Trad-Wife-Dokus glänzen durch ihren hohen Unterhaltungswert. Manche, die dort auftreten, sehen sich sogar in der Verantwortung für den Fortbestand der Menschheit. Elon Musk etwa sagte im Interview: „Die Geburtenrate ist sehr niedrig in fast jedem Land. Wenn sich das nicht ändert, wird die Zivilisation verschwinden.“ Dieses Ziel ist nach Ansicht von Konservativen eher durch eine traditionelle Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau erreichbar. Zu Bedenken ist aber: Wenn es nicht jeder Mann — wie Musk — auf 14 Kinder bringt, dann mag das auch daran liegen, dass nicht jeder Haushalt über sein Budget verfügt.

Trad Wifes — Performative Bescheidenheit

Kritik an Trad-Wife-Videos richtet sich oft besonders gegen die Künstlichkeit der Inszenierung. Die puppenhaft adrett herausgeputzten Protagonistinnen laden in eine geschönte Traumwelt ein. In der Realität erweisen sich das perfekte Outfit und das perfekte Menü für den hart arbeitenden Ernährer oft als schwer zu vereinende Gegensätze. Der Küchendampf würde dem Makeup schaden, das Hantieren mit Messern und Spülschwamm die Fingernagel-Bemalung verwischen. Die Hausfrau, Mutter und Trad-Wife-Kritikerin Amber Suzor offenbarte im zuletzt genannten Video den inneren Widerspruch der Trad-Wife-Existenz:

„Es ist fast ironisch, dass sie einen falschen Alltag darstellen, der mit ihrem eigentlichen Leben gar nichts zu tun hat. Und damit verdienen sie ihr Geld, das heißt, das ist eigentlich ihr Job. Sie arbeiten, aber sie tun so, als wäre das ihr richtiges Leben.“

Trad Wifes zelebrieren quasi einen Exhibitionismus der Zurückgezogenheit. Sie sind Karrieristinnen des performativen Karriereverzichts. „Schaut alle her, ich bin total bescheiden und ordne mich meinem Mann unter.“

Auch Erica Kirk, die sich im Übrigen selbst nie als „Trad Wife“ bezeichnet hat, sendet durchaus eine doppelte Botschaft aus. In derselben Rede, in der sie sich zu ihrer gottgewollten Rolle als „Frau an seiner Seite“ bekannte, verkündete sie, von nun an die Leitung von Charlies Unternehmens „Turning Point“ zu übernehmen — trotz zweier kleiner Kinder und sicher noch andauernder Trauerarbeit. „Turning Point“ dürfte mit ihrer Hilfe zu einer noch einflussreicheren Bewegung werden, welche die religiöse Begleitmusik zur Ära Trump-Vance liefert.

„Verführe und zerstöre!“

Im Vergleich zum Kapitel über „weibliche Frauen“ in meinem Artikel ist jenes über „männliche Männer“ gewiss das krudere. Ich komme nicht umhin, in diesem Zusammenhang Tom Cruise zu erwähnen. Der Superstar, in dessen Oeuvre es zwar nicht an teuren Blockbustern, wohl aber an wirklich überzeugenden schauspielerischen Leistungen mangelt, legte in Paul Thomas Andersons Film „Magnolia“ von 1999 seinen großen Auftritt hin: als viriler Männercoach Frank Mackey.

Der berserkerhafte Mentaltrainer zelebrierte im Film vor männlichem Publikum sein Seminar „Verführe und zerstöre“, in dem er seinen Anhängern die Besinnung auf wahre Männlichkeit predigt. Konkret: die rücksichtslose Unterwerfung der Frau.

„Respektiere den Schwanz, zähme die Fotze!“ lautet sein schon in der Ausdrucksweise brutaler Wahlspruch.

Schon der Beginn der Veranstaltung ist verstörend. Ein muskelbepackter Cruise mit nacktem Oberkörper steht allein auf einer leeren Bühne, während vom Tonband Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“ erklingt. Im weiteren Verlauf steigert sich Mackey dann immer mehr in einen maskulinistischen Furor hinein.

*„Sag [zu den Frauen]: ‚Nein, du wirst mich nicht kontrollieren! Nein, du wirst meine Seele nicht nehmen! Nein, du wirst dieses Spiel nicht gewinnen! (…) Ich bin der, der das Sagen hat! Ich bin der, der Ja sagt! Nein! Jetzt! Hier! Es ist universell. Es ist anthropologisch. Es ist biologisch.“ *

Dabei lässt Cruise aufreizend seine Hüften kreisen, bevor seine Vorführung in dem Ausruf gipfelt: „Wir sind Männer!“

Im Zwiegespräch versucht Mackey dann verunsicherte Männer aufzurichten, die die Trennung von ihrer Freundin noch nicht verkraftet haben. Sein Rat: Mach dich niemals vor einer Bitch klein. „Ich entschuldige mich nicht dafür, wer ich bin. Ich entschuldige mich nicht dafür, was ich brauche. Ich entschuldige mich nicht dafür, was ich will.“

„Schlagen, packen, würgen – Sex“

Als Regisseur Anderson diesen Film drehte, war von einer „Manosphere“ noch keine Rede. Tom Cruise darf mit seinem Auftritt als Vorläufer dieser Bewegung gelten. Die Parallelen zwischen seiner Filmfigur und dem realen Männlichkeits-Guru Andrew Tate sind frappierend. Tate wurde aber erst gut 10 Jahre nach dem Start des Films als Influencer bekannt. Viele zogen den Vergleich, es scheint aber nicht bewiesen zu sein, dass sich Tate Cruises Auftritt tatsächlich zum Vorbild nahm. Ein Vergleich zeigt jedoch frappierende Ähnlichkeiten: „Du kommst nicht über die Trennung von dieser Schlampe hinweg? Geh ins Fitnessstudio!“, rief Tate in einem Video. Er schreckte nicht einmal davor zurück, explizit zur Gewalt gegen Frauen aufzufordern: „Pack sie am Hals. Halt die Klappe, Schlampe! Ihr Höschen ist ganz nass. Dann fickst du sie. So läuft das. Schlagen, packen, würgen, Halt die Fresse, Schlampe! Sex.“

Einen Eindruck von Andrew Tate können sich Interessierte unter anderem in diesem Video verschaffen. Der Mentaltrainer wirkt erschreckend emotionslos, feuert seine Worte mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs ab, starrt dabei mit leeren Augen über einem unaufhörlich plappernden Mund. Wen derart krude Ergüsse interessieren? Nun, Andrew Tate hat auf X 9.000.000 Follower. Der ehemalige Kickboxer wurde in seiner Wahlheimat Rumänien bereits verhaftet, weil er Frauen zur Mitwirkung an Pornofilmen gezwungen haben soll. Es kam jedoch bisher nicht zu einer Verurteilung.

Übergriffige „Beschützer“

In ihrem lesenswerten Artikel auf Manova schrieb Madita Hampe über Andrew Tate:

„Er agitiert gegen einen linken, woken Mainstream und trifft damit auf fruchtbaren Boden, denn dieser Mainstream gibt sich zwar als Speerspitze der Toleranz, ist allerdings bemerkenswert rigide und vor allem in Sachen Geschlecht und Feminismus mittlerweile weit entfernt von der Realität der meisten, die ihr Leben nicht auf Twitter- oder in Instagramblasen verbringen. Eine Grundüberzeugung dieser lauten Minderheit ist: Geschlecht sei ein soziales Konstrukt, das man jederzeit wechseln könne, und alles Männliche sei sowieso toxisch. Es sind Debatten eines Zeitgeistes, die vielen einfach nur noch auf die Nerven gehen und die Basis bilden für jene neu entstandene „Männerrechtsbewegung“, zu deren Guru Andrew Tate geworden ist.“

Dies ist eine plausible Erklärung für die Entstehung der Bewegung als Backlash zu einem zu weit gehenden Wokeismus. Die Autorin sieht dies aber nicht als Entschuldigung für die offene Abwertung des weiblichen Geschlechts.

Tate ist der bekannteste Akteur der sogenannten Manosphere (zu Deutsch: Mannosphäre), eines Netzwerks aus Internetforen und Blogs, die sich mit Themen wie Körpertraining, männliche Selbstermächtigung und sexuelle Dominanz über Frauen beschäftigen. Verbunden ist dieses Programm oft mit einer Art Training in aggressiven Techniken der „Verführung“. Frauenverachtende Äußerungen sind dabei eher die Regel als die Ausnahme.

Männer – das schwächelnde Geschlecht

Wie schon der Film „Magnolia“ und das Schaffen Andrew Tates gezeigt haben, wenden sich Protagonisten der Manosphere vor allem an ein Zielpublikum verunsicherter junger Männer, die sich als sexuell erfolglos oder zu kurz gekommen empfinden. Die Manospere ist eng verknüpft mit dem Phänomen der sogenannten „Incels“. Das Wort ist die Abkürzung von „involuntary celibate“ und meint unfreiwillig sexuell enthaltsam lebende Männer. Zu diesem Thema gibt es eine Reihe interessanter Videos.

Junge Männer entwickeln aus dem Schmerz der Zurückweisung heraus einen Hass auf Frauen wie auch auf erfolgreichere Männer. Sie kreierten in Foren eine eigene Sprache und ein Set von Narrativen, die nicht immer geeignet scheinen, den Incels aus ihrer Misere herauszuhelfen. Einmal weil sich die Männer oft in einen Sumpf der Negativität hineinziehen lassen, in welcher sich die Forenteilnehmer gegenseitig bestärken. Zum anderen auch weil misogyne Sprüche auf die meisten Frauen nicht unbedingt als Aphrodisiakum wirken.

Ein typisches Narrativ besteht in der Behauptung, Frauen gingen nur mit solchen Männern ins Bett, die sie schlecht behandelten.

Ein anonymer Incel behauptete in einer Dokumentation der Neuen Zürcher Zeitung: „Sie ist solange unabhängig, bis sie im Bett dominiert wird. Sie sagt, sie will einen netten Kerl, und dann nimmt sie einen bösen Jungen mit nach Hause.“

Laut NZZ verschärfen neben negativen persönlichen Erlebnissen auch soziale Probleme den psychischen Absturz der unfreiwillig Enthaltsamen. Der Männerpsychologe Markus Theunert erklärt, dass die Erfahrung, sexuell chancenlos zu sein, auch dazu führen kann, dass sich Betroffene zu reaktionären Ansichten über die Geschlechterrollen hingezogen fühlen. „Im Orientierungsvakuum ist es sehr einfach, auf die alten Bilder vermeintlich urtümlicher Männlichkeit zurückzugreifen.“

Der Griff zur roten Pille

Ein Vorwurf gegen Frauen, der stark subjektiv eingefärbt und daher pauschal sehr schwer zu verifizieren ist, lautet: Frauen sind zu anspruchsvoll. „Frauen stehen auf einen Mann, der ihnen in allen Belangen überlegen ist. Mehr Geld, mehr Kontakte, intelligenter, stärker, größer.“ Ein Vordenker auf diesem Feld ist der Blogger Rollo Tomassi, der den Erfolg oder Misserfolg auf dem „Beziehungsmarkt“ auch evolutionsbiologisch deutet. Frauen seien quasi biologisch darauf programmiert, immer die besten Männchen als Väter für ihre Kinder auszuwählen. Tomassi spricht dabei auch von „Hypergamie“ — der angeblichen Neigung von Frauen, sich stets Partner mit höherem sozialem Status zu suchen.

Der Grund dafür, warum viele Frauen damit Erfolg haben, liegt demnach in dem extremen Männerüberschuss in einschlägigen Dating-Foren. In den gerade unter jungen Leuten üblichen „Dating-Apps“ haben Frauen eine weitaus stärkere Stellung inne. Die Crux ist aber: Die meisten stehen auf genau denselben Typus, das „Alpha-Männchen“ — attraktiv, erfolgreich und wohlhabend. So behaupten jedenfalls bestimmte Coaches. Ob sie mit diesen Männern längerfristig glücklich werden, steht auf einem anderen Blatt; zuerst einmal bedeutete es für „zweit- oder drittklassige“ Bewerber aber, dass sie nicht einmal in die Nähe eines Dates kommen. Daraus kann sich eine „Incel“-Dynamik entwickeln. Frust, Depression, Frauenhass, aggressive Statements in einschlägigen Foren.

Die Manosphere hat für den Prozess männlicher Selbstermächtigung auch das Symbol der „roten Pille“ kreiert. Im Film „The Matrix“ steht diese für das freiwillig gewählte Erwachen aus einer kollektiven Illusion. Der Tapfere entscheidet sich stets für die Wahrheit, auch wenn sie schmerzlich ist.

„Wahrheit“ bedeutet in der Manosphere: Frauen beherrschen die Gesellschaft, während Männer unterdrückt werden. Männer haben demnach kaum noch Kontrolle und sind dem Willen der Frauen hilflos ausgeliefert — es sei denn, sie beginnen, sich zu wehren.

Die Folgen für die Psyche der Betroffenen sind Besorgnis erregend. Frauen werden in Incel-Foren als „female hunanoids“ (foids) bezeichnet. In Foren herrscht oft ein Tonfall abgrundtiefer Verzweiflung vor. Selbstmordankündigungen sind häufig — wie viele davon in die Tat umgesetzt wurden, ist schwer zu eruieren. Ein anonymer User bekennt sich sogar zu Gewaltfantasien: „Sie hat es eigentlich verdient, dass ich sie vergewaltige.“ Manche Incels idealisieren Amokläufe und ebenso Femizide. Zumindest spielen sie öffentlich mit solchen Gedanken. Andere prahlen damit, in Thailand und anderen asiatischen Ländern mit dutzenden minderjähriger Frauen geschlafen zu haben.

„Echte Männer sind rechts“

In besagtem Video der Neuen Zürcher Zeitung lädt einer der interviewten Experten die Manosphere überdies politisch auf: „Die Idee, dass Männlichkeit wehrhaft sein muss, hart und stark, deckt sich eins zu eins mit der Ideologie der rechtsextremen Parteien und Strömungen.“ In diesem Zusammenhang ist natürlich der AfD-Europapolitiker Maximilian Krah erwähnenswert, der sich in einem bekannt gewordenen Video als Manosphere-Influencer versuchte und seine Botschaften speziell an den „Incel“-Interessentenkreis richtete:

„Jeder dritte Mann hatte noch nie eine Freundin. Du gehörst dazu? Schau keine Pornos. Wähl nicht die Grünen. Geh raus an die frische Luft. Steh zu dir. Sei selbstbewusst. Kuck geradeaus. Und vor allem: Lass dir nicht einreden, dass du lieb, schwach, soft und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts. Echte Männer haben Ideale. Echte Männer sind Patrioten. Dann klappt’s auch mit der Freundin.“

Manche Frauen allerdings bevorzugen wohl eher, was Maximilian Krah „unechte Männer“ nennen würde. Jette Nietzard, die verhaltensauffällige ehemalige Vorsitzende der Grünen Jugend, gibt in einem Video persönliche Dating-Tipps — nicht für ihr eigenes Geschlecht, sondern für junge Männer. Die Stoßrichtung ist: Passt euch den Bedürfnissen linker und woker Frauen an, sonst bleibt ihr allein. Ihre fünf Anforderungen an Männer sind: 1. Politisches Interesse, 2. Männerbilder hinterfragen, 3. Kochen können, 4. Abtreibung unterstützen, 5. „Callt eure Bros out“. Die letztgenannte Forderung bedeutet, Jungs sollten ihre Freunde dazu anhalten, Frauenrechte zu respektieren.

Nietzard sieht ein dramatisches Auseinanderdriften der Welten auch auf dem Beziehungsmarkt: „Junge Männer werden immer konservativer und rechter, junge Frauen immer progressiver und linker.“ Um diese Lücke zu schließen, stehen aber ihrer Meinung nach ausschließlich Männer in der Bringschuld.

Die Leiden der Adoleszenz

Viele Menschen wurden auf das Phänomen „Incels“ erstmals durch die Netflix-Serie „Adolescence“ von Philip Barantini aufmerksam. Darin wird der 13-jährige Jamie Miller eines Morgens wegen Mordes an seiner Klassenkameradin Katie von der Polizei verhaftet. Das Schockierende: Er hat die Tat wirklich begangen. Die weitere Handlung dreht sich in vier Folgen um die Suche nach dem Motiv. Der Chefermittler Luke Bascombe tappt lange im Dunklen, bis ihn sein Sohn Adam, ein Klassenkamerad Jamies, über die wahren Hintergründe aufklärt, welche in die bizarre Welt der Incels führen. Katie hatte Jamie auf sein Smartphone ein rätselhaftes Symbol geschickt: eine explodierende rote Pille. Adam klärt auf:

„Rote Pille bedeutet: Ich sehe die Wahrheit. Ein Aufruf der Manosphere, zu handeln. Da kommt die Regel ins Spiel, die 80:20-Regel. (…) 80 Prozent der Frauen fühlen sich zu 20 Prozent der Männer hingezogen. Du musst die Frauen überlisten, sonst kommst du niemals an sie ran. 80 Prozent sind unerreichbar. Sie sagt, er ist ein Incel, Dad.“ Der Vater ist verblüfft: „Er ist 13. Wie kann man mit 13 unfreiwillig enthaltsam sein?“ Adam: „Sie sagt, er ist ein Incel. Sie sagt, er wird es immer sein. Dass er Jungfrau bleibt, immer. Viele haben das mit einem Herz kommentiert. Und das heißt, sie sind ihrer Meinung.“

Wir haben es hier also mit einem besonders gemeinen Fall von Cyber-Mobbing zu tun. Lange bevor Jungen im Regelfall auf Partnersuche gehen, wird Jamie empfindlich in seiner Männlichkeit gekränkt. Er wird von Katie und ihren „Followern“ zum ewigen Verlierer im Dating-Wettrennen gestempelt. Vermutlich war er wirklich in das Mädchen verliebt, was die öffentliche Zurückweisung noch unerträglicher macht. Katie muss ihren Mangel an Sensibilität mit ihrem Leben bezahlen.

Toxische Jugendlichkeit

Jamie scheint sich als Folge seines Misserfolgs in der Manosphere des Internets herumgetrieben zu haben. Gegenüber der Jugendpsychologin Briony Ariston rastet er aus und benutzt Worte, die eher an Andrew Tate erinnern als an einen Jungen, der eigentlich noch ein halbes Kind ist. Als Ariston ihn bittet, sich wieder auf seinen Stuhl zu setzen, brüllt er:

„Ich will mich nicht hinsetzen. Sie sagen mir nicht, wann ich mich hinsetzen soll. Sie bestimmen nicht, wann ich verdammt noch mal… Sehen Sie mich an. Sie haben keine Kontrolle über das, was ich tue. Kriegen Sie das in Ihren verschissenen kleinen Kopf rein?“

Hier spielt erkennbar eine wichtige Rolle, dass es sich bei der Psychologin um eine Frau handelt. Von „so einer“ lässt sich ein Mann doch nicht herumkommandieren. Der „Schlampe“ muss man als ganzer Kerl zeigen, wer Herr im Haus ist. Das Andrew Tate-Gift wirkt, toxische Männlichkeit bei einem 13-Jährigen.

Anleitung zur Selbstunterdrückung

In einer Dokumentation für Spiegel TV versucht der Therapeut Arno Frank dem Seriengeschehen analytisch nahe zu kommen. Er gibt den „Männer-Coaches“ die Schuld am seelischen Leiden ihrer Klienten. Grund: Sie vermitteln diesen ein unerreichbares Männerbild:

„Ich glaube, das versehrt die Seelen von kleinen Jungs, die nicht genau wissen, wohin mit ihren Affekten, die sie ja auch haben und brauchen und von denen ihnen gleichzeitig signalisiert wird, dass sie das alles unterdrücken müssen. (…) Ich glaube, dass das sehr zerquälte kleine Seelen werden, wenn man ihnen fortwährend einredet, sie seien keine echten Männer, sie würden auch keine echten Männer werden und niemals würde eine echte Frau sich für sie interessieren.“

Sich selbst sehen Männer-Coaches eher als Ermächtiger und Ermutiger, die versuchen, verunsicherte Jünglinge auf einen guten Weg zu bringen. Andrew Tate rät:

„Wenn du hart an dir arbeitest, ins Fitnessstudio gehst, trainierst, so viele Muskeln wie möglich aufbaust, früh aufstehst, kein Gras rauchst, keine Videospiele spielst, um möglichst viel Geld zu verdienen und als Mensch fantastisch zu werden, kannst du dieses Mädchen einfach ignorieren.“

Wie diese Ratschläge gesellschaftspolitisch einzuordnen sind, macht einer der erfolgreichsten Video-Influencer der Manosphere klar: Hamza „Die Rote Pille ist, mehr zurückzugehen zu traditionellen Geschlechterrollen.“

Rechtsruck im Geschlechterverhältnis?

Ist es das, worauf alles hinausläuft? Droht ein Rechtsruck auch auf dem empfindlichen Terrain der Mann-Frau-Beziehungen? Wir müssen bei all dem in Rechnung stellen, dass viele der von mir verwendeten Quellen wie Spiegel, ZDF, Netflix oder auch die Hollywood-Filmindustrie eher in einem linksliberalen Weltbild zuhause sind. Dessen Denkprämissen und Wahrnehmungsgewohnheiten haben zwar viel Gutes – unfehlbar sind sie jedoch nicht.

Viele Medienmacher versuchen, das Bild eines bedrohlichen Mythengemisches zu erzeugen, welches sich in einem Rechtsruck des Zeitgeists manifestiert. Dazu gehören ein christlich-traditionelles Gesellschaftsbild, das die Polarität der Geschlechterrollen betont, aber auch eine politische Präferenz für Donald Trump in den USA und für die AfD in Deutschland. All das dürfte es nach Ansicht der Medienmacher eigentlich gar nicht geben. Es bedarf der Entlarvung und Korrektur von mit überlegener Erkenntnis ausgestatteten Linksintellektuellen, die ihren Konsumenten eine angemessene Bewertung solcher Zeitgeistphänomene genüsslich vorkauen.

Die Botschaft ist: Wo jemand auf ein eher konservatives Weltbild hereinfällt, sind auch Gewaltneigung, Machismo und Frauenverachtung nicht weit.

Kein Herz für Einsame

Was bei solchen Analysen zu kurz kommt, ist jedoch das einfühlsame Eingehen auf die innere Not junger Männer, die sich von Frauen zurückgewiesen fühlen und als chronische Verlierer auf dem Beziehungsmarkt erleben. Hier findet man wirklich eine Menge seelisches Elend. Dieses wird in Manosphere-Analysen und -Filmen zwar am Rande gestreift, dann aber auch rasch wieder delegitimiert, indem gezeigt wird, wie betroffene „Incels“ Frauen beleidigen, von Vergewaltigung fantasieren, minderjährige Prostituierte kaufen oder gar Femizide begehen. All diese Auswüchse gibt es leider; wer sie allzu sehr in den Vordergrund stellt, vertut jedoch eine Chance, das Leid all der Ungesehenen und Ungeliebten einmal wirklich anzuschauen und nach kollektiven Lösungen zu suchen.

Viele der kritischen Beiträge zur „Manosphere“ strahlen auf mich eine befremdliche Kühle aus. Sie bieten kaum eine andere Handreichung als die Suggestion, Jungen sollten sich eben einfach aus den einschlägigen Foren verabschieden und „irgendwie“ ein ausreichendes Selbstbewusstsein aus dem Ärmel schütteln. Aber wie soll das gehen, wenn man sie im gleichen Atemzug ständig bekrittelt, verhöhnt, herabsetzt oder gar als potenzielle Monster dämonisiert?

Der Mann als ein Mängelwesen, das sich grundsätzlich in Frage zu stellen hat. „Critical Masculinity“. Mann-Sein bedeutet in dieser Sichtweise, weibliche Forderungskataloge ähnlich denen von Jette Nietzard abzuarbeiten, um dann — wenn man recht brav gewesen ist – vor deren strengem Blick Gnade zu erfahren.

Der Mann als Mängelwesen

Ein solches kritische Selbstoptimierungsbemühen von einem Geschlecht zu fordern, vom anderen dagegen nicht, ist eigentlich bereits Sexismus mit umgekehrten Vorzeichen. Insofern haben einige „Männer-Coaches“ für mein Gefühl auch Recht, wenn sie raten: Sei du selbst und kümmere dich nicht darum, wie du ankommst. Wenn du mit dir im Reinen bist, werden Frauen in dein Leben treten — vielleicht aber auch nicht. Mach dich aber auf keinen Fall davon abhängig!

In Partnerschaften geht es um Liebe. Man trainiert diese nicht, indem man den Hass nährt. Nicht auf das andere Geschlecht, aber auch nicht auf das eigene oder auf sich selbst. So wie es für ein Händeklatschen zwei Hände braucht, benötigt Liebe zwei Menschen, die — trotz aller Fehler, mit denen wir unvermeidlicher Weise behaftet sind – mit sich und mit dem anderen im Frieden sind.